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[43] Klein-Deussen war unter den Hammer gekommen, und Frau von Febronius hatte sich, völlig mittellos, zu einer jüngeren Schwester begeben, die in Stargard in Pommern lebte. Ihrer Tochter Lätizia hatte sie das Schauspiel des letzten Zusammenbruchs ersparen wollen, darum hatte sie sie zur Gräfin nach Weimar geschickt.

Alle drei Schwestern waren Witwen; die in Stargard hatte den Amtsrichter Stojenthin zum Mann gehabt. Sie lebte von der staatlichen Pension und den Zinsen des kleinen Vermögens, das sie in die Ehe gebracht. Sie hatte zwei Söhne, die sich zigeunerhaft in der Welt herumtrieben, ihre Arbeitsscheu mit Philosophie verbrämten und immer, wenn ihnen das Wasser an den Hals stieg, sich an die Gräfin-Tante wandten.

Die Gräfin-Tante ließ sich jedesmal erbitten; sie handhabten den Briefstil, der auf sie wirkte, mit großer Geschicklichkeit. »Sie werden sich schon die Hörner abstoßen,« sagte die Gräfin; darauf wartete sie nun seit Jahren mit heiterer Zuversicht und schickte ihnen bisweilen Nahrungsmittel und kleine Geldsummen.

Lätizia war auf so einfache Weise nicht zu helfen. Als sie ankam, besaß sie drei Kleider, denen sie entwachsen war, und an Wäsche nur das Notdürftige. Die Gräfin bestellte Toiletten aus Wien und stattete sie aus wie eine reiche Erbin.

Lätizia hielt still und ließ sich schmücken. Aus den Augen der Menschen erfuhr sie, daß sie reizend war. Die Gräfin-Tante sagte: »Du bist zu etwas Großem bestimmt, mein Engel,« nahm ihren Kopf zwischen ihre behandschuhten Hände und küßte sie knallend auf die porzellanklare Stirn.

Sie begnügte sich nicht mit dem, was sie getan. Sie wollte Fundamente schaffen, dem anmutigen Geschöpf mit Erheblichem dienen. Da fiel ihr der Wald von Heiligenkreuz ein.

Am Nordhange des Rhöngebirges lag ein Forstareal von[44] zehn bis zwölf Quadratkilometer Fläche, um welches der verstorbene Graf länger als zwei Jahrzehnte mit seinem Vetter, dem Majoratsherrn, prozessiert hatte. Der Prozeß lief noch immer, er hatte Unsummen verschlungen, und die Aussicht, daß ihn die Gräfin gewann, war gering. Trotzdem fühlte sie sich als künftige Eigentümerin des Waldes und hielt ihren Besitztitel im voraus für so sicher, daß sie sich entschloß, den Wald als Mitgift und Morgengabe Lätizia zu schenken und die Schenkung urkundlich festzulegen.

Eines Abends trat sie mit einem beschriebenen Bogen Papier in der Hand in Lätizias Schlafzimmer. Über einem Spitzennachtkleid trug sie einen schweren Zobelpelz und auf dem Kopf eine helmähnliche Gummihaube, welche sie vor den Bazillen schützen sollte, die nach ihrer Ansicht, nicht anders als Fledermäuse, in der Dunkelheit herumschwirrten.

»Nimm dies, mein Kind, und lies es,« sagte sie bewegt und reichte Lätizia das Schriftstück, kraft dessen der Wald von Heiligenkreuz nach Beendigung des schwebenden Rechtsstreites dem Fräulein von Febronius gehören sollte.

Lätizia kannte die Umstände; sie wußte, was von dem Stück Papier zu halten sei; sie wußte aber auch, daß die Gräfin sie nicht zu täuschen beabsichtigte, sondern daß sie überzeugt war, etwas Wichtiges für sie zu tun, und so besaß sie Geist und Takt genug, eine herzliche Freude zu zeigen. Die Wange an den mächtigen Busen der Gräfin lehnend, flüsterte sie mit ihrer rührenden Stimme: »Sie sind unaussprechlich gütig, Tante. Überhaupt muß ich Ihnen ein Geständnis machen.«

»Was denn, Liebchen?«

»Ich finde das Leben wunderbar schön.«

»Siehst du, das ist recht, Liebchen,« sagte die Gräfin, »wenn man jung ist, muß jeder Tag wie ein frischer Veilchenstrauß sein. Bei mir wenigstens war es so.«

Lätizia antwortete: »Ich glaube, bei mir wird es immer so bleiben.«

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 43-45.
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