Francisca

[407] Francisca, mein reizender Falter,

Hätt'st du nicht zu eng für dein Alter

Den keimenden Busen geschnürt,

Dann klafften wohl nicht die Gewänder,

Sobald ich nur eben die Bänder

Mit harmlosem Finger berührt.


Nun wehr auch nicht meinem Entzücken,

Als Erster die Küsse zu pflücken

Der zarten, jungfräulichen Haut.

Mich blendet die schneeige Weiße,

Solang ich das Fleisch nicht, das heiße,

Mit bebenden Lippen betaut.


Denn gleich wie die Knospe der Blume

Nichts ahnt von der Pracht und dem Ruhme

Der Rose am üppigen Strauch,

So seh ich bescheiden erst schwellen

Die keuschen, die kindlichen Wellen,

Umweht von berauschendem Hauch.


Oh! glaub mir, die Monde entfliehen,

Die Rosen verwelken, verblühen

Und fallen dem Winter zum Raub.

Es kommen und gehen die Jahre,

Man legt deinen Leib auf die Bahre

Und alles wird Moder und Staub.[407]


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1969, S. 407-408.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die vier Jahreszeiten
Die vier Jahreszeiten: Gedichte (insel taschenbuch)