Dritter Auffzug.


[77] Wentzel, Rudolf, Poto, Sbinko, Landstände auffs Königs Seite. Hinko, des Königes Inspector.


RUDOLF. Ich habe meine Jugend offt müssen verspotten lassen / nun kommen sie doch / und lassen die Exempel selbst reden / wenn meine Sprache zu verächtlich ist. Wie dieser Bettelbube numehr alle viere von sich streckt / so würde unser König in eben dieser Positur liegen / wenn sich das Glücke nicht EXTRAORDINAIR wunderlich gefüget hätte.

POTO. Wie reimt sich aber des Bettlers Kranckheit mit dem Könige?

RUDOLF. Darum / weil er etwas gessen hat / das vor dem König gebacken war.

SBINKO. Einem Bettler / der ein unordentlich Leben führt / kan auch das Beste CONFECT zu Giffte werden.[77]

RUDOLF. Wo wir an allen Dingen so verächtlich zweifeln wolten / so liegt der König zu Boden / ehe wir an eine Vorsorge gedencken. Ist das nicht genung / der König kriegt von der Frau Mutter CONFECT, er giebt es aus Mittleiden dem Bettler / und nun überfallt dem armen Menschen eine tödtliche Kranckheit. Nun frage ich / welches ist besser / wenn man im Argwohne zu geschwinde / oder wenn man zu langsam ist?

POTO. Liebster Herr Grafe / gefährliche Sachen lassen sich langsam gläuben / es scheinet doch / als wenn wir bey dieser Ungewißheit nicht allerdings dürfften stille sitzen.

SBINKO. Ich habe den Liebhaber der Königin vielmahl entschuldiget / doch je mehr ich diesem Exempel nachdencke / desto mehr muß ich mich der vorigen Einfalt schämen.

POTO. Es ist wahr / wenn eine Mutter auff neue Liebe dencket / so ist gemeiniglich die Liebe von der andern Ehe verschwunden.

SBINKO. Doch was Rath? wo die verliebte Parthey mit falschen Grieffen umgehet / so dürffen wir uns wenig Personen vertrauen.

POTO. Wir haben Freunde gnung / die es neben uns ausführen sollen / der König muß sich an einem sichern Ort begeben / und gleich über Halß über Kopff / den Weg zu dieser Stadt hinaus suchen.

SBINKO. Die Verrätherey kan ihm nachfolgen.

POTO. Der Himmel hat schon gewiesen / daß ihm an des Königes Person was gelegen sey / und daß die verfluchten Meuchel-Mörder sollen zu schanden werden.[78] Seht Herr HINKO, der junge König ist euch einmahl anvertraut / auff euer Gewissen wird er nochmahls hingegeben. Nehmt den nechsten Weg auff das Gebürge zu / da versteckt euch mit dem Könige / biß den Widersachern die Grausamkeit verboten wird.

SBINKO. Gedenckt / daß ihr die Wohlfarth des gantzen Königreichs in euer Verwahrung habt / und das euch im widrigen Falle der Fluch des gantzen Königreichs treffen würde.

HINKO. Ich will mir gerne befehlen lasen / denn wo die Königin beleidiget wird / so muß sie dero AUTORItät beschützen.

POTO. Doch wird sich der liebe Herr auch zu einer solchen Veränderung RESOLVIren können?

SBINKO. Und wird er auch gerne wollen verborgen seyn?

RUDOLF. Ich nehme es auff mich / der liebe König hat nicht achtung drauff gegeben / was wir reden / doch von mir soll er die beste Nachricht bekommen.

HINKO. So werde ich doch eine halbe Stunde Zeit haben alle Sachen darnach anzustellen?

POTO. Was? wer in solchen Anschlägen zu langsam ist / der findet Gelegenheit zur Verrätherey: gleich diesen Augenblick muß der Auffbruch geschehen / unsere Wagen können alsobald fort / unter dem Zetten solt ihr eine Reise-Lade mit Gelde nachbekommen.

