Vierter Akt.

[130] Zimmer in Kutscher Walzens Haus, Fridericke arbeitend, Lenchen am Kopfputz begriffen: Langen kommt herein, stürzt auf Fridericken zu, umarmt sie.


LANGEN. Glücklich, Rickchen! – wir sind glücklich: – Sie sind die Meine, sobald wir wollen.

FRIDERICKE. Gewiß?

LANGEN. Ganz gewiß, Beste! ich bin völlig frey; Herr, zu thun was ich will.

FRIDERICKE. Noch glaub ich zu träumen – hat Ihre Mutter sich so schnell –

LANGEN. Mutter? – ich habe keine Mutter mehr, Rickchen: ich hab sie verloren.

LENCHEN. Gottes Barmherzigkeit! sie ist so plötzlich gestorben?

LANGEN. Für mich.

FRIDERICKE die ihn starr angesehn. Langen! – Langem! wie kommen Sie mir vor? – was soll ich von Ihnen denken?

LANGEN. Was? – daß ich ein Narr war, mich so lang in Fesseln gekrümmt zu haben.

FRIDERICKE. Langen!

LANGEN. Daß ich aber nicht länger der Sklave des eigennützigsten Stolzes bleiben, daß ich ein freyer Mensch seyn, meine Freyheit benutzen will.[131]

FRIDERICKE. Ich verkenne Sie, Langen, in diesem stürmischen Ton – es ist nicht der Ihrige – und zumal, wenn Sie Ihre Mutter verloren hätten.

LANGEN. Ich hab, ich hab – ich schwörs Ihnen; ich hab – auf immer hab ich sie verloren – doch nein, Sie können Recht haben, man verliert nur, was man gehabt hat.

LENCHEN. Die Frau Justitzräthin war doch gestern noch ganz wohl.

LANGEN. O die ists noch.

LENCHEN zu Fridericken. Du! da versteh ich kein Wort von.

FRIDERICKE. Langen! ich bitte Sie, – bey unsrer Liebe bitt ich Sie, reden Sie deutlich, nicht durch Räthsel – mein Herz prophezeiht mir zwar Unglück –

LANGEN. Sagt ich nicht, Sie wären die Meinige, sobald wir wollten – ist das Unglück?

FRIDERICKE. Sobald diese Verbindung Ihnen Ihre Ruhe kosten soll – ja!

LANGEN. Das soll sie nicht, mein gutes Rickchen – sie soll sie befördern.

FRIDERICKE. So, lieber Langen! das war wieder der rechte Ton; den behalten Sie bey: Wenn der Kopf in Gährung ist, kann man nichts überlegen, und Sie machen mich doch stark vermuthen, daß wir Ueberlegung nöthig haben.[132]

LANGEN. Ich nicht – ich hab schon alles überlegt, meinen ganzen Plan gemacht; – mein Entschluß ist gefaßt.

FRIDERICKE. Und wie?

LANGEN. Wie? wie Sies von meiner Liebe erwarten können; noch heute, in dieser Stunde noch wollen wir die Ringe wechseln, so geschwind als möglich die übrigen Vorkehrungen machen, und sobald die nöthigen Ceremonien vorbey sind, werden Sie meine Gattin, meiner Mutter zum Trotz.

FRIDERICKE gerührt. Ihrer Mutter zum Trotz.

LANGEN. Ja, ja! ich wiederhols – meiner Mutter zum Trotz! Nichts soll mich von meinem Entschluß abbringen: Mein Freund Werner wird den Augenblick hier seyn, dem Verspruch von meiner Seite beyzuwohnen; Ihr Vater mag den ersten besten Freund oder Nachbar herbeyrufen das übrige werd ich besorgen.

FRIDERICKE. Ihrer Mutter zum Trotz! – das wird mein Vater nie zugeben.

LANGEN. Immerhin! so heurathen wir uns auch Ihrem Vater, der ganzen Welt zum Trotz!

