An die Muse

[4] Scherzhafte Muse, meine Freude,

Die in zufriedner Einsamkeit

Mich oft, entfernt vom Stolz und Neide,

Mehr, als ein lautes Glück erfreut:

Laß dich in Auen, Büschen, Gründen,

Wo ich dich suche, liebreich finden,

Und lächle Heiterkeit und Ruh

Den freyen Nebenstunden zu.
[5]

Ich will nicht Helden ewig singen,

Noch mich durch sie zur Ewigkeit:

Mein Lied soll nicht von Waffen klingen;

Die Muse bebt vor Blut und Streit.

Hier, unter Oel–und Lorberbäumen

Soll sie von Fried und Freuden träumen:

Den schönsten Mädchen, besten Wein

Und liebsten Freunden heilig seyn.


Die Scherze sollen sie begleiten,

Von süßer Unschuld sanft regiert:

Sie lasse keinen von der Seiten,

Wenn ihn der Jugend Witz verführt!

Ihn, solt ihr einer ja entfliehen,

Soll gleich der Ernst zurücke ziehen;

Er leg ihm Blumenfesseln an,

Daß er nicht mehr entwischen kann.
[6]

Wohlan! so sing in süßen Tönen

Dein junges anmuthsvolles Lied!

Und wird dich gleich kein Lorbeer krönen,

Der für die Heldendichter blüht:

Der Beyfall, den dir Freunde senden,

Ein Veilchen aus Selindens Händen,

Der Chloe Lächeln, wenn sie liest;

Sprich, was dir wünschenswerther ist?

Quelle:
Christian Felix Weiße: Scherzhafte Lieder, Leipzig 1758, S. 4-7.
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