HINKO. Ich muß mich betrüben / daß mir die Sache zur Verrätherey soll ausgeleget werden: Was ist natürlicher / als wenn ein INSPECTOR meines gleichen auff Mittel denckt /[79] wie ein solcher Herr bey seiner Flucht möchte versorget werden?

SBINKO. Wir sind Land-Stände / wir haben an die Versorgung des Landes zu gedencken / ihr habt nichts mehr zu thun / als daß ihr seine geheiligte Person in acht nehmt.

HINKO. So hab ich auch nicht die Freyheit mein CABINET ordentlich zu verschliessen?

POTO. Ich dachte bey der Hauß-Jungfer Abschied zu nehmen. Die Gefahr ist zu groß / die Widersacher sind zu grausam / auch ein Augenblick / der über die Zeit verzogen wird / kan uns schädlich seyn.

HINKO. Itzo besinne ich mich / auff den kleinen zukünfftigen Herr PATER, und auff den lustigen Bedienten / den wird der Herr König nicht gerne wollen zurücke lassen.

SBINKO. Die sollen auch ohne eure Erinnerung zu euch geschafft werden. Nur fort / schaffet daß ihr aus Prage kommet / ehe die Leute nach euch fragen können.

HINKO. So will ich auch mit meiner Geschwindigkeit beweisen / daß ich mich keiner Untreu darff beschuldigen lassen.

POTO. Doch gnädigster Herr König wie so in tieffen Gedancken?

WENTZEL. Ich dencke an den Bettel-Jungen.

POTO. Und ich gedachte an eine Spatzier-Reise.

WENTZEL. Was hilfft michs / wenn ich nicht dabey bin?[80]

POTO. Ich gedencke an eine Spatzier-Reise vor dem König.

WENTZEL. Und auch vor die Frau Mutter?

POTO. Ja sie wird auch folgen.

WENTZEL. Warum geht es so geschwinde zu?

POTO. Es ist ein güldner Vogel / der kömmt alle 500. Jahr einmahl in Böhmen / der ist gleich im Busche / wer heute nicht kömmt / der möchte sich morgen zu langsam einstellen / wenn der Vogel wieder weggeflogen ist.

WENTZEL. Ey das ist stattlich / wenn ich etliche Federn davon hätte?

POTO. Die wollen wir schon bekommen / nur / daß die Reise fein hurtig von statten geht: wer am ersten da ist / der kan ihm die meisten Federn aus dem Schwantze reissen / und darnach haben sie der Königlichen Frau Mutter was neues zu verehren.

WENTZEL. Nun es geht auff den güldenen Vogel loß / grüst die Frau Mutter / und sprecht / ich will ein Dutzent güldne Federn vor sie auffheben.

SBINKO. Aber mein Herr Grafe / es bleibt bey der Abrede / daß er dem jungen Könige bey Gelegenheit das Verständniß eröffnet / wir wissen selbst nicht / wie weit wir dem INSPECTOR trauen sollen.

RUDOLF. Sie haben sich auff mich zu verlassen / sie leben unterdessen gesegnet / und lassen des Königes Wohlfahrt ihre höchste Freude seyn. Geht mit dem Könige und Hinko ab.

POTO. Ach soll dieses eine Mutter heissen / da sich ein rechtmäßiger König vor ihrer List verbergen muß![81]

SBINKO. Ich fürchte / sie wird noch einmahl so grausam seyn / nachdem ihr das unschuldige Kind aus den Klauen gerissen ist.

POTO. So lange sie den König nicht erreichen kan / so mag ihr die Grausamkeit wohl gegönnet werden. Doch wolan wir müssen bey der Königin um AUDIENZ anhalten lassen: die gestrige Gefahr des jungen Königes giebt uns schon Anlaß zur GRATULATION.

SBINKO. Es ist wohl ausgesonnen / vielleicht giebt es Gelegenheit etwas tieffer in ihre Gedancken zu PENETRIren.


Quelle:
Christian Weise: Sämtliche Werke. Berlin und New York 1971 ff., S. 77-82.
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