Dritter Auftritt

[75] Röschen. Hannchen.


HANNCHEN.

Je! mein liebes Röschen!

RÖSCHEN.

Ach! mein liebes Hannchen![75]

HANNCHEN. Eben suchte ich Dich bey Deiner Mutter: sie sagte, Du wärst hieher ins Holz gegangen, und da ich herkam, traf ich Deinen Töffel an, der nach der andern Seite zulief.

RÖSCHEN. Und auch ich, wollte zu Dir gehen! O wie freue ich mich, daß Du wieder hier bist! wie hab' ich um Dich geweint! – Nu, wie ist Dirs denn gegangen?

HANNCHEN. Schlimm, sehr schlimm! – Aber vor allen Dingen; ich höre, mein Christel ist nicht hier: ach! liebt er mich noch?


O! daß mich noch sein Herze liebte,

So, wie mein Herz ihn liebt!

Ich war es nicht, die ihn betrübte,

So sehr ich ihn betrübt.[76]

Die arme Turteltaube

Ward fremder List zum Raube:

Allem sie kömmt, zum Glück!

Noch ohne Schuld zurück.

RÖSCHEN. Ohne Schuld? gewiß, Hannchen? Sie wollens aber im Dorfe nicht glauben, und ich und meine Mutter, sind beynahe die einzigen –

HANNCHEN. Das habe ich gefürchtet. Freylich ist der Schein sehr wider mich. Bey einem vornehmen Herrn, wie der Graf von Schmetterling ist, vier Wochen eingesperrt zu seyn; bald den herrlichsten Versprechungen, bald den fürchterlichsten Drohungen ausgesetzt zu seyn, und doch seine Unschuld zu behaupten: das sieht freylich einem so armen Mädchen, wie ich bin, nicht ähnlich: und[77] doch ists wahr, mein liebes Röschen. Aber wird mir Christel glauben, wird er mich noch lieben?

RÖSCHEN. Je nu ja! das erste wird nun freylich ein bischen Mühe kosten: daß er Dich aber noch liebt: – O ja, bis zum Sterben! Er hat sich bald den Kopf um Dich weggerissen.

HANNCHEN. Der arme Christel! ich erkenne ihn an seiner Liebe. Zehnmal wollte ich das alles wieder leiden, was ich gelitten habe, wenn er nur nicht so gelitten hätte. Hassen sollte er mich, da ich ihm so viel Schmerzen gemacht habe!

RÖSCHEN. Ach geh' doch! hassen. Du sagst ja, daß Du unschuldig gewesen bist: nein, glaube mir, er muß Dich darum nur noch mehr lieben.[78]

HANNCHEN. Ach! er liebe mich nur, wie vorher! ich weiß, er würde es thun, wenn er wüßte, was für Versuchungen ich überwinden müssen! Ich wundre mich nun gar nicht mehr, warum die Leute in der Stadt und am Hofe so verderbt sind.

Man liebt die Bosheit nur,

Im prächtigen Gewande,

Schilt Einfalt und Natur,

Hält Frömmigkeit für Schande.

Fein betrügen,

Künstlich lügen,

Listig quälen,

Schlau bestehlen,

Nur wer das am besten kann,

Das nur ist ein großer Mann:

O! wie habe ich da wieder unser Dörfchen so lieb gewonnen: da nennt man doch ein Verbrechen bey seinem rechten Nahmen, und[79] kennt man den Thäter, so haßt man, und bestraft ihn.

RÖSCHEN. Ey, wenn das so zugeht, so mag ich nicht in die Stadt. Es gefiel mir sonst immer so wohl drinnen, wenn ich zum Jahrmarkte gieng, weil ich da so viele geputzte Leute sah: aber wenn in den geputzten Kleidern solche böse Leute stecken, so ist mir Töffel in seiner Baurenjacke lieber, als zehn gnädige Herren mit Golde verbrämt.

