Drittes Buch

[95] Die Gesellschaft trat ihren Marsch an; Belphegor beschenkte seine Gefährten unterwegs mit öftern Klagen über Akantens Untreue und die neuen Beispiele von dem Neide und der Unterdrückung der Menschen, die er aus ihrem Munde empfangen hatte; und Medardus ermahnte sie zur Zufriedenheit und Frölichkeit, indem er sie oft einen guten Krug Apfelwein in seinem neuen Hause erwarten hieß, oft über seine liebe Frau weinte und oft ein Anekdotchen aus der Historie erzählte.

Eben war er bey einem Geschichtchen von der unkeuschen Messaline, als sie von fern sich etwas nähern sahen, das sie nach aller Wahrscheinlichkeit für den aufgeregten Staub einer marschirenden Armee hielten. – Himmel! rief Belphegor, hast du mich bestimmt, abermals Zeuge von der Grausamkeit und Ungerechtigkeit der Menschen gegen Menschen zu seyn. Kommt! laßt uns fliehen, das nahe schreckliche Blutbad nicht anzusehn! Mein Herz bricht mir schon. – Wir können nicht fliehen, Brüderchen, sagte Medardus, es rückt so schnell näher, daß wir kaum den nächsten Hügel erreichen werden, ehe uns schon der Staub auf dem Nacken liegt.[95]

Sie eilten zwar, aber wurden schon eingeholt, als sie noch nicht am Fuße des Hügels hinangiengen. Die vermeinte Staubwolke war eins der fürchterlichsten Phänomene der Natur – eine sogenannte Wasserhose4, dergleichen zwar bisher nur in Holland und andern wasserreichen Gegenden wahrgenommen worden sind; da aber in der Gegend, wo unsre Gesellschaft gegenwärtig vor Erwartung zittert und zagt, und die ich meinen Lesern mit gutem Vorbedachte nicht genannt habe, das Meer in der Nähe war, so sehe ich keinen Grund, warum man mir die wahrscheinliche Existenz derselben läugnen wollte. Diese Wasserhose war eine der größten, so lange Zeitungsschreiber eine Presse beschäftigt haben; und ein gewisser Gelehrter, Namens †††, demonstrirte mit A B X Y Z, daß besagte Wasserhose, die er zwar nicht gesehen aber doch in seiner Studierstube sehr natürlich nach dem verjüngten Maasstabe auf französischem Papiere abgebildet hatte, nur noch 3 [Pfund] Kraft gebraucht habe, um ein preußisches Regiment von der Ostsee zum mittelländischen Meere zu transportiren. Izt that sie weiter nichts, so viel wenigstens unsre Geschichte angeht, als daß sie sich von einem starken Winde herbeyrollen ließ, unsre Reisenden mitten in ihren Schooß faßte, mit ihnen sich in die Höhe zog, sie in der Luft forttrug, zerplazte[96] und sie in einer Gegend niedersezte, wohin sie ihre Beine in vielen Wochen nicht gebracht haben würden.

Belphegor und Medardus, die sich während des Transportes unablässig umarmt hatten, befanden sich izo an den Donaustrom in die Wallachey versezt: doch Akante war von ihnen getrennt. Sie schöpften Athem und konnten vor Verwunderung und Erstaunen kaum zum Worte kommen; besonders schien es ihnen ganz unbegreiflich, wie sie von einer solchen Höhe ohne die mindeste Verletzung herabstürzen konnten. Nichts an ihnen hatte bey dieser Luftfahrt eine Veränderung gelitten, als ihre Kleidung, die durchaus naß war, welches aber keiner andern Ursache, als der gewaltigen Ergießung von Regen zugeschrieben werden mußte, die bey ihrer Niedersetzung herabströmte; und weil sie in Schlamm fielen, den eine Ueberschwemmung der Donau zurückgelassen hatte, so diente ihnen dieser statt eines weichen Bettes, das ihre Gebeine vor aller Beschädigung bewahrte. Doch der Strom ergoß sich von dem übermäßigen Plazregen von neuem, und nöthigte die beiden Ankommenden, sich unverzüglich auf eine Anhöhe zu retten, wo sie ihre Kleider an der Sonne trockneten, ein jeder sich auf ein Ohr legte, und beide einschliefen.

Nach ihrem Erwachen rieth ihnen Klugheit, Hunger und Selbsterhaltung ihren Weg zu einer menschlichen Wohnung fortzusetzen, bis sie an eine Hütte kamen, wo sie anklopften. Man ließ sie lange warten, bis endlich[97] ein altes Weibchen sie aus dem Fenster in verschiedenen europäischen Sprachen weiter gehn hieß. Da sie unter den vielen eine getroffen hatte, die die beiden Reisenden verstunden, so thaten sie ihr in der nämlichen ihre Bedürfnisse zu wissen, und versicherten sie, daß sie höchstdringend wären. Als die Alte merkte, daß Bitten nichts vermochten, sie wegzukomplimentiren, und die Fremden schon nach dem Thürriegel griffen, in dessen Widerstand sie kein sonderliches Vertrauen setzen konnte, und vielleicht auch aus wirklichem Mitleid kam sie ihren Gästen entgegen und bewillkommte sie sehr höflich. Das ganze Gebäude hatte nur Ein Zimmer, und sie fanden also gleich ohne besondre Anweisung den Plaz, wo sie leben und weben sollten. Bey genauerer Erkundigung zeigte sich es, daß ihre Wirthinn eine Christinn, eine geborne Französinn war, welches sie auch vor ihrem eignen Geständnisse schon aus zween Gründen schlossen; weil sie französisch hurtig und alle übrige Sprachen stotternd sprach, und weil sie sich einmal über das andre aus dem Fenster entschuldigte, daß sie nicht im Stande wäre, les honneurs de la Turquie zu machen, so gern sie wollte.

Sie verschwendete den ganzen Rest ihrer vaterländischen Politesse, den ihr die Walachey übrig gelassen, um ihren Gästen begreiflich zu machen, daß sie ihre baldige Abreise sehnlich wünschte; sie sezte ihnen einen Tisch voll Teller und etwas weniges Essen auf,[98] das man unter der Menge Teller kaum finden konnte, und ließ mit einer schüchternen Behutsamkeit die Fremden niemals aus den Augen, die ihres Appetites ungeachtet aufmerksam darauf wurden und ein Geheimniß argwohnten. Der Argwohn gieng in ihre Mine über, und dies vermehrte die Behutsamkeit der Dame bis zur sichtbarsten ängstlichsten Besorgniß. Um sie nicht wahrnehmen zu lassen, schwazte sie ihnen in einem unaufhörlichen Strome vieles von der schönsten Stadt de l'Univers, von den diners und soupers, assemblées, bals und festins vor, die sie mit Pairs, Herzogen, Markis und schönen Geistern in Paris genossen haben wollte: doch ihre Sprache war wegen ihres innerlichen Aufruhrs izt nicht halb so fließend mehr, als sie es ehedem über dergleichen Materien in Paris gewesen seyn mochte. Medardus brach endlich die Rückhaltung durch und offenbarte ihr aufrichtig, was er von ihrer Mine und Stimme argwohnte; sie erschrak bis zur Ohnmacht. Man suchte sie zu beruhigen, als man aus einem Winkel der Stube eine schnelle Bewegung und darauf das Röcheln eines Sterbenden vernehmlich hörte.

Belphegor rennte sogleich nach dem Orte zu, indessen daß Medardus sich mit der Beruhigung der Wirthinn beschäftigte. Jener eröffnete ein nicht allzugroßes Gefäß, aus welchem ihm der Schall zu dringen schien, und entdeckte voller Entsetzen darinne einen Knaben, der in seinem Blute schwamm und mit dem Tode rang. Er wußte vor Bestürzung nicht, was er[99] zuerst thun sollte, bald griff er nach dem sterbenden Knaben, ihn herauszuziehn, bald sezte er sich in Positur, zur Französinn zu laufen, bald wollte er jenem helfen, bald diese zur Rechenschaft ziehn. Unter dem Gewühle eines so vielfachen Wollens und der höchsten Unentschlossenheit, faßte er endlich plözlich die kürzeste Partie und zog den von Blute triefenden Jüngling heraus, der unter fürchterlichen Konvulsionen in seinen Händen das Leben ausbließ. Die Rettung war also unmöglich, und Belphegor, der die Französinn völlig im Verdachte des Mordes hatte, sprang mit seinem gewöhnlichen Feuer auf sie los, um ihr – was weis ich? – die Kehle zuzudrücken, wenigstens den vermeinten Mord empfindlich zu rächen: doch Medardus schüzte sie wider den Eifer seiner strafenden Gerechtigkeit. Brüderchen, sprach er und hielt ihn von ihr zurück, erst wollen wir hören, was sie zu sagen hat. – Darauf fieng er das Verhör an, und sie versprach ihm, jede seiner Fragen zu beantworten, so bald ihre Ruhe wiederhergestellt seyn würde.

Ach, fieng sie darauf an, der Unglückliche, den Sie hier im seinem Blute erblicken, wollte dem unseligsten Tode entfliehen, und mußte sich ihn mit eigner Hand anthun. Es ist der jüngste Bruder des itzigen Sultans, Prinz Amurat. – Ihre Zuhörer erstaunten. – Sie wissen, daß der Despotismus eine grausame Vorsicht erfodert, die jeden Thronbesteiger nöthigt, allen Empfindungen der Bruderliebe, des Blutes zu entsagen,[100] und unbarmherzig jeden Verwandten niederzumetzeln, den ein unglücklicher Einfall verleiten könnte, dem Despoten seine Macht streitig zu machen. Kaum hatte der gegenwärtige Tirann den ersten Schritt zu der Herrschaft über die Ottomanen gethan, als er um seiner Sicherheit willen seine ein und zwanzig Brüder, Vettern und andre Anverwandten ermorden ließ: alle erlagen unter ihrem Schicksale, nur dieser Prinz, der sich durch sein Naturell über seine Erziehung erhoben hatte, rührte durch seine einnehmenden Bitten den abgeschickten Mörder, der schon den Dolch auf ihn gekehrt hielt, daß er einen Sklaven an seiner Stelle umbrachte und ihm im Sklavenkleide auf die Flucht verhalf. Er kam in dem kläglichsten Zustande vor drey Tagen an meine Thür, bat mich ihn einzunehmen, und hatte den edlen Muth, sich mir geradezu zu entdecken, mit der Erklärung, daß er einen Dolch bey sich trage, den er sich augenblicklich ins Herz stoßen wolle, so bald er in Gefahr gerathen werde, in die Hände seiner Feinde zu fallen. Sie wissen, daß eine Französinn zu schwach ist, den Bitten einer schönen Mannsperson zu widerstehn – Mitleid und Liebe sind die Elemente unsers Wesens – ich nahm ihn auf; ich habe ihn erhalten, verborgen, so bald die mindeste Gefahr drohte: ich verbarg ihn bey Ihrer Ankunft in diesem Fasse. Vermuthlich glaubte er, als er uns so lange in einer für ihn unverständlichen Sprache reden hörte, daß Sie Ausspäher wären, daß ich ihn verriethe und hinterlistig[101] in Ihre Gewalt liefern wollte: vermuthlich durchbohrte er sich darum mit dem schon längst bereiteten Dolche, den er nie von seiner Seite ließ: darum zitterte ich für ihn, und mögen Sie Kundschafter seyn oder nicht, Sie haben meine That entdeckt: sind Sie ausgeschickt ihn auszuforschen – eh bien! hier ist mein Kopf: ich that eine Pflicht der Menschlichkeit, begehn Sie an mir eine That der Unmenschlichkeit. – Mit dieser witzigen Antithese fiel sie auf die Kniee und legte ihren Kopf in Bereitschaft zum Abhauen auf einen Sessel.

Da sie bey dieser Gelegenheit ein sehr hübsches witziges Ende hätte nehmen können, was einem Franzosen gerade das ist, was wir Deutsche ein erbauliches nennen, so war sie beinahe unzufrieden, daß sie von den beiden Fremden in der Erwartung des Todes getäuscht und ihres Lebens theuer versichert wurde. Beide huben sie auf und vereinigten sich mit ihr, den todten Körper bey Seite zu schaffen, den sie in möglichster Eile verscharrten und die blutigen Spuren seines Todes auf dem Boden auftrockneten.

Nach Endigung dieser tragischen Begebenheit war die Französinn ganz frey und ungehindert, den Fremden les honneurs de la Turquie zu machen, welches sie auch mit vielem Eifer that, woran sie vorhin die Gegenwart des Prinzen verhindert hatte, den sie durch ihre Mine zu verrathen fürchtete: denn, sagte sie, einem Franzosen liegt sein Leben weniger am Herzen als[102] Wort und Ehre. Sie bot ihnen sogar freiwillig ein Nachtlager an, welches sie mit der erkenntlichsten Freude annahmen.

Des Abends wurde sie ersucht, ihnen zu melden, wie sie ein Land der Menschlichkeit und feiner Sitten, wie ihr Vaterland, mit diesem Wohnhause der Barbarey und der Grausamkeit habe vertauschen können. Schreckliche Schicksale mußten Sie hieher verschlagen, Madam, sagte Belphegor.

Ja, schreckliche Schicksale! war ihre Antwort. Ich bin die bekannte Markisinn von E., die den großen Kriminalprozeß verlor, die überführt wurde, ihren Mann vergiftet zu haben, und doch vor Gott und ihrem Gewissen unschuldig war; und davon wissen Sie nichts? – Wie ist es möglich, daß sie auf der Welt sind und eine Sache nicht wissen können, die in Frankreich vorgieng? – Mein Mann starb plözlich, und alle Merkmale der Vergiftung machten die Art seines Todes unzweifelhaft. Ich hatte nicht allzu wohl mit ihm gelebt: er war ein mürrischer, eigensinniger, harter Ehemann, so unfreundlich und tükisch, daß er mich mit seinem Vorwissen keine Freude genießen ließ, und sie zu hindern oder doch zu verbittern suchte, wenn mir der Zufall eine ohne sein Zuthun zuwarf. Sein finstres menschenfeindliches Gemüth konnte unmöglich jemanden froh, zufrieden und glücklich sehn, ohne sich selbst für minder glücklich zu halten, und weil er keines Vergnügens fähig war, so war ihm alles verhaßt, was ihn[103] hierinne übertraf: die Munterkeit eines Thiers gab ihm schon schlimme Laune. Da ich ein beträchtliches Vermögen zu ihm gebracht hatte, so trennte ich mich auf eine Zeit lang von ihm; und er war untröstlich und arbeitete mit allen Kräften, mich wieder zu einer Aussöhnung zu bringen: – vermuthlich war es ihm unerträglich, niemanden zu haben, an dem er seine böse Laune befriedigen konnte. Das Herz einer Dame vergiebt schon, indem es über die Beleidigung zürnt: die dringenden Bitten seiner Anverwandtinnen beredeten mich, wieder zu ihm zurückzukehren. Im Anfange war er, wenigstens so sehr ER es seyn konnte, ein erträglicher und beinahe gütiger Gemahl: doch in vier Wochen war er durch diesen Zwang erschöpft; er warf ihn ab: seine Gütigkeiten waren nur, so zu sagen, pattes de velours gewesen, und er zog izt seine ganzen Krallen hervor. Mitten unter unsern Unzufriedenheiten starb er plözlich an einer Vergiftung, die durch die gültigsten Beweise gerichtlich dargethan wurde. Ich hatte keine sonderliche Ursache, betrübt zu seyn, ich war es nicht, und fand auch keine, es mehr zu seyn, als ichs war. Ich wollte mein Vermögen zurückziehn und seinen Erben das seinige überlassen, denen es gebührte, weil wir keine Schenkung errichtet hatten: doch dieses war mit jenem in den lezten Jahren so verwebt worden, daß eine Absonderung ohne weitläuftige Streitigkeiten nicht geschehen konnte. Eine Dame ist für die Kämpfe der Liebe, aber nicht für die Kämpfe der Gerechtigkeit[104] gemacht: ich ließ von meinem Rechte bis zu einer beträchtlichen Schmälerung meines Vermögens nach, um zur Ruhe zu gelangen. Umsonst schmeichelte ich mir mit dieser Hoffnung: seine Erben machten auf einmal, schon einige Zeit nach dem Tode meines Mannes, einen Prozeß wider mich anhängig, worinne sie MIR die Vergiftung meines Mannes schuld gaben. So rein ich mein Gewissen fühlte, so wenig fürchtete ich von dem Ausgange etwas mehr als einen Verlust meines Vermögens: doch die Sache bekam die unglücklichste Wendung wider mich. Advokaten, Schreiber, Richter parlirten, schmierten, referirten, dekretirten so lange, bis ich für schuldig erkannt, und mir Vermögen, Leben und Ehre abgesprochen wurden. Ich Unglückliche! um dem traurigsten Schicksale zu entgehn, floh ich aus meinem Vaterlande und ließ die Schande auf meinem Namen zurück, die ich nicht selbst tragen wollte. Ich wurde von einigen Kaufleuten, die meinem Vater große Verbindlichkeiten schuldig waren, nebst einem kleinen Reste meines Vermögens hieher gerettet. Ich kaufte diese elende Hütte und eine Sklavinn, mit welcher ich hier in der Einsamkeit lebte und noch lebe. Vor einem Jahre besuchte mich einer von diesen edelmüthigen Männern, der mir die angenehme Nachricht brachte, daß mein Name von der Schande des Mordes befreyt sey, und daß ich ungehindert und ohne Gefahr in mein Vaterland zurückkehren könne. Durch die Aussage eines Mädchens, das[105] unter neun Vergiftungen auch diese bekannt hatte, waren einige meiner Freunde veranlaßt worden, die Sache von neuem in Bewegung zu bringen. Nachdem mein Name zwanzig Jahre lang unter der entehrendsten Schande gelegen hatte, nachdem ich meines Vermögens, meiner Freunde, meines Vaterlandes, meiner Ruhe, meiner Glückseligkeit beraubt war, nachdem ich meine besten Tage in der Einsamkeit, dem Kummer, der Verachtung, der Dürftigkeit verseufzt hatte, ließ man mir die Gerechtigkeit widerfahren, mich für unschuldig zu erklären, fand man, daß einer meiner ehemaligen Richter, der einen von mir wenig geachteten Anspruch auf mich machte, den ich mit einiger Verachtung von mir wies, der Anstifter der Vergiftung war, daß er durch tausend listige Kunstgriffe der Sache eine solche Wendung zu geben gewußt hatte, wodurch der Verdacht wider mich bis zur höchsten Wahrscheinlichkeit erhöht und dadurch von ihm desto weiter entfernt wurde, welches um so viel leichter geschehn konnte, weil niemand als das Mädchen und Er um den Mord wußten, und jenes mit einem Offiziere außer Landes geflüchtet war. Die Treulose war, wie ich mich nachher besonnen habe, zu der Zeit, als mein Mann starb, mein Kammermädchen; und entfloh denselben Abend, als die Vergiftung bekannt wurde – ein Umstand, den man wider mich nüzte und mich beschuldigte, mit Bestechungen das Mädchen vermocht zu haben, durch ihre Flucht meine Schuld auf sich zu nehmen.[106] – Gütiger Gott! Meine Ehre, meine Unschuld, mein Name ist gerettet: aber zwanzig Jahre lang unter dem drückenden Joche der Schande zu schmachten, das, meine Herren, das nagt das Herz. Kann eine so spät, so zufällig erlangte Gerechtigkeit den langen Kummer, Schmerz, Schande wieder ersetzen? kann sie mir zwanzig unglückselige Jahre wiedergeben und glücklich machen? – Nein! – Wehe dem Unterdrückten, dem Unrecht leidenden! Seichter Trost, daß man ohne Verschuldung leidet! Er erhält das Leben, daß es der Schmerz nicht gleich zerfrißt, um desto länger daran zu nagen. –

