Vierte Szene


[622] Brünnhilde, ihr Roß am Zaume geleitend, tritt aus der Höhle und schreitet langsam und feierlich nach vorne. Sie hält an und betrachtet Siegmund von fern. Sie schreitet wieder langsam vor. Sie hält in größerer Nähe an. Sie trägt Schild und Speer in der einen Hand, lehnt sich mit der andern an den Hals des Rosses und betrachtet so mit ernster Miene Siegmund.


BRÜNNHILDE.

Siegmund!

Sieh auf mich!

Ich bin's,

der bald du folgst.

SIEGMUND richtet den Blick zu ihr auf.

Wer bist du, sag,

die so schön und ernst mir erscheint?

BRÜNNHILDE.

Nur Todgeweihten

taugt mein Anblick,

wer mich erschaut,

der scheidet vom Lebenslicht.

Auf der Walstatt allein

erschein ich Edlen,

wer mich gewahrt,

zur Wal kor ich ihn mir!

SIEGMUND blickt ihr lange forschend und fest in das Auge, senkt dann sinnend das Haupt und wendet sich endlich mit Entschluß wieder zu ihr.

Der dir nun folgt,

wohin führst du den Helden?

BRÜNNHILDE.

Zu Walvater,

der dich gewählt,

führ ich dich:

nach Walhall folgst du mir.

SIEGMUND.

In Walhalls Saal

Walvater find ich allein?[622]

BRÜNNHILDE.

Gefallner Helden

hehre Schar

umfängt dich hold

mit hoch-heiligem Gruß.

SIEGMUND.

Fänd ich in Walhall

Wälse, den eig'nen Vater?

BRÜNNHILDE.

Den Vater findet

der Wälsung dort.

SIEGMUND.

Grüßt mich in Walhall

froh eine Frau?

BRÜNNHILDE.

Wunschmädchen

walten dort hehr:

Wotans Tochter

reicht dir traulich den Trank!

SIEGMUND.

Hehr bist du,

und heilig gewahr ich

das Wotanskind;

doch Eines sag mir, du Ew'ge!

Begleitet den Bruder

die bräutliche Schwester?

Umfängt Siegmund

Sieglinde dort?

BRÜNNHILDE.

Erdenluft

muß sie noch atmen:

Sieglinde sieht

Siegmund dort nicht.

SIEGMUND neigt sich sanft über Sieglinde, küßt sie leise auf die Stirn und wendet sich ruhig wieder zu Brünnhilde.

So grüße mir Walhall,

grüße mir Wotan!

Grüße mir Wälse

und alle Helden: –

grüß auch die holden

Wunschesmädchen –


Sehr bestimmt.


zu ihnen folg ich dir nicht!

BRÜNNHILDE.

Du sahest der Walküre

sehrenden Blick:

mit ihr mußt du nun ziehn!

SIEGMUND.

Wo Sieglinde lebt

in Lust und Leid,

da will Siegmund auch säumen;

noch machte dein Blick[623]

nicht mich erbleichen;

vom Bleiben zwingt er mich nie!

BRÜNNHILDE.

So lang du lebst,

zwäng dich wohl nichts:

doch zwingt dich Toren der Tod: –

ihn dir zu künden

kam ich her!

SIEGMUND.

Wo wäre der Feind,

dem heut ich fiel?

BRÜNNHILDE.

Hunding fällt dich im Streit.

SIEGMUND.

Mit Stärk'rem drohe,

als Hundings Streichen.

Lauerst du hier

lüstern auf Wal,

jenen kiese zum Fang:

ich denk ihn zu fällen im Kampf!

BRÜNNHILDE den Kopf schüttelnd.

Dir, Wälsung –

höre mich wohl:

dir ward das Los gekiest.

SIEGMUND.

Kennst du dies Schwert? –

Der mir es schuf,

beschied mir Sieg:

deinem Drohen trotz ich mit ihm!

BRÜNNHILDE sehr stark betont.

Der dir es schuf,

beschied dir jetzt Tod:

seine Tugend nimmt er dem Schwert!

SIEGMUND heftig.

Schweig und schrecke

die Schlummernde nicht! –


Er beugt sich mit hervorbrechendem Schmerz zärtlich über Sieglinde.


Weh! Weh!

Süßestes Weib!

Du traurigste aller Getreuen!

Gegen dich wütet

in Waffen die Welt,

und ich, dem du einzig vertraut,

für den du ihr einzig getrotzt,

mit meinem Schutz

nicht soll ich dich schirmen,

die Kühne verraten im Kampf? –

Ha, Schande ihm,

der das Schwert mir schuf,

beschied er mir Schimpf für Sieg![624]

Muß ich denn fallen,

nicht fahr ich nach Walhall:

Hella halte mich fest!


Er neigt sich tief zu Sieglinde.


BRÜNNHILDE erschüttert.

So wenig achtest du

ewige Wonne?


Zögernd und zurückhaltend.


Alles wär dir

das arme Weib,

das müd und harmvoll

matt von dem Schoße dir hängt?

Nichts sonst hieltest du hehr?

SIEGMUND bitter zu ihr aufblickend.

So jung und schön

erschimmerst du mir:

doch wie kalt und hart

erkennt dich mein Herz!

Kannst du nur höhnen,

so hebe dich fort,

du arge, fühllose Maid!

Doch mußt du dich weiden

an meinem Weh,

mein Leiden letze dich denn:

meine Not labe

dein neidvolles Herz –

nur von Walhalls spröden Wonnen

sprich du wahrlich mir nicht!

BRÜNNHILDE.

Ich sehe die Not,

die das Herz dir zernagt,

ich fühle des Helden

heiligen Harm!

Siegmund! Befiehl mir dein Weib:

mein Schutz umfange sie fest!

SIEGMUND.

Kein andrer als ich

soll die Reine lebend berühren;

verfiel ich dem Tod,

die Betäubte töt ich zuvor!

BRÜNNHILDE mit wachsender Ergriffenheit.

Wälsung! Rasender!

Hör meinen Rat!

Befiehl mir dein Weib

um des Pfandes willen,

das wonnig von dir es empfing.[625]

SIEGMUND sein Schwert ziehend.

Dies Schwert,

das dem Treuen ein Trugvoller schuf, –

dies Schwert, –

das feig vor dem Feind mich verrät –,

frommt es nicht gegen den Feind,

so frommt es denn wider den Freund!


Er zückt das Schwert auf Sieglinde.


Zwei Leben

lachen dir hier:

nimm sie, Nothung,

neidischer Stahl,

nimm sie mit einem Streich!

BRÜNNHILDE im heftigsten Sturme des Mitgefühls.

Halt ein: Wälsung!

Höre mein Wort!

Sieglinde lebe, –

und Siegmund lebe mit ihr! –

Beschlossen ist's:

das Schlachtlos wend ich:

dir, Siegmund,

schaff ich Segen und Sieg.


Man hört aus dem fernen Hintergrunde Hornrufe erschallen.


Hörst du den Ruf?

Nun rüste dich, Held!

Traue dem Schwert

und schwing es getrost:

treu hält dir die Wehr,

wie die Walküre treu dich schützt! –

Leb wohl, Siegmund!

Seligster Held!

Auf der Walstatt seh ich dich wieder!


Sie stürmt fort und verschwindet mit dem Rosse rechts in einer Seitenschlucht. Siegmund blickt ihr freudig und erhoben nach. Die Bühne hat sich allmählich verfinstert; schwere Gewitterwolken senken sich auf den Hintergrund herab und hüllen die Gebirgswände, die Schlucht und das erhöhte Bergjoch nach und nach gänzlich ein.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 622-626.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon