[255] Königin, Aegisth, Thyest.
KÖNIGIN beiseite.
Thyest! ist dies Thyest? er gleicht dem Bilde,
Das ich im Traum sah!
THYEST zum Aegisth.
Undankbarer!
Ist dies der Lohn für mein Vertraun auf dich?
Wo ist das Ungeheur, dein Vater? –
AEGISTH zaghaft.
Dies
Ist meine Mutter!
THYEST etwas unruhig, als er sie sieht.
Dies? Ihr Angesicht
Scheint mild. Allein ich weiß es schon, daß hier
Nicht Menschen sind! den Gräbern gleich, wo drinnen
Die Made frißt: von außen schmückt sie Gold. –
Verschlinge mich, Hyäna! denn du bist
Des Atreus Weib!
KÖNIGIN.
Verwegner! fleht man so
Um Mitleid? weißt du auch ...
THYEST.
Ich weiß es, daß
Kein Mitleid wohnt, wo Atreus wohnt! die Burg,
Die mich einst glücklich sah ... ach sah! nicht mehr! –
Ein Mörderhaus! Die Türme der Zyklopen,
Sonst heilig, itzt entweiht! – Die Spinne lauscht
Hier und ergreift den Wurm, der unschuldsvoll
Im Sonnenstrahle spielt! –[255]
KÖNIGIN.
Unglücklicher!
Du trotzest? da mein Fürspruch dir vielleicht ...
THYEST.
Ich brauch' ihn nicht: denn ich will sterben. Nicht
Der Tod, trüg er die scheußlichste Gestalt,
Mit Feuer, Stachel, Dolch – was die Natur
Nur Schauervolles kennt, bewaffnet, schreckt
Mich mehr! ... allein, den Atreus sehn? – ihn sehn? –
Verderben, Pein und Tod sind lieblicher!
KÖNIGIN.
Jedoch die Götter ...
AEGISTH.
Der Orakelspruch ...
THYEST.
Kennt ihr hier Götter? ihr? ihr Antlitz hat
Sich längst von euch gewandt; und eure Götter
Sind bloß die Furien, Unmenschlichkeit,
Raub, Lügen, Mord, Betrug, Verräterei;
Und eure Opfer? ... Weh! Weh! meine Kinder!
Mein Plisthenes! mein Tantalus! dort, dort
An dem Altar zerriß er sie, zerschnitt
Er ihr Gebein: kein kindliches Geschrei,
Kein Winseln und kein Flehn drang in sein Ohr:
Er fluchte nur, daß ihm nicht die Natur
Mehr Fäuste gab, in ihrem Eingeweide
Zu wühlen, ihnen nicht mehr Leben gab,
Sie zu zerstören ... Ah! du zitterst, Weib?
Denk, wenn er dir so deinen Sohn zerrissen?
KÖNIGIN erschrocken.
Was sagst du? schweig! wo ich dir raten soll.
Des Feindes Wut besänftiget nicht Wut!
Die Welle legt sich nicht, wenn du sie schlägst! ...
Gilt noch mein Wort beim König ...
THYEST.
Weg von mir!
Kein Wort für mich! du bist ein Tigerherz!
Wie? hast du nicht hier diesen Sohn mit ihm
Erzeugt? so falsch, so grausam, als er selbst,
Sein Vater ... Ach! liebkosend wand er sich
Wie eine Schlang' um mich und stach, indem
Ich ihn erwärmte –[256]
AEGISTH.
Nein, Thyest! dies tat
Ich nicht –
THYEST.
Meineidiger! was fleht' ich dich? –
Fleht' ich um Argos' Thron? nein, meiner Qual
Und meinem Elend mich zu überlassen!
Bei Löwen mich in tiefen Wüsteneien,
In Wäldern, die kein Tag jemals durchschaut,
Den kummervollen Rest des Lebens mir
Zu lassen! – Aber nein! – er schleppt mich fort,
Hieher, hieher zum Atreus: ... Weh! weh mir,
Mir Unglückseligen! – Hier! Ach! hier stand ...
(Entsetzliche Erinnerung!) hier stand
Das schreckliche Gefäß, worin das Blut
Von meinen Kindern mir mit Wein vermischt
Entgegenschäumete: hier trank ich es!
Hier lag ihr Haupt: dort ihrer Hände Paar,
Gefaltet noch, als sie um Hülfe flehten
Und weder Gott noch Mensch mitleidig sie
Erhört' ... Ihr seht euch an? – Ihr trocknet euch
Die Augen? – Ach! hat die Verstellung schon
Euch Atreus auch gelehrt? – Wie? oder gibt
Ein noch mitleid'ger Gott ... umsonst! umsonst! –
Ah! Ihr verstummt? Wohl! laßt mich noch entfliehn,
Eh Atreus kömmt! Aus Mitleid tötet mich!
Und sterbend dank' ich euch.
KÖNIGIN.
Dies kann nicht sein:
Denn gleich ist Atreus hier! Mein Mitleid hast
Du zwar, wenn du's verdienst. Das Elend herrscht
In Argos, und uns drückt es mehr als dich.
Fühlst du es nicht (wenn dein verhüllt Gesicht
Es dir zu sehn verbot), daß du auf Leichen
Gingst? –
THYEST.
Sprich! wer hat auf ein unglücklich Volk
Den Fluch gebracht? das Scheusal, dein Gemahl!
Wer hat die Furien aus ihrer Nacht
Hervorgelockt? das Scheusal, dein Gemahl! ...[257]
Wer brach den Eid, den er am Altar schwur,
Den Göttern schwur? das Scheusal, dein Gemahl! ...
KÖNIGIN.
Verwegner, schweig! er kömmt, damit du nicht
Ihn zwingest, das zu sein, was du ihn nennst.
THYEST.
Muß ich ihn einmal sehn, so fürcht' ich nicht
Die ganze Höll' in ihm. –
KÖNIGIN.
Thyest, Thyest!
Das schärfste Schwert, das Marmor spalten will,
Zerspringt! ... Du kennst ihn schon!
THYEST.
Ich kenn' ihn, ja,
Und alles Schreckliche, das meiner wartet.
Ich hab' kein Weib und keine Kinder mehr!
Was fürcht' ich sonst! verhindre, daß ich ihn
Nicht seh', und dann, dann will ich dich noch segnen.
KÖNIGIN.
Das kann ich nicht, doch will ich dein Geschicke
Zu lindern mich bemühn ...
THYEST.
Das will ich nicht!
Die Lindrung ist mir Pein: ein süßes Wort
Vom Atreus, Höllenpein!
KÖNIGIN.
So trage du
Auch deine Schuld!
AEGISTH.
So fürchte wenigstens,
Daß deine Qual zum Mitleid uns bewege!
THYEST.
Geh, Falscher! Dich zum Mitleid? – Ach! warum,
Grausame Götter, zwingt ihr noch mein Herz,
In ihm den Feind zu lieben! – Jüngling, ja
Ich weiß nicht, welch geheimer fremder Trieb
Für dich und dieses Weib sich in mir regt?
Ein Glück! daß ihr dem Atreus zugehört,
Daß ich euch hassen muß ...
AEGISTH wird den Atreus gewahr.
Mein Vater kömmt!
KÖNIGIN beiseite; sie sieht den Thyest mitleidig an.
Du armer Greis! wie sehr beklag' ich dich!
Buchempfehlung
Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«
74 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro