[55] Auf der Fahrt zwischen Hanau und Frankfurt ereignete sich das Automobilunglück, dem Alfred Meerholz' junges Leben zum Opfer fiel. Christian, der den Wagen lenkte, blieb, wie damals beim Fällen des Baumes, auf wunderbare Weise unversehrt.
Crammon hatte Christian und Alfred bis Hanau begleitet. Dort wollte er Klementine von Westernach besuchen und am Abend mit der Eisenbahn nach Frankfurt fahren. Den Chauffeur, der Einkäufe machen sollte, hatte Christian schon tags zuvor nach Frankfurt geschickt.[55]
Gleich zu Anfang nahm Christian ein schnelles Tempo, und als die Straße gegen Abend fast menschenleer und ohne Hindernisse dalag, steigerte er die Geschwindigkeit. Alfred Meerholz bestärkte ihn darin; der junge Mensch glühte im Rausch der Bewegung. Christian lächelte, und lächelnd ließ er die Maschine rasen.
Die Alleebäume sahen aus wie springende Tiere auf einer Momentphotographie, das weiße Band der Straße rollte schimmernd heran und wurde vom sausenden Gefährt verschlungen, der gerötete Himmel und die Hügel am Horizont schienen in Kreisen zu schwingen, die Luft siedete in den Ohren, der Körper bebte und verlangte noch wilder hingerissen zu werden über die Erde, die ihre glatte Rundheit lockend offenbarte.
Da tauchte ein schwarzer Punkt im weißen Schimmer der Chaussee auf. Christian gab ein Signal. Der Punkt wurde rasch zur Menschengestalt. Die Sirene gellte. Die Gestalt wich nicht. Christian packte das Lenkrad fester. Alfred Meerholz erhob sich im Sitz und schrie. Die Bremse konnte nicht mehr genügen. Christian riß das Rad herum; es war eine kleine Drehung zuviel: ein Ruck, ein Anprall, ein Krachen; das Geächz eines zusammenbrechenden Baumes, helles Zischen im Kessel, Aufprasseln einer Flamme, Klirren von Eisenteilen, und alles war vorüber.
Einen Augenblick lag Christian betäubt. Dann erhob er sich, fühlte an Arm und Leib herab; er konnte denken, konnte gehen. »All right«, sagte er vor sich hin.
Nun erblickte er den Körper seines Freundes. Mit zerschmetterter Hirnschale lag der junge Mensch unter den Trümmern der Karosserie. Ein kleiner roter Blutbach rann über den weißen Straßenstaub. Ein paar Schritte entfernt stand stumpfsinnig erstaunt der Betrunkene, der nicht ausgewichen war.
Schon eilten von allen Seiten Leute herzu. In der Nähe[56] war ein Hotel. Christian antwortete einsilbig auf die vielen Fragen. Man versicherte sich des Betrunkenen. Ein Arzt kam, der die Leiche des jungen Meerholz untersuchte. Der Körper wurde auf eine Bahre gelegt und in das Hotel getragen. Christian telegraphierte erst an den General Meerholz, dann an Crammon.
Sein Reisekoffer hatte keinen Schaden genommen. Während er sich umkleidete, erschienen Polizeibeamte, die seine Erklärungen protokollierten. Dann ging er in den Speisesaal und bestellte zum Essen eine Flasche Bocksbeutel. Einige Leute an andern Tischen betrachteten ihn neugierig.
Von den Speisen nippte er bloß, die Flasche trank er allmählich leer.
Er sah sich im dunklen Gewächshaus stehen, Lätizia erwartend; und wie sie gekommen war, von ihrer Erregung beseelt. »Christian, mein Herr und mein Gebieter,« hatte sie schmachtend und scherzhaft geflüstert. »Laß eine kleine Kröte aus Gold machen,« hatte er zu ihr gesagt, »und trag sie um den Hals, damit der böse Zauber weicht.«
Ihr Kuß brannte noch auf seinen Lippen.
Um elf Uhr abends kam Crammon, der Getreue. »Ich bitte dich. Lieber, ordne, was zu ordnen ist,« sagte Christian, »ich will die Nacht hier nicht verbringen. Adda Castillo wird schon ungeduldig sein.« Er reichte ihm die Brieftasche.
Die Romantische, dachte Christian, schenkt, ohne zu wissen, was sie schenkt, und wem; weiß nicht, wie lang das Leben ist. Aber ihr Kuß brannte auf seinen Lippen; er konnte es nicht vergessen.
Crammon kehrte zurück. »Erledigt,« sagte er geschäftsmäßig, »das Auto ist in einer Viertelstunde bereit. Nun laß uns noch dem armen Alfred ein Lebewohl sagen.«
Christian folgte ihm. Ein Hausdiener führte sie in eine düster erleuchtete Kofferkammer, wo der Leichnam bis zum Morgen untergebracht war. Ein weißes Tuch war um den[57] Kopf geschlungen. Neben den Füßen kauerte eine Katze mit geflecktem Fell.
Crammon faltete still die Hände. Christian spürte einen kühlen Hauch um die Wangen, innen in seiner Brust bewegte sich nichts. Als sie ins Freie traten, sagte er: »Wir müssen in Frankfurt einen neuen Wagen kaufen. Wenn wir zu Mittag wieder hier sind, ists Zeit genug, früher kann der General nicht kommen.«
Crammon nickte. Ein verwunderter Blick flog zu dem Jüngling hinüber, ein Blick, der zu fragen schien: aus was für einem Stoff bist du gemacht?
Der Feine, Edle, Stolze, Eisesluft war um ihn, die unendliche gläserne Klarheit wie auf Bergen, bevor es dämmert.[58]
Ausgewählte Ausgaben von
Christian Wahnschaffe
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