Belphegor konnte von seinem Erstaunen nicht zurückkommen, daß man in einem Lande, welches die Gesezgebung der Manieren, der Moden und Ergözlichkeiten in ganz Europa an sich gerissen hat, die Gesetze, welche das Eigenthum, die Ehre und das Leben des Einwohners sichern sollen, in einer Verfassung läßt, die eine solche Unterdrückung, eine solche Uebersehung der Unschuld möglich macht. Die Gesetze, die Art des gerichtlichen Verfahrens, die Verfassung muß doch die einzige Quelle seyn, aus welchem Ihr Unglück herfloß, sagte er. Leicht bleibt der Schuldige ungestraft: tausend Umstände, ohne die menschliche Schwachheit, machen es möglich; aber wehe, wehe! wenn es möglich ist, daß der völlig Unschuldige mit dem Schuldigen verwechselt und an seiner Stelle gestraft wird![107]

In Deutschland würde das nicht geschehn, sprach Medardus; das ist gar ein braves Ländchen, Madam. Wenn mich nur der unglückliche Sturm nicht so weit von meiner Heimath verschlagen hätte! – Sie sollten wahrhaftig bey mir wohnen und allen meinen Apfelwein mit mir theilen. Wenn Sie wollen, noch ist es Zeit: in dem Lande hier könnte ich so nicht bleiben: es geht ja so barbarisch, wie unter den Menschenfressern, zu. –

O, mein Herr, erwiederte die Markisinn, hier hat die Unterdrückung ihre natürliche grause wilde Mine: doch anderswo trägt sie tausend betriegerische Larven, wovon einige das Ungeheuer ganz unkenntlich machen, nicht eher darunter vermuthen lassen, als bis man von seinen Zähnen gewürgt wird. Einer meiner Brüder ist exilirt, der andre verbrannt worden.

Beide Gäste exklamirten laut vor Erstaunen. – Der eine war ein Hugenott, fuhr sie fort, der andre ein Feind der Geistlichkeit und besonders der Jesuiten. Dieser, der jüngste von beiden, ließ sich von jugendlichem Feuer und dem noch ungestümern Eifer der Rechtschaffenheit hinreißen, etlichen ihrer unverantwortlichen schädlichen Meinungen zu widersprechen. Er glaubte aus Mangel an Erfahrung, daß es genug sey, Recht zu haben, um Recht zu behalten, und daß man, um unsinnige Meinungen zu verdrängen, nichts brauche, als den Schuz der Vernunft und Wahrheit. Man begnügte sich anfangs, seine Meinungen als ketzerisch[108] und schädlich zu verdammen, dem Urheber derselben etwas von der Verdammniß mitzutheilen, und ihn in die Flammen zu wünschen, die sein Buch verheerten. Man lärmte, man schrie, man verfolgte ihn mit Verläumdungen, man machte seinen Namen bey jedermann beinahe infam, und behielt den Groll im Herzen, um ihn bey der ersten günstigen Gelegenheit zu seinem Verderben auszulassen. Sie zeigte sich: die Boshaften, die kein andres Interesse hatten, ihn zu Grunde zu richten, als daß er sich Vorurtheilen widersezte, die sie blos vertheidigten, weil es verjährte Vorurtheile waren, stürmten mit einer Wuth auf ihn los, die nicht heftiger hätte seyn können, wenn er die Grundstützen der Religion mit verwägener Hand niedergestürzt hätte. Man streute eben damals Erzählungen von Wundern aus, die ein neu entdecktes Haar von den Augenwimpern des heil. Ignatius gethan haben sollte. So lächerlich und ungereimt die Erdichtungen waren, so sehr ihre Falschheit in die Augen sprang, so leicht ließen sich vornehme und geringe Laien von ihrer Wahrhaftigkeit überzeugen. Die Absicht war eigentlich, einem ungestifteten Kloster Gönner, Bewunderer und Beiträge zu verschaffen: der Franzose, der alle Nationen über die Schultern ansieht und vielleicht in vielen Stücken ein Recht dazu hat, glaubte übel ersonnene Mährchen, die mit Mutter Gans in einem Range standen, und opferte reichlich. Mein Bruder, vielleicht halb von Rache, aber gewiß auch halb vom Eifer der Wahrheit[109] angefeuert, trat zum zweitenmale auf den Kampfplaz; aber zu seinem Unglücke. Man beschuldigte ihn der schwärzesten Verbrechen, man brauchte die niederträchtigsten Kunstgriffe, falsche Zeugen, untergeschobne Briefe, um ihn der Gotteslästerung und Irreligion zu überführen. Man gelangte zu seinem Zwecke; der unwissende Pöbel ist jederzeit auf der Seite des Betriegers: er verlangte die Verurtheilung meines Bruders. Der Mann, der sie aus den Ketten der Unwissenheit und dem Despotismus fanatischer Mönche reißen wollte, wurde auf Begehr Hoher und Niedriger öffentlich verbrannt.

