Dritter Auftritt

[247] Alwa Schön. Die Vorigen.


ALWA noch hinter der spanischen Wand. Darf man eintreten?

SCHÖN. Mein Sohn.

LULU. Das ist ja Herr Alwa!

GOLL. Kommen Sie nur ungeniert herein!

ALWA vortretend, reicht Schön und Goll die Hand. Herr Medizinalrat ... Sich nach Lulu umwendend. Seh ich recht? – Wenn ich Sie doch nur für meine Hauptrolle engagieren könnte!

LULU. Ich würde für Ihr Stück wohl kaum gut genug tanzen.

ALWA. Aber Sie haben doch einen Tanzlehrer, wie man ihn an keiner Bühne Europas findet!

SCHÖN. Was führt dich denn hierher?

GOLL. Sie lassen hier wohl auch insgeheim irgend jemanden porträtieren?

ALWA zu Schön. Ich wollte dich zur Generalprobe abholen.


Schön erhebt sich.


GOLL. Lassen Sie denn heute schon in vollem Kostüm tanzen?

ALWA. Versteht sich. Kommen Sie mit. In fünf Minuten muß ich auf der Bühne sein. Zu Lulu. Ich Unglücklicher!

GOLL. Ich habe ganz vergessen – wie nennt sich doch Ihr Ballett?

ALWA. Dalailama.

GOLL. Ich glaubte, der wäre im Irrenhaus.

SCHÖN. Sie meinen Nietzsche, Herr Sanitätsrat.

GOLL. Sie haben recht. Ich verwechsle die beiden.

ALWA. Ich habe dem Buddhismus auf die Beine geholfen.

GOLL. An den Beinen erkennt man den Bühnendichter.

ALWA. Die Corticelli tanzt den jugendlichen Buddah, als hätte sie am Ganges das Licht der Welt erblickt.

SCHÖN. Solang die Mutter noch lebte, tanzte sie mit den Beinen ...

ALWA. Als sie dann frei wurde, tanzte sie mit dem Verstande ...

GOLL. Jetzt tanzt sie mit dem Herzen!

ALWA. Wenn Sie sie sehen wollen?

GOLL. Danke.

ALWA. Kommen Sie doch mit![247]

GOLL. Unmöglich!

SCHÖN. Wir haben übrigens keine Zeit zu verlieren.

ALWA. Kommen Sie mit, Herr Medizinalrat. Im dritten Akt sehen Sie Dalailama in seinem Kloster, mit seinen Mönchen ...

GOLL. Mir wäre es lediglich um den jugendlichen Buddah zu tun.

ALWA. Was hindert Sie denn?

GOLL. Es geht nicht. Es geht nicht.

ALWA. Wir gehen nachher zu Peters. Da können Sie Ihrer Bewunderung Ausdruck geben.

GOLL. Dringen Sie nicht weiter in mich. Ich bitte Sie.

ALWA. Sie sehen die zahmen Affen, die beiden Brahmanen, die kleinen Mädchen ...

GOLL. Bleiben Sie mir nur um Gottes willen mit den kleinen Mädchen vom Halse!

LULU. Reservieren Sie uns eine Proszeniumsloge auf Montag, Herr Alwa!

ALWA. Wie konnten gnädige Frau daran zweifeln.

GOLL. Wenn ich zurückkomme, hat mir der Höllenbreughel das ganze Bild verpatzt!

ALWA. Das wäre doch kein Unglück. Das läßt sich übermalen.

GOLL. Wenn man dem Caravacci nicht jeden Pinselstrich expliziert ...

SCHÖN. Ich halte Ihre Befürchtungen übrigens für unbegründet.

GOLL. Das nächste Mal, meine Herren!

ALWA. Die Brahmanen werden ungeduldig! Die Töchter Nirvanas schlottern in ihren Trikots!

GOLL. Verdammte Kleckserei!!

SCHÖN. Man wird uns auszanken, daß wir Sie nicht mitbringen.

GOLL. In fünf Minuten bin ich zurück.


Stellt sich links vorn hinter Schwarz und vergleicht das Bild mit Lulu.


ALWA zu Lulu. Mich ruft leider die Pflicht, gnädige Frau.

GOLL zu Schwarz. Sie müssen hier ein wenig mehr modellieren. Das Haar ist schlecht. Sie sind nicht genug bei der Sache ...

ALWA. Kommen Sie.

GOLL. Nun nur hopp! Zu Peters bringen mich keine zehn Pferde.

SCHÖN Alwa und Goll folgend. Wir nehmen meinen Wagen, der unten steht.[248]


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 247-249.
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