Phaethon an Theodor

[117] Heut war eine schöne Mondnacht. Ich wandelte mit Atalanta durch den Garten. Ich hatte meinen Arm um sie geschlungen und sah mit Entzücken, wie unsere langen Schatten auf der Erde sich vermählten. Von ungefähr standen wir am See; der Kahn schaukelte sich vor uns am dunkeln Ufer.

Besteigen wir den Kahn nicht, Atalanta? sagt' ich. Sie lächelte. Ja! Ich sprang hinein, löste die Seile und gab ihr die Hand. Die Schüchterne hüpfte in den Kahn.

Ich nahm das Ruder zur Hand und plätscherte damit in den Wellen. Ein kühler Abendwind trieb uns bald aus den Uferschatten.

Theodor, was war das für eine Stunde! Wie Träume umschwebten zartgehauchte silberne Wölkchen den Vollmond, der in seiner lieblichen Fülle wie das Angesicht eines keuschen Mädchens herabquoll auf die zitternden Gewässer. Die Tannen am Ufer drüben schienen sich mit ihren Riesenschatten in der kühlen Flut zu baden. Wie ein dünngewobener Schleier[118] von Duft umwallte die Gegend umher ein blaues Licht, und die Berge schwebten wie die verklungenen Wünsche unserer Kindheit aus ihren Fernen herüber. Der Garten mit seinen dichten Ufergebüschen ward wie eine dunkle Wolke; nur die drei Säulen ragten in schwachem Licht aus dem Dunkel wie geheimnisvolle Trümmer einer entschwundenen Urzeit.

Die Geliebte lag an meiner Brust und hatte zärtlich ihren Arm um meine Schultern geschlungen. Ihr blasses Antlitz blickt' aus den Locken wie der weiße Mond aus dem dunkeln Äther. Wir schwiegen. Nur manchmal drückt' ich die Liebende wärmer an meine Brust und küßte die milchweißen Wangen.

Kein Laut aus der Ferne; nur das melodische Plätschern des Wassers beim Schlage des Ruders. Da begann ich endlich:

Atalanta, fühlst Du den stillen Geist, der über der ruhenden Gegend schwebt?

Sie drückte meine Hand und blickte mich an mit dem Auge voll namenloser Liebe und lispelte seufzend: Ich fühle! Und dann schwiegen wir wieder, und manchmal nur bebten unsere Lippen: O Gott! Unsere Seelen wurden wie das klare reine Gewässer, unser Leben wie ein einziger Hauch der Liebe.

Ja, Atalanta, sprach ich wieder, wie die Mondnacht ist unser Leben, wenn es am schönsten ist. Ist nicht die Gegend wie ein Traum? Wir schweben umher. Der Wind kühlt unsere heißen Wangen und lindert das brennende Sehnen unserer Brust. Die Pfade sind eben und glatt wie die Wasser. Ferne[119] liegt die Wirklichkeit wie das Ufer mit ihren finstern Gestalten. Und wenn sie nicht so ferne lägen, ach, da wär' unser Leben auch nicht so schön.

Kannst Du, sagte Atalanta, kannst Du ein Ende denken dieser Wonne? Bricht endlich nicht die Morgenröte von Osten her und beleuchtet jene Gestalten, die so schön sind aus der Ferne?

Unendlich, ewig, Atalanta, ist die Liebe wie Deine Seele. Tod wäre das Ende der Liebe, und die Seele stirbt nicht. Die Liebe ist ewig jung und wandelt ewig unter Blumen.

Ach, aber die Blumen welken, Phaethon! seufzte Atalanta mit einem unaussprechlichen Schmerz im Auge.

Ewige Jugend, Du zarter Engel! Die Liebe kennt kein Alter wie der warme Sonnenstrahl, der auch um graue Mauertrümmer quillt. Und einst, wie die jungen Geister sich lösen aus der alten ehrwürdigen Hülle und frei sind und dahin schweben können durch den Äther und zum erstenmal als Geister sich küssen – Atalanta, ein Kuß der Geister! – und wenn sie nichts mehr hindert, ineinander zu fließen, und eine Umarmung wird die Ewigkeit ...

Atalanta blickte in das Wasser und dann hinauf zum Mond, als wollte sie ihn bitten, den lieben, sanften, sie hinaufzunehmen zu seinem reinen Licht. Dann sagte sie: Phaethon, ach, hier ist's schön, doch dort ... Die ewige Vollendung glänzte in ihrem feuchten Auge; ihre Brust hob sich unter dem Gewande. Mir war, als weinte sie nun die letzte Träne, als sei dieser sehnende Blick der letzte, den sie dem[120] Sterblichen zuwerfe, und sie schwebe aus meinen Armen, ein göttlich Wesen, in der schönen Mondnacht zum Himmel, dem ewigen Ziel ihrer heißen brünstigen Sehnsucht. Mein Mund verstummte. Ich schloß sie heftiger an die Brust; ihr Auge wandte sich auf mich, und unsere Lippen waren glühend aneinandergeschlossen.

Da hörten wir aus der Ferne eine Flöte. Wie zarte liebende Geister klangen die schwebenden empfindungsreichen Töne zu uns herüber. Unsere Seelen selbst waren wie zusammenschwimmende Akkorde, voll unendlicher Harmonie, voll schwellender Empfindung. Sie lösten sich auf in ein stilles aber überschwänglich seliges Anschaun unseres Innern und verschwammen endlich hinüber wie die blauen Bilder der Berge. Nur: Dein! Dein! seufzten unsere Lippen. Hier und dort!

Am Ufer stand eine lange schwarze Gestalt, unbeweglich wie die Tannen um sie her. Es war Katon. Unser Nachen fuhr ans Land. Katon trat uns entgegen und hob Atalanten aus dem Nachen. Die tiefsinnigen Züge des schönen Mannes glühten wunderbar im Mondlicht. Er drückte dem Mädchen die Hand mit Feuer, und wir wandelten langsam wieder dem Schlosse zu.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 117-121.
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