Himmel! schrie Belphegor, öffentlich verbrannt! So sind ja die Banden der türkischen Sklaverey tausend mal leichter als die Tiranney eines unerleuchteten Klerus! –

Tausendmal leichter, mein Herr! Hier stirbt der Sklave mit Einem Dolchstiche, ohne Schande; der Despot, dessen Eigenthum er ist, wirft ihn weg, wie ein abgenuztes Kleid; sein Loos befremdet ihn nicht, weil er auf kein andres Anspruch machen kann: allein wo der Bürger eines Staats den mächtigen Gedanken der Freiheit im Kopfe hat, da ist es ihm unendlich schwer, etwas zu dulden, das nicht mit ihr besteht. Unter dem despotischen Himmel tödtet man mit Einem Hiebe, unter vielen andern quält man mit hunderttausend Stichen langsam zu Tode: denn alle kann man nicht verbrennen, wie meinen Bruder. –[110]

O, seufzte Belphegor, welch Unthier ist der Mensch! Immer ein Unterdrücker, hier des Eigenthums, dort des Menschenverstandes, hier des Rechtschaffnen, dort des Armen! –

Ja, faßte Medardus die Rede auf, daß die Menschen doch so einfältige Kreaturen sind! In Ruhe und Friede könnten sie bey einander sitzen, ein Glas Apfelwein trinken und sich einander ihr Leben erzählen: aber nein! da schlagen, schmeißen, balgen sie sich, wie das liebe Vieh; und noch ärger machen sies: denn die Thiere verschlingen sich doch nur aus Hunger, aber die Menschen, wenn sie der Hunger nicht dazu zwingt, suchen ein Sylbchen, ein Wörtchen, und ver brennen, hängen, köpfen und sengen sich darüber. –

Ja, leider, sprach die Dame, sonst wäre mein ältester Bruder nicht aus dem Schooße des Vaterlandes, seiner Güter, seiner Familie vertrieben worden, weil er ein heimlicher Hugenott war. Ein Elender, dem er einen kleinen Dienst versagt hatte, weil er ihn desselben unwürdig hielt, gab ihn an; er mußte, um sich nicht der Verfolgung preis zu geben, mit Schiffbruch sein Vermögen retten und den Weg wandern, den viele tausend seiner Brüder gegangen sind, in Länder, wo Vernunft und Freiheit herrschen, und vernünftig denken und wahr denken eins ist: noch glücklich, daß er nicht zu jenen Zeiten der höchsten Unmenschlichkeit lebte, wo Frankreich seine Felder mit dem Blute seiner Einwohner düngen wollte! – O du schändlichster verderblichster[111] unter allen Despotismen! Despotismus des Aberglaubens, der Scheinheiligkeit, der Habsucht im schwarzen Mantel, der heiligen Dummheit, der Vorurtheile! verheere nicht länger mein Vaterland, dessen milder Himmel nur Menschlichkeit und gesunde Vernunft einflößen sollte! verheere kein Land dieser Erde mehr! und die ihr es vermögt, tilgt, sengt, schneidet, würgt, reutet ihn von der Wurzel aus, wo ihr ihn findet, wenn ihr euch und euer Volk liebt!

Belphegor, der nur ein Fünkchen brauchte, um in die Flamme der Begeisterung aufzulodern, fiel auf seine Kniee und rief mit entzückter Stimme: O du göttliches Geschenk! Freiheit zu denken, Freiheit zu reden! komm auf alle Länder herab, die der Glückseligkeit einer allgemeinern Erleuchtung immer näher rücken! Komm! würge den schändlichsten Götzen, den Aberglauben, und reiße so viele Provinzen, die die blühendsten seyn könnten, aus den Ketten des gräulichsten Despotismus, des Despotismus über den Menschenverstand. – Kommt! – wobey er aufsprang – wir wollen allen den scheußlichen Tirannen die Kehle zudrücken, die ihre Größe auf die Unterdrückung der Vernunft, auf die Sklaverey der Unwissenheit und Dummheit baun! die den Keim der Menschenliebe ersticken, und feindselige Rotten aus Menschen machen, die sich, wie Brüder, lieben würden, und izt sich hassen, weil man ihnen den Haß befiehlt! Kommt! – Närrchen, Närrchen! wohin denn? sprach Medardus[112] und faßte ihn bey der Hand. Der Herr Markis ist ja in Frankreich verbrannt worden, und wir sind in der Türkey. Ach, wir werden genug zu kämpfen und zu streiten finden, ohne daß wir erst so weit laufen, um Feinde aufzusuchen. Da ist mir doch Deutschland ein ander Ländchen, Madam: da sitzen sie so still und ruhig beysammen, wie die Lämmchen; wenn sie einander gleich nicht gut sind, so lassen sies doch wenigstens dabey bewenden, daß sie einander nicht lieb haben. Mannichmal fuschen wohl ein Paar wunderliche Köpfe auch ins Verfolgungshandwerk, aber sie müssen doch nur im Kleinen arbeiten; und wenn sie zu laut werden, so stehn auf allen Ecken Aufpasser, die sie öffentlich auszischen und auslachen; auf diesem Wege giebts dort wahrhaftig nicht viel rechtes mehr zu verdienen. Den ersten Krug Apfelwein, den ich in meinem Leben wieder an meine Lippen setze, trinke ich auf die Gesundheit des deutschen Menschenverstandes aus. Nicht Brüderchen? du bist dabey? –

Belphegor bejahte es wohl; aber sein Herz war nicht bey der Bejahung. Er dachte noch etlichemal an die Welt und an Akanten, die sich ihm izt wieder sehr wichtig gemacht hatte, legte sich nieder und schlief ein.

Sie hatten nicht lange die Ruhe genossen, als ein Trupp türkischer Soldaten mit Tumult zum Hause hineinstürzte und mit Gewalt den Prinzen Amurat darinne finden wollte. Die Markisinn glaubte, diese Barbaren durch die Nachricht von seinem Tode zu gewinnen,[113] und versicherte sie, daß er auf ihrer Schwelle sich ermordet habe, zeigte ihnen seinen blutigen Dolch, wies ihnen sein Grab, und ließ sie seinen Leichnam ausgraben und besichtigen. Wider so deutliche Beweise hatten sie freilich nicht Lust, etwas einzuwenden; allein da sie einmal zum Morden ausgeschickt waren, und in der Türkey ein Menschenleben die wohlfeilste Waare ist, so spalteten sie, um der Absicht ihrer Sendung ein Genüge zu thun, die alte Markisinn nebst ihrer Sklavinn, jede in zwey Stücken, und die beiden Fremden, weil sie noch jung waren und also etwas gelten mußten, beschlossen sie mitzunehmen und an den ersten Liebhaber als Sklaven zu verkaufen, wovon aber weder Belphegor noch Medardus etwas wußten, weil sie die Sprache ihrer Ueberwältiger nicht verstanden; ehe sie es vermuthen konnten, waren sie das rechtmäßige Eigenthum eines Mannes, der sie zu den niedrigsten Beschäftigungen bestimmte. – Siehst du, Brüderchen? sagte Medardus, als er zum erstenmale seine elende Kost genoß, nun ist es mit dem Apfelweine vorbey! der ganze schöne Vorrath, den ich mir in meine Wohnung habe schaffen lassen, wird verderben: denn so bald werden wir aus dem Raubneste nicht wieder hinauskommen, das merke ich wohl. – Wenn das meine liebe Frau wüßte – du gutes Kind! wie wohl ist dir! – mit Thränen sagte er das; – wie wohl! und dein Männchen ist gar ein Sklave, ein elender Hund! – Doch muthig, Brüderchen! die Vorsicht lebt[114] noch; da trink die elende Pfütze, und denke, es ist Apfelwein! da! Glückliche Rückkunft nach Hause! – und so trank er ihm einen Topf voll schmuziges Wasser zu, wovon Belphegor einen kleinen Schluck mit verzerrtem Gesichte nahm.

