Zweite Szene

[610] BRÜNNHILDE.

Schlimm, fürcht ich,

schloß der Streit,

lachte Fricka dem Lose.

Vater, was soll[610]

dein Kind erfahren?

Trübe scheinst du und traurig?

WOTAN läßt den Arm machtlos sinken und den Kopf in den Nacken fallen.

In eig'ner Fessel

fing ich mich,

ich Unfreiester Aller!

BRÜNNHILDE.

So sah ich dich nie:

was nagt dir das Herz?

WOTAN von hier an steigert sich Wotans Ausdruck und Gebärde bis zum furchtbarsten Ausbruch.

O heilige Schmach!

O schmählicher Harm!

Götternot!

Götternot!

Endloser Grimm!

Ewiger Gram!

Der Traurigste bin ich von Allen!

BRÜNNHILDE wirft erschrocken Schild, Speer und Helm von sich und läßt sich mit besorgter Zutraulichkeit zu seinen Füßen nieder.

Vater! Vater!

Sage, was ist dir?

Was erschreckst du mit Sorge dein Kind!

Vertraue mir!

Ich bin dir treu:

Sieh, Brünnhilde bittet!


Sie legt traulich und ängstlich Haupt und Hände ihm auf Knie und Schoß.


WOTAN blickt ihr lange in das Auge; dann streichelt er ihr mit unwillkürlicher Zärtlichkeit die Locken. Wie aus tiefem Sinnen zu sich kommend, beginnt er endlich flüsternd.

Laß ich's verlauten,

lös ich dann nicht

meines Willens haltenden Haft?

BRÜNNHILDE sehr leise.

Zu Wotans Willen sprichst du,

sagst du mir, was du willst;

wer bin ich,

wär ich dein Wille nicht?

WOTAN sehr leise.

Was keinem in Worten ich künde,

unausgesprochen

bleib es denn ewig:[611]

mit mir nur rat ich,

red ich zu dir.


Mit noch gedämpfterer, schauerlicher Stimme, während er Brünnhilde unverwandt in das Auge blickt.


Als junger Liebe

Lust mir verblich,

verlangte nach Macht mein Mut:

von jäher Wünsche

Wüten gejagt,

gewann ich mir die Welt;

unwissend trugvoll,

Untreue übt ich,

band durch Verträge,

was Unheil barg:

listig verlockte mich Loge,

der schweifend nun verschwand.

Von der Liebe doch

mocht ich nicht lassen,

in der Macht verlangt ich nach Minne.

Den Nacht gebar,

der bange Nibelung,

Alberich, brach ihren Bund:

er fluchte der Lieb,

und gewann durch den Fluch

des Rheines glänzendes Gold,

und mit ihm maßlose Macht.

Den Ring, den er schuf,

entriß ich ihm listig;

doch nicht dem Rhein

gab ich ihn zurück:

mit ihm bezahlt ich

Walhalls Zinnen,

der Burg, die Riesen mir bauten,

aus der ich der Welt nun gebot.

Die Alles weiß,

was einsten war,

Erda, die weihlich

weiseste Wala,

riet mir ab von dem Ring,

warnte vor ewigem Ende.

Von dem Ende wollt ich

mehr noch wissen;

doch schweigend entschwand mir das Weib. –[612]

Da verlor ich den leichten Mut,

zu wissen begehrt es den Gott:

in den Schoß der Welt

schwang ich mich hinab,

mit Liebeszauber

zwang ich die Wala,

stört ihres Wissens Stolz,

daß sie Rede nun mir stand.

Kunde empfing ich von ihr;

von mir doch barg sie ein Pfand:

der Welt weisestes Weib

gebar mir, Brünnhilde, dich.

Mit acht Schwestern

zog ich dich auf:

durch euch Walküren

wollt ich wenden,

was mir die Wala

zu fürchten schuf: –

ein schmähliches Ende der Ew'gen.

