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[102] Ich schwimme wie ein Stern im Äther in einem ungemessenen Meer von Wonne. Wir sind Eins. Ich und Atalanta sind Eins.
Ich stieg heut Abend mit Atalanta den kleinen Hügel hinan zum Tempel des Eros. Ich war voll von Platons Ideen. Wie ein Lichtquell von oben bebte das Geheimnis seiner Schönheit durch meine Seele. Seine Worte waren mir wie Gesichte geworden. Ich empfand anbetend die Fülle ihrer Göttlichkeit, aber nur ahnen konnt' ich sie und empfinden. Unter den Orangen setzten wir uns nieder. Die vollen goldnen Früchte blickten wie Häupter junger Liebesgötter aus dem dunkeln Laub, und balsamische Düfte quollen wie Weihrauch aus tausend Blumen und Kräutern.
Da saß sie nun neben mir, die Liebliche, wie die junge Göttin der Liebe unter ihren Blumen, und die blühenden schlangen sich liebend um ihr Gewand und küßten ihre Füße. Ihr Angesicht war wie ein einziges Lied voll Wehmut und Empfindung. O, meine Brust schwoll von Ahnung der göttlichen Schönheit.[103]
Ja, Atalanta, rief ich endlich begeistert aus, die Liebe, diese wunderbare Tochter der Armut und der Fülle, ist die Vermittlerin zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch. Sie schwillt im Busen des Betenden, und der Gott, dem das Opfer brennt, steigt liebend zu den Menschen herunter.
Und wer kann's enträtseln, sagte Atalanta, das Wesen der Liebe?
O, ich fühl' es, fühl' es ganz, Atalanta: die Liebe ist Liebe der Schönheit und der Weisheit. Die Liebe ist irdisch und himmlisch in Einem. Die Harmonie der Schöpfung beseelt der Geist der Venus Urania, und die hohe mutterlose Tochter des Himmels schwebt wie eine ewige Morgenröte über der himmlischen Welt. Aus ihrem Auge träufelt wie eine große Träne die Liebe zu Gott und zum Guten und die göttliche Begeisterung, wenn der Mensch wie Berg und Luft in der Ferne zusammenschwimmt alliebend in den Stunden der Erleuchtung mit Gott; ihr Haupt umschweben wie ein Flammenkranz die leuchtenden Sterne, denn sie leitet mit ihrer Weisheit die unermeßliche Zahl der wandelnden Welten in ihrer Bahn; in ihren Armen hält sie wie Blumen und schwellende Früchte das Füllhorn der Sittlichkeit und der höheren Schönheit; um ihre Lippen schwebt wie ein Kuß das unerklärbare Verlangen aller Wesen nach jenem überschwänglichen Genuß ihres Daseins, und aus ihrem keuschen Busen quillt wie zarte Muttermilch die unendliche Fülle von Harmonie, die mit ihrer schaffenden Urkraft aus dem gestaltlosen Chaos durch Liebe die Elemente[104] zog und die Weltkörper regelnd nach ihrer Triebkraft aneinander stellte.
Phaethons Auge glüht! lispelte Atalanta und glühte noch stärker. Meine Seele irrt wie ein goldnes Wölkchen durch den Äther in diesen endlosen Fernen der Gedanken.
Die Liebe, Atalanta, schwellt befruchtend die Seele an und erfüllt sie mit dem Keime, dem ewig wachsenden und göttlichen, woraus die Weisheit und die Tugend gleich Rosen sich entwickeln. Da wandeln sie dann umher, und immer voller und größer wird der unsterbliche Keim; und ein unnennbar tiefes Leben strömt wie Saft im Baume durch ihr Wesen. Und stärker, immer und stärker treibt's, und vollendet ist die Frucht des Göttlichen in ihrem Schoße. Mit namenlosem Drang fühlt nun der Mensch den Busen sich erfüllt und eilt und schaut nach dem Schönen, die heilige reife Frucht darein zu legen. Die Schönheit sieht er, Atalanta. Da sprudelt der Drang wie ein Springquell aus seinem Busen auf die Lippen, und sein Mund träufelt von den Worten der Begeisterung wie vom Honig des Hymettos. In seinem Auge glüht das Feuer der glühendsten Sehnsucht, und seine Arme streckt er besinnungslos aus, das gefundene Schöne zu schließen an seine Brust voll Liebe.
Ich verstehe, Phaethon, sagte Atalanta, und wenn er nun zusammengeflossen mit ihm, innig und ewig wie Quelle mit Quelle, da entwickelt sich die unsterbliche Frucht, und ein Sehnen, ein Verlangen, eine Liebe glüht mit ewig treibender Kraft durch seine Brust.[105]
Atalanta, rief ich mit rasendem Entzücken, und wenn er dann sich aufschwingt von der Betrachtung der einzelnen Schönheit des Geliebten zur allgemeinen, wenn er allmählich die Schönheit der Seele versteht wie die Schönheit des Körpers, und diese ihm wird wie eine bald erlöschende Flamme, und jene wie die große ewige Sonne, und er aufsteigt von der Stufe der sinnlichen Schönheit zur Stufe der allumfassenden des Geistigen, wenn der Himmelstrunkene dann der höchsten Stufe sich nähert, und urplötzlich der Schleier des göttlichsten der Geheimnisse verschwindet wie die Wolke vor dem blendend wallenden Licht der heiligen Sonne, und der Selige anschaut die ewige, weder Anfang und Wachsen, noch Abnehmen und Vergehen kennende, in allen Teilen vollkommene, von aller Hülle befreite, reine und lautere, sich gleichbleibende Urschönheit, und alle bloßen Abbilder wie matte bläuliche Funken vor seinem Geiste zusammenschweben mit dem Urlicht, und er unsterblich sich sieht und der Gottheit befreundet ...
Atalanta! Geliebte! Engel! Du bist's, die mich hinanhebt auf den Sprossen der geheimnisvollen Leiter der Schönheit! Du bist's! rief ich wie wahnsinnig und umfaßte die Weinende mit meinen Armen. Ihr weicher Busen schlug an den meinen. Ihr Mund bebte auf dem meinen. Ihre Arme lagen um meinen Nacken geschlungen, und Kuß auf Kuß strudelten unsere Seelen zusammen.
Phaethon! Phaethon! rief sie schluchzend. Ich hatte keine Besinnung mehr. Mein Haupt lag auf ihrer Brust und erdrückte die langen Locken. Phaethon![106] rief sie wieder und wand sich los aus meinen Armen, blickte mich noch einmal an mit einem Auge voll überschwänglicher Liebe und flog den Hügel hinunter.
Gott! Gott! Noch tauml' ich von all der Wonne; noch fühl' ich ihre weichen Lippen und das Feuer ihres Auges und die Wärme ihres Busens.
Theodor, was hab ich getan? Ich kann nicht denken mehr in diesem Augenblick. Meine Kraft ist zu schwach für diese Fülle. Laß mich, laß mich! Die Mitternacht ist längst vorbei. Auch Katons trübe Lampe ist erloschen. Ich will mich aufs Bett werfen.
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