Unterdessen war die Entfliehung des Prinzen Amurat ruchbar geworden, und ein unbekannter niedriger Mann ließ sich es einfallen, diesen Ruf zu nützen und sein natürliches Recht auf den Thron des Despoten durchzusetzen: denn wo Unterdrückung und Gewalt die einzige Stütze des Throns ist, da hat jedermann ein gegründetes Recht, ihn zu besteigen, wer den Besitzer herunterwerfen, sich hinaufschwingen und seinen Siz mit jenen beiden Stützen befestigen kann. Jedermann, der sich zu ihm schlug, war sicher und gewiß, daß er, wenn die Unternehmung gelang, blos die Person des Despoten veränderte: niemand hatte einen Begriff von einer andern Regierungsform, noch Begierde dazu: man stritt höchstens für die Ehre, sich seinen Unterdrücker selbst gewählt zu haben. Dieses geringen Vortheils ungeachtet, verschafte ihm doch die angeborne Neigung des Menschen zum Kriege und eine gewisse neidische Freude, den Tirannen, den man, wenn er mächtig ist, fürchten muß, zu stürzen, und sich dadurch gleichsam für die bisherige Furcht zu rächen – diese beiden Antriebe verschaften dem Anführer einen so zahlreichen Anhang, daß er allenthalben die schrecklichste Verwüstung verbreitete, und jedermann entweder[115] für ihn fechten oder niedergehauen werden mußte.

Bey einer so nahen und fürchterlichen Gefahr hielt es der Herr des Belphegors und Medardus für die beste Partie, mit seinen Effekten, so viel er davon fortbringen konnte, und seinen Sklaven sich durch die Flucht zu retten und den ganzen zurückgelaßnen Rest seinem Leben und der Wuth der Rebellen aufzuopfern. Ein Trupp hatte sich in einen Distrikt geworfen, durch welchen die Entflohnen schlechterdings wandern mußten. Sie fanden ringsum die entsezlichsten Spuren der Verheerung und der unsinnigsten Grausamkeit: zitternde Glieder ermordeter Säuglinge, die im Blute ihrer Mütter schwammen, verstümmelte halblebende Greise, Gewimmer von Sterbenden, fliehende, verfolgende, in der Ferne flammende Dörfer, dampfende Brandstellen, das Lärm der Mordenden, das Geschrey der Ermordeten, das Aechzen der Zertretnen, das Wiehern verwundeter Rosse, blutbedeckte Felder, deren Furchen von Bächen strömten, Verwirrung, Angst, Todesschmerz und der Tod selbst in den grauenvollsten Gestalten – dies war das Bild, das sie eine lange Strecke neben sich auf einer weiten Ebne sahen: da sie aber mit ihrem Gepäcke von dünnem Busche bedeckt waren, so entgiengen sie der ohnehin beschäftigten Aufmerksamkeit der Barbaren.

Belphegor zitterte vor Entsetzen und Zorn bey der Erblickung eines so unmenschlichen Schlachtfeldes,[116] und Medardus war ganz versteinert. – Brüderchen, sprach er endlich leise zu jenem, das geht dir hier zu, wie in der Hölle: die Schlacht zwischen dem Hannibal und Scipio kann nicht so blutig ausgesehn haben. – Mich friert vor Grausen; was machst DU denn, Brüderchen? –

Ich verbrenne! rief Belphegor. Gott! Geschöpfe von Einem Geschlechte, aus Einem geistigen und körperlichen Samen gezeugt, Geschöpfe, die sich einer Vernunft rühmen, erwürgen sich? erwürgen sich im tummen trunknen Taumel der Mordsucht, ohne daß eine einzige für ihre Wohlfahrt wichtige Ursache ihr Blut fodert! um ein Nichts, aus bloßer toller Begierde sich die Köpfe zu zerschmeißen! – O, Freund, den ersten besten Dolch möchte ich mir in die Brust stoßen, um nicht mehr zu einer rasenden Gattung von Geschöpfen zu gehören, die nicht verdienen, daß eine Sonne über ihnen aufgeht, oder ihnen ein Mond leuchtet. Thiere führen doch nur den allgemeinen Krieg mit Thieren anderer Art, und scheuen unwissend die heiligen Bande, die sie zu Einem Geschlechte verknüpfen: aber der Mensch – ist das ärgste Ungeheuer der Hölle. Ich bin mir selbst gram, ein Mensch zu seyn. –

Ja, Brüderchen, es geht wahrhaftig bunt her: wenn WIR nur erst glücklich durch wären, dann möchten sie sich schlachten, wenns ihnen nun ja so beliebt. –

O möchten sie uns lieber zerfleischen und unter dem allgemeinen Ruine begraben! Was nüzt uns der elende[117] Lebenshauch, als nur um die Grausamkeit der Menschen zu leiden und leiden zu sehn. Komm! ich stürze mich mitten unter die Barbaren, und wohl mir, wenn ich erliege! –

Närrchen, Närrchen! rief Medardus und zog ihn aus allen Kräften zurück. Die Vorsicht lebt noch: wer weis, wozu das gut ist, daß sich die Leute hier die Kehlen abschneiden? Auf dem Felde hier wird folgendes Jahr das schönste Getreide wachsen. Wer weis, ob uns das Metzeln hier nicht desto eher wieder zu meinem Apfelweine verhilft? – Zu etwas muß es doch gut seyn. Wenn sie UNS nur die Kehlen ganz lassen; sonst ist es mit der Hofnung aus. –

Belphegor wurde unwillig über die Gelassenheit seines Freundes und schoß einen verächtlichen Blick auf ihn, der aber noch nicht völlig bis zum Medardus gekommen war, als die Rebellen das Gepäcke hinter ihnen anfielen, Führer und Lastthiere niedermachten, die aufgepackten Effekten zerhieben, zertraten und nur etliche tragbare Kleinigkeiten nahmen, den Sklaventrupp gleichfalls angriffen und unbarmherzig niederhieben: alle, auch Belphegor und Medardus, lagen in Einem Haufen zusammen. Da die Heldenthat verübt war, giengen die Krieger zu dem Hauptchore mit ihren Lorbern zurück.

Belphegor und Medardus waren nur verwundet und in dem Wirbel des Scharmützels unter die Todten mit niedergerissen worden. So bald die erste Betäubung[118] des Schreckens verschwunden war, so arbeiteten sie sich unter den Erschlagnen allmählich hervor, einer lieh dem andern seine Kräfte, und es gelang ihnen hervorzukommen: doch ermattet von Arbeit und Verblutung sanken sie auf die oberste Reihe wieder zurück. Mit der Kleidung der Getödeten stopften und verbanden sie endlich ihre Wunden und schleppten sich nach dem Orte zu, wo die Plünderung des Gepäckes vorgegangen war, aus einer sehr weisen Vorsicht, ihrem gänzlichen Mangel durch eine Kostbarkeit abzuhelfen, die vielleicht ihre Mörder in der Hitze der Verwüstung zurückgelassen haben möchten. Unter vielen verderbten vortreflichen Sachen fanden sie ein Schächtelchen, von dem sie sich viel Gutes versprachen: auch betrog sie ihre Hofnung nicht: sie öffneten es hurtig und fanden einen einzigen Diamant von ungeheurer Größe darinne. Ihr Appetit wurde durch den Fund rege gemacht, und sie suchten weiter; sie entdeckten noch etliche kleinere und andre tragbare Sachen von Werthe, die sie sorgfältig in die abgelegensten Winkel ihres Körpers versteckten. Darauf machten sie sich gefaßt, diesen Ort des Entsetzens so schnell als möglich zu verlassen. Sie warfen noch einen mitleidigen Blick auf ihre daliegenden Mitbrüder, obgleich aller Vermuthung gemäß kein einziger Christ darunter seyn mochte, als sie eine Bewegung an einem Haufen wahrnahmen. Da sie erwarteten, daß es gleichfalls ein Verwundeter seyn werde, der sich, wie sie, zum Leben emporarbeiten[119] wolle, so vereinigten sie ihre Hülfe, die todten Körper abzuwälzen. Kaum hatten sie sechs oder achte abgeworfen, als einer seine Hände nach ihnen ausstreckte, mit welchen sie ihm aufhalfen. Er war wenig oder gar nicht verwundet und durch die Drückung der übrigen nur erschöpft. Er stieg von ihnen geführt herunter, und da sie auf ebnem Boden waren, so schlug der Errettete und die Erretter zum erstenmal ihre Augen gegen einander auf, um Dank zu geben und zu empfangen, stuzten insgesamt, waren verlegen, ungewiß, konnten sich nicht besinnen, bis sichs nach drey Fragen und drey Ausrüfen fand, daß hier auf diesem Flecke Belphegor, Medardus und – Fromal beysammen stunden, sich umarmten, nicht wußten und vor großen Freuden nicht wissen wollten, wie sie zusammengekommen waren.

