Pfingstlied

[263] Sie herzten sich und sie küßten sich

Mit liebevoller Gebärde.

Der junge Herr Frühling wonniglich,

Der besuchte die alte Frau Erde.


Er ist der guten, ehrlichen Frau

Mit eins an den Hals gesprungen,

Daß bis hinauf in den Himmel blau

Nur Lust und Jubel erklungen.


»Mein Sohn, es freut mich, daß du hier!

Lang währte des Winters Tosen.

Meine Felder brauchen die goldne Zier,

Meine Gärten Lilien und Rosen.


Verstummt sind all meine Nachtigalln,

Seit ich dich verloren hatte;

Drum schmücke den Vögeln die grünen Halln

Und den Hirschen die blumige Matte.


Ich habe so oft an dich gedacht,

Wenn es stürmte wilder und wilder;

Doch sprich, was hast du mir mitgebracht

Für die lieblichen Menschenbilder?«


»Für die Menschenbilder?« versetzte da

Der junge Herr Frühling stutzend –

In die Tasche griff er behend: »Voilà!

Revolutionen ein Dutzend.«
[263]

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 263-264.
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