Geliebter Leser!

[2] Daß nunmehr diese überflüssige Gedancken noch einmahl ihr Glücke, oder daß ich besser rede, ihr Unglücke in der Welt versuchen wollen, solches hat der Autor nicht verlanget, und gleichwohl nicht verhindern können. Immittelst weil ich als ein Unbekandter genöthiget werde an dessen Stelle zu tretten, und diese neue Edition mit einer neuen Vorrede zubekleiden, so werde ich die Freyheit haben, nicht so wohl auß schuldiger Freundschafft, alß auß Liebe zu der Wahrheit, gegenwärtige Gedancken zuentschuldigen. Es mag seyn, daß jemand den Titul nicht recht verstanden, und dahero von dem gantzen Wesen ein ungleiches Urtheil gefasset hat. Denn freylich wer diese Gedancken in solcher Meynung wolte überflüssig nennen, wie etwan dort ῥήματα πονηρά zuverstehen sind, der müste seinen Eyffer nit überflüssig haben, wenn er solchen allhier versparen wolte: Allein es wird verhoffentlich noch ein gnädiger und besser Verstandt zurück seyn. Uberflüssige Gedancken heissen solche Gedancken, die man bey müssigen Nebenstunden als einen zulässigen Zeitvertreib zuführen pflegt. Denn weil man Krafft seines obliegenden Ambts an dergleichen Neben-Werck nicht gebunden ist, und ein ander bey seinen Verrichtungen eben so weit kommt, der sich solcher Gedancken eussert; Als geschicht es nur zum Uberfluß, und gleichsamb zur Zugabe, wie bißweilen ein Gastwirth seinen Gästen ohne Noth auß einer überflüssigen Liberalität etliche Kannen Wein frey passiren lässet. Parergon heisset nicht ein böses Werck, sondern ein Werck, welches zum Uberfluß neben der ordentlichen Arbeit getrieben wird. Und wo würden die Auctores Horarum Subsecivarum, Dierum Canicularium, Dierum Genialium, und andere, welche ihre Arbeit Otium genennt, zurechte kommen, wenn man nichts überflüssiges vornehmen dürffte. Gellius wäre mit seinen Noctibus Atticis längst unter die Wercke der Finsterniß gezehlet, und in den Indicem librorum prohibitorum gesetzet worden.

Nun wird zwar jemand einwenden, der gedachten[3] Scribenten Uberfluß wäre gleichwol der Welt etwas nützer gewesen, als wenn etliche abgeschmackte Lieder, nicht anders als auß einer klingenden Schelle außgelassen würden. Doch der Unterscheid bestehet hierinnen, daß jene des Männlichen Alters, diese aber der grünen Jugendt überflüssige Gedancken sind: Und wie eine jegliche Zeit ihre eigene Ergötzlichkeit hat, wie man auch nicht eher thut als ein Mann; als wenn der Bart dem Gesichte eine saure Mine abfordert; also würde sich die Jugend über dem Zeitvertreib schlecht zu erfreuen haben, welche sich von ihrer Inclination allzuweit absondern wolte.

Und wer kan leugnen, daß dergleichen Ubungen so gar ohne Nutzen verrichtet werden? Ist es nothwendig, daß ein junger Mensch in Poetischen und Oratorischen Sachen auffgemuntert, und zur recommendation der andern Gelehrsamkeit an lustige und angenehme Inventiones gewiesen wird; so wil ich hoffen, es solte nicht allein das junge Volck hierinn zu loben seyn, sondern ein sorgfältiger Informator solte auch dahin trachten, wie er seinen Untergebenen dergleichen überflüssige Gedancken einflössen möchte, darüber sie andere überflüssige Wercke, als Spielen, Sauffen, müssig gehen, vergessen könten.