Daß stark zum Streit

uns fände der Feind,

hieß ich euch Helden mir schaffen:

die herrisch wir sonst

in Gesetzen hielten,

die Männer, denen

den Mut wir gewehrt,

die durch trüber Verträge

trügende Bande

zu blindem Gehorsam

wir uns gebunden, –

die solltet zu Sturm

und Streit ihr nun stacheln,

ihre Kraft reizen

zu rauhem Krieg,

daß kühner Kämpfer Scharen

ich sammle in Walhalls Saal!

BRÜNNHILDE.

Deinen Saal füllten wir weidlich;

viele schon führt ich dir zu.

Was macht dir nun Sorge,

da nie wir gesäumt?

WOTAN wieder gedämpfter.

Ein Andres ist's:

achte es wohl,

wes mich die Wala gewarnt![613]

Durch Alberichs Heer

droht uns das Ende:

mit neidischem Grimm

grollt mir der Niblung: –

doch scheu ich nun nicht

seine nächtigen Scharen,

meine Helden schüfen mir Sieg.

Nur wenn je den Ring

zurück er gewänne,

dann wäre Walhall verloren:

der der Liebe fluchte,

er allein

nützte neidisch

des Ringes Runen

zu aller Edlen

endloser Schmach;

der Helden Mut

entwendet er mir,

die Kühnen selber

zwäng er zum Kampf,

mit ihrer Kraft

bekriegte er mich.

Sorgend sann ich nun selbst,

den Ring dem Feind zu entreißen.

Der Riesen einer,

denen ich einst

mit verfluchtem Gold

den Fleiß vergalt:

Fafner hütet den Hort,

um den er den Bruder gefällt.

Ihm müßt ich den Reif entringen,

den selbst als Zoll ich ihm zahlte.

Doch mit dem ich vertrug,

ihn darf ich nicht treffen;

machtlos vor ihm

erläge mein Mut: –

das sind die Bande,

die mich binden:

der durch Verträge ich Herr,

den Verträgen bin ich nun Knecht.

Nur Einer könnte,

was ich nicht darf: –

ein Held, dem helfend[614]

nie ich mich neigte,

der fremd dem Gotte,

frei seiner Gunst,

unbewußt,

ohne Geheiß

aus eig'ner Not,

mit der eig'nen Wehr

schüfe die Tat,

die ich scheuen muß,

die nie mein Rat ihm riet,

wünscht sie auch einzig mein Wunsch!

Der, entgegen dem Gott,

für mich föchte,

den freundlichen Feind,

wie fände ich ihn?

Wie schüf ich den Freien,

den nie ich schirmte,

der im eig'nen Trotze

der trauteste mir?

Wie macht ich den Andren,

der nicht mehr ich,

und aus sich wirkte,

was ich nur will?

O göttliche Not!

Gräßliche Schmach!

Zum Ekel find ich

ewig nur mich

in Allem, was ich erwirke;

das Andre, das ich ersehne,

das Andre erseh ich nie:

denn selbst muß der Freie sich schaffen;

Knechte erknet ich mir nur.

BRÜNNHILDE.

Doch der Wälsung, Siegmund?

Wirkt er nicht selbst?

WOTAN.

Wild durchschweift ich

mit ihm die Wälder;

gegen der Götter Rat

reizte kühn ich ihn auf:

gegen der Götter Rache

schützt ihn nun einzig das Schwert,


Gedehnt und bitter.


das eines Gottes

Gunst ihm beschied.[615]

Wie wollt ich listig

selbst mich belügen?

So leicht ja entfrug mir

Fricka den Trug:

zu tiefster Scham

durchschaute sie mich!

Ihrem Willen muß ich gewähren.

BRÜNNHILDE.

So nimmst du von Siegmund den Sieg?

WOTAN.

Ich berührte Alberichs Ring, –

gierig hielt ich das Gold!

Der Fluch, den ich floh,

nicht flieht er nun mich: –

Was ich liebe, muß ich verlassen,

morden, wen je ich minne,

trügend verraten,

wer mir traut!