FRIDERICKE. Der kürzste Weg! – Langen, Sie sind fürchterlich heute; fühlen gewiß nicht, was Sie sagen: den Fluch der Eltern mit in die Eh nehmen, heißt sich und seine ganze Nachkommenschaft unglücklich machen wollen; und dazu will ich wenigstens nichts beytragen.[133]

LANGEN. Sie schlagen also meine Hand aus? –

FRIDERICKE. Eh ich sie so theuer erkaufen wollte – ja!

LANGEN. Gut, recht gut! – jezt bin ich ruhig; es wird mir bald wohl seyn. – Ich glaub, ich sprach vorher im Eifer. Lenchen! sprach ich so? Ich bitte beyderseits, mir zu verzeihen; – ich liebte, schmeichelte mir, wieder geliebt zu seyn; der Traum ist verschwunden; ich bin wieder kaltblütig. Während diesem nimmt er einen Kamm vom Tischchen, und bricht im Sprechen immer einen Zahn nach dem andern ab.

LENCHEN die so eben mit ihrem Kofputz fertig geworden. Sie verderben mir ja ganz meinen Kamm. Sehn Sie die Zähne hier liegen?

LANGEN. Wie gieng das zu? das that ich doch sonst nie. – Pfui, Langen! must nichts so nach und nach zerstören, auf einmal, mit einem Wort, mit einem Druck must dus zernichten, zu Pulver zermalmen können – Wirft ihn weg. nicht wahr, Mademoiselle Fridericke? – So, nicht einmal einer Antwort mich zu würdigen! Wirft sich auf einen Stuhl.

LENCHEN zu Fridericken. Du, ich geh, es wird mir Angst. Läuft ab. Folgt eine Pause, in der Fridericke bald arbeitet, bald ihre Rührung zu verbergen sucht; Langen läuft hastig das Zimmer auf und ab, will einigemal sprechen, hält wieder ein; wirft sich auf einen Stuhl. Walz und Karl führen einen alten Juden herein; Lenchen trägt ihm ein Körbchen nach.[134]

JUD noch hinter der Scene. Au weyh, mein Fuß! mein Fuß!

WALZ. Nur fort, herein; ich will sehn, wies aussieht. Sapperment! Spaß ist Spaß, aber einen Menschen einem Kettenhund in den Rachen zu jagen, ist kein Spaß: wenns auch zehnmal nur ein Jud ist: Setz dich.

LENCHEN. Wie ists denn zugegangen, Vater?

JUD. Au weyh! au weyh!

WALZ. Halts Maul, du Naseweis! wie ists gangen – das frägt man sein Lebtag nicht, bis erst geholfen ist. – Will geschwind laufen, der Bestie ein paar Haar ausraufen; sorg eins von euch für etwas Leinwand. Geht ab.

FRIDERICKE. Hier ist just was bey der Hand, Vater.

KARL. Wie ists gangen? das ist wieder so ein Cavalierspaß, wie ich zu Haus mehrere erlebt habe; ich habs von weitem gsehn; ists nicht ein Edelmann, der droben logirt?

LENCHEN. Ja, ja! mein Vater sagt als: ein Neugebackner fürs Geld.

KARL. Das sind öfters die schlimmsten; – der hat an der Thür gestanden, und da kam der Jud und redt mit ihm – was? weiß ich nicht.

JUD. Nu mein! ich hab nach em fremden Herrn gefrogt. Au weyh! au![135]

KARL. Und drauf wieß er ihn grad am Hundsstall vorbey: da fuhr das Teufelsvieh raus und biß ihn –

JUD. Gott behüt! ich glab bis ufn Knochen.

KARL. Lachte der verschammerirte Schelm nicht? –

WALZ der wiederkommt und das letzte gehört hat. Der Teufel wird ihm auch lachen, wenn er ihn einmal auf der Schleuder hat! Zeig den Fuß her, Jude! Verbindet ihn. Fridericke und Lenchen machen sich dabey allerhand zu schaffen. Jetzt probier, ob du wieder gehn kannst.

