Erster Auftritt


[192] Die Fürstin rechts vorn in einem bequemen Lehnsessel, wickelt eine Stange Garn auf, die Cölestin, welcher vor ihr auf einem Schemel sitzt, über die Fußspitzen geschlagen trägt. Die Fürstin trägt gleichfalls eine Stange Garn über die Fußspitzen geschlagen, welche Cölestin aufwickelt.


CÖLESTIN. Wüßten Sie, erhabene Gebieterin, wie mir angesichts der Vorgänge in diesem von Gott verlassenen Hause das Herz blutet. Dieser Idiot, zu wenig Mensch, um das Kleinod, das er in Ihnen besitzt, würdigen zu können, kennt kein höheres Ziel, als seinen kostbarsten Schatz unter die Füße zu treten, vor der Welt zu beschimpfen, an eine Abenteuerin, eine Barbarin, eine Tierbändigerin zu verraten. Wüßten Sie, welche Mühe es mich oft kostet, meinen Zorn zu bemeistern.

FÜRSTIN. Der Fürst, mein himmlischer Freund, ist ein besserer Mensch, als er zu sein glaubt. Möglich, daß eine vorübergehende Laune Iwan Michailowitsch manchmal treibt, mich verraten zu wollen. Er kämpft umsonst gegen seine unwandelbare Treue. Sie zerrt an dem Knäuel, das sie in Händen hält. Seine Lage ist bemitleidenswürdig!

CÖLESTIN. Es will sich nicht abwickeln?

FÜRSTIN. Es ist ein Knoten darin. Nachdem Cölestin den Knoten gelöst. Ich danke Ihnen.

CÖLESTIN. Sie sind die erhabenste Seele, teuerste Fürstin, die mir in diesem Leben entgegentrat!

FÜRSTIN während beide die Stränge vollends aufwickeln. Die einen tragen den Dolch in der Brust und die andern greifen sich in den Busen. Von Ihnen, mein Teurer, träumte mir, als ich noch mit jungfräulichen Kinderaugen in diese Welt sah. Schweigen wir lieber davon. Sich erhebend. Ich erinnere mich auch so genau nicht[192] mehr! – Ich höre den Fürsten. Seien Sie vernünftig, ich beschwöre Sie! Halb für sich. Die Jahre haben mich meiner anbetungswürdigen Schönheit nicht beraubt, ohne mich durch eine entsprechende Verbreiterung meines Rückens dafür zu entschädigen. Sich in der Tür noch einmal umwendend. Lassen Sie sich nicht hinreißen! Ab nach rechts vorn.


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 192-193.
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