Ich halte auch nicht, daß jemahls ein Mann durch liebliche Worte berühmt worden, der in seiner Jugend allen Uberfluß in solchem Stücke verachtet hat. Inmassen die blossen Schul-Materien nicht genug sind ein stattliches Ingenium zu excitiren, wenn es nit auß eigenem Antrieb seinen Fleiß etwas höher führen soll. Legen doch die Hühner viel lieber in das Nest, das sie selbst erwehlet haben, als welches von einer ungedultigen Käse-Mutter ist angeleget worden.

Nun ist es wol an dem, daß lauter Liebes-Sachen darinn enthalten sind, welche dem Ansehen nach bey jungen Leuthen viel Aergerniß anrichten können, und wird dergestalt jemand denen Uberflüssigen Gedancken denselben Titul zulegen, welchen der Frantzösische Pontus de Thyard seinen Sonnetten gegeben hat, daß er sie Erreurs Amoureuses, verliebte Irrthümer nennt. Doch es sey so, sie möchten Errores Iuveniles heissen, so würde auch dieser[4] Irrthumb nicht allzu verdammlich seyn. Denn es wäre nicht ein Error vitii, sondern ein Error imprudentiæ. Wenn ein Kind auff dem Stecken reitet, so ist es ein Error infantiæ: Wenn ein Knabe mit Bohnen spielet, oder die Mücke fliegen läßt, so ist es ein Error pueritiæ: Denn wenn sie so klug wären als alte Leuthe, würden sie an dergleichen Lumpen-Possen keine Vergnügung haben. Unterdessen begehen sie keine Sünde, oder zum wenigsten wird diese That præcisè nicht als ein boßhafftiges und unrechtmässiges Wesen zu verdammen, oder wohl gar zu bestraffen seyn. Weil nun die Jugend der Natur noch etliche Thorheiten schuldig ist, so wird eine solche Poetische Steckenreuterey als ein Error Juvenilis umb so viel desto mehr zu entschuldigen seyn, jemehr das nachfolgende Alter die Eitelkeit selbst zu verlachen, und durch anständige Gedancken zu verbessern pfleget.

Gesetzt auch, es wären lauter Liebes-Sachen darinn (wiewol ich bald den falschen Concept benehmen werde,) so ist es ja nicht ein schelmisches Ding umb die Liebe, daß man nicht daran gedencken dürffte. Denn daß ärgerliche Sau-Possen nicht geduldet werden, da ist freylich der Jugend daran gelegen. Aber wenn niemand an die Liebe gedencken solte, wo wür den so viel tausend Præceptores mit ihrem Terentio bleiben, welcher in dem eintzigen Eunucho mehr unziemliche Händel vorstellet, als in den gantzen überflüssigen Gedancken zu lesen sind. Denn ich wil itzo vom Ovidio, Martiali und andern nichts sagen, welche der Jugendt ohne alle Widerrede in den Händen gelassen werden. Uber dieses dürfte auch kein Hochzeit-Carmen in öffentlichen Druck herauß kommen, auß grosser Beysorge, es möchte ein junges Blut hiedurch zu bösen Gedancken, oder zu einem scandalo accepto veranlasset werden. Und es ist nicht zu leugnen, daß eben in diesem Buche etliche Lieder solche Personen betreffen, welche sich zu einer ehrlichen Liebe verbunden, auch in nachfolgender Zeit die glückliche Vollziehung befördert haben.

Doch was gehet die Liebe so groß diese Verse an, indem selbige mehr zu einer annemlichen Allegorie, als zu den Gedancken selbst cooperirt hat? Wen Petrarcha[5] unter seiner Laura, Opitz unter seiner Asterie, andere unter andern verliebten Nahmen gemeynet haben, das ist mehr als bekandt. Wer es auch nicht verstehet, der ist ohne zweiffel nicht werth, daß er solches an diesem Orte erst lernen soll.

