Vierter Auftritt

[91] Röschen. Christel.


CHRISTEL. Je Röschen, Du hier?

RÖSCHEN. Und Du wieder daß mein lieber Christel! ach! Sie umarmt ihn. – Noch einmal, mein guter Christel! Ich bin so froh, so froh –

CHRISTEL. Und ich so traurig, so niedergeschlagen! – Alle Mühe ist umsonst!

Mein Hannchen war für mich allein

Auf dieser Welt geboren!

Doch Hannchen ist nun nicht mehr mein,

Sie ist für mich verloren!

Vergnügen oder Pracht,

Zwang oder Tyranney,[91]

List, oder Leichtsinn macht

Mir Hannchen ungetreu!

Gnug; Hannchen war für mich geboren!

Und ach! sie ist verloren!

RÖSCHEN. Je, sie wird auch nicht gleich verloren seyn! Hast Du denn nicht einmal erfahren können, wo sie steckt?

CHRISTEL. Ach! das habe ich alles erfahren: aber was hat mirs geholfen? Erst lief ich auf des Grafen von Schmetterling Gut: da steckte mir ein Gärtnergeselle, mein guter Freund, daß, da der Graf in der Stadt wäre, sie vermuthlich auch dort seyn würde.

RÖSCHEN. Und er wird auch wohl Recht gehabt haben?[92]

CHRISTEL. Ja, das mochte wohl seyn! Ich gieng zwey ganzer Tage ums Haus herum. Ich sah und hörte nichts: aber man hatte mich herumschleichen sehen, man hatte mich schmählen und ächzen hören: es währte nicht lange, so ließ mir der böse Graf sagen, ich sollte zur Stadt hinausgehn, sonst ließ er mich zu Tode prügeln, oder in ein Loch werfen, in dem ich das Tages Licht nicht wieder sollte zu sehn kriegen.

RÖSCHEN. Ah, wenn wir doch auch den Grafen einmal in die Kloppe kriegten! ich wollte ihm selber mit zum Dorfe hinausjagen –

CHRISTEL. Ich entschloß mich also, gerade zum König zu gehen. Ich dachte, du willst ihm einen Fußfall thun, und ihm deine Noth[93] klagen: denn wenn er so ein lieber Herr ist, wie man saget, so ist mir gewiß geholfen.

RÖSCHEN. Nu?

CHRISTEL. Ich kam ans Schloßthor, und wollte hinein. Die Wache fragte: Wohin? – zum Könige. – Da lachte man mich aus. Ich sagte, ich müßte durchaus mit ihm reden, und man drohte mir mit Flintenkolben. Ich fragte nach dem Officier, weil man doch immer denkt, daß Vornehme höflicher sind: aber er gab mir ein paar Stockschläge, that zehn erschreckliche Flüche, und redte von Ausprügeln, und von Aufhängen.

RÖSCHEN. Höre auf, lieber Christel! das Herz im Leibe thut mir weh! je mehr ich von der Stadt höre, desto häßlicher kömmt sie mir vor. Pfuy![94]

CHRISTEL. Dem ungeachtet hätte mich in der Welt nichts abgehalten. Ich hätte den König sehen und sprechen müssen, und hätte ich ihm auf der Gasse aufpassen sollen: aber ach! ein Brief – – ein Brief von Hannchen – –

RÖSCHEN. Also hast Du schon einen Brief von Hannchen?

CHRISTEL. Ja wohl! einen Brief, worinnen mir die Treulose sagt, daß sie mich nicht mehr liebt.

RÖSCHEN. Dich nicht mehr liebt? Ach geh doch, Christel: Du spaßest!

CHRISTEL lebhaft. Nein, nein, nein, nein, sage ich Dir: Sie hat mir geschrieben, daß sie mich[95] nicht mehr liebt: – – Ach! Hannchen – Hannchen liebt mich nicht mehr? denke nur!


Wie schön war sie!

So schön kann nie

Die Flur im Lenze prangen,

Wie Rosen schien

Ihr Mund zu blühn,

Wie Pfirschen ihre Wangen!

Wie Schlehen war

Ihr Aug' und Haar,


Ihr Hals weiß, wie Caninchen:

Sie war so zahm,

Als wie ein Lamm,

Und fleißig, wie ein Bienchen.

