Sechstes Bild


[558] Nacht. Wildnis.

Der König, Prinzessin Alma und ein Kunstreiter treten auf.


DER KÖNIG etwas ermüdet, spricht aber mit kräftiger, volltönender Stimme. Haben wir noch weit zu gehen, Bruder, bis zu dem Platz, wo die Elendenkirchweih abgehalten wird?

DER KUNSTREITER äußerst lebhaft, selbstgefällig, aufschneiderisch. Bis Mitternacht sind wir längstens dort. Vorher beginnt die eigentliche Kirchweih gar nicht Ihr beide macht wohl zum erstenmal diese nächtliche Wallfahrt zum Hochgericht?

DER KÖNIG. Wir sind erst seit wenigen Monden beim fahrenden Volk, haben aber trotzdem schon manchen Hexensabbat mitgetanzt.

DER KUNSTREITER. Mir scheint, Bruder, man hat dir irgendwo das Marschieren abgewöhnt! Du bist doch sonst ein ganz strammer Geselle!

DER KÖNIG läßt sich auf einen Felsblock nieder. Mein Herz stößt wie ein gefangener Raubvogel gegen die Rippen. Der Weg geht bergan; das nimmt mir den Atem.

DER KUNSTREITER. Wir haben reichlich Zeit. – Dein Bub, Bruder, ist dafür um so besser auf den Beinen. Jammerschade um das junge Blut! Bei mir könnte er noch was Einträglicheres lernen als Gassenlieder zur Laute singen. Das wird doch überall nur dem Betteln gleichgeschätzt. Gib ihn mir mit, Bruder, nur auf ein halbes Jahr! Bei mir hat er es jedenfalls nicht schlechter, als wenn er in deine Fußstapfen tritt; und ich mache dir einen Kunstreiter aus ihm, um den sich die Zirkusmeister die Hälse brechen!

DER KÖNIG. Halte mich nicht für einen Esel, geliebter Bruder! Wie willst du meinem Buben das Kunstreiten beibringen, wo du selber auf Schusters Rappen reisest!

DER KUNSTREITER. Du bist mißtrauisch, als hattest du Fässer voll Gold zu Hause liegen! Dabei weißt du allem Anschein nach nicht, wo und wann du zum letztenmal warm gegessen[558] hast! So bringt man's freilich zu nichts! Wir treffen in dieser Nacht auf der Elendenkirchweih mindestens ein halbes Dutzend Zirkusmeister. Sie alle kommen dorthin, um Künstler zu finden, die bei ihnen auftreten. Dann wirst du armer Teufel sehen, wie man sich um meine Person reißt und wie einer den andern mit dem Handgeld überbietet! Denen bin ich Gott sei Dank nicht so unbekannt, wie euch Bänkelsängern! Und stehe ich wieder bei einem im Dienst, dann habe ich Pferde genug, daß sich dein munterer Bub, wenn er Lust dazu hat, gleich am ersten Tage den Hals brechen kann!

DER KÖNIG. Sag mir, Bruder, finden sich auf der Elendenkirchweih auch Theaterbesitzer ein?

DER KUNSTREITER. Auch Theaterbesitzer, jawohl! Aus dem ganzen Land kommen die Theaterbesitzer zusammen. Wo wollten sie sonst ihre Tänzerinnen und Hansnarren hernehmen! – Freilich, Bruder, ob dich einer in Dienst nimmt, scheint mir sehr zweifelhaft. Du siehst mir nun wirklich gar nicht danach aus, als ob du Possen reißen könntest!

DER KÖNIG. Es gibt aber auch eine erhabene Kunst, die man Tragödie nennt!

DER KUNSTREITER. Tra-Tra-Tragödie, ja! Den Namen habe ich gehört! – Auf diese Kunst, lieber Bruder, verstehe ich mich ganz und gar nicht. Nur eines weiß ich von ihr, daß sie herzlich schlecht bezahlt wird. – Zu Alma. Nun, mein braver Knabe, trachtet dein Gaumen nicht nach besserem Futter? – Willst du die Kunstreiterei bei mir erlernen?

DER KÖNIG sich erhebend. Vorwärts, Bruder, daß wir die Elendenkirchweih nicht noch versäumen! Nur einmal im Jahre bietet das Glück uns die Hand.


Alle drei ab.[559]


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 558-560.
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