Dritter Akt.

[110] Speisezimmer in Langens Haus, Justitzräthin, Werner, Christian, Caroline und die Französin sitzen noch beym Nachtisch: zwey Lichter auf dem Tisch.


JUSTITZRÄTHIN. Sie sind also mit meinem Sohn auf dem Graben promeniren gegangen?

WERNER. Fast eine ganze Stunde; er versprach mirs ganz gewiß zu Tisch zu kommen.

JUSTITZRÄTHIN. Sehn Sie, so macht ers: das bin ich schon gewohnt an ihm; wenns ihm einfällt sonst wohin zu gehn, oder den Mond zu begucken oder was weiß ich zu thun – denn debauchiren thut er nicht, das weiß ich – so sizt ihm seine Mutter lang gut genug zu Haus; ists aber nicht disgrazios, sich so zum Narren warten zu müssen?

CHRISTIAN. Mama! mir auch einen Apfel, wenns beliebt.

JUSTITZRÄTHIN. Freylich der Mußie wird wohl von allem haben wollen. Zur Caroline, die ihr zur Linken sizt. Willst du einen, mein Kind?

CAROLINE die geweint zu haben scheint, krumm und überzwerg da sizt, ohneracht ihr die Französin verschiedentlich zuwinkt, in einem weinerlich schleppenden Ton. Nein!

JUSTITZRÄTHIN. Doch, mein liebes Kind! sieh das ist ein recht schöner.

CAROLINE anfahrend. Ich mag aber keinen.[111]

FRANZÖSIN. Fi dock! wer wird so schnautz an die gnädik Frau Mama? Caroline weint ärger.

JUSTITZRÄTHIN. Da iß, wart ich will dir ihn scheelen.

CHRISTIAN. Mama, mir nur ein Schnitzchen, wenns gefällig ist.

JUSTITZRÄTHIN. Just weil der Mußie meynt, er muß haben, soll er nichts kriegen; Zur Caroline. hier, mein Schätzchen, sey nur ruhig und hübsch geschickt. Legt ihr ihn gescheelt auf den Teller: zum Christian. Wart, ich will dir gleich helfen mit den Füßen schaukeln, das thut er nur, um seine Mutter zu ärgern, wenns saubre Herrchen nicht gleich seinen Willen hat.

FRANZÖSIN. Das is freilick böse Sak, wenn man laßt die Kind zuviel sein Will.

CAROLINE wirft der Mutter den Apfel wieder auf den Teller; schluchzend. Mama, sie sieht mich so an!

FRANZÖSIN. Wenn Sie ahb gut Gewiss, darf man Sie dock schau an; ich sag es noch einmal, wenn man die Kind immer giebt nak in seiner Jukend, so is man à la fin ihr dupe. Sitz Sie grad, Mademoiselle, ahb Sie gewinkt schon zwanzickmal, schäms sick vor die fremd Err; maks einem nix als Schand.

JUSTITZRÄTHIN zur Französin. Tenez donc votre bouche une fois; man muß auch nicht immer[112] zanken – Zum Christian. Jezt sag ichs zum leztenmal, Mußie, wenn das Schaukeln nicht gleich aufhört, so laß ich mir einen Stock reichen, du Muttermörder, du! – Zur Caroline. und du, hör mir auch gleich auf zu weinen.

FRANZÖSIN. Kein Mensch weiß, warum das weint.

JUSTITZRÄTHIN wirft der Französin einen zornigen Blick zu. Und iß das! – gleich: Schmeichlend. sollst auch auf den Sonntag einen neuen Schlender haben.

CAROLINE immer weinerlich. Ja, Sie läßt mir hernach doch keinen machen.

FRANZÖSIN. Verdient sie warlik auch keinen.

JUSTITZRÄTHIN. Mais je ne parle pas avec Vous; je ne sais pas, pourquoi Vous me coupez ce visage là Zur Caroline. Ganz gewiß, mein liebes Kind, es soll morgen schon daran angefangen werden.