Sie war dabey,

Gefällig, treu,

Mild, wie die reifste Traube:

Rein, wie der Schnee,

Schnell, wie ein Reh,

Und zärtlich, wie die Taube.

Und ach! diese liebt mich nicht mehr![96]

RÖSCHEN. Ich kann Dir nicht glauben, Christel; sie liebt Dich gewiß noch.

CHRISTEL außer sich. Nein, nein, sag ich Dir nochmals – aber ich vermehre nur meinen Schmerz, wenn ich von ihr rede. Ich will sie auf ewig vergessen; nichts mehr von ihr wissen, nichts mehr von ihr hören, sie nicht mehr sehen, und wenn sie gleich –

RÖSCHEN. Ey! wie gut! daß sie gegangen ist! sie war eben hier.

CHRISTEL mit vieler Lebhaftigkeit. Sie war hier? Sie war hier? Hannchen war hier?

RÖSCHEN. Ja, ja, was ich Dir sage. Sie war hier, sie erzählte mir vielerley von ihrem Unglücke.[97] Sie sagte, sie wäre unschuldig, sie liebte Dich noch: sie könnte es beweisen: und hat sogar Töffeln einen Brief für Dich gegeben.

CHRISTEL. Ach geschwind! wo ist Töffel? geschwind! Er will fort.

RÖSCHEN. Warte doch, Christel! ich habe den Brief Töffeln abgenommen! –

CHRISTEL. Nu, wo hast Du ihn? geschwind her! geschwind!

RÖSCHEN. Je nun, da ist er: – Aber Christel! da Du von ihr nichts mehr hören und sehen willst, und da ich gewiß glaube, daß sie uns nur so etwas weiß machen will, so dächte ich –

CHRISTEL reißt ihn ihr aus der Hand. Nur her! nur her! ich glaube Dirs freylich, Röschen; aber – ich soll und muß[98] ihn lesen: Christel liest ihn mit bebender Stimme, und mit zitternden Händen.

Montags früh vor Tage.


»Glaube es ja nicht, mein lieber Christel, wenn Du etwa den schändlichen Brief erhältst, den ich Dir habe schreiben müssen. Der Kammerdiener des Grafen, hat mich darzu gezwungen. Er sagte, Du wärst in der Stadt, und es sollte Dir entsetzlich ergehen, wo ich Dir nicht schriebe. Hingegen versprach er mir Freyheit, wenn ich ihm folgte. Darauf allein entschloß ich mich: denn ich denke, wenn ich mehr Freyheit habe, so kann ich mich vielleicht durch die Flucht retten. Ich scheue keine Gefahr, und wollte lieber sterben, als Dich nicht mehr lieben. Ich schreibe Dir, ohne zu wissen, wie ich Dir den Brief überschicken soll. Vielleicht weißt mir der Himmel[99] einen Weg. Ich liebe Dich, wie allezeit, und werde auch keinen andern lieben – Aber ich sehe das Pförtchen im Garten offen – – mein Fenster ist so gar hoch nicht – – es sey gewagt!«

Ach, Himmel! Hannchen zum Fenster hinunter? – o wenn sie sich nur nicht Schaden gethan hat!

RÖSCHEN. Je, ich habe sie ja gesehen, und mit ihr geredt!

CHRISTEL. Je nu, wo ist sie denn? wo such' ich sie denn? Wo find' ich sie denn?

RÖSCHEN. Du wirst nicht – die Worte klingen gar fein, aber wenn nun der Herr Graf an dem Briefe geholfen hätte?[100]

CHRISTEL. Wie? was sagst Du? nimmermehr! warum wäre sie denn hier?

RÖSCHEN. Ja, Töffel sagte: der Graf könnte sie auch wohl gar wieder nach ihrem Dörfchen zurücke geschickt haben: und nun da sie sähe –

CHRISTEL. Böses, häßliches. Mädchen! ich bin Dir gram, so gram –

RÖSCHEN. Je, nun siehst Du? Vier ganzer Wochen ist sie doch beym Grafen gewesen. Wie? wenn sie nun –

CHRISTEL. Ich schlage Dich noch: – Er sinnt nach. gleichwohl – – Ach! liebe Schwester! Nein, sage mir lieber, daß sie unschuldig ist![101] Nein, nimmermehr kann Hannchen eine solche Treulosigkeit –


Quelle:
Johann Adam Hiller: Die Jagd. Leipzig 1770, S. 91-102.
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