Neunter Auftritt


[207] Die Fürstin. Die Vorigen.


FÜRSTIN von links vorn. Cölestin!

CÖLESTIN. Durchlaucht?

FÜRSTIN. Lassen Sie mir die Bouillon auf mein Zimmer bringen.


Cölestin rechts hinten ab.


SCHWIGERLING der Fürstin, die nach rechts vorn geht, den Weg vertretend. Verzeihung, Durchlaucht! Gehen Sie bitte nicht gleich wieder dort hinaus ...[207]

FÜRSTIN. Sprechen Sie ruhig.

SCHWIGERLING. So ruhig ich kann. Ich erscheine anmaßend, aber was ich mir auch an Vernunftgründen entgegenhalte, ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, Ihnen schon einmal nahegestanden zu haben. Da die Fürstin an ihm vorbei will. In respektvoller Entfernung! Die Tatsache entschuldigt mich, daß ich zeit meines Lebens in den höchsten Kreisen nicht weniger freundlich aufgenommen war als bei dem Volk, dem ich angehöre.

FÜRSTIN in beruhigendem Ton. Sie sind übernächtig. Lassen Sie sich etwas Stärkendes auf Ihr Zimmer bringen. Will an ihm vorbei.

SCHWIGERLING vertritt ihr den Weg. Ich bin übernächtig, Durchlaucht ...

FÜRSTIN. Sie sehen Gespenster ...

SCHWIGERLING. Ich bin vielleicht wahnsinnig, ich weiß es nicht. Auf seinen Talar deutend. Dieser Narrentand ... Da die Fürstin vorbei will. Nein, Durchlaucht ...

FÜRSTIN. Ich beschwöre Sie, legen Sie sich zu Bett!

SCHWIGERLING. Um vollends verrückt zu werden! Lebœuf versichert mich, Ihnen gegenüber ergehe das jedem so. Aber mein Gefühl trügt mich nicht ... Da die Fürstin vorbei will. Oh, werden Sie nicht ungeduldig. Überantworten Sie mich nicht von neuem der quälenden Ungewißheit. Unsereiner bleibt schließlich doch bettelhaft ...

FÜRSTIN. Mäßigen Sie sich!

SCHWIGERLING. Bettelhaft! Armselig! – Man hätschelt uns, solange wir unsere Kunststücke machen. Und wagt man einmal warm zu empfinden, dann wird man auf die Landstraße hinausgewiesen, auf der man herkam.

FÜRSTIN. Ersparen Sie mir diese Szene, mein Herr, wenn Sie Kavalier sind.

SCHWIGERLING. Weil ich Kavalier bin! Wir tanzen nicht nur im Zirkus auf hohem Seil. Unser ganzes Leben lang hängen wir in gleisnerischen Schlingen. Wie amüsant sieht sich das luftige Trapez nicht an aus den behaglichen Logen der Galerie-noble!

FÜRSTIN. Sprechen Sie mir nicht vom Trapez!

SCHWIGERLING. Natürlich nicht! Was ahnen Durchlaucht denn von dem Todesbangen des lächelnden Künstlers da oben! –[208] Und wenn dann, von bübischer Hand heimlich entzweigeschnitten, die Stricke reißen, wenn der Blick sich umflort und man darniedersaust – aus all seinen Himmeln – darniedersaust auf den harten, erbarmungslos harten Sand der Arena ...

FÜRSTIN. Entsetzlich!

SCHWIGERLING. Sehen Sie, Fürstin, ich hatte ein Weib – das erste Weib, das meine Künstlerlaufbahn mir geschenkt, auf ewig mir angetraut durch den Segen der Kirche! Ich war noch ein Knabe, sie weltgewandt, überlegen, fünf Jahre älter als ich – – eine Trapezkünstlerin, wie die Welt keine ...

FÜRSTIN tonlos. Cordelia!

SCHWIGERLING zurücktretend. Durchlaucht?!

FÜRSTIN. Sie steht vor dir.

SCHWIGERLING. Sie spotten meiner?

FÜRSTIN. Deine Cordelia!


Schwigerling bedeckt das Gesicht mit beiden Händen, kommt nach rechts vorn und schluchzt in sein Taschentuch.


FÜRSTIN sich ihm nähernd. Wüßtest du denn auch gar kein Erkennungszeichen?

SCHWIGERLING traumverloren. In einer jener Wonnestunden unbeschreiblicher Seligkeit – ließ sie sich von mir – im Rausch meiner jugendlich flammenden Sinne – eine Taube, das Bild der Unschuld, in ihren marmorweißen Arm tätowieren.


Fürstin streift den linken Ärmel zurück.

Schwigerling sinkt in die Knie und bedeckt den Arm mit Küssen.


FÜRSTIN die rechte Hand in seinen Locken. Wie gerne hätte ich dir das erspart!


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 207-209.
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