Am lebhaftesten war die Freude über diese plözliche Zusammenkunft auf Belphegors Seite: er wurde so ganz freundschaftliches Gefühl, daß er nicht einen Augenblick an die Nachrichten dachte, die ihm Akante von der Untreue seines Freundes hinterbracht hatte. Es war nur eine kurze Unterredung nöthig, um zu erfahren, daß Fromal der Herr der niedergesäbelten Sklaven und des geplünderten Gepäckes gewesen war; da er seine beiden Freunde hatte kaufen lassen, ohne sie selbst zu sehen, und sie auch kein Verlangen noch Gelegenheit gehabt hatten, ihren Gebieter kennen zu lernen, so war es um so viel leichter, daß ihre Erkennung[120] bis auf den gegenwärtigen Augenblick verschoben bleiben konnte.

Nachdem sie noch eine neue Durchsuchung mit den Resten der Plünderung vorgenommen und nichts entdeckt hatten, so beschlossen sie einmüthig, dies Land der Barbarey und der Unterdrückung zu verlassen und sich mit den großen und kleinen Diamanten nach dem humanisirtern Theil von Europa zurückzubegeben, um dort mit dem Herrn Magister Medardus einen Krug Apfelwein auszuleeren.

Da die Pest eben in Konstantinopel wütete, und der Aufruhr sich sehr schnell nach dieser Stadt hinzog, so nahmen sie ihren Weg nach der mittäglichen Meerseite, um dort eine Gelegenheit zum Rückmarsche zu suchen. Unterwegs erst führte sie das Gespräch auf Akanten, und Belphegorn auf den Verdacht, den sie ihm wider Fromals Freundschaft hatte beybringen wollen; allein da die Länge der Zeit und die gegenwärtige Freude über sein Wiedersehn die Stärke desselben ungemein gemildert hatte, so berührte er ihn nicht als einen Vorwurf, sondern vielmehr als eine Erzählung, welcher er nicht sonderlichen Glauben beymaß. Fromal rechtfertigte sich nicht, sondern ohne große Betheurungen berichtete er ihm in planem historischem Stile, daß er allerdings Belphegorn von Akanten zu entfernen gesucht habe, doch ohne die schmerzliche Begegnung, welche seinem Befehle und seiner Absicht zuwider gewesen wäre.[121]

Ich wußte, sprach er, daß du auf der Neige deines Geldes warst, daß deine zu feurige Liebe dir keine eigne Rückkehr erlauben würde: du warst von dem gänzlichen Verderben nur einen Strohhalm breit entfernt; ich beschloß, dir eine schimpfliche Verabschiedung zu ersparen, und bot mich Akanten an deine Stelle an. Ich bot mich ihr blos an, damit sie desto leichter in deine Trennung willigen sollte: denn den Ruin deines Vermögens wußte sie noch nicht. Damit sie mich desto williger annähme, stellte ich mich reich, ob ich gleich nicht mehr in der Tasche hatte, als eben so viel, wie ich dir gab: hätte ich gewußt, daß sie einen andern viel reichern Liebhaber schon an der Seite hätte, so wäre mein Weg nicht einmal eine so weite Strecke mit ihr gegangen. Daß sie dich so empfindlich behandelte, das war gewiß eine Wirkung ihres eignen rachsüchtigen Herzens, das das Häßlichste auf dem Erdboden ist. Dich hat sie mit Ribbenstößen verjagt, und mich wollte sie gar vergiften.

Vergiften? rief Belphegor. Davon hat sie mir kein Wort gesagt; aber wohl, daß du deinen Nebenbuhler in ihren Armen durchbohrtest. –

Sie wird keine Verrätherinn ihrer eignen Bosheit werden: aber ihre Vergiftung war eben die Ursache meines Mordes. Sie merkte bald, daß mein Reichthum nur Großsprecherey gewesen war; und weil ich zu gleicher Zeit meinen Nebenbuhler ausgekundschaftet hatte, so war mein Plan schon gemacht, mich unter[122] einem anständigen Vorwande von ihr loszureißen. Weil sie wieder und zwar gut versorgt war, so befürchtete ich nichts von ihrer Rache: doch ich betrog mich. Sie verrieth mich an ihren Nebenbuhler, sie beredete ihn, daß ich mich durch den Tod von ihm befreyen wollte, daß sie mich im Grunde haßte und meiner gern entübrigt wäre: genug, sie kützelte ihn so lange, bis der Leichtgläubige sich übertäuben und zu dem Anschlage meiner Vergiftung hinziehn ließ. Zum Glücke behorchte ich sie, als sie den Entwurf zu der schändlichsten That schmiedeten, ich erbrach in der Wuth die Thüre und rennte mit bloßem Degen auf den Bösewicht los, der unter dem ersten Stoße erlag: Akante entsprang. Was konnte ich anders thun? Krieg gegen Krieg! Mein Leben oder das Leben des Angreifers! – Sie stellte dir mein ganzes Verhalten vermuthlich in einem Lichte dar, das den häßlichsten Verdacht der Treulosigkeit gegen dich darauf werfen mußte? –

O mit den gehässigsten schwärzesten Farben! –

Sie hintergieng dich, Freund! Meine Absicht war die redlichste: du mußtest von ihr entfernt, oder wenn sie deine Verarmung gewahr wurde, am Ende das traurigste Opfer ihrer Rache werden. Ich mußte dich retten, oder nicht dein Freund seyn – ich mußte, sollte ich auch gleich der Gefahr mich aussetzen, einige Zeit von dir nicht dafür gehalten zu werden. Ich sahe keinen andern Weg vor mir, als den ich wählte: unglücklich, daß die Boshafte meinen Befehl überschritt! wofür[123] sie bereits gebüßt hat, gleich als ich dich verließ, und noch büßen soll, wenn sie das Schicksal wieder in meine Hände liefert. –

Belphegor wußte nicht, wohin er sich mit seinem Glauben lenken sollte, zu Fromals oder Akantens ganz entgegenlaufenden Erzählungen: sein Verstand sprach für Fromaln, und sein Herz für beide: endlich neigte er sich bey einer solchen Unentschiedenheit auf Fromals Seite und glaubte der lezten Erzählung – der gewöhnliche Gang, den der Glaube der Menschen nimmt! Einmal wurde er auf alle Fälle betrogen, und konnte nie ausmachen, von wem eigentlich; und bey dieser Bewandniß war es gewiß das Beste, dem Anwesenden Recht zu geben und sich mit ihm in gutem Verständnisse zu erhalten: die Klugheit rieth ihm dies schon, wenn auch sein Herz und seine Freundschaft für Fromaln nichts dabey hätten thun wollen. Er dankte ihm freundschaftlich für seine aufrichtige Vorsorge und die Errettung aus den Klauen eines solchen Ungeheuers, that noch ein Paar verliebte Ausrüfe an Akanten und verfluchte ihr Andenken auf ewig.

Ja, wenn alle Akanten wie meine Frau wären, sprach Medardus mit Rührung, so brauchte man ihr Andenken nicht zu verfluchen. Brüderchen – wobey er Fromals Hand ergriff, – das war dir eine Frau! – Ein solches Weibchen und einen Krug Apfelwein! – und wahrhaftig ich wollte es in der Türkey alsdann mit ansehn.[124] Siehst du, Brüderchen? das war dir ein Weibchen! –

Guter Mann! wenn du einen Engel zum Weibe hättest, du wärst doch in diesem Lande unglücklich, du müßtest denn die Menschheit zur Hälfte ausziehn. Ich habe viele Länder durchschweift und allenthalben in dem Menschen einen Unterdrücker gefunden: doch nirgends ist mir noch die Unterdrückung mit so offner unverstellter Mine entgegengekommen, Leute, die nie einen höhern Grad von Freiheit gekostet haben, sind auch hier glücklich, wie der Arme bey der Verachtung, wenn er nie die Süßigkeiten der Ehre geschmeckt hat; aber wir unter einem mildern politischen Himmel erzogne, wir kränkeln mit unsrer Glückseligkeit unter dem hiesigen beständig. Ich war der gefürchtete Herr vieler Sklaven, Besitzer von Reichthümern, und doch fehlte mir stets etwas, so sehr ich alles zu haben schien. –

Du, Fromal? der du so verarmt warest, als du mit mir theiltest, du hattest dies alles? –

