Dritte Szene


[594] Siegmund allein. Es ist vollständig Nacht geworden; der Saal ist nur noch von einem schwachen Feuer im Herd erhellt. Siegmund läßt sich, nah beim Feuer, auf dem Lager nieder und brütet in großer innerer Aufregung eine Zeitlang schweigend vor sich hin.


SIEGMUND.

Ein Schwert verhieß mir der Vater:

ich fänd es in höchster Not. –

Waffenlos fiel ich

in Feindes Haus.

Seiner Rache Pfand

raste ich hier;

ein Weib sah ich,

wonnig und hehr:

entzückend Bangen

zehrt mein Herz.

Zu der mich nun Sehnsucht zieht,

die mit süßem Zauber mich sehrt,

im Zwange hält sie der Mann,

der mich Wehrlosen höhnt. –

Wälse! Wälse!

Wo ist dein Schwert?

Das starke Schwert,

das im Sturm ich schwänge,[594]

bricht mir hervor aus der Brust,

was wütend das Herz noch hegt?


Das Feuer bricht zusammen; es fällt aus der aufsprühenden Glut plötzlich ein greller Schein auf die Stelle des Eschenstammes, welche Sieglindes Blick bezeichnet hatte, und an der man jetzt deutlich einen Schwertgriff haften sieht.


Was gleißt dort hell

im Glimmerschein?

Welch ein Strahl bricht

aus der Esche Stamm?

Des Blinden Auge

leuchtet ein Blitz:

lustig lacht da der Blick. –

Wie der Schein so hehr

das Herz mir sengt!

Ist es der Blick

der blühenden Frau,

den dort haftend

sie hinter sich ließ,

als aus dem Saal sie schied?


Von hier an verlischt das Herdfeuer allmählich.


Nächtiges Dunkel

deckte mein Aug;

ihres Blickes Strahl

streifte mich da:

Wärme gewann ich und Tag.

Selig schien mir

der Sonne Licht;

den Scheitel umgliß mir

ihr wonniger Glanz –

bis hinter Bergen sie sank.


Ein neuer schwacher Aufschein des Feuers.


Noch einmal, da sie schied,

traf mich abends ihr Schein;

selbst der alten Esche Stamm

erglänzte in gold'ner Glut.

Da bleicht die Blüte,

das Licht verlischt –

nächt'ges Dunkel

deckt mir das Auge:

tief in des Busens Berge

glimmt nur noch lichtlose Glut.


Das Feuer ist gänzlich verloschen: volle Nacht. – Das Seitengemach[595] öffnet sich leise: Sieglinde, in weißem Gewande, tritt heraus und schreitet leise, doch rasch, auf den Herd zu.


SIEGLINDE.

Schläfst du, Gast?

SIEGMUND freudig überrascht.

Wer schleicht daher?

SIEGLINDE mit geheimnisvoller Hast.

Ich bin's: höre mich an!

In tiefem Schlaf liegt Hunding;

ich würzt ihm betäubenden Trank:

nütze die Nacht dir zum Heil!

SIEGMUND hitzig unterbrechend.

Heil macht mich dein Nah'n!

SIEGLINDE.

Eine Waffe laß mich dir weisen:

o wenn du sie gewännst!

Den hehrsten Helden

dürft ich dich heißen:

dem Stärksten allein

ward sie bestimmt.

O merke wohl, was ich dir melde!

Der Männer Sippe

saß hier im Saal,

von Hunding zur Hochzeit geladen:

er freite ein Weib,

das ungefragt

Schächer ihm schenkten zur Frau.

Traurig saß ich

während sie tranken;

ein Fremder trat da herein:

ein Greis in grauem Gewand;

tief hing ihm der Hut,

der deckt ihm der Augen eines;

doch des andren Strahl,

Angst schuf es allen,

traf die Männer

sein mächtiges Dräu'n.

Mir allein

weckte das Auge

süß sehnenden Harm,

Tränen und Trost zugleich.

Auf mich blickt er,

und blitzte auf Jene,

als ein Schwert in Händen er schwang;

das stieß er nun

in der Esche Stamm,

bis zum Heft haftet es drin: –[596]

dem sollte der Stuhl geziemen,

der aus dem Stamm es zög.