JUD probierts. Au weyh! es thuts nit, kann nit drauf stehn ämol – ach ich armer Mann! Wau soll ich was zu acheln kriegen?

LENCHEN. Er kann ja mit uns essen.

KARL. Sie essen ja nicht ghauscher.

LENCHEN. Was ist das?

FRIDERICKE sucht, ohne daß es die Umstehenden gewahr werden, Geld in der Tasche. Was hat er dann in dem Korb hier? Nähert sich ihm, unterm Schein, es zu betrachten.

JUD. Nu mein! allerhand, mein schönes Jungferle; wollen Sie was kafen – Schöne Dosen, Uhrbänder, Stockbänder, Etuis, Sackspiegel, hübsche Schnallen allerlä Gattung, eingelegte Messer, Scheeren, Nadelbüchschen, seidene Strümpf, Halstücher –[136]

WALZ. Das soll gewiß schon auf Rechnung des Brautstaats gehn – Nu meintwegen. – Aber, Sapperment, Herr Assessor! jetzt werd ich Sie erst gewahr; – sitzt er nicht da, als wenn er unserm Herr Gott den Eßig ausgesoffen hätte.

FRIDERICKE giebt die Waaren zurück, drückt ihm aber heimlich was in die Hand. Dießmal kann ich nichts brauchen; Er kommt doch wohl wieder, wenn sein Fuß wieder geheilt ist, da will ich sehn.

JUD. Nu mein! Sie sind gar zu gütig – gar zu gnädig; ich dank Ihnen –

FRIDERICKE winkt ihm zu schweigen. Er scheint schon sehr alt zu seyn.

JUD. O ich bin schon über neunzig Jahr passirt, mein schönes Jungferle!

WALZ. Neunzig Jahr! – so alt werd ich wohl nicht –

LENCHEN. Warum nicht, Vater?

WALZ. Das will ich dir sagen, wenn ich todt bin.

FRIDERICKE. Und hat er sich immer vom Hausirengehn genährt?

JUD. Gott behüt! ich war ein wohlhäbiger Mann, hatte drey, vier Leute unter mir stehn, ein großes Gewerb –

WALZ. Nun, wie hats denn so auf einmal den Krebsgang genommen?

JUD. Schaut: 'sgreicht mer zwar nit zur Ehr, jetzt seh ichs wohl ein; aber der Jungferle do[137] kann i nichts verbergen. Ich war halt in meiner Jugend in ä Schickselchen vernarrt, die mein Aeti nit leiden konnt, habs endlich zur Frau genommen, und er hat mers verboten ghabt, und do hat er mer halt den Fluch gegeben – o ä gräßlichen Fluch!

LANGEN der vorher stier in eine Ecke sah, aufspringend. Wie? was? dein Vater hat dir geflucht, Jude?

JUD. So ists, Herr Assessor!

LENCHEN zu Fridericken. Hör, der kennt ihn.

LANGEN. Wegen eines Mädchens dir geflucht, das du geliebt, geheurathet hast?

JUD zu Lenchen. Freylich kenn ich ihn: hat mer schon manchmal was geschenkt, der gute Herr!

LANGEN. So antwort, Jude, wegen eines Mädchens –

JUD. So schön, wie die Esther – aber er fluchte mer doch. –

LANGEN. Fridericke, hören Sies, geflucht hat er ihm; sein Vater hat ihm geflucht, und dennoch ist er im neunzigsten Jahr noch so munter und stark. – Solche Flüche treffen vermuthlich die Luft nur.

JUD. O er hat mich wohl auch troffen, Herr Assessor, ich habs empfunden. – Mein Vermögen gieng auf einmal fort, als hätts der Wind verweht –[138]

LANGEN. Mag! hast du doch noch Kopf und Hände, dein Brod zu verdienen.

JUD. Sauer genug! wenns nicht noch hie und da so gnädige Herzen gäb, wie Sie und –

FRIDERICKE. Lebt seine Frau auch noch?