HANNCHEN. Ja wohl: Dein Töffel hat ein ehrliches Herz, und ich gönne Dir ihn, wenn er mir gleich vorhin ein bischen hart begegnet ist, da ich ihm meine Unschuld vorstellen, und um seine Vorbitte bey Christeln bitten wollte.[80]

RÖSCHEN. Das ist ein Schlingel! nun warte Du! ich will Dich schon wieder kriegen! Drey Tage lang will ich ihm Gesichter machen, wenn michs gleich etwas kosten wird.

HANNCHEN. Nein, Röschen! thu's immer nicht! Er meints so böse nicht. Wenn er Christeln weniger liebte, so würde er mich für weniger schuldig achten! aber er denkt –

RÖSCHEN. Ey, ich weiß wohl, was er denkt! Er denkt, was er sagt; daß Du mit dem Grafen darvon gelausen bist: und das soll der Schelm weder denken noch sagen.

HANNCHEN. Vergieb ihm immer! Er hat sich doch endlich bewegen lassen, einen Brief von mir, Christeln zu übergeben, und daraus sehe ich[81] doch, daß er ein mitleidiges Herz hat. Nur ein solches wieder zu finden, ist schon eine Freude. Beym Grafen hätt' ich blutige Thränen weinen mögen, und ich hätte ihn doch nicht erweicht! –

RÖSCHEN. Das muß doch garstges Volk seyn!

HANNCHEN. Und wie er war, so waren auch seine Bediente vom Großen bis zum Kleinen.

RÖSCHEN. Je, ja ja: daß kann man sich einbilden: wie der Herr, so der Knecht! – Aber sage mir nur: die Leute sprechen, daß unser König der frömmste, liebreichste Herr von der Welt ist, daß er durchaus keine Ungerechtigkeit weder an Großen noch Kleinen leiden kann: gleichwohl soll der Graf was bey Hofe gelten; je, ich dächte, wenn jener so gut, und der[82] so böse wäre, er hätte ihn lange zum Lande hinaus gejagt.

HANNCHEN. Freylich ist er der beste Herr von der Welt: aber wo glaubst Du wohl, daß er alle Menschen kennen soll? Er kann ja nicht jedem ins Herz sehen? Ich weiß gewiß, der Herr Graf, der zu Hause die Unschuld eines armen Mädchens durch alle Ränke zu verderben sucht, stellt sich beym König, als ob er die Unschuld selber wäre. Du glaubst nicht, was die Leute heucheln können!

RÖSCHEN. Aber nein! sage mir nur, wie bist Du denn dem bösen Menschen in die Hände gefallen?

HANNCHEN.


Romanze.


Als ich auf meiner Bleiche

Ein Stückgen Garn begoß:[83]

Da kam aus dem Gesträuche

Ein Mädchen athemlos;

Das sprach: ach, ach! Erbarmen!

Steht meinem Vater bey!

Dort schlug ein Fall dem Armen

Das linke Bein entzwey.

Mitleidig ach verweilte

Ich keinen Augenblick.

Ich lief ihr zu: da eilte

Sie ins Gebüsch zurück.

Kaum war ich drinn, so kamen

Zwey Reuter mit dem Schwerdt,

Ergriffen mich, und nahmen

Mich mit Gewalt aufs Pferd.

RÖSCHEN. Sollte mans denken! zwey Reuter! das sind gewiß ein paar Diener vom Grafen gewesen; je nu, schriest Du denn nicht? ich hätte Dir schreyen wollen –[84]

HANNCHEN.

So sehr ich schrie und weinte,

So ließ man mich nicht los,

Und bracht', eh ichs vermeinte,

Mich auf des Grafen Schloß;

Von da ward ich bald weiter

(Es war schon finstre Nacht)

Begleiter durch die Reuter

Ach. nach der Stadt gebracht!

RÖSCHEN. Vermuthlich doch in einer Kutsche? denn in der Stadt sind ja immer viel Leute auf der Gasse; denn sonst hätte ich wieder aus vollem Halse schreyen wollen.

HANNCHEN. Freylich, mein Kind! – Ich wurde in einen prächtigen großen Palast gebracht, und in ein schönes Zimmer.


Hier war der Graf. Mein Schreyen

Half nichts: durch jede Kunst[85]

Durch Drohn und Schmeicheleyen

Warb er um meine Gunst.