Der Männer alle,

so kühn sie sich mühten,

die Wehr sich keiner gewann;

Gäste kamen,

und Gäste gingen,

die stärksten zogen am Stahl –

keinen Zoll entwich er dem Stamm:

dort haftet schweigend das Schwert. –

Da wußt ich, wer der war,

der mich Gramvolle gegrüßt;

ich weiß auch,

wem allein

im Stamm das Schwert er bestimmt.

O fänd ich ihn heut

und hier, den Freund;

käm er aus Fremden

zur ärmsten Frau!

Was je ich gelitten

in grimmigem Leid,

was je mich geschmerzt

in Schande und Schmach:

süßeste Rache

sühnte dann Alles!

Erjagt hätt ich

was je ich verlor,

was je ich beweint

wär mir gewonnen –

fänd ich den heiligen Freund,

umfing den Helden mein Arm!

SIEGMUND mit Glut Sieglinde umfassend.

Dich selige Frau

hält nun der Freund,

dem Waffe und Weib bestimmt!

Heiß in der Brust

brennt mir der Eid,

der mich dir Edlen vermählt.

Was je ich ersehnt,

ersah ich in dir;

in dir fand ich,

was je mir gefehlt!

Littest du Schmach

und schmerzte mich Leid,[597]

war ich geächtet,

und warst du entehrt:

freudige Rache

lacht nun den Frohen!

Auf lach ich

in heiliger Lust –

halt ich dich Hehre umfangen,

fühl ich dein schlagendes Herz.


Die große Tür springt auf.


SIEGLINDE fährt erschrocken zusammen und reißt sich los.

Ha, wer ging? Wer kam herein?


Die Tür bleibt geöffnet: außen herrliche Frühlingsnacht; der Vollmond leuchtet herein und wirft sein helles Licht auf das Paar, das so sich plötzlich in voller Deutlichkeit wahrnehmen kann.


SIEGMUND in leiser Entzückung.

Keiner ging –

doch Einer kam:

siehe, der Lenz

lacht in den Saal!


Er zieht Sieglinde mit sanfter Gewalt zu sich auf das Lager, so daß sie neben ihm zu sitzen kommt. – Wachsende Helligkeit des Mondscheines.


Winterstürme wichen

dem Wonnemond, –

in mildem Lichte

leuchtet der Lenz; –

auf linden Lüften

leicht und lieblich,

Wunder webend

er sich wiegt.

Durch Wald und Auen

weht sein Atem,

weit geöffnet

lacht sein Aug: –

aus sel'ger Vöglein Sange

süß er tönt, –

holde Düfte

haucht er aus;

seinem warmen Blut entblühen

wonnige Blumen,

Keim und Sproß

entspringt seiner Kraft!

Mit zarter Waffen Zier[598]

bezwingt er die Welt; –

Winter und Sturm wichen

der starken Wehr: –

wohl mußte den tapfern Streichen

die strenge Türe auch weichen,

die trotzig und starr

uns – trennte von ihm!

Zu seiner Schwester

schwang er sich her;

die Liebe lockte den Lenz:

in uns'rem Busen

barg sie sich tief;

nun lacht sie selig dem Licht.

Die bräutliche Schwester

befreite der Bruder;

zertrümmert liegt

was je sie getrennt:

jauchzend grüßt sich

das junge Paar,

vereint sind Liebe und Lenz!

SIEGLINDE.

Du bist der Lenz,

nach dem ich verlangte

in frostigen Winters Frist.

Dich grüßte mein Herz

mit heiligem Grau'n,

als dein Blick zuerst mir erblühte.

Fremdes nur sah ich von je,

freundlos war mir das Nahe;

als hätt ich nie es gekannt,

war, was immer mir kam.

Doch dich kannt ich

deutlich und klar;

als mein Auge dich sah,

warst du mein Eigen.

Was im Busen ich barg,

was ich bin,

hell wie der Tag

taucht es mir auf:

wie tönender Schall

schlug's an mein Ohr,

als in frostig öder Fremde

zuerst ich den Freund ersah.


[599] Sie hängt sich entzückt an seinen Hals und blickt ihm nahe ins Gesicht.


SIEGMUND mit Hingerissenheit.

O süßeste Wonne,

seligstes Weib!

SIEGLINDE dicht vor seinen Augen.

O laß in Nähe

zu dir mich neigen,

daß hell ich schaue

den hehren Schein,

der dir aus Aug

und Antlitz bricht,

und so süß die Sinne mir zwingt.

SIEGMUND.

