21. Mailied eines Mädchens

[248] Mai 1781.


Seht den Himmel, wie heiter!

Laub und Blumen und Kräuter

Schmücken Felder und Hain;

Balsam atmen die Weste;

Und im schattigen Neste

Girren brütende Vögelein.
[248]

Über grünliche Kiesel

Rollt der Quelle Geriesel

Purpurblinkenden Schaum;

Und die Nachtigall flötet;

Und vom Abend gerötet,

Wiegt sich spiegelnd der Blütenbaum.


Kommt, Gespielen, und springet,

Wie die Nachtigall singet;

Denn sie singet zum Tanz!

O geschwinder, geschwinder!

Rundherum, wie die Kinder!

Ringel Ringelein Rosenkranz!


Alles tanzet vor Freude:

Dort das Reh in der Heide,

Hier das Lämmchen im Thal,

Vögel hier im Gebüsche,

Dort im Teiche die Fische,

Tausend Mücken im Sonnenstrahl.


Ha! wie pocht's mir so bange!

Ha! wie glüht mir die Wange!

Mädchen, bin ich nicht schön?

Hüpf' ich nicht wie ein Kräusel,

Daß mir unterm Gesäusel

Meines Kranzes die Locken wehn?


Frei und ohne Gesetze,

Hüpf' ich noch um die Netze,

Die Cupido mir stellt:

All sein schmeichelndes Bübeln,

All sein Kosen und Liebeln,

Hat noch nimmer mein Herz beschnellt!


Traun! der seligen Triebe!

Wann ein Mädchen vor Liebe[249]

Und Empfindsamkeit stirbt,

Nach dem Monde nur blicket,

Nur Vergißmeinnicht pflücket,

Und mit nächtlichen Heimchen zirpt!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 248-250.
Lizenz:
Kategorien: