Fünfter Akt.

[149] Ein großer öffentlicher Platz: auf jeder Seite zwo breite Straßen gegen einander über; eine davon ganz im Grund. Verschiedene Personen gehn in der Mitte des Platzes spatzieren. Werner und Wilhelm kommen linker Hand aus der vordersten Straß heraus.


WILHELM auf die hinterste Straße von der nemlichen Seite deutend. Sehn Sie! da muß er herauskommen, und die Straße hier Auf die vorderste gegenüber zeigend. führt grad an die Reitschule. Er kann Ihnen unmöglich entgehn.

WERNER. Gut! ich will ihn erwarten. Gerechter Gott! wo will das noch hinaus? Hat ers dann von der Mutter selbst gehört, daß sie einen Fußfall vor der Kaiserinn gethan hat?

WILHELM. Nein! ihr Herzpüppchen, die Mamsell Caroline, hats im Haus herumposaunt, und ist dabey herumgesprungen, wie ein Ziegenbock.

WERNER. Das gleicht ihr; es ist just so ein Geschöpf, wie die Alte.

WILHELM. Ich muß wieder nach Haus gehn, sonst krieg ich mein Theil, wenn sie mich mißt. – Den Heimweg werden Sie jetzt doch finden?

WERNER. Wollt, ich dörft ihn gar nicht mehr suchen: geh er nur.

WILHELM im Fortgehn. Kommen Sie zu Tisch?[150]

WERNER. Schwerlich! – ich bin satt bis an Hals, wenn ich mir das Vipernzeug nur denke. Wilhelm ab. Solche Bosheit im weiblichen Geschlecht, im seynwollenden schönern Theil der Schöpfung! Gott – Gott! Geht unruhig und gedankenvoll auf und ab, sieht öfters nach der Straße, wo Langen herkommen soll. Auf einmal kommt Walz rechter Hand aus der vordersten Straße heraus: sobald er Wernern sieht, ruft er ihm zu.

WALZ. Das ist schön, Sapperment! recht schön; es kommt immer besser.

WERNER. Wie? haben Sies auch schon erfahren, Herr Walz?

WALZ. Ob ichs erfahren habe? Zum Henker auch! Ist nicht in meinem Beyseyn, mir unter der Nase paßirt?

WERNER. In Ihrem Beyseyn hätte sie Bosheit genug gehabt, so was auszuführen?

WALZ. Herre! was schwätzt er von Bosheit? ich laß meiner Monarchin nichts nachreden. Sie meynts allemal gut mit uns, wenn wirs gleich nicht einsehn.

WERNER. Ich sprach nicht von Ihrer Monarchin; ich verehre sie so gut, wie Sie immer. – Ich dachte, Sie wüßtens schon: von der Justitzräthinn.

WALZ. Justitzräthinn? Was kümmert mich die! die könnt meintwegen, sobald sie wollt, hinfahren, wo der Pfeffer wächst. – Von meiner[151] Tochter hab ich gesprochen, Herre! von meiner Tochter, die sie mir in Arrest genommen haben.

WERNER. Ihre Tochter in Arrest?

WALZ. Ja doch, meine Tochter: vom Essen weg haben sie mir sie in ein Kloster geführt; als ich fragte: warum? wieß man mir, statt aller Antwort einen kaiserlichen Befehl vor, und da mußt ich – verstummen.

WERNER. Freund! Langen! – nein, das erträgt er nicht! – dem Streich erliegt er. Ganz gewiß ist das schon eine Folge des Fußfalls –

WALZ. Was für ein Fußfall? – Wer hat einen Fußfall gethan?

WERNER. Die Justitzräthinn – bei der Kaiserinn, die Heyrath zu hintertreiben.

WALZ. So! – O Herre ich kann auch knien, ich kann auch einen Fußfall thun! stehenden Fußes will ich hin, will mir mein Kind wieder losflehen, will ein Gelübde thun, daß sie Langen nicht kriegen soll – mein gutes, liebes Kind, den Trost meines Alters, das Ebenbild seiner Mutter. – O wer doch ein alt Weib wäre, und recht flennen dörft!

WERNER. Dadurch könnten Sie zwar sich, aber weder Langen noch ihrer Tochter helfen. – Folgen Sie mir Herr Walz, und warten Sie bis Langen wie der zurückkommt. Ich hoff immer,[152] es soll ihm geglückt haben, der Monarchin die wahre Beschaffenheit der Sachen vorzutragen.

WALZ. Wenn er das gekonnt hat!

WERNER. Verliebt genug ist er um beredt zu seyn.