JUD. Ja! wenn die noch am Leben wär, so wollt ich gern betteln gehn im Nothfall, alles ertragen; aber sie ist mir läder gleich im ersten Kindbett gestorben, und hat mir einen Krüppel hinterlassen, den ich nun schon sechzig Jahr und drüber hab in der Stube füttern müssen. – Mei! ich darf nit dran denken. –

LANGEN sich vor die Stirne schlagend. Im ersten Kindbett gestorben! –

FRIDERICKE zu Langen. Hat seins Vaters Fluch nur die Luft getroffen, Langen? hörten Sie? –

LANGEN. Hätt ichs nie gehört! – ich war so seelig in meiner Zuversicht – jetzt schwindt alles, alles! – ewige Finsterniß liegt mir vor den Füßen – Mit mir ists aus.

WALZ. Was hat er denn? Sapperment! ich ab ihn vor schon gefragt.

LANGEN. O nichts, Herr Walz! gar nichts! – Ein wenig Kopfweh – will nach Haus gehn, ein paar Pillen verschlucken, das vertreibts. – Hier, Jude, hast was für deine Lektion – Wirft ihm Geld hin. besser ich, als alle! Will abgehn.[139]

FRIDERICKE umarmt ihn, und hält ihn zurück. Langen! ums Himmelswillen, warten Sie erst, bis Sie gelaßner sind.

JUD. Nu mein! Ich hoff doch nicht, daß meine Erzählung den lieben Herrn –

WALZ. Ich versteh nichts davon –

LENCHEN. Wenn wir allein wären, wollt ichs Ihm wohl sagen, Vater.

LANGEN. Gelaßner? kann man gelaßner seyn, als ich jetzt bin? – aber freylich, der Gedanke nicht immer, vielleicht niemals mehr so, wie jetzt, athmen zu können – o der fällt auf, wie brennend Pech!

WALZ. Karl komm! wir wollen ihn in dein Zimmer führen; da kann er sich ein wenig erholen, vielleicht gehts hernach besser.

JUD. Nu mein! ich dank euch allerseits recht sehr; seyds ja gar brave Leute.

WALZ. Der verbuchte Windbeutel von einem Federhut! Packt mit Karl den Juden an.

JUD. Au! au! das thut weih!

LENCHEN. Wart er: ich will ihm seinen Korb nachtragen. Draus kann ichs Ihm besser erzählen, Vater. Geht den vorigen nach, und ab.

FRIDERICKE küßt Langen. Langen! mein Langen!

LANGEN küßt sie wieder. Mein bestes liebes Rickchen! – Noch einen, nur einen Kuß noch! den lezten.[140]

FRIDERICKE macht eine Bewegung rückwärts. Nein, Fritz! den geb ich Ihnen heut nicht.

LANGEN. Grausame! must du denn Liebkosungen, Reitze, Zärtlichkeit, Empfindung, alles aufbieten mich rasend zu machen?

FRIDERICKE. Ich machte Sie rasen, Himmel!

LANGEN. Nein, du nicht, Rickchen! du nicht. Dein Verlust, meine Mutter die Frau Justitzräthin! warlich ein schöner Titel! er tönt so voll – hat so was harmonisches – Frau Justitzräthin! möchtst nicht auch Frau Justitzräthin werden, Rickchen? Zu Wernern, der herein kommt. Sie haben sich vergebens bemüht, Herr Werner! Aus dem Verspruch wird nichts! Rickchen will mich nicht –

FRIDERICKE. Langen! wie?

LANGEN. Meiner Mutter zum Trotz heyrathen.

FRIDERICKE. Und hab ich Unrecht? – der Jud Weint.

LANGEN. Der Jud! nun freylich der Jud! Sie haben Recht, meine Mutter hat Recht, die ganze Welt hats; – aber ich hab auch nicht Unrecht, und weiß, was ich zu thun habe.