Alldieweil nun dem Auctori beliebt hat sein Studieren unter dem Bilde eines Liebhabers vorzustellen, und hiedurch seine Begierde gegen das Frauenzimmer durch einen gelehrten Betrug abzuweisen, so wird er entweder außer Schuld seyn, oder die Compagnie der Beschuldigten wird so groß werden, daß er sich vor einen schwachen Feind nit sonderlich wird entsetzen dürffen. Die blossen Abschieds-Lieder, welche in trefflicher Menge erscheinen, müssen Zeuge seyn, daß es fast unmöglich gewesen, so vielmal zu verreisen. Und ich habe selbst auß seinem Munde gehöret, wenn Er ein Collegium beschlossen, und gleichsamb von einer Disciplin zu der andern gereiset wäre, so hätte sich eine verliebte Erfindung angegeben, unter der Prosopopoeia einer Jungfer die angenehme Disciplin nachmals zu bedienen: Ja es ist ein Lied vorhanden, darinn Er sich berühmt, er hätte zwey Mägdgen auff einmahl: Da werden alle Bekandten Zeuge seyn, daß der Auctor zugleich Theologica und Juridica Collegia hielt, und als ein Liebhaber der fundamentalen Philologie, beyderseiths Principia fassen wolte. Indem nun etliche meynten, Er wäre ein perpetuus Transfuga, der sich bald zu der schwartzen, bald zu der rothen Fahne begeben wolte, so prosequirte er solchen Possen in diesem hönischen Liede, damit die guten Freunde desto eher fertig wurden, und waren also die zwey Liebsten Theologia und Jurisprudentia.

Solten etliche Lieder in ihrem eignen Verstande directè auff Liebes-Sachen gehen, so wird solches mehrentheils als eine Satyra zu verstehen seyn, darinn die jungen Leute mehr abgemahnet, und bey Vorstellung unterschiedlicher Thorheiten zu einer andern und höhern Liebe heimlich angewiesen werden.

Doch wieder auff die gelehrten Allegorias zu kommen, wann sich etwan ein guter Freund mit unzeitigem richten übereilen wolte, so wird das beste Mittel seyn, auß einem[6] vornehmen Mann dergleichen anzuführen, welcher erstlich auf einer berühmten Universität Poëseos Professor, hernach ein grosser Theologus gewesen: dieser hat als Professor anmutige Sachen herauß gegeben, und ist offtmals durch gelegenheit der gedachten Allegorie zu verliebten und entzuckten Gedancken verleitet worden. Allein daß niemand das äusserliche Schattenwerck mit der Sache selbst vermengen solte, hat er diese denckwürdige Erklärung mit beygesetzet: Cave insontes numeros attemeres! Amor noster castus est, ut ipsa Diva. Qvam si suô vis vocari nomine, audi Poësin, & illas Humanitatis artes, quas colui: Imo Theologiam. Nihil miri, si sub virgineo induxerim vultu. Fecerunt ante me alii, & prœclariores. Ergo exue profanam mentem: & Eclogas aut allegorias puta. Ab his nec sanctissimus abstinuit Spiritus. Alius est ignis noster, qùam in plebe accendit Veneris nequam ille puer. Nec tam putris aut putidus ego, ut illis intepescam faculis. Quicquid crediderit Virosus: Sufficiat, placuisse mihi CHARITILLAM, & me tibi, mi Lector. Nam Frontones & Capitones ne assis æstimo.

Darbey mag es bleiben, und weil das curieuse Seculum sich an den Liedern noch nicht satt gelesen hat, wird der Auctor, als mein hochgeschätzter freund desto eher zu frieden seyn, daß die Drucker-Presse noch einmal damit bemühet wird. Auch diese kurtze Entschuldigung mag er sich gefallen lassen, ungeacht er seinen eigenen Sachen das Wort viel besser, und vielleicht auß wichtigern Beweiß-Gründen hätte reden können. Was noch übrig ist, so wird der geneigte Leser mit fernerer Affection mir Vnbekandten dermassen zugethan verbleiben, daß ich solches dermahleins in bekandter Gestalt rühmen könne. Jetzt verbleibe ich zwar ein schuldiger Diener, doch mit dem Namen

Der Einfältige Unbekandte.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 2-7.
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