WALZ. Die wahre Beschaffenheit der Sachen! da steckts: wer weis, wie falsch die verfluchte Schlange sich erfrecht hat, Ihro Majestät meine Tochter und mich abzumahlen: sie ist Teufels genug um uns für die Verführer ihres Sohns ausgegeben zu haben; und wenn sies gethan hat, so hat sies in ihren Hals n'ein gelogen. Hätten sich die beiden Leute nicht so herzlich geliebt, Assessor hin, Assessor her, ich will ein Schurke seyn, wenn er jemals mein Jawort gekriegt hätte.

WERNER. Eben deswegen Herr Walz müssen wir erst von Langen hören, wie die Audienz abgelaufen – Ihre Tochter ist ja gut aufgehoben.

WALZ. Immerhin! sie ist doch nicht bei ihrem Vater: das arme Kind fiel in Ohnmacht, als sies fortschleppten; – Vater! Langen! war alles, was sie sagte – weg war sie.

WERNER. Kein Wort mehr, guter Alter! kein Wort mehr; sonst möcht ich mein Daseyn verfluchen; und dennoch kann ich euch, kann ich Langen vielleicht noch was nützen. – Dort seh ich ihn kommen; mit starken Schritten kommt er – entfernen Sie sich, ich beschwöre Sie, sie[153] möchten sich verreden, und ich muß ihn erst ausforschen, eh er alles erfahren darf. Gott! wie werd ichs ihm vorbringen.

WALZ. Ey was vorbringen! man sagts ihm grad heraus, ohne lang um den Brey herumzugehn – bin ich doch Vater, und hat kein Mensch gefragt, wie man mirs vorbringen wollte. Geht linker Hand in die vorderste Straße hinein, Werner auf Langen los; führt ihn an der Hand hervor.

LANGEN. Lassen Sie mich, oder kommen Sie mit: ich hab meinem Rickchen eine starke Scene zu beschreiben.

WERNER. Den Innhalt weis ich schon.

LANGEN will sich losreissen. So! also waren Sie mit vom Komplot! – Vorher muthmaßt' ichs nur, jetzt weis ichs gewiß.

WERNER. Freund! wie können Sie sich so was denken?

LANGEN. Mißbrauchen Sie doch dies edle Wort nicht! und wenn Sie nicht mit mir zu meiner Geliebten, zu meinem Kutschersmädchen wollen, so lassen Sie mich. – Schande, Schande! weis den Streich, den mir meine Rabenmutter spielen will, und kommt während der Zeit mich mit süßen Hoffnungen einzuschläfern. – Pfui dem –

WERNER. Sie verkennen mich Langen! aber ich vergebs Ihnen; kanns aber heiligst betheuren, daß ich Ihrer Mutter so viel Verstellungskunst selbst nicht zugetraut hätte.[154]

LANGEN. Armer Mensch! läßt sich von einem Weib am Narrenseil herumführen. Wer sollts ihm ansehn, daß er so dumm ist. Haben Sie noch kein Weib sonst gesehn?

WERNER. O ja!

LANGEN. Und wissen nicht, daß der Satan selbst nicht erfindrischer an Kunstgriffen und Diebsränken seyn kann, als dis betrügrische Geschlecht, wenn Eigennutz, Stolz, Neid und andre dergleichen ihm eigene Triebfedern sich ins Spiel mengen? – Der kluge Kopf!

WERNER. Sie machen doch Ausnahmen?

LANGEN. Ja, und eben weil ich die mache, und machen muß, eben deswegen, Herr! soll mein Rickchen, mein Kutschersmädchen die Meine werden, und sollt sich die ganze Welt gegen mich verschwören, sollt ich in Wäldern mit ihr herum irren, von Wurzeln und Wasser leben, wilde Thiere mit der Faust erschlagen, mir und meinem Rickchen Kleider zu verschaffen! – Zum leztenmal; jetzt lassen Sie mich; jeder Augenblick, den ich hier verziehe, ist verschwendet, dahin geschleudert, meiner Liebe, meiner Ruhe abgestohlen.

WERNER. Die Zeit wird mich rechtfertigen, Langen – Jezt beschwör ich Sie, mir nur noch mit drey Worten zu sagen, wie die Audienz abgelaufen?

