Zweyter Auftritt.

[38] Ithuriel, Mephistopheles.


MEPHISTOPHELES. Wie, bist du noch in diesen irdischen Gemächern?

ITHURIEL. Ich bin überall, wo ich kostbare Seelen retten kann.

MEPHISTOPHELES. Du arbeitest fleißig. Gieb Rechenschaft von deinem Tagwerke! Was hast du zu Stande gebracht?

ITHURIEL. Dein Sklave wankt.[38]

MEPHISTOPHELES. Ist dieß alles? Laß ihn wanken, ich weis ihn doch auf meiner Seite zuerhalten.

ITHURIEL. Die Schwäche des Menschen hilft dir. Sein eigne Hang führt ihn zur Wollust, und fässelt ihn an die Erde. Du hast nichts zu thun als seiner Leidenschaft zu schmäucheln; aber ich muß ihn von allem losreissen, ich muß seine entartetete Natur bekämpfen. Sieh Elender, welch ein Unterschied!

MEPHISTOPHELES. Und dieses schwache elende Geschöpf, der Mensch ist der Liebling jenes, der uns erhabneste Geister verworfen hat.

ITHURIEL. Sieh Aufrührer, das ist dein unzeitiges Hohngelächter. Warum zerstörst du die weise Ordnung der Dinge? Soll der Mensch ein Engel, und der Engel ein Gott seyn? Verworfener, der du die Narben des Donners. Trägst, blick auf, und lerne. Engel, die aus Stolz Götter seyn wollten, wurden Teufel, und Menschen, die aus ihrer Sphäre sich heben würden, wären Rebeilen!

MEPHISTOPHELES. Die Menschen waren Rebellen, und sind es täglich. Sie treten mit frecher Stirne die Gesetze unsers Feindes zu Boden; aber dieser Schöpfer, der uns wegen einem edlen, erhabnen Gedanken verworfen hat, verlischt hier seine Donner, verzeiht gerne seinen Lieblingen, trägt Mitleid mit ihrer Schwäche, erniedert sich so gar von seiner Grösse, verläst seinen ruhigen Himmel, steigt auf die Erde herab, und empfängt von[39] Günstlingen zum Lohn seinen übertriebnen Güte den schändlichsten Tod. Wo ist seine gepriesene Gerechtigkeit?

ITHURIEL. Sieh allwissender Geist, da verliert sich deine Weisheit. Deine Fässel haben deinen Verstand zur Hölle, tief zur Hölle, hinabgebeugt. Er kann sich zu so hohen Geheimnißen nicht mehr aufschwingen. Das ist euer Fluch. Uns Engeln ist es aufbewahrt, in die tiefste göttliche Weisheit einzudringen. Wir finden den schönen Zusammenhang seiner ewigen Schöpfung. Wir preisen seine unendliche Gerechtigkeit. Sieh elender Aufwiegler, die Spanne deiner Erkenntniß kann solche Dinge nicht mehr fassen. Wandle fort im Nebel. Kehr bald wie der in dein Nichts, woraus dich jener, den du hassest, gezogen hat!

MEPHISTOPHELES. Du irrest dich sehr, wenn du unsere Weisheit einschränkest.

ITHURIEL. Wohlan Allmächtiger geh, zeig mir deine Macht, und ich falle vor dir nieder, und bete dich an.

MEPHISTOPHELES. Du höhnest mich?

ITHURIEL. Wie es dein. Stolz verdienet! Sag mir Verwägner, wann hat Gott seinen Anfang genommen? Wer ordnet seine Entschliessungen? Wer hat ihm den Plan seiner Schöpfung vorgezeichnet? Bist dus? Wohlan so komm, und lehre mich! Wann hast du aus einem Chaos diese Welt bereitet? Wann hast du den Donner gebildet?[40] Wann heißest du die Sonne, den Mond, und die Sterne leuchten? Eil führ mich durch Jahrhunderte; öfne mir den Abgrund der Ewigkeit; zeig mir die ganze Reihe zukünftiger Dinge, du bist ja ein Prophet, du hast deine Orackel; was zauderst du? Du überlegest? Fühlst du etwa deine Schwäche? Ohnmächtiger, bist du beschämt, zu Boden geworfen, vernichtet? Geh, Vertilgter, eil sättige deine höllische Rache. Diese Macht ist dir noch gelassen. Verführ die Menschen; sey ein Löwe, laure in der Finsterniß auf Beute; wirf eine Handvoll Menschenblut gegen den Himmel, und verzweifle! Geht ab.


Quelle:
Weidmann, Paul: Johann Faust. Ein allegorisches Drama von fünf Aufzügen, Prag 1775, S. 38-41.
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