Sechster Auftritt

[303] Lulu. Die Vorigen. Später Ferdinand.


LULU von links, in eleganter Pariser Balltoilette, weit dekolletiert, mit Blumen vor der Brust und im Haar. Aber Kinder, Kinder, ich erwarte Besuch!

SCHIGOLCH. Aber das kann ich euch sagen, die müssen es sich da drüben was kosten lassen!


Hugenberg hat sich erhoben.[303]


LULU sich auf die Armlehne seines Sessels setzend. Sie sind in eine nette Gesellschaft geraten. Ich erwarte Besuch, Kinder.

SCHIGOLCH. Da muß ich mir wohl auch was vorstecken.


Sucht in dem Bukett, das auf dem Tische steht.


LULU. Sehe ich gut aus?

SCHIGOLCH. Was sind das, was du da vorhast?

LULU. Orchideen. Sich mit der Brust über Hugenberg neigend. Riechen Sie.

RODRIGO. Sie erwarten wohl den Prinzen Escerny?

LULU schüttelt den Kopf. Gott bewahre!

RODRIGO. Also wieder jemand anders!

LULU. Der Prinz ist verreist.

RODRIGO. Sein Königreich auf Auktion bringen?

LULU. Er kundschaftet eine frische Völkerschaft in der Gegend von Afrika aus.


Erhebt sich, eilt die Treppe hinauf und tritt in die Galerie ein.


RODRIGO zu Schigolch. – Er habe sie nämlich ursprünglich heiraten wollen.

SCHIGOLCH sich eine Lilie vorsteckend. Ich habe sie ursprünglich auch heiraten wollen.

RODRIGO. Du hast sie ursprünglich heiraten wollen?

SCHIGOLCH. Hast du sie nicht auch ursprünglich heiraten wollen?

RODRIGO. Jawohl habe ich sie ursprünglich heiraten wollen!

SCHIGOLCH. Wer hat sie nicht ursprünglich heiraten wollen!!

RODRIGO. – So gut hätte ich's nie gekriegt!

SCHIGOLCH. Sie hat es keinen bereuen lassen, daß er sie nicht geheiratet hat.

RODRIGO. – Sie ist also nicht dein Kind?

SCHIGOLCH. Fällt ihr nicht ein.

HUGENBERG. Wie heißt denn ihr Vater?

SCHIGOLCH. Sie hat mit mir renommiert!

HUGENBERG. Wie heißt denn ihr Vater?

SCHIGOLCH. Was meint er?

RODRIGO. Wie ihr Vater heißt.

SCHIGOLCH. Sie hat nie einen gehabt.

LULU kommt von der Galerie herunter und setzt sich wieder zu Hugenberg auf die Armlehne. Was habe ich nie gehabt?

ALLE DREI. Einen Vater.[304]

LULU. Ja gewiß, ich bin ein Wunderkind. Zu Hugenberg. Wie sind Sie denn mit Ihrem Vater zufrieden?

RODRIGO. Er raucht wenigstens eine anständige Zigarre, der Herr Polizeidirektor.

SCHIGOLCH. Hast oben zugeschlossen?

LULU. Da ist der Schlüssel.

SCHIGOLCH. Hättest ihn lieber steckenlassen.

LULU. Warum denn?

SCHIGOLCH. Damit man von außen nicht aufschließen kann.

RODRIGO. Ist er denn nicht auf der Börse?

LULU. O doch, aber er leidet an Verfolgungswahn.

RODRIGO. Ich nehme ihn auf die Füße und jupp – daß er oben an der Decke klebenbleibt.

LULU. Sie jagt er mit einem Viertelsseitenblick durch ein Mausloch.

RODRIGO. Was jagt er? Wen jagt er? Seinen Arm entblößend. Sehen Sie sich bitte den Bizeps an.

LULU. Zeigen Sie.


Geht nach rechts.


RODRIGO sich auf den Arm schlagend. Granit. – Schmiedeeisen.

LULU befühlt abwechselnd Rodrigos Oberarm und ihren eigenen. Wenn Sie nur nicht so lange Ohren hätten ...

FERDINAND durch die Mitte eintretend. Herr Doktor Schön.

RODRIGO aufspringend. Der Lumpenkerl. Will hinter den Kaminschirm, fährt zurück. Gott behüte einen!


Versteckt sich rechts vorn hinter den Gardinen.


SCHIGOLCH. Gib mir den Schlüssel her! Nimmt Lulu den Schlüssel ab und schleppt sich die Treppe zur Galerie hinauf.


Hugenberg ist vom Sessel unter den Tisch geglitten.


LULU. Ich lasse bitten.


Ferdinand ab.


HUGENBERG lauscht vorn unter dem Saum der Tischdecke vor, für sich. Er bleibt hoffentlich nicht – dann sind wir allein ...


Lulu berührt ihn mit der Fußspitze.

Hugenberg verschwindet.[305]


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 303-306.
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