Phaethon an Theodor

[54] In ein paar Tagen bin ich fertig mit meinem Werke. Ich habe die Idee, nun die Polyxena zu bilden.

Der ganze Geist der Griechen weht durch diese Dichtung. Der Peleione liebt die schöne zarte Phrygerin. Am Brauttag muß er niedersteigen in des Hades Reich. Priams Veste fällt, und ihre schwarzen Trümmer starren wie schaurige Geister aus der Asche. Da steigt der Äakide wieder aus dem Grab, vom Gold der Rüstung seine Felsenbrust umschimmert, und zürnend will der große Geist zum Opfer die Geliebte. Die heldenmütige Schöne kniet, enthüllt dem Mordstahl ihren reinen Busen und sinkt für Hellas Wohl wie die Abendsonn' ins goldene Gebirg in voller Jugendanmut in ihr Grab.

Welch liebes Herz, welch rührende Gemütskraft liegt in dieser stillen Ergebung!

Sie müßte knien mit einem Fuß. Ein leicht Gewand umhüllte sie in sanften Falten. Der obere Teil nur wär' entblößt. Eine Hand zeigte auf den nackten jugendlichen Busen, die andre müßte sich bedeutsam senken. Vom rundgewölbten Nacken aus erhübe sich[55] der zarte Hals, und das kleine von langem Gelock umflossene Haupt richtete sich vorwärts mit einer rührenden Bewegung.

Am meisten macht mir Sorge, ob ich irgend ein Modell bekomme.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 54-56.
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