LANGEN. Das geht Sie nun nichts mehr an! – Doch ja, Ihnen und Allen, die ihre Pflichten so[155] wenig kennen, zur Schande, muß ich Ihnen nur mahlen, wie huldreich, gnädig, menschenfreundlich die beste Monarchin mit mir gesprochen hat; wie sanftmüthig selbst die Verweise waren, die sie mir gegeben: wie nachdrücklich sie mir den ganzen Umfang meiner Pflichten gegen meine Mutter erklärte; wie liebreich, wie gütig sie alle die Einwürfe anhörte, die mir meine Liebe eingab. Selbst der Enthusiasmus und die Hitze, mit der ich meine Sache vertheidigte, mißfiel ihr zwar, aber beleidigte sie nicht. – Wär etwas vermögend mir meine Liebe aus dem Herzen zu reißen, Gott weis es, so hätt es diese Unterredung seyn müssen, aber sie hat zu tiefe Wurzeln gefaßt. – Thränen wollten mein Auge schwellen, als ich ihr sagen mußte, ich könnte dismal ihrem Befehl nicht gehorchen, müßte mirs in Ehrfurcht gefallen lassen, wenn sie mir das Brod wieder nähm, das ich lediglich ihrer Gnade zu danken hätte, wollte lieber arm und unglücklich seyn, als meinem trauten Mädchen meiner Liebe entsagen. Hättet ihr alle nur den zehnten Theil von dem Gefühl, das in ihren Augen glänzte, es wär nicht so weit mit mir gekommen. – Jetzt können Sie der Frau Justitzräthinn Rapport abstatten; ihr habt mich zum letztenmal gesehn. Reißt sich los, und eilt in die vorderste Straße rechter Hand hinein.

WERNER. Nicht so eilig Langen! Ihr Mädchen –[156]

LANGEN im Forteilen. Erwartet mich – das Verbot der Monarchin war nicht stark genug mich von diesem Besuch abzuhalten, was wollt ihr denn?

WERNER. Ein Wort nur! – Ihr Rickchen – Sie werden verzweifeln – Fort ist er, und hat mich nicht gehört. Gott wie schwarz muß ich ihm vorkommen! Will ihm nachgehn, steht wieder still, gedankenvoll da.

BETTELWEIB ein Kind auf dem Arm. Gnädiger Herr, ein kleines Allmosen um Gottswillen – will auch für Sie beten.

WERNER. Seyd ihr Mutter?

BETTELWEIB. Ja, mein schöner junger Herr, von drey Kindern, dis ist das kleinste, die andern laufen in der Welt herum, weis nicht wo?

WERNER. Man sollt euch die Kehle zuschnüren, die Brüste mit glühenden Zangen auspfetzen, und die Lücken mit Pech und Schwefel füllen; und ihr wollt für mich beten? – für euch! für euch!

BETTELWEIB. Gottes Barmherzigkeit; wer sollte denn für dis kleine Würmchen hier sorgen?

WERNER. Wer für eure zwey andre auch sorgt. – Seyd ihr nur deswegen Frau geworden, um Kinder auf die Welt zu setzen, und sie alsdann jedem Unfall, jedem Unglück Preis geben?

BETTELWEIB. Ja, mein gnädiger Herr, das waren ungerathne Jungens, liefen aus der Lehre fort, bestahlen ihre Meister; das mußt ich denn[157] ersetzen, und da behielt ich nicht einmal das Hemd auf dem Leibe.

WERNER. Menschheit! Menschheit! – Da! Giebt ihr was, geht der Straße zu, in die Langen gegangen.

BETTELWEIB. Der Himmel belohns Ihnen!

WERNER bebt, als er um die Ecke herum will, zurück, gleich darauf wird Langen in einer Sänfte über den Platz nach der Straße gegenüber zu getragen. Freund! Langen kehrt das Gesicht weg. Langen! es ist Ihnen doch kein Unglück zugestoßen?

LANGEN. Zweymal schon: als ich geboren wurde, und als ich Sie zum Freunde nahm.

WERNER. Haben Sie etwa gar Hand an sich selbst – Brauchen Sie Hülfe? – Warum hörten Sie mich nicht?

EIN OFFICIER der in einiger Entfernung der Sänfte nachgieng, und hier sich ihr nähert. Mein Herr! hier ist der Ort nicht mit meinem Gefangenen zu sprechen; sein Arrest wird ganz leidlich seyn, Sie können ihn in seinem Zimmer besuchen. Das Volk fängt an zu gaffen.

WERNER. Langen Ihr Gefangener!

OFFICIER. Auf Befehl Ihro Majestät mußt ich ihn an des Kutschers Haus erwarten, sonst allenthalben wär er frey geblieben; hier mußt ich ihm den Arrest ankündigen. Zu den Trägern. Fort! sonst gibts ein Auflauf. Zu Langen. Die Vorhänge können Sie zuziehn: so bald Sie wollen.[158]

LANGEN. Nein, mein Herr! ein armer Sünder, der zum Hochgericht geführt wird, muß sich von Jedermann unter die Augen sehn lassen, selbst von seinen Verräthern. Sänfte ab; Officier nach.

WERNER. Sein Mädchen im Kloster! – Er im Arrest! – Und das will eine Mutter seyn! Ab.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 149-159.
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