Ja! und kam auf eine sonderbare Weise dazu. Ich mußte entfliehn, als ich meinen boshaften Nebenbuhler ermordet hatte, um Akantens und der Gerechtigkeit Rache zu entkommen. Ich begab mich nach Frankreich und fand Paris bey meiner Ankunft in der heftigsten Bewegung. Du weißt, Belphegor, daß ich in der Welt selten mitspiele, sondern mich vom Schicksale, vom Strome der Begebenheiten fortreißen lasse:[125] auch hier blieb ich meinen Grundsätzen getreu und war müßiger Zuschauer. Man hatte ein neues Schauspiel aufgeführt, das vielen Beifall aus den Logen erhielt: das Parterr überstimmte sie mit seinem Misfallen. Der Streit war der allgemeine Gegenstand des Gesprächs, aller Wünsche und Neigungen: man haßte und liebte sich blos um der Parthey willen, zu welcher man gehörte: wie Gelfen und Gibellinen, wie die grüne und blaue Faktion stritt man, nur mit andern Waffen als diese, wider einander. Wo ich einen schönen Geist, einen witzigen Kopf, einen Kunstrichter erblickte, der war wider den Autor aufgebracht: man schwur ihm allgemein den Untergang. Ich nahm mir die Freiheit, mich bey einem nach der Ursache dieses Hasses zu erkundigen, und erfuhr, daß der Verfasser ein junger Mann, daß dies sein erstes Stück sey, und daß ein ältrer von ihm beleidigter Dichter, der einen so schnellen Beifall ahnden müßte, den Aufstand veranlaßt habe. – Aber wie machte er das? fragte ich. – Eine Schauspielerinn, die er liebte, wurde von ihm angestiftet, eine Schmeicheley an das Parterr im dritten Akte in die bitterste Satire zu verwandeln: sie opferte ihren eignen Ruhm der Liebe auf; und das lezte Wort von diesem herben Komplimente war auch das lezte, das im ganzen Stücke gesprochen wurde: weiter ließ man sie nicht. Der Mann muß nieder, sezte er hinzu, er mag sich noch so sehr sträuben: man ist in Zorn wider ihn, und nie wird er durch die feinsten Schmeicheleyen sich[126] eine Handvoll Beifall erkaufen können: er soll nicht, er muß nieder. – Ich gieng nach meinem Abschiede von ihm über einen Plaz, wo eine Menge Gaukler die Aufmerksamkeit des anwesenden Publikums an sich ziehen wollten. Ein jeder sagte dem Theile, der bey ihm stand, alles Böse von seinen übrigen Mitbewerbern und denen, die sie begünstigten, die sogleich die besten klügsten Sterblichen wurden, so bald sie zu IHM übertraten. Einer darunter, dem die ausgelassensten Spöttereyen keine Zuhörer verschaffen wollten, hatte die Bosheit, einen von seinen Leuten abzuschicken, der unter die Zuschauer der nächsten Buden brennende Schwärmer werfen mußte: das Volk sprengte aus einander, war allen den Gauklern gram, wo sie mit diesem Feuerwerke begrüßt worden waren, und liefen dem Haufenweise zu, der sie damit hatte begrüssen lassen: die übrigen wurden beinahe gestürmt. Sein Nachbar, der am meisten dabey gelitten hatte, dachte auf Ränke, sich zu rächen: er ließ heimlich ein Paar Kerle die Nägel an den Hauptbefestigungen von der Bude seines Feindes ausziehen, alsdann einen guten Stoß daran thun, und die Bude stürzte über dem Kopfe ihres Besitzers zusammen, quetschte ihn mit Lebensgefahr; die Menge lachte und gieng zu dem andern über. Kaum hatte er sich seiner gelungenen List zu erfreuen angefangen, als seine Bude in lichten Flammen stund: sein Nachbar hatte sie ihm angezündet, als er den Strom zu ihm kommen sah. So suchte einer dem andern[127] durch List oder Gewalt den Beifall abzujagen; und der einfältige Pöbel ließ sich von einem zum andern herumschicken, bis sie ihm alle misfielen. Da der ganze Plaz leer, einer beschunden, der andre versengt, fast keine Bude mehr unbeschädigt und alle gleich verachtet waren, so traten sie zusammen, kondolirten einander herzlich und giengen in Gesellschaft zum Weine. – Einige Tage darauf fand ich meinen Mann wieder, den ich um die gegenwärtige Lage des theatralischen Streites befragte. –: Es ist vorbey, antwortete er: der Mann hat durch seine Freunde bekannt machen lassen, daß er nicht Einen Vers von seiner Arbeit mehr auf das Theater kommen lassen will: und er hat heute mit seinem Rivale in Einem Speisehause gegessen; sie sind gute Freunde: und weil jener gestern ein Nachspiel aufführen ließ, worinne er das ganze Komödienhaus für sich und wider den jungen Schriftsteller zu interessiren wußte, so ist auch das Publikum wieder einig und hat die ganze Sache schon vergessen: mir selbst ist das Ding so alt, als wenn es unter dem Meroväus vorgegangen wäre. – Indem wir so mit einander sprachen, hörten wir einen Tumult, der einen lebhaften Zank ankündigte; als wir darnach forschten, so erfuhren wir, daß es zween Bediente von einer gewissen Herzoginn waren, wovon der eine Tages vorher die unvermuthete Ehre gehabt hatte, die schöne Hand seiner gebietenden Frau mit der seinigen zu berühren, als sie über den zu starken Duft eines parfumirten Herrchen in Ohnmacht[128] sank, und er allein in der Nähe war, sie aufzufangen. Ein andrer, der nicht weit davon stund, aber zu diesem Glücke zu spät kam, wurde neidisch darüber, und als sie gegenwärtig zusammenspeisten, überfiel ihn sein beleidigter Ehrgeiz von neuem, daß er das Messer ergriff und dem andern zwo große und etliche kleine Adern an der beneideten Hand entzweyschnitt. – Welch ein feiner Ehrgeiz muß in diesem Lande herrschen! rief Belphegor. –