CAROLINE etwas getröstet, aber immer im schleppenden Ton: fängt an zu essen. Wenns nur auch wahr ist; bekomm ich aber nicht auch ein paar seidene Schuh? ich hab schon drey Wochen an denen –

FRANZÖSIN. Sollt mir thun sehr leid, wenn ick alle drey Wock müßt ahb ein paar neue Schuh; aber das tritt alles gleich so schief –

CAROLINE hastig. Sie bezahlts ja nicht.[113]

FRANZÖSIN. Und wenn man denn sick untersteht etwas zu sahk, so fährts einem nock übers Maul.

JUSTITZRÄTHIN. Jezt ists bald genug – sollst auch Schuh haben, aber kein Wort mehr. Wenn mich unser Herr Gott nur so glücklich machte, daß ich ein einigmal wieder in Ruh essen könnte! Aber sehn Sie nur, Herr Werner! dahin kann ichs nicht bringen; der ungezogne gottlose Bub da ärgert einen den lieben ganzen Tag, hauptsächlich aber beym Essen, da sezt es immer was – immer macht er mirs zu Gift.

CAROLINE im schleppenden Ton. Mama, noch einen.

JUSTITZRÄTHIN. Hier, mein Kind; – vor seinem Bruder, Herr Werner – Zum Christian. spielst du jezt gar mit dem Messer? gleich legs weg – vor seinem Bruder mag ich ihn nicht immer repremandiren; die Unarten ärgern ihn zu sehr; und so macht sichs das schöne Bürschchen zu nutz aber komm mir nur wieder in mein Zimmer! –

FRANZÖSIN zur Caroline die statt zu essen ungezogen da sizt, und auch mit dem Messer spielt. Geht Sie das nit auk an, Mademoiselle? muß man Sie alles sahk à part und funfzigmal? was dem ein rekt is, is die andre billik.

JUSTITZRÄTHIN. Wir wollen nur aufstehn, Herr Werner, sonst gehts wieder von neuem an. Sehn Sie so gehts beständig, und wenn mans beym[114] Licht besieht, so ist immer dies Teufelskind schuld daran. Pack dich mir gleich aus den Augen, oder ich zieh dir eins. Christian macht ein Kompliment und geht ab.

CAROLINE. Mama! wer schnürt mich denn auf?

JUSTITZRÄTHIN. Wer? die Mamsell!

CAROLINE. Ich mag aber nicht von der Mamsell aufgeschnürt werden, Sie soll mich aufschnüren.

JUSTITZRÄTHIN. Sey nicht unartig, meine liebe Tochter, ich habe noch etwas mit dem Herrn Werner zu reden; geh jezt und sey hübsch geschickt; weist wohl, was ich dir versprochen habe.

CAROLINE immer weinerlicher. Ja, Sie hat mich eben nicht mehr lieb. Geht sehr ungeschickt ins Nebenzimmer.

FRANZÖSIN. Geh Sie dock nit so wie ein Gans, heb Sie dock auf die Füße: Das is ein Mädel bald von vierzehn Jahr, kann weder stehn, nock gehn, nock sitzen, wie sicks geört, und heult die ganze Tahk. Geht der Caroline nach.

JUSTITZRÄTHIN. Es ist Zeit, daß sie geht; das ewige Gezänk macht mir das arme Kind ganz schüchtern: es wird nicht eher gut thun, bis ich das Mensch zum Haus hinaus jag: denn das arme Kind kann ihr auf der lieben Gotteswelt nicht das geringste Recht machen; und dennoch wüßt ich nicht, wie sie in ihrem Alter besser seyn könnte. Nicht wahr, Herr Werner?[115]

WERNER. Ich kenne sie noch zu kurz, um das bestimmen zu können; heut Abend freylich schien es Eigensinn –

JUSTITZRÄTHIN. Eigensinnig ist sie bisweilen; das läugne ich gar nicht: o ich bin für die Fehler meiner Kinder gewiß nicht blind; es kann mir niemand nachsagen daß ich Affenliebe für eins oder das andre habe; aber Sie haben ja doch auch gesehen, wie geschwind sie gehorsam war, als ich in einem ernstlichen Ton ihr zusprach – das heißt doch ein gut Herz haben! o mit guten Worten kann man alles aus ihr bringen: sie hat auch noch keinen Schlag von mir bekommen; aber der Bub, wenn ich, Gott verzeih mirs, auf die Knie vor ihm fiel – wenn er nicht will, so will er nicht. – Ja ich erleb schöne Freud an meinen Söhnen. Wissen Sie wohl, Herr Werner, was der Assessor für schöne Streich im Kopf hat?

