Zweiter Auftritt


[193] Cölestin. Der Fürst. Dann Kolja.


FÜRST von rechts hinten, öffnet das Fenster und ruft. Kolja! Kolja! Geht nach links vorn und rührt die Glocke, darauf nach rechts vorn gegen Cölestin. Wo ist die Gräfin?

CÖLESTIN hinter den Sessel flüchtend. Ich weiß nicht, Durchlaucht.

FÜRST. Soll ich dir die Nase abschneiden?

CÖLESTIN schlotternd. Durchlaucht haben sie mir nicht zum Aufbewahren gegeben.

FÜRST. Die Fürstin war hier?

CÖLESTIN. Ich – ich weiß es nicht.

FÜRST während sich Cölestin fortgesetzt verneigt. Du bist ein Ohrenbläser, ein Speichellecker, ein Achselträger, ein Chamäleon! Du spielst hier den Spion!

KOLJA von links hinten. Durchlaucht befehlen?

FÜRST. Du hast ihn doch nicht allein gelassen?

KOLJA eintönig. Mitja hält statt meiner Wache. Mitja steht, das Gewehr im Arm, in der Kellertür. Feodor Petrowitsch sitzt seit gestern abend am Herd und bläst in die Kohlen. Wenn die Glocke im Dorf schlug, hörten Mitja und ich Feodor Petrowitsch Beschwörungen aussprechen. Um Mitternacht schickte Feodor Petrowitsch Mitja hinauf, um Tatjana aus dem Bette zu holen. Tatjana stieg, in Mitjas Kaftan eingehüllt, in den Keller hinunter. Feodor Petrowitsch fragte Tatjana, ob sie schon einmal geliebt habe. Darauf mußte sich Tatjana zu Feodor[193] Petrowitsch setzen und Feodor Petrowitsch weiße Figuren auf den Kaftan nähen. Die ganze Nacht hindurch nähte Tatjana Feodor Petrowitsch weiße Figuren auf den Kaftan. Bei Tagesanbruch schickte mich Feodor Petrowitsch hinauf, um ein reichliches Gabelfrühstück für zwei Personen hinunterzuschaffen. Darauf frühstückte Feodor Petrowitsch mit Tatjana zusammen. Seither hilft Tatjana Feodor Petrowitsch fleißig, die Retorten bedienen.

CÖLESTIN für sich. Dieser Halunke!!

FÜRST. Man soll Feodor Petrowitsch nichts verweigern, was er verlangt. Hat er Persevon getötet?

KOLJA eintönig. Nachdem ihm Eure Durchlaucht Persevon überantwortet, hat Feodor Petrowitsch Persevon ins Herz gestochen. Aber Feodor Petrowitsch sagt, Persevons Herz sei gar nicht mehr zu gebrauchen, weil Persevon schon einmal Junge geworfen. Feodor Petrowitsch habe Eure Durchlaucht gefragt, ob Persevon schon einmal Junge geworfen, und Eure Durchlaucht haben Feodor Petrowitsch geschworen, Persevon habe noch keine Jungen geworfen.

FÜRST auf und ab rennend. Mein bester Vorstehhund! Mein bester Vorstehhund! Schlag ihm die Pest in seine verzwickte Nase!

KOLJA wie oben. Feodor Petrowitsch sagt, die Leber eines Raubvogels versehe ihm den nämlichen Dienst.

FÜRST die Hände ringend. Das Tier hat mir achthundert Rubel gekostet! Bare achthundert Rubel!

CÖLESTIN für sich. Der bildet sich wohl ein, wir hätten hier keine Raubvögel!

FÜRST. Die Leber eines Raubvogels? – Geh in den Keller, sag ihm, wenn er sein Gebräu bis zur Vesperglocke nicht fertig habe, lasse ich ihn krummschließen.

KOLJA. Feodor Petrowitsch sagt, sobald er die Leber eines Raubvogels habe, sei er fertig damit.

FÜRST. Die Leber eines Raubvogels? – Die Leber eines Raubvogels? – Hopp, Kolja, wirf dich in den Sattel! In den Wald hinaus! Schieß alles herunter, was durch die Bäume fliegt! – Da sich Kolja nicht rührt. Soll ich dir Beine machen?[194]

KOLJA eintönig. Im Wald draußen fliegt nichts mehr durch die Bäume, Durchlaucht, da Gräfin Katharina Alexandrowna schon alles, was durch die Bäume flog, heruntergeschossen haben.

CÖLESTIN katzbuckelnd. Gestatten mir Durchlaucht, untertänigst auf den lausigen Aasgeier hinzuweisen, der seit Jahr und Tag auf dem Hof herumhupft und uns unsere besten Leghühner verschlingt.

FÜRST. Kama?! – Das Vieh vergaß ich. Zu Kolja. Dreh ihm den Hals um. Im Abgehen. Gott sei gelobt!


Kolja links, der Fürst rechts hinten ab.


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 193-195.
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