WERNER. Beruhigen Sie sich, Bester! ich habe Ihnen wichtige, angenehme Sachen zu sagen – Zu Fridericken. Und auch Sie werden nicht lange mehr Ursach haben zu weinen – helfen Sie mir nur hier unsern Freund besänftigen –[141] So lang alles bey ihm über und über kocht, darf ich nichts sagen – Der Uebergang –

LANGEN. Zur Wuth, wenn auch ein Freund unsre Erwartung täuscht, ist – leicht.

WERNER. Von mir haben Sie nichts zu befürchten; ich setze meine Ehre zum Pfand.

FRIDERICKE. Langen, ich dächte, wir trauten ihm, zwar seh ich den Herrn zum erstenmal; aber ich vermuthe, daß es der Freund ist von dem Sie mir so vieles gesagt haben.

WERNER. Wenn ich noch nie ein Recht auf diesen Titel gehabt habe, so hab ich heute; – Zu Langen. Mademoiselle kann die Ihrige werden – Ihre Mutter willigt ein.

LANGEN. Rickchen! ists möglich? – Freund und das ist ihr Werk! Schutzengel! Halbgott! mehr noch.

WALZ noch unter der Thüre. Ihn soll das heilige tausend Kreuz Bataillon – Hätt ich nur den blauen Rock noch an, daß ich recht fluchen dörft! – Herr, Sapperment! da hör ich schöne Sachen – ist das recht, so daher zu schleichen wie ein Blindschleich, und –

LANGEN. Vater, bester Vater! ich schweb – bin im Himmel!

WALZ. Ich wollt dich himmeln, wenn ich unser Herr Gott wär, und du mir ein Mädel verführen wolltest.[142]

FRIDERICKE. Das ist ihm nie in Sinn gekommen, Vater!

WALZ. Halts Maul, du Bohnenstange, du Wachspüppchen! weist den Henker, was ihm all schon in Sinn gekommen ist. Sapperment! hat er dich nicht wollen desertiren machen, he! meynst ich weiß es nicht? – Drum wußt ich nicht, warum der Kerl vor so da saß, als hätt er Teufelsdreck gefressen; Nimmt Fridericken bey der Hand. weil das Mädel hier noch einen guten Blutstropfen von seiner Mutter und mir in sich hat, und nicht gleich mit ihm fort hat wandern wollen, da bekam der Mußie Kopfweh, wollt Pillen fressen, der Teufel soll dir sie drehen, wart! Auf Wernern loß, läßt Fridericke gehn. Wer ist Er; he! ist Er sein Helfershelfer, oder was ist Er? Sapperment! Herr, ich schmeiß Ihn zum Fenster hinaus, wenn ich was merk, versteht Er mich? Mein Mädel darf mir nicht debauchirt werden –

FRIDERICKE. Vater, liebster Vater! beleidigen Sie doch unsern Schutzengel nicht. Der Herr brachte Langen die Einwilligung seiner Mutter.

WALZ. Das ist eine große Sache! Sapperment! die Einwilligung seiner Mutter! – wenn sie nicht gewollt hätte, so hätt sie samt ihrem Sohn können zum Henker gehn: ich geb niemand ein gut Wort drum, dich los zu werden; will dir schon einen an dern Mann schaffen, mein Liebchen. Schmeichelt ihr.[143]

FRIDERICKE weinend. Es giebt nur Einen Langen, mein Vater!

WALZ. Was Langen! ists der nicht, so ists ein andrer; wer ein Wort deintwegen verliehrt, verdient dich nicht.

WERNER. Rechnen Sie doch, ich bitte, dem Herrn Assessor dasjenige nicht auf, was ihm selbst schon das Herz fast abgedrückt hat.

WALZ. Puh! ist das vielleicht der Notar, der euren Winkelcontrakt hat aufsetzen sollen, weil er dem so das Wort spricht? – Sapperment, noch eins! Karl! Jakob! Will zur Thür hinaus rufen.

LANGEN zieht ihn zurück. Beschimpfen Sie meinen Freund nicht; ich bin schuldig, ich erkenns, habs erkannt, hab mir alle die Vorwürfe, die Sie mir machen können, schon selbst gemacht! allein, wessen ist eine unglückliche Liebe nicht fähig; verzeihn Sie mir und seyen Sie stolz darauf einen solchen Engel zur Tochter zu haben.