WERNER. Ich traue meinem Freund nichts übels zu.

JUSTITZRÄTHIN. Man sollt es freylich nicht glauben – hat er Ihnen noch nichts gesagt? –

WERNER. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen wollen.

JUSTITZRÄTHIN. Ja, ja! ich sehs schon, – er wird Ihnen gewiß nichts sagen; er schämt sich selbst dabey: – nun das ist doch noch ein gutes Zeichen; das läßt mich doch noch hoffen, daß er von seiner Narrheit zurückkommen wird. Ich[116] muß es Ihnen nur sagen, ich wüßt es auch noch nicht, wenn ichs nicht so unter der Hand erfahren, und ihn hernach darüber zur Rede gestellt hätte: Denken Sie nur, er ist in ein – ich werde blutroth, wenn ich nur daran denke – in ein Kutschersmädchen verliebt, und so verliebt, daß er sie heyrathen will.

WERNER. Da weiß ich schon drum – heut Abend im Spazierengehn war die Rede davon.

JUSTITZRÄTHIN. Er hat davon gesprochen! so, also hat er schon alle Ehrliebe verlohren? – heyrathen! – denken Sie, Herr Werner, heyrathen! – können Sie sich das vorstellen? wenns allenfalls zur Maitresse wäre, wollt ich noch ein Auge zudrücken.

WERNER. Dafür denkt Ihr Herr Sohn zu edel; ein junges unschuldiges Mädchen verführen ist Todsünde, die noch jenseit des Grabs auf dem Herzen brennen muß.

JUSTITZRÄTHIN. Es ist freylich nicht schön – aber man weiß schon, junge Leute sind – junge Leute.

WERNER. Das entschuldigt so viel als nichts – schlimm genug, daß die Verderbniß so allgemein heutzutag geworden ist, daß man in jeder Familie auf ein paar Schlachtopfer ihrer unordentlichen Lüste mit Fingern weisen kann! Wie schätzbar sollte Ihnen Ihr Sohn seyn, der dem hierinn herschenden Modegeschmack widerstanden hat.[117]

JUSTITZRÄTHIN. Nun ja doch, Herr Werner, Sie sollen Recht haben; er ist mir auch schätzbar, und eben weil ich ihn schätze, und weil ich recht viel auf ihn halte, so soll er mir sich nicht so mit dem Mensch placken, und sich so wegwerfen wollen.

WERNER. Wenn er nun aber mit ihr allein glücklich seyn kann? – Sie haben doch auch empfunden, was Liebe ist?

JUSTITZRÄTHIN. Ach was! glücklich seyn – Liebe – das sind Narrenspossen; – so bald Sie mir so kommen. – Der Herr Justitzrath, Gott hab ihn seelig! pflegte immer zu sagen, Liebe und Narrheit grenzen ganz nah an einander: und dann sezte er immer hinzu, selbst unsre Feinde müßten uns eingestehn, daß wir jederzeit die vernünftigsten Eheleut gewesen sind.

CAROLINE schreyt im Nebenzimmer. Mama! liebe Mama! sie schlägt mich.

JUSTITZRÄTHIN. Gottes Barmherzigkeit! meine Tochter! Lauft ins Nebenzimmer; Werner sieht ihr nach, geht ein paar mal auf und ab, man hört inwendig ein verwirrtes Gezänk, Mutter, Tochter, Französin zugleich sprechen, die Lezte kommt heraus.

FRANZÖSIN. Das is ma foi nit zum Ausstehn; stell Sie sick vor Err Werner, was ein arme Gouvernante leiden muß bey die Leut. Sie ahb gesehn bey dir Abendeß, wie schön sick die Mademoiselle aufführt, und so gehts Jahr aus Jahr[118] ein. Will Mademoiselle was ahb, so weints; hat sies bekumm, so weints für etwas anders. Es ist warlick ein Schand und Spott.

WERNER. Sie ist doch schon ziemlich herangewachsen.