Doch ward mein Haß nur größer,

Und nun sperrt' er mich ein:

Und dieß gefiel mir besser,

Als seine Schmeicheleyn.

RÖSCHEN. Du armes Hannchen! eingesperrt hat er Dich? doch nicht bey Wasser und Brode?

HANNCHEN. Ja wohl, bey Wasser und Brode: doch auch Wasser und Brod schmeckten mir besser, als seine Leckereyn. Zum Glücke wieß mir der Himmel dadurch eine Gelegenheit, seiner Tyranney zu entkommen.


Mein Fenster gieng in Garten.

Heut' stand ich morgens früh,

Die Sonne zu erwarten,

Voll Kummer da, und sieh!

Das Pförtchen an der Mauer

Stand auf: gleich fiel mir ein,[86]

Ob gleich mit manchem Schauer,

Mich hurtig zu befreyn.

Gedacht und auch geschehen!

Das Fenster war nicht hoch:

Und, sicherer zu gehen

Nahm ich mein Bettchen noch:

Das warf ich schnell hinunter,

Ich sprang, und sprang nicht tief:

Worauf ich dann ganz munter

Auf, und von dannen lief.

RÖSCHEN. Zum Fenster hinunter? ach, das ist ja erschrecklich! nu, dem Himmel sey Dank, daß es so abgegangen!

HANNCHEN. Auch nicht ein Finger hat mir weh gethan. Das Pförtchen gieng aufs Feld; es war noch sehr dämmerig, und da man in der Stadt nicht so früh, als bey uns, aufsteht, so war ich gewiß einige Stunden schon[87] entfernet, ehe man mich nur drinnen vermißt hat.

RÖSCHEN. Schön! Schön! Nu, das wird einen Lärmen gegeben haben, wenn man die Betten unter dem Fenster, und das Nest leer gefunden hat. Aber nun, Hannchen, erzähle nur das alles so meinem Bruder Christeln: ich weiß gewiß, er wird Dich gleich wieder, so sehr als zuvor, lieb haben. Ich weiß ja, wie ichs mit Töffeln mache.


Ich habe Töffeln auf mich

So oft schon böse gesehn:

Doch bald besinnet er sich,

Laß ich den Brummbär nur gehn.

Dann schöckr' ich, ich lache,

Ich kützl' ihn, ich mache

Ein Affengesichet

Und hört er noch nicht:

So schlag ich tief die Augen nieder,[88]

Ich wein' ein Thränchen, häng den Kopf;

Gleich weint er mit, der arme Tropf,

Und bittet ab, und liebt mich wieder.

HANNCHEN. Ja ja, es ist auch mit Dir noch nicht so weit gekommen: aber ich habe auch Deine liebe Mutter von meiner Unschuld überzeugt, und ich denke doch, daß, wenn sie und Du –

RÖSCHEN. Stille! ich höre draußen ein Geräusche; es wird uns doch niemand behorchen? – ich will doch ein bischen hinausgucken. Sie geht in die Büsche.

HANNCHEN. O! daß mich nur niemand gewahr wird!

RÖSCHEN kömmt mit Freuden gelaufen. Ach! mein liebstes Hannchen! Christel, mein Bruder Christel! – er geht auf dem Fußsteige,[89] der gerade nach unserm Dörfchen führt! soll ich ihn rufen?

HANNCHEN. O ja! aber ich will mich erst verstecken. Ich muß hören, wie er gegen mich gesinnt ist, und es ist auch gut, wenn Du ihm erst etwas von meiner Unschuld sagst. – Indem sie sich im Busche zu verstecken sucht. Wie klopft mir mein armes Herz! Sage ihm ja nicht gleich, daß ich hier bin. Du kannst Dich sogar stellen, als ob Du einiges Mistrauen wider meine Unschuld hättest; desto besser werde ich hören, was er von mir denkt.

RÖSCHEN an der Scene. Christel! – Christel! – Christel! – Christel draußen, Wer ruft mich?[90]

RÖSCHEN. Ich, Deine Schwester, Röse! – – hier im Busche –


Quelle:
Johann Adam Hiller: Die Jagd. Leipzig 1770, S. 75-91.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon