Phaethon an Theodor

[218] O Theodor, Freund meiner Jugend, es ist weit mit mir gekommen!

Ach, ihre Seele ist so rein, so lauter, und die meine, wie wüst, wie verworren!

O wie sie mich liebt! Mich! Mich!

Das ist das erhabenste, was ich denke: Sie liebt mich, diese Seele voll Gottheit! Sie liebt mich! Und diese Liebe, die ich fühle, die meinen ganzen Geist durchschauert – Unsterblichkeit! Gott! – das fließt zusammen mit ihr, innig, glühend, beseligend!

Und Vorsehung, Bruder, Vorsehung! Welch ein Gedanke! Ein Geist ruht auf uns, voll Liebe voll Wahrheit! Und doch, ich kann mir das nicht mehr so denken wie sonst!

Ich kenne die Ruhe nicht mehr, jenes göttliche Schweigen der Seele, jenes befriedigte Anschaun der inneren Welt.

So lang ich hier bin, hab' ich noch nie in meinem Homer gelesen. Ich bin ja geschieden von dieser Welt voll Ruhe, voll Licht, voll Einheit.[219]

Ich lese nichts mehr als die griechischen Briefe, die sie mir schreibt. Da glaub' ich oft ihre Seele in einem Wort zu finden; schau starr hin; küsse das Wort, bis ich es nimmer sehe vor meinen Tränen!

Bei Nacht auf einsamen Wegen durch öde verlassene Felder, da hab ich meine Lust.

Ich sitz' auf einem Berge. Da bin ich dann allein. Kalte dunkle Schauer wehen um mich; meine Seele antwortet in dumpfen verklingenden Tönen. Das Weltgebäude betracht' ich dann.

Wenn ich ruhig bin und in mir beseligt durch den Geist der Gottheit, der in meiner Seele webt, dann glaub' ich die Musik der Welten zu vernehmen; ich glaube zu hören, wie sie sich schwingen und klingen in der ungemessenen Bahn!

Theodor, am Sternenhimmel blüht meine einzige Wonne. Die Gottheit steht nie so groß, so klar, so überschwänglich da in ihrer Fülle vor mir, als wenn ich zum nächtlichen Himmel aufblicke.

Manchmal fass' ich wieder diese Ordnung und Einheit.

Ewig bewegen die Welten sich, ewig! Und doch nach einem Gesetze! Im Riesenschwunge, den unsere Sinne nicht fassen, und doch nach Regel und Ordnung!

Überall Sein und Werden! Im ganzen unermeßlichen All! Welten dämmern wie blasse Nebelflecken, wie milchweiße verschwimmende Streifen, werdend, sich gestaltend, in allmählich reifendem Entfalten, sich sammelnd aus dem unendlichen Stoff in die riesigen Formen. Welten sind geworden, wurden gebildet aus[220] dem gewaltigen Element wie volle blühende Blumen aus dem Keime; schwimmen im ewigen Äther in Jugend und Vollendung. Welten schwinden zusammen, vertrocknend, erstarrend, alternd, sich lösend vom Wasser, dem nährenden, tränkenden. Abgespiegelt der Mensch mit seinem Werden, Wachsen und Welken in den Gestalten der Schöpfung!

An- und zurückstrebend, sich nähernd und entfernend, liebend und hassend, die Körper gegeneinander im uferlosen Raume!

Und wie Kinder der Liebe, wie unwillkürliche Regungen unsers Innern, geschweifte Riesenkometen mit gewaltigem Gange, wandelnd durch die bewegten Welten, glänzend im unerforschten Laufe bald über unserm Weltenkranze, bald schreitend zwischen Mond und Erde! Und all das Wechselwirken, getrieben, geschwungen vom Allmächtigen! Alles im ewigen Gange, durch einen Hauch seines Odems, durch eine Bewegung seiner Hand!

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 218-221.
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