FRANZÖSIN. O ja! groß genuk, aber auch ungeschickt genuk. In drey Monat is sie alt vierzehn Jahr, und kann Gottlob nix auf der Welt, was man nix eißt; pas tant. Schon drey Jahr lernt sie Filet mahk und kanns dock nit. Eilf Monat at sie geabt ein Maitre de danse, ick selbst j'ai voulu corriger son port, former sa demarche, le tout en vain: Sie ahb gesehn, wie ein abominable Gang sie at; kann sie nit mal mahk ein Reverenz die Olzbock: und malgré tout cela is sie die Favorite ihrer Mutter; sahkt man denn etwas, so at man des Enkers Dank davor. Caroline weint laut, die Mutter tröstet sie. Schreyt sie nit wie ein Kalb! will jezt die Mutter ahb, sie soll schweick, muß sie ihr wieder verspreck was neues.

WERNER. Was hat Sie denn mit ihr vorgehabt?

FRANZÖSIN. Nix, gar nix, Err Werner. Ick wollt sie schnür auf, da wollt Mademoiselle es nit leid, wollt es könn allein, lief in das Stub rum, wie ein Narr, und zog à la fin die Schleif unreckt auf zu ein Knopf. – Nakher war ick gut genuk: die Knopf war aber so vest und so art, daß ick ihn nit konnt bring auf; ick probirt es nokmal[119] und le doigt m'echappa, elle eut un soufflet malgré moi.

WERNER. War das alles? – Was sagt denn der Herr Assessor zu der schönen Erziehung?

FRANZÖSIN. O die lieb Err at schon oft darum gesprock mit seiner Mutter allein; aber es will nix elfen, sie is so infatuirt in –

JUSTITZRÄTHIN kommt aus dem Nebenzimmer. Es ist doch gar artig, Herr Werner, daß Sie sich da amüsiren, mit meinen Leuten über mich zu räsonniren; werds meinem Sohn zu rühmen wissen! Fein; gar fein! sind Sie deswegen ins Haus gekommen?

WERNER. Ich habe kein Wort gesagt, worüber Sie sich beklagen könnten: Mademoiselle erzählte, wie sie so von ungefähr –

JUSTITZRÄTHIN. Von ungefähr? hm!

FRANZÖSIN. Warlick, ein blos Ungefähr; ick wollt mahk auf die Knopf an das Nestel –

JUSTITZRÄTHIN. Weiß es schon! Meine Tochter hat mir alles erzählt, und die lügt ihr Lebtag nicht.

FRANZÖSIN. Hätt ick so viel Dukat, als sie sick at laß auf Unwareit attrapir, ick wollt seyn reicke Dame.

JUSTITZRÄTHIN. Ich glaube gar, die Kreatur hat das Courage, mir zu widersprechen! Wenn sie noch ein Wort sagt, so jag ich sie auf der Stell aus dem Hause; versteht sie mich? hat sies gehört? [120] Französin verneigt sich sehr tief. Ich hab sie nicht deswegen im Haus, daß sie mein Kind prügeln und mir Grobheiten sagen soll; ich brauch keine Hofmeisterin, ich! und weiß Gottlob, wie ich meine Kinder erziehen muß.

FRANZÖSIN. So bin ick also hier, wie das Tüpfel auf die I? Bitt très humblement de me donner ma dimission.

JUSTITZRÄTHIN. Sehr gern! von Herzen gern! Wärs nicht die Mode so, ich hätt sie schon längst fortgeschickt; denn sie lehrt mein Kind doch nichts.

FRANZÖSIN. Glaubs ma foi wohl: Wenn ein Enkel käm aus die Immel, er könnt ihr nix bring bey. Morken in die Früh werd ick ahb die Ehr mick zu empfehl. Verneigt sich, geht ab.

JUSTITZRÄTHIN. Grün und gelb möchte man werden für lauter Galle! – Wenn man nur niemand anders als seines gleichen sehn dürfte; von dem Pöbelzeug hat man nichts als Aerger zu gewarten. Angenehme Ruh, Herr Werner. Ab.

WERNER ruft ihr nach. Dank Ihnen für das höfliche Compliment. Wirft sich ärgerlich auf einen Stuhl; Wilhelm kommt abzudecken, geht ein paar mal ab, kommt wieder, als er das letzte mal hinaus will, fragt ihn.

WERNER. Ist sein Herr noch nicht zu Hause?