Im Lenzesmond

leuchtest du hell,

hehr umwebt dich

das Wellenhaar: –

was mich berückt,

errat ich nun leicht –

denn wonnig weidet mein Blick.

SIEGLINDE schlägt ihm die Locken von der Stirn zurück und betrachtet ihn staunend.

Wie dir die Stirn

so offen steht,

der Adern Geäst

in den Schläfen sich schlingt!

Mir zagt es vor der Wonne,

die mich entzückt! –

Ein Wunder will mich gemahnen: –

den heut zuerst ich erschaut,

mein Auge sah dich schon!

SIEGMUND.

Ein Minnetraum

gemahnt auch mich:

in heißem Sehnen

sah ich dich schon!

SIEGLINDE.

Im Bach erblickt ich

mein eigen Bild –

und jetzt gewahr ich es wieder:

wie einst dem Teich es enttaucht,

bietest mein Bild mir nun du!

SIEGMUND.

Du bist das Bild,

das ich in mir barg.

SIEGLINDE den Blick schnell abwendend.

O still! Laß mich

der Stimme lauschen:

mich dünkt, ihren Klang[600]

hört ich als Kind –

doch nein! Ich hörte sie neulich


Aufgeregt.


als meiner Stimme Schall

mir widerhallte der Wald.

SIEGMUND.

O lieblichste Laute,

denen ich lausche!

SIEGLINDE ihm wieder in die Augen spähend.

Deines Auges Glut

erglänzte mir schon:

so blickte der Greis

grüßend auf mich,

als der Traurigen Trost er gab.

An dem Blick

erkannt ihn sein Kind –

schon wollt ich beim Namen ihn nennen!

Wehwalt heißt du fürwahr?

SIEGMUND.

Nicht heiß ich so,

seit du mich liebst:

nun walt ich der hehrsten Wonnen!

SIEGLINDE.

Und Friedmund darfst du

froh dich nicht nennen?

SIEGMUND.

Heiße mich du,

wie du liebst, daß ich heiße:

den Namen nehm ich von dir!

SIEGLINDE.

Doch nanntest du Wolfe den Vater?

SIEGMUND.

Ein Wolf war er feigen Füchsen!

Doch dem so stolz

strahlte das Auge,

wie, Herrliche, hehr dir es strahlt,

der war Wälse genannt.

SIEGLINDE außer sich.

War Wälse dein Vater,

und bist du ein Wälsung,

stieß er für dich

sein Schwert in den Stamm –

so laß mich dich heißen

wie ich dich liebe:

Siegmund –

so nenn ich dich!

SIEGMUND springt auf und eilt auf den Stamm zu.

Siegmund heiß ich

und Siegmund bin ich!

Bezeug es dies Schwert,[601]

das zaglos ich halte

Wälse verhieß mir,

in höchster Not

fänd ich es einst: –

ich faß es nun!

Heiligster Minne

höchste Not,

sehnender Liebe

sehrende Not

brennt mir hell in der Brust,

drängt zu Tat und Tod:

Nothung! Nothung!

So nenn ich dich, Schwert –

Nothung! Nothung!

Neidlicher Stahl!

Zeig deiner Schärfe

schneidenden Zahn!

Heraus aus der Scheide zu mir!


Er zieht mit einem gewaltigen Zuck das Schwert aus dem Stamme und zeigt es der von Staunen und Entzücken erfaßten Sieglinde.


Siegmund, den Wälsung,

siehst du, Weib!

Als Brautgabe

bringt er dies Schwert.

So freit er sich

die seligste Frau,

dem Feindeshaus

entführt er dich so.

Fern von hier

folge mir nun –

fort in des Lenzes

lachendes Haus:

dort schützt dich Nothung, das Schwert,

wenn Siegmund dir liebend erlag!


Er hat sie umfaßt, um sie mit sich fortzuziehen.


SIEGLINDE reißt sich in höchster Trunkenheit von ihm los und stellt sich ihm gegenüber.

Bist du Siegmund,

den ich hier sehe –

Sieglinde bin ich,

die dich ersehnt:

die eig'ne Schwester

gewannst du zu eins mit dem Schwert!


[602] Sie wirft sich ihm an die Brust.


SIEGMUND.

Braut und Schwester

bist du dem Bruder –

so blühe denn Wälsungen-Blut!


Er zieht sie mit wütender Glut an sich. – Der Vorhang fällt schnell.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 594-603.
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