35. Beim Flachsbrechen

[275] 1787.


Plauderinnen, regt euch stracks!

Brecht den Flachs,

Daß die Schebe springe,

Und der Brechen Wechselklang

Mit Gesang

Fern das Dorf durchdringe!


Herbstlich rauscht im Fliederstrauch

Kalter Hauch,

Und der Nachttau feuchtet!

Dennoch brecht mit bloßem Arm,

Brecht euch warm,

Weil der Mond uns leuchtet!


Brich, du armer Flachs! dir droht

Müh und Not,

Mehr denn je du träumtest,

Als du grün im Sonnenschein,

Junger Lein,

Blaue Blumen keimtest!
[275]

Ach, die harte Raufe hat

Gleich zur Saat

Dir die Boll' entrissen,

Wochenlang dann auf der Au

Sonn' und Tau

Röstend dich zerbissen!


Nun zerquetschen wir in Hast

Dir den Bast,

Den die Schwinge reinigt;

Von der bösen Hechel itzt,

Scharfgespitzt,

Wirst du durchgepeinigt!


Doch dann prangst du glatt und schön;

Und wir drehn

Dich in saubre Knocken:

Und getrillt mit flinkem Fuß,

Feucht vom Kuß,

Läufst du uns vom Rocken!


Schnell durch Spul' und Haspel eilt,

Schön geknäult,

Drauf dein Garn zur Webe:

Daß die Leinwand, scharf gebeucht,

Und gebleicht,

Hemd' und Laken gebe.


Brich, o brich, du armer Flachs!

Weiß, wie Wachs,

Prangst du angeschmieget,

Wann beim Bräutigam die Braut,

Warm und traut,

Einst im Bette lieget!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 275-276.
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Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

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