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[250] Christian dachte darüber nach, wie er Amadeus Voß zu Geld verhelfen sollte, ohne ihn zu demütigen. Da es nun beschlossene Sache war, daß sie zusammen reisten, mußte Voß eine Ausstattung haben. Er besaß nichts, als was er auf dem Leibe trug.

Amadeus Voß begriff. Die soziale Kluft gähnte zwischen ihnen; beide schauten ratlos hinein, der eine hüben, der andre drüben.

Voß verhöhnte im stillen die Schwäche des andern, liebte ihn zugleich für seine edle Scham; liebte ihn mit seinem knechtischen, abgewandten, zertretenen, von Jugend auf beleidigten Gefühl; schauderte bei der Aussicht, mit leeren Händen und enttäuschten Hoffnungen wieder im Försterhaus sitzen, an lockenden Bildern verbluten zu sollen. Was wird er tun? Wie wird er die Schwierigkeit überwinden? grübelte er und beobachtete Christian mit Haß.[250]

Die Zeit drängte.

Am letzten Nachmittag sagte Christian: »Ich langweile mich, wir wollen ein Spiel machen.« Er nahm aus einer Schublade ein Paket französischer Karten.

»Ich habe in meinem Leben keine Karte in der Hand gehabt,« antwortete Voß.

»Schadet nichts,« meinte Christian, »Sie müssen nur die Farben unterscheiden, Rot und Schwarz. Ich halte die Bank. Setzen Sie auf eine Farbe. Wenn Sie auf Rot gesetzt haben und ich schlage Rot auf, so haben Sie gewonnen. Wieviel wollen Sie setzen? Machen wir den Anfang mit einem Taler.«

»Gut, hier ist ein Taler,« sagte Voß und legte das Geldstück auf den Tisch. Christian mischte und zog ab. Voß gewann.

»Setzen Sie die zwei Taler,« gebot Christian; »Neulinge haben Glück.«

Voß gewann auch die zwei Taler. Er setzte weiter, ein paarmal verlor er, aber schließlich hatte er dreißig Taler gewonnen.

»Übernehmen Sie jetzt die Bank,« schlug Christian vor und freute sich heimlich, daß seine List den gewünschten Verlauf nahm.

Er setzte zehn Taler und verlor. Er setzte fünfzehn, dann zwanzig, dann dreißig und verlor. Er setzte hundert Mark, zweihundert, fünfhundert, immer höher und verlor. Vossens Wangen röteten sich hektisch, wurden kreideweiß; seine Hände bebten, seine Zähne klapperten. Es packte ihn die Angst vor einem Wechsel des Glücks, aber er war nicht fähig zu sprechen und um Einhalt zu bitten. Die Scheine häuften sich vor ihm; nach einer halben Stunde hatte er über viertausend Mark gewonnen.

Christian hatte die Karten vorher markiert, in einer Art, die von einem Unerfahrenen nicht bemerkt werden konnte. Er wußte immer genau, welche Farbe Voß aufschlagen würde, aber das Sonderbare war, daß er bisweilen vergaß, nach dem Zeichen zu sehen und daß dann Voß trotzdem gewann.[251]

Christian erhob sich. »Wir haben Eile,« sagte er, »Sie müssen sich für die Reise versorgen, Amadeus.«

Voß war betäubt von dem Umschwung, den sein Leben in wenigen Minuten erfahren. Glomm in seinem Innern ein Funken von Argwohn, so kehrte er den Sinn ab, um sich in maßlose Träume zu stürzen.

Das Auto brachte sie nach Wiesbaden, und Voß kaufte unter Christians Beistand Kleider, Wäsche, Mäntel, Stiefel, Hüte, Handschuhe, Schlipse, Toilentteartikel und Koffer. Er staunte und war stumm.

Um zehn Uhr abends saßen sie im Schlafwagen. »Wer bin ich nun?« fragte Amadeus Voß. »Was stell ich vor?« Er sah sich mit einem neugierigen und heftigen Blick um und strich die gelben Haare aus der Stirn. »Geben Sie mir ein Amt und einen Titel, Christian Wahnschaffe, damit ich weiß, wer ich bin.«

Christian maß den Erregten mit ruhigen Augen. »Warum sollen Sie heute ein andrer sein als gestern?« entgegnete er verwundert.

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 250-252.
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