WILHELM. Mich dünkt, ich hör ihn auf der Treppe. Geht ab. Langen kommt ganz munter; Werner geht ihm einige Schritt entgegen.[121]

LANGEN. Heut bin ich wider Vermuthen ein wenig lang ausgeblieben, mein lieber Werner; verzeihn Sie – ich machte dem Herrn Staatsrath von Dowell meine Aufwartung – Sie kennen ihn doch?

WERNER. Persönlich kann ich mich dieses Glücks noch nicht rühmen.

LANGEN. O ich muß Sie ihm vorstellen; ehster Tagen. Sie werden den liebenswürdigsten, den belebtesten Mann an ihm finden: einen Mann, der, ohne seinem Range was zu vergeben, sich zu dem niedrigsten seiner Nebenmenschen herabzulassen weiß; der Weltkenntniß mit der Liebe zu den Wissenschaften verbindet, und selbst Autor ist, ohne den Eigendünkel dieses oder jenes seynwollenden Genies damit zu verknüpfen.

WERNER. Von der letztern Seite ist er mir schon eine Zeit her bekannt.

LANGEN. O Sie müssen ihn näher kennen lernen. – Wer weiß, wozu diese Bekanntschaft Sie führen kann? – Sieht auf die Uhr. Neune vorbey! dachte nicht, daß es so spät wäre. – Was haben Sie denn die Zeit über getrieben?

WERNER. Erst las ich, bis wir zu Tische giengen, und seitdem hab ich meist eine stumme Person gespielt.

LANGEN. Das glaub ich Ihnen gern; bey meiner Mutter ist nicht viel Trost zu holen.[122]

WERNER. Vielleicht, wenn wir uns erst besser kennen. –

LANGEN. Ich zweifle. – Hat es nicht etwa nach löblicher Gewohnheit etwas zu keifen gegeben?

WERNER. Ein paar Familien-Scenen, die Ihre Jungfer Schwester veranlaßte, und für die Ihr Christian büßen mußte.

LANGEN. Und bey denen ein dritter eben keine erbauliche Rolle spielt; – es ist erschrecklich, daß ich meiner Mutter das nicht abgewöhnen kann! Ich wollte das Mädel schon längst in ein Kloster thun, denn sie zieht doch nichts aus ihm; aber sobald ich nur den Mund davon aufthue, so tobt, raßt und heult sie, als wenn sie verzweifeln wollt. – Doch was soll ich mir den angenehmen Abend, den ich gehabt habe, mit den dummen Grillen verderben. – Wissen Sie wohl, daß ich halb und halb schon versprochen bin? mein künftiger Schwiegervater ist heute zurückgekommen; der Mann ist die Redlichkeit selbst; er spricht so grad von dem Herzen weg; wenn es der ehrlichen Haut nachgegangen wäre: so ließ ich mich morgen schon kopuliren – Aber – Nachdenkend.

WERNER. Sie haben noch andre Anstalten zu treffen?

LANGEN. Freylich! – sehr wichtige! – ich werde morgen einen harten Stand haben: meiner Mutter Einwilligung –[123]

WERNER. Möchte wohl etwas Mühe kosten.

LANGEN. Nicht etwas, Werner! viel, sehr viel! Ich zittre vor der Erklärung, und doch ist sie nicht zu vermeiden; es sollte mir leid thun, wenn ich mich mit ihr darüber entzweyen sollte – entzweyen? nun ja! ihren Zorn mir auf den Hals laden, heißt das nicht sich entweyn? – aber meine ganze Ruhe, Zufriedenheit und Glückseligkeit kann ich ihrem Vorurtheil nicht aufopfern.

WERNER. Sie giebt doch wohl nach; wenn Sie sie am rechten Ende packen.

LANGEN. Ich hoff es; doch bin ich auf alles gefaßt; Sie stehn mir doch bey, Werner? – Wenns nur nicht so spät schon wäre! – in dieser Unruh und Erwartung werd ich kein Aug schließen – Mag doch! kann ich destomehr an mein Rickchen denken; der Engel! Sie hätten ihn sehn sollen: die Zärtlichkeit selbst, und ihre unschuldige durch keine Romanenlektür, keine Kenntniß der sogenannten großen Welt verdorbne Miene!

