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[31] Waisenplag, Vorige.
MEPHISTOPHELES. Hier kömmt Waisenplag. Er war einst ein armer Bogenschreiber. Er nährte sich mit Mühe. Durch dich ward er ein berufener Anwald. Ich gab ihm auf deinen Befehl die tiefsten Einsichten der Rechte, und ein glänzende Wohlredenheit. Wir wollen sehen, wie er diese Gaben zu nützen weiß. Ich gebe dir die Gestalt eines Edelmannes dessen Sachwalter er ist.
WAISENPLAG. Ha, sind sie hier? Ich habe ihren Prozeß reif überwogen. Sie haben die ungerechteste Sache; aber danken sie dem Himmel, sie haben auch den geschicktesten Anwald. Können sie falsch schwören? – Seltsamme Frage, verzeihen sie mir diesen jungferlichen Zweifel. Man giebt dem Schwure zweydeutige Worte, und denkt[31] anders als man spricht. Das ist also auseinander gesetzt. Hahaha, ihr Schuldner soll mit sechzig Jahre warten, wenn es auch auf das Aeusserste kömmt. Ich bin der Mann für sie. Ich bin im Stande, scharssinnig zu beweisen daß schwarz weiß, und weiß schwarz ist. Ich kann jeden an Galgen reden, und gleich wieder durch meine Beredsamkeit vom Rad herabsteigen heissen. Es kostet Arbeit, bis man es in der Kunst soweit bringt. Ich will ihnen nur ein anmuthiges Beyspielchen erzählen. Graf Sorgenlos starb. Er ward vielen Kaufleuten schuldig, Er hatte Pupillen erbschaften und Wittwengelder eingezogen; alles foderte von dem Erben. Dieser wendet sich an mich. Ich ziehe die Sache in die Länge; ich ermüde die Schuldner, sie sterben vor Hunger und Noth. Nach zehen Jahren war die Sache noch so weit als im ersten Tage. Endlich nimmt sich eine Staatsperücke um den Prozeß an. Man dringt auf den Schluß der Sache. Ich erweise nach den Gesetzen, daß der Graf nicht volljährig war, als er die Schulden gemacht hatte. Ich finde noch andere seine Kunstgriffe, und der Handel war zum Vortheil des Erben entschieden.
FAUST. Verwünschter Rabulist! Geh, eil, vergifte nicht länger durch deine Gegenwart meine Wohnung. Ich habe dich unterstützt; aber verflucht sey meine Wohlthat![32]
WAISENPLAG. Ich muß vor Gericht. Leben Sie wohl. Sie sind zu gewissenhaft. Geht ab.
FAUST. Die Menschen sind wie Spinnen, aus eben dem Saft, aus welchem die Biene Honig macht, zeugen sie Gift. Mein Herz unterliegt itzt ganz seinen Sorgen.
MEPHISTOPHELES. Du verdienst es. Warum hörst du nicht meinen Roth. Verbanne alle Sorgen. Sey munter, und sey mein Freund. Hör niemand als mich. Ich will alles hervorsuchen dich zuergötzen; Hahaha –
FAUST. Worüber lachst du?
MEPHISTOPHELES. Sieh einmal hinab über das Fenster. Dort trägt man die Leiche eines Kindes.
FAUST. Ich sehe auch einen Greisen, der in Thränen zerfliest.
MEPHISTOPHELES. Er weint, weil er glaubt er sey Vater dieses Kindes; aber seine Frau hat es nur unterschoben, damit sie sein Vermögen erben kann, welches ihr sonst die Freunde rauben würden. Wie der alberne Greis weint. Hahaha!
FAUST. Wer ist der Jüngling, der dort dem Alten so zärtlich die Hände küst.
MEPHISTOPHELES. Es ist der Neffe, der von seinem Onkel fünfzig tausend Gulden erwartet. Er wünscht ihm eben mit dem Munde graue Nestors Jahre, und im Herzen eine wohlthätige Lungensucht, damit er bald erben kann.
FAUST. Wer kömmt denn dort so wütend daher?[33]
MEPHISTOPHELES. Das elendeste Geschöpf auf Erden. Ein Spieler, der Tag und Nacht an einen Sessel angeleimet ist, um das Bergnügen zu haben, sein Geld zu verlieren. Er flucht eben über das Spiel, und wird gleich wieder spielen, sobald er Geld ausgeborgt hat.
FAUST. Nichts kann mich zerstreuen. – He, Wagner!
Ausgewählte Ausgaben von
Johann Faust
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