WALZ. Was Engel! mit mir muß der Herr nicht wie ein verliebter zuckersüßer Haas schwätzen – Mein Mädel ist ein Mädel –

LANGEN. Und ein gutes Mädchen! dessen Tugend die Meinige beschüzt hat – Und Sie sind ihr, sind mein Vater! – Werner hat mir die Einwilligung meiner Mutter ausgewürkt – o das ist ein Freund, Herr Walz, das ist ein Freund!

WALZ. Würklich! Beguckt ihn. Wie sieht denn das Wunderthier aus?[144]

WERNER. Wenn sich alle edle weichgeschaffne Seelen, die für einander gemacht sind, immer hier träfen, mein Herr! so wie Langen und ich uns getroffen haben, ächte Freundschaft würde gewiß nicht so selten seyn.

WALZ. Gut gesprochen! Herr, er muß auch mein Freund seyn.

WERNER. Topp! wenn Jungfer Fridericke –

WALZ. Seys! die mag der Assessor als Geißel unsrer Allianz in Verwahr nehmen. Stummes Spiel zwischen Langen und Fridericken. Aber Sapperment! jezt sagen Sie mir doch, was hat denn eigentlich die Frau mit dem langen Titel gegen meine Tochter einzuwenden gehabt?

LANGEN. Vernünftige Gründe konnte sie keine anführen, und alberne Vorurtheile, dächt ich, muß man nicht aufwärmen. Erzählen Sie uns lieber, wie Sie es angegriffen haben, sie auf unsre Seite zu bringen.

FRIDERICKE. Wofür? genug, daß ich jetzt die Ihrige werden darf.

WALZ. Wenn der Gukuk nicht wieder was in Weg führt.

LANGEN. Mit meiner Mutter Consens und dem Ihrigen, Herr Walz! ist mir vor nichts bange.

LENCHEN kommt. Ihr Bedienter will Sie sprechen, Herr Assessor![145]

WALZ. Hast du ihn nicht grad hereinschicken können? bey ehrlichen Bürgersleuten braucht sich niemand erst melden zu lassen.

LENCHEN. Ich sagts ihm auch, Vater! aber er will mit seinem Herrn allein sprechen.

LANGEN. Immer macht er den Geheimnißvollen! sagen Sie ihm nur: ich wollt ihn hier sprechen, Jungfer Schwester.

LENCHEN. Jungfer Schwester? – doch nicht unserm Vater zum Trotz? – pfui, Herr Bruder, das war ein häßlicher Gedanke! Geht ab.

WALZ. Sieht ers! so gehts, wenn man nicht den graden Weg geht: da wird man sogar der Kinder Spott.

LANGEN. Hab ich doch noch zu rechter Zeit eingelenkt?

WILHELM kommt, zieht Langen bey Seit. Sie sind gesucht worden, mein Herr! Auf Befehl Ihro Majestät der Kaiserinn, sollen Sie sogleich vor ihr erscheinen.

FRIDERICKE. Sie erblassen, Langen! Was gibts? was ists?

LANGEN. Ich soll sogleich vor Ihro Majestät der Kaiserinn erscheinen.

LENCHEN. Und darüber erschrecken Sie? Ey, ey, Herr Bruder! ist das der Mann, der vorher die ganze Welt fressen wollte? der auf einmal, mit einem Wort, mit einem Druck alles zernichten,[146] zu Staub zermalmen wollt? – und jetzt zittern Sie, einer so gnädigen, so guten Monarchin unter die Augen zu treten! Ich wollte ja –

WALZ. Ich wollte ja – freylich! wie dus verstehst, Gelbschnabel. – Ich bin gewiß keiner von den Furchtsamen, Sapperment! ich nehms mit mehr als einem auf, und habs bewiesen – aber wenn ich vor meinen Landesherrn treten soll, so klopft mein Herz allemal stärker; ich fühl so etwas, so etwas – das ich nicht sagen kann. – Wenns denn vollends eine Dame ist – da bin ich so klein –

LANGEN. Wer brachte denn den Befehl?

