Phaethon an Theodor

Atalanta wußte nichts, wie ich sie fragte, von Katons unterirdischem Gewölbe. Sie wußt' auch nicht, aus welchem Land er stamme. Nur: ferne, sagte die Mutter, ferne sei er hergekommen. Auch ihren eignen Vater kennt sie nicht. Sie hab ihn schon verloren als zartes Kind.

Das Neugriechische war die Sprache ihrer Kindheit. Sie stammelte griechisch. Die Sprache unsers Vaterlandes lernte sie erst später.

Wie Katon heute vor mir stand und wir allein waren, faßt' ich mir Mut und sagte: Katon, verdien' ich diese Kälte?

Er aber sagte etwas dumpf: Was ist Dir, Phaethon?

O, verdien' ich dieses Schweigen? erwidert' ich heftiger, und eine Träne rollte mir aus dem Auge.

Es verschwebten an seiner Stirne die Runzeln, und er sagte, halb finster halb wehmütig, mit einem unerklärbaren Blick: Auch ich trag' etwas auf der Brust; aber frage mich nicht! Er ward ernster. Ich darf nicht weiter davon sprechen.[125]

Er warf mir einen Blick zu, der mir auf ewig die Zunge lähmte. Dann sagt' er noch einmal: Frage nie mehr! und ging fort.

Und auch Cäcilie kann ich nicht enträtseln. Sie ist geheimnisvoll wie die stille Nachtviole. Nur Atalanta ist wie eine offne Rose, der man bis in des Kelches Tiefe schaut.

Ich trat gestern Abend die Treppen herauf. Es war schon dunkel. Atalanta flog durch eine Tür. Ich kannte ihren Tritt. Schnell folgt' ich ihr. Ich erreichte sie, sank ihr wild um den Hals und rief wie rasend: Ewig, ewig Dein!

Phaethon, rief sie ängstlich, nicht dies Ungestüm! und wand sich los aus meinen Armen. Ich wollte sie halten, blickte hinter mich, da stand – Cäcilie vor mir. Atalanta flog mit einem Schrei zur Tür hinaus. Mir bebten die Knie. Ich sank ihr zu Füßen: Cäcilie! rief ich mit wankender Stimme. Kann Cäcilie vergeben? Lange blieb sie stumm. Ich hatte ihre Hand ergriffen; weinte meine Tränen auf sie. Und wie ich hinaufblickt' und ihr Auge traf und das Wohlwollen herabquellen fühlt' auf mich wie linden Tau, und sie ihre Hand aus der meinigen zog, mir noch einen liebevollen Blick zuwarf und dann verschwand ... O Gott, ich blieb in heiligem Entzücken auf den Knien, als ob sie noch vor mir stünde, und strömte meine Seele aus in einem brünstigen Gebete.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 125-126.
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