[282] Atreus, Pelopia.
PELOPIA.
Mein König, hast
Du vor dem Schloß den Auflauf schon gesehn?
ATREUS.
Ich sah ihn wohl. Und weißt du, was das Volk
Begehrt?
PELOPIA.
Ich horchte still, was sein Gespräch,[282]
Sein Auflauf sei; die Lüfte säuselten
Thyest, Thyest mir zu. –
ATREUS.
Wie ich gefürchtet! –
Ha! wir sind in Gefahr! der Aufruhr stürmt:
Noch atmet er, und bald, lass' ich ihm Zeit,
Bläst er im Sturm, reißt mir das Diadem
Vom Haupt, stürzt mich vom Thron und dich zugleich!
Dich, meine Königin! – Ich zittre nicht
Für mich – für dich! ... Entsetzen! wann Thyest
Uns auf den Nacken tritt, von deinem Sohne
Das blut'ge Eingeweid' uns ins Gesichte
Mit grimm'gem Hohne schlägt ...
PELOPIA.
Was sagst du, Herr?
ATREUS.
Was unausbleiblich ist, wenn nicht die Wolke
Ein jäher Blitz zerreißt und schnell herab
Auf die Verräter fällt, die sie getürmt.
PELOPIA.
Wer sind sie?
ATREUS.
Wer? der Priester und Thyest!
PELOPIA.
Thyest! der ohnmachtsvoll im Kerker liegt?
ATREUS.
In seinen Namen hüllt das Mordgespenst
Sich ein; der Priester wirft ihm vom Altar
Die heil'gen Kleider um, und gibt ihm keck
Zu dem Panier den feilen Götterspruch,
Den er darauf mit blut'gen Lettern schreibt.
Schon fasset es die Säulen meines Throns –
Er bebt, schlag es zurück, sonst fällt er! fällt
Auf dich und deinen Sohn!
PELOPIA.
Die Phantasei
Täuscht dich vielleicht mit falschen Schrecken!
ATREUS.
Ah!
Hab' ich sie nicht, den Priester und Thyesten
Hier selbst belauscht, mit eignem Ohr gehört?
Ich soll vom Thron herabgeworfen sein!
Man will ihn erst hin in der Götter Schutz,
In Tempel ziehn, wo stolz der Priester herrscht. –[283]
Ein Augenblick entscheidet unser Los;
Ist der entflohn ...
PELOPIA.
Und was ist dein Entschluß?
Mir sagt' Aegisth bloß im Vorübergehn,
Daß du dich dem Thyest versöhnen willst.
ATREUS.
Ein Vorwand, einen Punkt der Zeit für uns
Noch zu gewinnen! sieh den Plan und rette
Dich, mich und deinen Sohn, uns und das Reich!
PELOPIA.
Was soll geschehn? Dein Will' ist mein Gesetz!
ATREUS.
Der Priester stillt den Sturm des Volks anitzt:
Du siehst! es ist Betrug, damit er mir
Nur den Thyest entriß: – Er kömmt und holt
Mich dann in Tempel ab, wo ich, um nicht
Gleich in der ersten Flut ersäuft zu sein,
Mit dem Thyest, Versöhnung öffentlich
Ihm angelobt. Aegisth soll, glaubt der Tor,
Thyesten hin begleiten, dann will er
(Dies horcht' ich ihnen ab) zum König ihn
Vor allem Volk ernennen (denn er weiß
Den Wankelmut des Volks, das seiner Schwären,
Die Pest und Hunger schlägt, wünscht los zu sein),
Dann ... o das Schreckliche! dann ... soll ich dir
Es sagen, was für uns erfolgen wird? –
PELOPIA.
Wie beugt man ihnen vor?
ATREUS.
Thyest darf nie
Zum Tempel kommen, nie die freie Luft
Mehr atmen, sonst – sonst ist's um uns geschehn!
PELOPIA.
Das heißt, er soll ...
ATREUS.
Ja, er soll sterben!
PELOPIA.
Ah!
ATREUS.
Wie? Du erschrickst?
PELOPIA.
Verzeih! ein weiblich Herz
Entsetzet sich zu leicht beim Klang des Todes!
ATREUS.
Verbann itzt diese Furcht! Bewaffne dich
Mit männergleichem Mut! – Es muß Aegisth
Den Todesstreich vollziehn![284]
PELOPIA.
Aegisth? mein Sohn?
ATREUS.