Wotans Gebärde geht aus dem Ausdruck des furchtbarsten Schmerzes zu dem der Verzweiflung über.


Fahre denn hin,

herrische Pracht,

göttlichen Prunkes

prahlende Schmach!

Zusammen breche,

was ich gebaut!

Auf geb ich mein Werk:

nur Eines will ich noch:

das Ende –

das Ende! –


Er hält sinnend ein.


Und für das Ende

sorgt Alberich;

jetzt versteh ich

den stummen Sinn

des wilden Wortes der Wala: –

»wenn der Liebe finstrer Feind

zürnend zeugt einen Sohn,

der Sel'gen Ende

säumt dann nicht.«

Vom Niblung jüngst

vernahm ich die Mär,

daß ein Weib der Zwerg bewältigt,

des Gunst Gold ihm erzwang:

des Hasses Frucht[616]

hegt eine Frau;

des Neides Kraft

kreißt ihr im Schoß:

das Wunder gelang

dem Liebelosen;

doch der in Lieb ich freite,

den Freien erlang ich mir nicht.


Mit bitterem Grimm sich aufrichtend.


So nimm meinen Segen,

Niblungensohn!

Was tief mich ekelt,

dir geb ich's zum Erbe,

der Gottheit nichtigen Glanz:

zernage ihn gierig dein Neid!

BRÜNNHILDE erschrocken.

O sag, künde,

was soll nun dein Kind?

WOTAN bitter.

Fromm streite für Fricka;

hüte ihr Eh' und Eid!


Trocken.


Was sie erkor,

das kiese auch ich:

was frommte mir eig'ner Wille?

Einen Freien kann ich nicht wollen: –

für Frickas Knechte

kämpfe nun du!

BRÜNNHILDE.

Weh! Nimm reuig

zurück das Wort!

Du liebst Siegmund:

dir zulieb,

ich weiß es, schütz ich den Wälsung.

WOTAN.

Fällen sollst du Siegmund,

für Hunding erfechten den Sieg!

Hüte dich wohl

und halte dich stark,

all deiner Kühnheit

entbiete im Kampf:

ein Siegschwert

schwingt Siegmund; –

schwerlich fällt er dir feig!

BRÜNNHILDE.

Den du zu lieben

stets mich gelehrt,

der in hehrer Tugend

dem Herzen dir teuer, –


[617] Sehr warm.


gegen ihn zwingt mich nimmer

dein zwiespältig Wort!

WOTAN.

Ha, Freche du!

Frevelst du mir?

Wer bist du, als meines Willens

blind wählende Kür?

Da mit dir ich tagte,

sank ich so tief,

daß zum Schimpf der eig'nen

Geschöpfe ich ward?

Kennst du, Kind, meinen Zorn?

Verzage dein Mut,

wenn je zermalmend

auf dich stürzte sein Strahl!

In meinem Busen

berg ich den Grimm,

der in Grau'n und Wust

wirft eine Welt,

die einst zur Lust mir gelacht: –

Wehe dem, den er trifft!

Trauer schüf ihm sein Trotz!

Drum rat ich dir,

reize mich nicht!

Besorge, was ich befahl:

Siegmund falle!

Dies sei der Walküre Werk!


Er stürmt fort und verschwindet schnell links im Gebirge.


BRÜNNHILDE steht lange erschrocken und betäubt.

So sah ich Siegvater nie,

erzürnt ihn sonst wohl auch ein Zank.


Sie neigt sich betrübt und nimmt ihre Waffen auf, mit denen sie sich wieder rüstet.


Schwer wiegt mir

der Waffen Wucht!

Wenn nach Lust ich focht,

wie waren sie leicht!

Zu böser Schlacht

schleich ich heut so bang.


Sie sinnt vor sich hin und seufzt dann auf.


Weh! mein Wälsung!

Im höchsten Leid

muß dich treulos die Treue verlassen!


Sie wendet sich langsam dem Hintergrunde zu.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 610-618.
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