Dritter Auftritt

[270] Die Vorigen, Atreus.


ATREUS.

Ha! unfehlbar wiegelst du

Aegisthen auf? ... was will das Volk am Schlosse,

Verräter?

PRIESTER.

Nein, das bin ich nicht! – Es weiß

Das Volk, daß hier Thyest in Fesseln liegt.

ATREUS.

Wer hat es ihm gesagt? – Du, nicht wahr? Du?

PRIESTER.

Nein, Herr!

ATREUS.

Warst du's, Aegisth?[270]

AEGISTH.

Mein Vater, nein!

Doch auf dem Schiffe war es bald bekannt.

Der flehende Thyest verriet sich selbst.

Die Neugier, Herr, sobald man eine Tat

In ein Geheimnis hüllt, hat Aug und Ohr

Gedoppelt: sieht noch mehr als wirklich ist!

ATREUS geht tiefsinnig auf dem Theater umher; beiseite.

Die Tugend soll mir ihre Maske leihn!

PRIESTER.

Dies wundre dich nur nicht! das Zwillingspaar

Am Firmament verbirgt eh sein Gestirn,

Eh sich die Glut verbirgt, die Rach und Zorn

Bei eurem Zwist, von Furien erborgt,

Und Argos in den Brand gesteckt, von dem

Der Rauch noch itzt, sein Auge blutig frißt.

Mykene steht mit offnem Mund und harrt,

Ob durch die Nacht ihm wo ein Helfer glänze?

Und spürt dem Fünkchen nach, das in der Fern'

Ihm scheint.

ATREUS.

Es sei! der Anfall meines Zorns

Ist nun vorbei! das Elend des Thyest

Hat mich ihm ausgesöhnt: die Klugheit will;

Es sei!

AEGISTH freudig.

Mein Vater! ...

ATREUS.

Schweig! ... doch wisse, Greis!

Versöhnen will ich mich mit ihm: ich will

Vor dem Altar Vergessenheit ihm schwören;

Ein Opfer selbst mit allem Pomp geschmückt,

Nebst ihm, den Göttern schlachten: – doch das Reich

Geteilt mit ihm ... nein, das wird nie geschehn!

Eh will ich selbst ein Raub des Todes sein,

Eh rüste Zeus mit allen Donnern sich ...

PRIESTER.

Genug! ich weiß, daß Schwefel sich bei Glut

Zu leicht entflammt; gnug! ich begehre nicht,

Daß du vom Throne steigst; auch nicht, daß du

Mit dir zugleich ihn drauf erheben sollst.

Ich glaube selbst, Thyest haßt dich zu sehr ...[271]

(Urteile du, wer ihn zuerst gereizt!)

Um neben dir ein zweiter Zeus zu sein.

Ich glaube mehr! daß ihn sein Elend g'nug

Gelehret hat, wie schlüpfrig jener Gipfel

Der Hoheit ist, von dem ein falscher Tritt

In Abgrund stürzen kann. Der Stamm ist alt,

Zu Früchten untragbar: die Äste hast

Du ihm verhaut; ich weiß, er selber wird

Den kleinen Rest, bis sich sein Saft verzehrt,

Im Schatten stiller Ruh' verleben wollen!

Versöhne dich mit ihm: gib ihm soviel,

Als seine Notdurft heischt: räum ihm entfernt

Von dir ein Ländchen ein, ein kleines Stück

In dem argolischen Bezirk! – dann siehe!

Ob sich der Götter Zorn für uns versöhnt,

Und was der Sinn von dem Orakel sei! –

Willst du dies tun? – O König! tu's!

Damit dem Zwietrachtsgeist, der Pelops Haus

In Brand gesteckt und alles Ungemach

Darauf verbreitet hat, zuletzt einmal

Die Fackel ausgelöscht und unsrer Not

Ein Ende werde! – Herr! willst du es tun?

ATREUS.

Ich will und räum' ihm Epidaurus ein,

Wenn ich nur nicht sein Angesicht mehr sehe! ...

Doch glaubst du, daß dies seiner Herrschsucht g'nüge?

Daß wenn die Schlange sich vom Frost erholt ...

AEGISTH.

Ich setze mich zum Unterpfand für ihn,

Mein Vater!

ATREUS.

Junger Tor! wer fragte dich?

PRIESTER.

Die Schlange soll nicht stechen. Laß mich, Herr,

Ihn sehn! gib mir Bedingungen für ihn,

Schränk ihn nach Willkür ein, ich lege sie

Ihm vor, und will er nicht, so schwör' ich dir,

Trotz der gerechten Wut, zu der du ihn

Gereizt, trotz alledem, was ihm das Recht

Des Bluts und der Natur gegeben, trotz[272]

Der Rache, die du ihn gelehrt; ich schwör's

Bei den Unsterblichen: das Heiligtum

Soll selbst sich wider ihn bewaffnen ... doch –

Daß die Versöhnung ja der ersten nicht,

Das Opfer nicht dem vor'gen ähnlich sei!

Es seufzt das Volk: die ungeheure Last

Des Elends, die es drückt ...

ATREUS.

Ich weiß genug!

Da sollst du Bürge sein. Es soll Thyest

Das Opfer öffentlich mit mir vollziehn,

Dann lass' ich ihn in deiner Hand, im Tempel,

Bis das, was er bedarf, bestimmet ist.

Doch alsdann fodr' ich auch von deiner Hand,

Daß er mir nicht das Volk zum Aufruhr reizt,

Daß er den Rest, den ihm die Parze schenkt,

In Ruh' verlebt, daß ihm der Ehrgeiz nie

Die Segel schwellt, wenn man die Laufbahn ihm

Auf diesem Meer des Lebens offenläßt,

So sehr ihn auch der Wind begünstiget. –

Bürgst du dafür?

PRIESTER.

Ich tu's ... Allein, darf ich

Ihn itzt nicht sehn, ihn unterrichten, was

Dein Will' ist? – –

ATREUS nach einer kleinen Pause.

Ja, du sollst ihn sehn.


Zum Aegisth.


Aegisth!

Geh! bring ihn her!

AEGISTH.

Mein Vater! ach! mein Herz

Zerfließt in Dank ...


Geht ab.


Quelle:
Das Drama des Gegeneinander in den sechziger Jahren, Trauerspiele von Christian Felix Weiße. Leipzig 1938, S. 270-273.
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