WILHELM. Ein Herr, den ich nicht kenne; er wollte durchaus wissen, wo Sie wären; wollte mit mir gehn, Sie aufsuchen helfen: ich mußt ihm hoch und theuer versprechen, es Ihnen gleich zu wissen zu thun, und heiligst versichern, daß ich nicht eigentlich wüßte, wo Sie wären; sonst hätt er mich nicht allein gehn lassen.

LANGEN. Hat ihn meine Mutter gesehen?

WILHELM. Nein; sie ist schon eine ganze Stunde aus: im Herweg hab ich sie von weitem sehn nach Haus gehn; sie sah wider Gewohnheit ganz munter aus –

LANGEN. Gut – ich komme gleich. Wilhelm ab. Himmel! ein so unerwarteter, so dringender Befehl, was mag der wohl auf sich haben?[147]

LENCHEN. Was anders, als etwas angenehmes? kommt er denn nicht von unsrer guten Kaiserinn?

FRIDERICKE. Lenchen hat Recht. Warum wollen Sie sich denn ohn alle Ursach ängstigen?

LANGEN. Gott gebs! – Werner! wenn Sie mich betrogen hätten – Verzeihn Sie, es war nur so ein Gedanke, der mir durch die Seele fuhr – Aufs Wiedersehn: gleich nach der Audienz bin ich wieder hier.

FRIDERICKE. Thun Sies ja, mein lieber Langen! gleich nach der Audienz. Ich werd Sie mit Ungedult erwarten.

LANGEN. Und ich keinen Augenblick Ruhe haben, bis ich Sie wieder seh. Adieu! – Rickchen, bey Gott! gleich nach der Audienz, oder – nie mehr. Ab.

WALZ. Kleine, mach Anstalt zum Mittagessen; ich will indessen bey meinen Leuten noch ein wenig die Rond machen. Er und Lenchen ab.

FRIDERICKE. Oder nie mehr! – Ich muß gestehn: ganz wohl ist mir bey der Sach auch nicht, wenn ich mich gleich so gestellt habe. Sollte die Einwilligung seiner Mutter auch wohl von Herzen gegangen seyn? Ich trau ihr kaum halb; sie war zu erbittert auf unser Haus –

WERNER. Sie müßte ein Teufel seyn, wenn sie sich so hätte verstellen können; unmöglich! die Vorstellungen, die ich ihr machte, waren so dringend,[148] daß sie ihnen Gehör geben mußte. Anfangs freylich machte sie mir allerhand Einwürfe, die ich aber um so viel eher übern Haufen werfen konnte, da ich kaltblütig und bey der Sache selbst nicht intereßirt war. Sie fieng an zu wanken; ich drang besser in sie, schilderte die Verzweiflung ihres Sohns, die unglücklichen Folgen, die sie haben könnt, mit so lebendigen Farben, daß sie vollkommen nachgab, und mich im gelassensten, ruhigsten Ton von der Welt bat, ihrem Sohn zu sagen, sie hätte ihre Gesinnung verändert; sobald sie wieder nach Haus käme, würde er nicht ohne Erstaunen ihren wahren Entschluß erfahren. –

FRIDERICKE. Desto besser! so kann ich also meinen Langen ganz ruhig erwarten. – Wenn je noch was vorfallen sollte, so verlaß ich mich auf Sie, Herr Werner; ich kenne Sie erst von heute, aber Sie haben sich mein ganzes Zutraun eigen zu machen gewußt.

WERNER. Ich werd es zu verdienen suchen; wenn ich was zu Ihrer Beruhigung, zu Ihrem und Langens Glücke beytragen kann, werd ich gewiß Ihren Wink nicht erst erwarten. Geht ab.

FRIDERICKE. Bald werden wir uns also öfters zu sehn bekommen.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 130-149.
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