Aegisth! Dein Sohn und mein Sohn! ja, er muß!
Bereit ihn vor! es möcht' ihn meine Wut,
Wenn sie des Jünglings Herz unfolgsam fände,
Zermalmen. – Schon war er mir widerspenstig!
Um deinetwillen hab' ich ihm verziehn.
Der Mutter Sanftmut streicht oft Honigseim
Auf ein Gebot, das in der Väter Ernst
Gehüllt, der Weichlichkeit zu bitter scheint.
Entschließe dich! es bringt der Augenblick
Vielleicht den Priester uns zurück: dann ist's
Um uns geschehn! Qual, Angst und Tod,
Grab und Verwesung liegt bei Kron' und Reiche
Vor dir: was wählest du für dich, für mich,
Für den Aegisth?
PELOPIA.
Was die Vernunft gebeut ....
Doch, König, Herr! kann nicht ein anderer ...
ATREUS.
Nein, sag' ich, nein: warum nicht er? wer soll
Gehorsamer für meinen Willen sein
Als er? wem soll ich traun? – Verrätern?
PELOPIA.
Herr!
Ich fürchte nur ...
ATREUS.
Was? fürchtest du ihn mehr
Als mich! so fürchte stracks für ihn! Mein Arm
Hat Kraft genug, den Ungehorsam selbst
In ihm zu züchtigen. Der Donner brennt!
Im Augenblick ist er von dem Thyest
Auf den Aegisth gelenkt: das Blut, das nicht
Den Bruder schützt, schützt wahrlich nicht den Sohn;
Und ich ... ich schwöre dir beim Styx ...
PELOPIA.
Halt ein!
Was soll er tun?
ATREUS.
Gehorchen.
PELOPIA.
Wie? und wann?
ATREUS.
Im Augenblick. Sobald der Priester mich
Von hinnen führt .... (O Mord durch mein Gebein,[285]
Daß ich nicht des Triumphs in meiner Rache selbst
Genießen soll! G'nug Ruhm für den Aegisth,
Daß er von meiner Rach' ein Werkzeug wird!) –
Im Augenblick, sobald der Priester mich
Von hinnen führt, hin zu dem Tempel führt:
So stoß er dem Thyest den Dolch ins Herz!
Vergönnt es dem Aegisth die Zeit, den Tod
Ihm fühlbarer zu machen: ... Du verstehst
Mich g'nug! –
PELOPIA erschrocken.
Allein, wird nicht des Volkes Grimm,
Das schon im Aufruhr kocht; des Priesters Haß,
Wenn er die Mordgeschicht' erfährt ...
ATREUS.
Er komm'
In Tempel mit Geschrei und klag' es da
Im falschen Winseln uns, daß sich Thyest
Aus Furcht vor mir mit eigner Hand entleibte,
Daß er den Kopf im Kerker sich zerstieß,
Daß er sich selbst ... er sage, was er will!
PELOPIA.
Wird die Verstellung ihm wohl Kunst genug
Verleihn?
ATREUS.
So lehr es ihn! – Ha! Dein Geschlecht
Ist schon dazu gemacht. – Nicht mehr ein Wort! ...
Doch nein; den Leichnam scharr' er in den Sand
Und sag', er sei ihm unterwegs entflohn.
Ich sende dann schnell Boten durch das Land,
Ich setze Preis' auf seinen Kopf und schäum'
Und wüt' auf den Aegisth und schließ ihn auch
Zum Schein minutenlang in Kerker ein,
Den er mit meinem Thron vertauschen soll.
Ein solcher Schein befriedigt leicht das Volk:
Denn soll dies nicht in unsre Taten spähn,
So setze man die Räder der Maschine
In Gang und lehre sie nur tätig sein:
Sie läuft sich endlich stumpf und stehet still.
PELOPIA.
Doch des Orakels Spruch ...
ATREUS.
Fluch über dich[286]
Und des Orakels Spruch! Ich hab' ihn selbst
Enträtselt, ja, ich glaube: mein Entwurf
Ist ganz sein Sinn. »Es wäscht sein Blut das Blut
Der Kinder vom Altar, das Reich trennt nicht
Alsdann die Brüder mehr, die Pest entflieht!« ...
Da kömmt Aegisth. – Genug! o Königin,
Sei meiner Liebe wert! und liebst du ihn,
Ah! liebst du den Aegisth, so lehr ihn auch,
Der meinen wert zu sein. –
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