Dritter Auftritt

[255] Königin, Aegisth, Thyest.


KÖNIGIN beiseite.

Thyest! ist dies Thyest? er gleicht dem Bilde,

Das ich im Traum sah!

THYEST zum Aegisth.

Undankbarer!

Ist dies der Lohn für mein Vertraun auf dich?

Wo ist das Ungeheur, dein Vater? –

AEGISTH zaghaft.

Dies

Ist meine Mutter!

THYEST etwas unruhig, als er sie sieht.

Dies? Ihr Angesicht

Scheint mild. Allein ich weiß es schon, daß hier

Nicht Menschen sind! den Gräbern gleich, wo drinnen

Die Made frißt: von außen schmückt sie Gold. –

Verschlinge mich, Hyäna! denn du bist

Des Atreus Weib!

KÖNIGIN.

Verwegner! fleht man so

Um Mitleid? weißt du auch ...

THYEST.

Ich weiß es, daß

Kein Mitleid wohnt, wo Atreus wohnt! die Burg,

Die mich einst glücklich sah ... ach sah! nicht mehr! –

Ein Mörderhaus! Die Türme der Zyklopen,

Sonst heilig, itzt entweiht! – Die Spinne lauscht

Hier und ergreift den Wurm, der unschuldsvoll

Im Sonnenstrahle spielt! –[255]

KÖNIGIN.

Unglücklicher!

Du trotzest? da mein Fürspruch dir vielleicht ...

THYEST.

Ich brauch' ihn nicht: denn ich will sterben. Nicht

Der Tod, trüg er die scheußlichste Gestalt,

Mit Feuer, Stachel, Dolch – was die Natur

Nur Schauervolles kennt, bewaffnet, schreckt

Mich mehr! ... allein, den Atreus sehn? – ihn sehn? –

Verderben, Pein und Tod sind lieblicher!

KÖNIGIN.

Jedoch die Götter ...

AEGISTH.

Der Orakelspruch ...

THYEST.

Kennt ihr hier Götter? ihr? ihr Antlitz hat

Sich längst von euch gewandt; und eure Götter

Sind bloß die Furien, Unmenschlichkeit,

Raub, Lügen, Mord, Betrug, Verräterei;

Und eure Opfer? ... Weh! Weh! meine Kinder!

Mein Plisthenes! mein Tantalus! dort, dort

An dem Altar zerriß er sie, zerschnitt

Er ihr Gebein: kein kindliches Geschrei,

Kein Winseln und kein Flehn drang in sein Ohr:

Er fluchte nur, daß ihm nicht die Natur

Mehr Fäuste gab, in ihrem Eingeweide

Zu wühlen, ihnen nicht mehr Leben gab,

Sie zu zerstören ... Ah! du zitterst, Weib?

Denk, wenn er dir so deinen Sohn zerrissen?

KÖNIGIN erschrocken.

Was sagst du? schweig! wo ich dir raten soll.

Des Feindes Wut besänftiget nicht Wut!

Die Welle legt sich nicht, wenn du sie schlägst! ...

Gilt noch mein Wort beim König ...

THYEST.

Weg von mir!

Kein Wort für mich! du bist ein Tigerherz!

Wie? hast du nicht hier diesen Sohn mit ihm

Erzeugt? so falsch, so grausam, als er selbst,

Sein Vater ... Ach! liebkosend wand er sich

Wie eine Schlang' um mich und stach, indem

Ich ihn erwärmte –[256]

AEGISTH.

Nein, Thyest! dies tat

Ich nicht –

THYEST.

Meineidiger! was fleht' ich dich? –

Fleht' ich um Argos' Thron? nein, meiner Qual

Und meinem Elend mich zu überlassen!

Bei Löwen mich in tiefen Wüsteneien,

In Wäldern, die kein Tag jemals durchschaut,

Den kummervollen Rest des Lebens mir

Zu lassen! – Aber nein! – er schleppt mich fort,

Hieher, hieher zum Atreus: ... Weh! weh mir,

Mir Unglückseligen! – Hier! Ach! hier stand ...

(Entsetzliche Erinnerung!) hier stand

Das schreckliche Gefäß, worin das Blut

Von meinen Kindern mir mit Wein vermischt

Entgegenschäumete: hier trank ich es!

Hier lag ihr Haupt: dort ihrer Hände Paar,

Gefaltet noch, als sie um Hülfe flehten

Und weder Gott noch Mensch mitleidig sie

Erhört' ... Ihr seht euch an? – Ihr trocknet euch

Die Augen? – Ach! hat die Verstellung schon

Euch Atreus auch gelehrt? – Wie? oder gibt

Ein noch mitleid'ger Gott ... umsonst! umsonst! –

Ah! Ihr verstummt? Wohl! laßt mich noch entfliehn,

Eh Atreus kömmt! Aus Mitleid tötet mich!

Und sterbend dank' ich euch.

KÖNIGIN.

Dies kann nicht sein:

Denn gleich ist Atreus hier! Mein Mitleid hast

Du zwar, wenn du's verdienst. Das Elend herrscht

In Argos, und uns drückt es mehr als dich.

Fühlst du es nicht (wenn dein verhüllt Gesicht

Es dir zu sehn verbot), daß du auf Leichen

Gingst? –

THYEST.

Sprich! wer hat auf ein unglücklich Volk

Den Fluch gebracht? das Scheusal, dein Gemahl!

Wer hat die Furien aus ihrer Nacht

Hervorgelockt? das Scheusal, dein Gemahl! ...[257]

Wer brach den Eid, den er am Altar schwur,

Den Göttern schwur? das Scheusal, dein Gemahl! ...

KÖNIGIN.

Verwegner, schweig! er kömmt, damit du nicht

Ihn zwingest, das zu sein, was du ihn nennst.

THYEST.

Muß ich ihn einmal sehn, so fürcht' ich nicht

Die ganze Höll' in ihm. –

KÖNIGIN.

Thyest, Thyest!

Das schärfste Schwert, das Marmor spalten will,

Zerspringt! ... Du kennst ihn schon!

THYEST.

Ich kenn' ihn, ja,

Und alles Schreckliche, das meiner wartet.

Ich hab' kein Weib und keine Kinder mehr!

Was fürcht' ich sonst! verhindre, daß ich ihn

Nicht seh', und dann, dann will ich dich noch segnen.

KÖNIGIN.

Das kann ich nicht, doch will ich dein Geschicke

Zu lindern mich bemühn ...

THYEST.

Das will ich nicht!

Die Lindrung ist mir Pein: ein süßes Wort

Vom Atreus, Höllenpein!

KÖNIGIN.

So trage du

Auch deine Schuld!

AEGISTH.

So fürchte wenigstens,

Daß deine Qual zum Mitleid uns bewege!

THYEST.

Geh, Falscher! Dich zum Mitleid? – Ach! warum,

Grausame Götter, zwingt ihr noch mein Herz,

In ihm den Feind zu lieben! – Jüngling, ja

Ich weiß nicht, welch geheimer fremder Trieb

Für dich und dieses Weib sich in mir regt?

Ein Glück! daß ihr dem Atreus zugehört,

Daß ich euch hassen muß ...

AEGISTH wird den Atreus gewahr.

Mein Vater kömmt!

KÖNIGIN beiseite; sie sieht den Thyest mitleidig an.

Du armer Greis! wie sehr beklag' ich dich!


Quelle:
Das Drama des Gegeneinander in den sechziger Jahren, Trauerspiele von Christian Felix Weiße. Leipzig 1938, S. 255-258.
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