JUSTITZRÄTHIN kömmt im Negligee aus dem Nebenzimmer. Ists erlaubt, Ihrer Konferenz beyzuwohnen? sie scheint ja sehr belebt – hat der Herr Assessor doch endlich den Heimweg wiedergefunden? den Abend haben Sie vermuthlich recht angenehm zugebracht?

LANGEN. So angenehm als möglich; ich war sehr lange bey dem Herrn Staatsrath.[124]

JUSTITZRÄTHIN. Bey dem Herrn Staatsrath? hm! Wenn mans nicht besser wüßte.

LANGEN. Sicher, Mama! zum Beweis davon kann ich Ihnen dies Gedicht geben, das der Barde Denis auf die Zurückkunft unsers glorreichen Monarchen gemacht hat. Der Herr Staatsrath war so gütig es mir mitzutheilen.

WERNER. Davon sagten Sie mir ja noch kein Wort; darf ich mirs ausbitten? Indem ers Langen abnimmt. Einen August und Mäcen hätten wir Deutsche, sollten diese nicht fähig seyn, einen Virgil zu erwecken?

JUSTITZRÄTHIN. So will ichs denn nur glauben. Must du aber nicht selbst gestehn, daß du mehr Ehr von solchen Connoissancen hast, die über dir sind, als wenn du herabsteigst?

LANGEN. Ich weiß den Werth derselben vollkommen zu schätzen, Mama! und bin ganz stolz darauf. Derjenige wär aber meines Erachtens sehr unglücklich, der immer mit Höhern, als er ist, umgehn müßte.

JUSTITZRÄTHIN. Kaum glaub ich, daß ich deine Mutter bin, wenn du so redst; aber ich merk schon wo du hinaus willst, ich weiß schon, wo das hinzielt. –

LANGEN. Ich ziele nirgends hin Mama, Sie machen sich Gespenster, wo keine sind –[125]

JUSTITZRÄTHIN. O ich bin nicht so kurzsichtig, Herr Assessor, das hat Er wieder auf seine Herzallerliebste geredet.

LANGEN. Weit davon entfernt, Mama! wollt ich vielmehr heut alles vermeiden, was uns auf diesen Punkt führen könnte.

JUSTITZRÄTHIN. Vermeiden! heut vermeiden! nur heut! nein, sagen Sie lieber jezt gleich heraus, was Sie auf dem Herzen haben – ich muß es heut noch wissen.

LANGEN. Es möchte zu spät werden.

JUSTITZRÄTHIN. Wir könnens desto geschwinder expediren: wenns ist, was ich vermuthe, so bin ich mit einem Wort fertig.

LANGEN. Das fürcht ich eben; Sie sind nicht gelassen genug die Sache in ihrer ganzen Wichtigkeit zu überlegen; Sie würden gleich in Eifer gerathen –

JUSTITZRÄTHIN. Ganz und gar nicht, Herr Assessor; ich wüßt in langer Zeit mich keines Tags zu erinnern, an dem ich weniger leicht aufzubringen gewesen wäre; ich bin heut so ruhig, so gelassen, so kaltblütig, daß ich mir ordentlich zu Ueberlegung wichtiger Dinge gemacht scheine. – Erkläre dich, ich befehl dirs.

LANGEN. Sie wissen, daß ich Ihnen von je er gehorsam war –

JUSTITZRÄTHIN. Das weiß ich; das weiß ich! Zur Sache.[126]

LANGEN. Sie sind ja schon aufgebracht, noch eh ich rede.

JUSTITZRÄTHIN. Sehn Sie das, Herr Assessor? ich versichre Sie aber des Gegentheils – wollen Sie mich Lügen strafen?

LANGEN. So bitt ich denn nur mich nicht zu unterbrechen.

JUSTITZRÄTHIN. Das muß wirklich was sehr wichtiges seyn, gut, ich versprechs.

LANGEN. Sie wissen, Mama! ich wiederhohl es, daß ich Ihnen von je her gehorsam war, nicht aus Pflicht allein es war, sondern weil ich selbst Vergnügen darinn fand. Immer war ich bemüht Ihren Befehlen sowol, als Ihren Wünschen zuvorzukommen. –

JUSTITZRÄTHIN. Heut zum Exempel mit den lumpichten zehn Dukaten?

