[368] Crammon behauptete, Amadeus Voß mache Johanna Schöntag den Hof. Johanna schlug unwillig mit dem Handschuh nach ihm. »Ich gratuliere zu der Eroberung, Rumpelstilzchen,« neckte Crammon. »Ein Werwolf an der Leine, das ist schon was; damit kann man sich sehen lassen. Ich bin aber auch für einen Maulkorb. Nicht wahr, Christian, mein Herzchen, wir sind für einen Maulkorb?«
»Maulkorb? Ich weiß nicht,« antwortete Christian. »Wenn es am Reden hinderte. Viele reden zu viel.«
Crammon biß sich auf die Lippen. Die Zurechtweisung dünkte ihn hart. Da war irgendwo ein Stein in den Daunen verborgen, auf denen er lag und schlemmte; es tat weh. Er suchte den Stein, aber die Weichheit der Daunen beruhigte ihn wieder, und er vergaß den Schmerz.
»Ich saß im Frühstücksraum und wartete auf Madame Sorel,« erzählte Johanna mit einer Stimme, die in jeder Hebung und Schattierung um Christians Ohr warb; »da kam Herr Voß herein und ging geradeswegs auf mich zu. Ich dachte: böser Mann; was will der böse Mann von mir? Er fragte mich, wie wenn wir seit Jahren dick befreundet wären, ob ich mit ihm nach Sankt Pauli gehen wolle, der berühmte Wanderpastor Jakobsen hielte eine Predigt dort. Ich mußte ihm ins Gesicht lachen, da war er ganz beleidigt. Und heute nachmittag, als ich das Hotel verließ, stand er auf einmal wie aus dem Boden geschossen wieder vor mir und lud mich zu einer Spazierfahrt im Hafen ein; er habe ein Motorboot gemietet und suche Gesellschaft. Er war wieder[368] genau so grimmig vertraulich, und als er wegging, genau so beleidigt. Und das, Onkelchen, nennen Sie den Hof machen? Ich hatte eher das Gefühl, er wollte mich verschleppen und umbringen. Aber vielleicht ist das seine Manier.« Sie lachte.
»Jedenfalls sind Sie die einzige, die er so schmeichelhaft auszeichnet,« fuhr Crammon fort zu sticheln.
»Oder die einzige, die er für seinesgleichen hält,« antwortete Johanna mit kindlich verzogener Stirn.
Christians Gedanke war: warum lacht sie so oft? Warum sind ihre Hände so plump und rot? Johanna spürte sein Mißfallen und war gelähmt. Gleichwohl fühlte sich Christian durch eine verborgene Kraft angezogen.
Weshalb sich sträuben? Weshalb so viel Umstände machen? dachte er, als Johanna sich erhob und er mit verdeckten Blicken ihre graziöse Gestalt maß, die noch die Biegsamkeit sinnlicher Unreife hatte; als er den Ansatz ihres schlanken Nackens gewahrte, in dem sich zugleich Schwäche des Willens und Feinheit der Rasse ausdrückte. Er kannte diese Zeichen. Er hatte sie stets zu deuten und zu nutzen verstanden.
Crammon, massig in einen Klubsessel gegossen, sprach mit Emphase von dem morgigen Tanzabend Evas, der die ganze Stadt mit Erwartung erfüllte. Christian und Johanna aber sahen plötzlich einander.
»Kommst du mit?« wandte sich Christian lässig und gelangweilt an Crammon.
»Ja, mein Schatz, laß uns tafeln!« rief Crammon. Er nannte Hamburg das Paradies des heiligen Bernhard, über den er, als über seinen Schutzpatron und Namensgeber, Spezialforschungen angestellt hatte, und der nach seiner Meinung ein gewaltiger Fresser gewesen, zu Tours in Frankreich anno Domini.
Ein banges, verschlagenes Weiberlächeln spielte um Johannas Lippen. Als sie den beiden voranschritt, war Bedrücktheit und zugleich humoristische Auflehnung gegen das[369] Bedrückte und Unfreie in den Bewegungen ihres eckig-zierlichen Körpers.
Ausgewählte Ausgaben von
Christian Wahnschaffe
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