Erster Auftritt.

[35] Ithuriel, Theod., Elisabeth.

Es ist im Saal eine prächtige Tafel gedeckt.


THEODOR. So ist es denn wahr, daß ich hier meinen Sohn finde?

ITHURIEL. Du sollst ihn finden, Greis.

ELISABETH. O ich werde ihn wieder sehen![35]

ITHURIEL. Ihr werdet ihn wieder finden; aber eure Freude wird kurz seyn.

THEODOR. Schämt er sich unser? Gott, das würde mir ein Schmerz seyn.

ITHURIEL. Ihr habt vielmehr Ursach, euch seiner zu schämen; aber die ehrliche Armuth ist in den Augen des reichen Lasters ein Gräuel.

THEODOR. Wodurch hat er seine Schätze erworben?

ITHURIEL. Mit Schande!

ELISABETH. Theodor, unser Sohn! – Ach, ich fühle mein mütterliches Herz ist ganz durchbohrt.

THEODOR. Elender Vater, der ich bin! Ich habe mein weniges Vermögen angewandt, diesen einzigen Sohn zu bilden. Itzt sind alle meine Hofnungen hin. Grosser Gott, hättest du mir lieber diesen ungerathenen Sohn geraubt, als daß ich an ihm itzt einen Bösewicht finden soll. O Mutter, was hast du mir für einen Sohn gegeben!

ELISABETH. Vater, mach mir keine Vorwürfe. Habe Mitleid mit meinen Schmerzen.

THEODOR. Siehst du Mutter, so geht es, wenn die Eltern zu grosse Aussichten mit ihren Kindern haben. Wär er beym Pfluge geblieben; so wär er itzt vielleicht ein ehrlicher Bauer, und sässe mit Tugend in seiner Schaubhütte: aber ihr Weiber wollt eure Kinder groß sehen. Ich that mein Möglichstes; ich schickte ihn auf die beste Schule; da ist unser Lohn![36]

ITHURIEL. Ihr ehrlichen Leute, macht euch keine Vorwürfe. Ihr verdienet mein Mitleid. Hört, euer Sohn ist in gröster Gefahr. Mehr sag ich euch nicht. Ihr könnt ihn noch retten. Beide fallen ihn zu Füssen.

THEODOR. Bester Freund, sag an! was sollen wir thun?

ELISABETH. O ich beschwöre dich mein junger Herr!

ITHURIEL. Ihr rühret mich. Geht, sucht euren Sohn zu bereden, alles zu verlassen, und euch zu folgen. In der tugendhaften Armuth will ich ihn euch wieder schenken. Sein Herz ist noch nicht ganz verderbt. Ich finde noch schwache Keime von einer Tugend in ihm. Ich will diese Funken anfachen, und sie sollen das edelste Feuer hervorbringen. Geht, erwartet mich im Vorgemach. Wenn ich euch rufe, so kommt. Eure Ankunft muß ihn überraschen. Sagt niemand, wer ihr seyd.

THEODOR. Lieber Herr, was sollen wir unserm Sohne sagen? Er wird uns nicht mehr anhören, weil er so vornehm ist. Wir Leute auf dem Lande sind nicht so beredt als die Städter.

ELISABETH. Auf dem Lande ist man ehrlich; aber nicht weise.

ITHURIEL. Der Himmel segnet euer gerechtes Unternehmen. Traut auf ihn, und eure Zunge wird Wohlredenheit des Herzens haben. Geht, betet, denn die Erleuchtung kömmt von oben herab. Enfernet euch itzt. Gleich bin ich wieder[37] bey euch. Ich werde euch in allem unterrichten.

ELISABETH. Ich küsse dir die Hand, mein bester Freund.

THEODOR. So jung, und soviel Verstand! Jüngling, du setzest mich in Erstaunung. Wer bist du?

ITHURIEL. Ein Freund eures Sohnes.

THEODOR. O wenn mein Sohn noch solche Freunde hat; so habe ich noch gute Hofnung. Warum bist du sein Freund?

ITHURIEL. Aus Mitleid.

ELISABETH. O so sey auch unser Freund, seys aus Mitleid!

ITHURIEL. Ich bin es, und was noch mehr ist, ihr verdient es. Eure Redlichkeit ist die Zierde der Erde, und ein Wohlgeruch im Himmel. Gehen ab.


Quelle:
Weidmann, Paul: Johann Faust. Ein allegorisches Drama von fünf Aufzügen, Prag 1775, S. 35-38.
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