Phaethon an Theodor

[221] Sieh, Theodor, immer geht es weiter! Kein Stillstand! Ewiger Stufengang! Das ist so der Natur gemäß.

O lächle nicht! Weine! Weine!

Ruhe, Stille, Frieden, Demut, Zuversicht und Mut! Davon weiß ich nichts mehr.

O mein Name! Der Sohn eines Himmlischen ist kein Himmlischer selbst! Ein Mann, gemischt aus irdischem und überirdischem Stoff, vermaß sich den Sonnenwagen zu führen durchs All, mit kühnem Selbstvertrauen, verblendet vom Übermut, verlassen von oben! Die Rosse des Wagens schnaubten. O Bruder, der Arme konnte die Ungebändigten nicht leiten. Sie rannten aus der Bahn, verbrannten die Erde! Der Übermütige, mit seiner endlichen Kraft sich brüstend, ward niedergeschmettert vom Blitze des Olympiers!

Ach, diese irdische Kraft, die sich selbst die Schranken nicht setzt, wirft der zürnende Gott zurück.

Auf dem Kirchhofe sitz' ich nächtelang. Diese Stille, dieses Schweigen umher! Tot, verstorben,[222] verlassen alles, alles! Über mir, unter mir, in mir nur ein mattes verwehendes Beben im gerüttelten Zweige, im flüsternden Blatte! Die Geister der Verschiedenen im einsamen Zittern des Grashalms, im grauen traurigen Leichenstein, im dämmernden herabwallenden Mond licht webend! Noch so eine dumpfe Rückerinnerung von all der Fülle, von all dem überschwänglichen Sein, dem ewigen Wogen und Fließen, und nun dies Nichts! Dies Dahinschwinden! Auf all dies Gerege solche Totenstille! Solch ein stummes Verzweifeln in mir selbst!

Und dann auf einmal ist's wie ein geschwungenes Rad in meinem Gehirn. Ich kann nichts mehr denken, nichts mehr fühlen. O Bruder, Bruder, wie wird das werden?

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 221-223.
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