LANGEN. Sie wollten mich ja nicht –

JUSTITZRÄTHIN. Nur weiter! das mußte heraus; sollte ich denn daran ersticken?

LANGEN. Mein angenehmstes Geschäft war Ihnen Proben meiner zärtlichsten Ergebenheit zu geben, Versicherungen Ihrer Gegenliebe zu verdienen. Nach Kräften hab ich mich von je her bemüht Ihre Ruhe und Glückseligkeit zu befördern. Ich berühre dies nur um Ihnen zu zeigen, daß mein jetziges Ansuchen nicht die Würkung eines verhärteten, selbstischen, nur für sich[127] lebenden Herzens ist. In dem Glücke derer, die mich umgeben, blüht erst das Meinige. Sollten diese Gesinnungen nicht auch die Ihrigen seyn? Gewiß, Mama! Sie können unmöglich – ich hab zu viele Proben vom Gegentheil – Sie können unmöglich hart genug seyn mir eine Bitte, eine billige Bitte zu versagen, von der das Wohl meiner ganzen Zukunft, mein Leben, mein Alles abhängt. Sieht ihr starr in die Augen, da sie ganz gelassen scheint, fährt er fort. Ich liebe – das wissen Sie: und so sehr Sie auch schon über den Gegenstand meiner Liebe geeifert haben, so hab ich dennoch mein Herz an keine Unwürdige verschenkt. Kennten Sie sie nur erst, liebste Mama! Sie würden sich gewiß keine bessre Tochter wünschen können. Ihnen zu gefallen wird ihr einziges Bestreben seyn. – Willigen Sie, ich bitte –

JUSTITZRÄTHIN verstellt gelassen. In deine Heyrath –

LANGEN furchtsam erwartend. Ja.

JUSTITZRÄTHIN wie oben. Mit des Kutschers Tochter? – Nach einer Pause nach und nach zur Furie schwellend. Nein!

LANGEN in einem gesetzten Ton. Die Gründe, wenn ich bitten darf – – Halb bitter, halb stolz. Gründe! – Sie sagen mir keine!

JUSTITZRÄTHIN heftiger. Nein, Nein!

LANGEN. Zu Ihren Füßen, Mama! bitte, beschwör ich Sie, wenn Sie nur einen Funken von[128] Liebe für mich, für sich selbst haben; schonen Sie meiner, stürzen Sie mich nicht in Verzweiflung; ziehn Sie Ihr Wort zurück, sonst kann ich für nichts stehn.

JUSTITZRÄTHIN giebt ihm einen Stoß, stampft dreymal mit dem Fuß, und sagt in einem wüthenden Ton. Nein! – Nein! – Nein! –

LANGEN springt auf. Ich danke – so hab ich auch Ihre Einwilligung – Sie lösen die Bande, die ich immer verehrt habe; – ich bin frey und werde meine Freyheit benutzen.

JUSTITZRÄTHIN. Deine Mutter wird es zu verhindern wissen. Geht ab.

LANGEN. Mutter! meine Mutter! Werner, wo war meine Mutter? haben Sie ihren Schatten nur da gesehn, so zeigen Sie mir den Fleck, daß ich sie küsse, die mir heilige Stelle. – Ist die Furie fort? – Werner, ist sie fort? –

WERNER. Sie sind ausser sich, Freund, das muß nicht seyn. – Sie wurden zu geschwind hitzig – Sie entbrannten –

LANGEN. Sahn Sie die Blicke nicht, Werner! die sie auf mich herabschoß, als ich so flehend vor ihr lag?

WERNER. Seys! – Sie konntens aber voraus sehn; Sie kannten sie, Sie sagten, Sie wären zu allem gefaßt; – warum hielten Sie nicht beym ersten Nein[129]

LANGEN. Müssen Sie mir den gräßlichen Ton nochmals ins Ohr zurückschallen?

WERNER. Warum hielten Sie da nicht ein? warteten einen bessern Augenblick ab? – vielleicht hätt es Ihnen morgen, vielleicht übermorgen –

LANGEN. Vielleicht übers Jahr – vielleicht nie geglückt – euch kalten Sebalds! Geht hastig ab, Werner ihm nach.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 110-130.
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