Mich beschäftigte die Begebenheit nicht länger, als ich darüber lachte: ich bin dergleichen Wettstreite um die Ehre gewohnt. Das ist der Krieg der Hofhaltungen, der aber nirgends so hitzig geführt wird als an der Hofstatt des Apolls. Jedermann buhlt da um die Gunst des eigensinnigsten Geschöpfes – des öffentlichen Beifalls. – Belphegor! dein gutes menschenliebendes Herz würde Kapriolen machen, wenn du die Künste, die Kabalen sähest und hörtest, die sich die Leute, jenem wankelmüthigen leeren Dinge zu Gefallen, spielen, wie sie sich hassen, mit Satire, Pasquillen, Verläumdungen verfolgen, unterdrücken, ihr und andrer Leben verbittern, fast unglücklich machen, um einander ein Bröckchen Beifall abzujagen, dessen Genuß ihnen doch wahrhaftig die Hälfte der erlittnen Unannehmlichkeiten nicht wieder vergütet. Aber keiner unter diesem kriegerischen Dichtervolk hat doch gewiß seit der Schöpfung so weitaussehende Absichten gehabt als NIKANOR: der Mann war ein geborner Eroberer; er[129] strebte nach der Universalmonarchie in dem Reiche des Beifalls so stark als Alexander in der politischen. Alle Mädchen, mit welchem ein Dichter nur zu thun hatte, wäre er gleich von der untersten Klasse gewesen, mußte er zu seinen Freundinnen machen; und jeden Poeten, jeden, von dem er nur erfuhr, daß er in seinem Leben zwo Zeilen zusammen gereimt hatte, betrachtete und behandelte er als seinen Nebenbuhler. Ihre Mädchen, Freundinnen und Gönnerinnen waren seine Spione: sie mußten ihm von jedem verfertigten Verse ihrer Liebhaber Nachricht geben, das neue Produkt in Abschrift ausliefern und ihre skandalose Geschichte zu wissen thun. Aus diesen drey Materialien machte er sein Pulver, und sein Wiz diente ihm zur Kanone. Wenn er die Ueberlegenheit eines Mannes fühlte, so ließ er ihm sein Manuskript wegstehlen und verbrennen, oder Stellen heimlich einschieben, die es zum Beifalle schlechterdings unfähig machten: die Buchdrucker führte er deswegen insgesamt an seinem Seile. So bald er die Geringfügigkeit, das Mittelmäßige eines neuen Werkes merkte, so arbeitete er, durch versteckte Wege die Bekanntmachung desselben zu beschleunigen, und gleich darauf erfolgte ein ganzes Packet Schmähschriften, Parodieen, die es so lächerlich machten, daß es niemanden nicht einmal mittelmäßig schien: alle waren seine Arbeit, und seine Kreaturen mußten sie ausstreuen oder drucken lassen: oft ließ er im Manuskripte Satiren auf Werke herumlaufen, die noch unter der[130] Presse brüteten. Wenn ein neues gutes Werk ohne sein Vorwissen, oder ohne daß seine List es hindern konnte, an das Licht gelangte, so war ER der erste, der es unter dem Namen eines schlechten Mannes von übelm Kredite so ausgelassen lobte, daß es einem großen Theile schon dadurch verdächtig, und allemal der Eindruck desselben geschwächt wurde. Einmal widerfuhr ihm das Unglück, daß ein muthiger Mann seiner List und seiner Unverschämtheit trozte: er ließ sich mit Fleis sein Manuskript stehlen, indessen daß er an einem entfernten Orte eine andre Abschrift davon drucken ließ, die schon in den Händen des Publikums war und allgemein gelobt wurde, als der betrogne Nikanor noch ruhig über seinen Raub triumphirte. Plözlich erfuhr er, wie man ihn hintergangen hatte; er wütete, wie ein Löwe, besonders da ER darinne die lächerlichste Hauptrolle spielte, und jedermann sich schon auf seine Unkosten belustigte, ehe er es nur vermuthen konnte. Sein Gegner hatte sich zwar versteckt, aber es gelang Nikanorn doch, ihn auszuforschen: nun fieng der drollichste Krieg an. Man focht von beiden Seiten mit den schärfsten Waffen des komischen Witzes; und am Ende hatten sie den Nutzen, daß beide lächerlich gemacht waren: doch eignete sich Nikanor den Sieg zu, weil er das lezte Pasquill drucken ließ. Durch diesen Krieg sank er in den Augen des Publikums: doch blieb er noch immer der gefürchtete Tirann in dem Reiche des Witzes, dem jeder huldigte und den ersten Rang[131] zugestehn mußte, wenn er den zweiten nach ihm haben wollte. Er unterhielt eine Menge Lobredner, die für ein kleines Lob, das er ihnen aus Gnaden zuweilen zuwarf, sich für seine Verdienste zur Posaune der Fama gebrauchen ließen: wenn sie weiter nichts thun konnten, so mußten sie wenigstens seinen Namen in dem Andenken des Publikums durch die öftre Wiederholung desselben erhalten; und man hat mich versichert, daß er selbst einen Haufen Broschüren unter fremden Namen schrieb, worinne sein eigner werther Name, nebst Citaten aus seinen Schriften, auf allen Seiten zu finden war; auch bestach er die Setzer, daß sie in andrer Werken, wo seiner gedacht wurde, seinen Namen jederzeit mit großen hervorleuchtenden Lettern drucken mußten. Nach einem sechzigjährigen Leben voll immerwährender Scharmützel und Kämpfe hatte er endlich das Glück errungen, daß er sich einige dreißig Jahre für den Diktator perpetuus in der Republik der schönen Wissenschaften gehalten hatte, und nun, da seine komischen Waffen stumpf, sein Arm zur Lanze des Wizes zu matt war, da er nicht mehr morden und würgen konnte, jeder Esel, jeder Hase dem alten kraftlosen Löwen einen derben Stoß gab, bis endlich nicht einmal auf diese Weise mehr sein Andenken erneuert wurde, und den großen Universalmonarchen der Tod im Stillen vor den Kopf schlug. –

Der Narr! unterbrach ihn Medardus; so bin ich doch wahrhaftig bey meinem Kruge Apfelweine neben meinem[132] Weibchen tausendmal glücklicher gewesen, als er mit seinem großthuenden Ruhm, und will es gewiß auch wieder werden, wenn ich nur erst aus dem barbarischen Lande wieder weg wäre. – Sage mir nur, Brüderchen, wie du in so ein Land hast gehen können? –

Der Zufall schleuderte mich hin. Ich gieng von Paris nach London auf ein ungewisses Glück aus. Was für einen Lärm, was für Unruhen traf ich dort an? Nicht blos heimlicher schleichender Haß, nicht Faktionen, die blos in Gesellschaften über den Werth eines Schauspiels sich theilen! oder Dichter, die sich ihren guten Namen mit unblutigen Waffen zerreißen! Nein, öffentlicher lauter Tumult! Tumult der Großen und des Pöbels! – Ein unbekannter Mann, der seine Niedrigkeit nicht ertragen mochte, schreiben und lesen konnte und unverschämt dreist war, hatte sichs einkommen lassen, eine Schrift auszustreuen, worinne er von Gefahren für die Freiheit, von der Usurpation der Regierung, von Unterdrückung schwazte: ohne Zusammenhang, ohne Gründe machte er alles verdächtig und ermunterte zur Vertheidigung der Freiheit. Sogleich rotteten sich seine Leser zusammen; wer sie oder ihren Autor aufs Gewissen gefragt hätte, worinne ihre Freiheit gekränkt worden wäre, würde keine Antwort darauf erhalten haben: dennoch sezte das einzige Wörtchen »Freiheit« das ganze Volk in Feuer. Man schlug Pasquille an, man warf Fenster ein, man verfolgte diejenigen,[133] die der Autor verhaßt gemacht hatte, auf allen Gassen, hielt ihre Kutschen an, sie konnten sich beinahe nicht ohne Lebensgefahr sehen lassen, man erdrückte, man zerquetschte sich, rief dem Autor ein Vivat, bis alle Kehlen durstig wurden, und dann zerstreute man sich in die Bierhäuser, um für die Freiheit zu saufen. Dem Manne, der sie losgehezt hatte, kam es wenig auf die Freiheit an, von der er vielleicht selbst keinen Begriff hatte: er wollte sich aus der Dunkelheit reißen, und war ihm der entgegengesezte Weg dienlicher dazu, so schrieb er wider die Freiheit so gut als izt dafür. Doch in England bringt nun einmal der Eifer für die Freiheit empor, wie in verschiednen andern Reichen der Eifer für die Unterdrückung: ein jeder, der empor will, wählt sich den Weg, der ihn unter seinem Himmel am nächsten dahin führt; schlachtet, wenn er kann, dort die Großen, und hier die Kleinen: wenn er nur durch ein Wörtchen Leute anlocken kann, sich zu seinem Endzwecke Arme und Beine entzweyzuschlagen, und für sein Interesse zu arbeiten, indem er ihnen weis macht, daß sie es für das ihrige thun: wohl ihm alsdann! sein Verlangen ist befriedigt. Die Kunst der Illusion! – das ist die einzige probate Kunst des Erdbodens. In England ist sie leicht und gelang meinem Autor sehr wohl. Der Aufstand vergrößerte sich täglich; Glaser und Glasfabriken wurden mit jedem Tage mehr mit Arbeit versorgt; man illuminirte der Freiheit zu Ehren, man baute ihr Ehrenpforten,[134] man verbrannte, hieng, köpfte die vermeinten Unterdrücker im Bildnisse, man höhnte und schimpfte sie in Schriften, der wilde Haufe gerieth selbst in Uneinigkeit, sie trennten sich in Faktionen, steinigten, prügelten sich wund und lahm, und da ihr Aufhetzer seine Absichten so ziemlich befriedigt, sich bekannt, angesehen und erhoben sah, so zerstreute er ihren Unwillen, besänftigte die Verfechter der Freiheit und bezahlte niemanden seine Versäumniß, seine Wunden und sein verschwärmtes Geld: es blieb wie sonst, und die Freiheit war nichts besser und nichts gekränkter. –

Wohl einem Volke, sagte Belphegor, das für die Freiheit fechten kann! Keine Illusion ist glücklicher als die Illusion der Freiheit, wenn man ihr gleich jährlich etliche hundert Hirnschädel opfern müßte. Mein Blut schwillt in allen Adern empor und zersprengt fast mein Herz vor übereilter zuströmender Bewegung, wenn ich nur den begeisternden Klang Freiheit tönen höre. Komm! wir kehren zurück nach England: das einzige Land der Erde, wo ich von nun an wohnen will! Die Sonne muß dort erfreulicher wärmen, der Schatten viel erfrischender laben, weil er ein freyes Haupt erquickt. Freunde! wenn mein Leben nur noch in Einem Tropfen Blutes bestünde, gern wollte ich mir selbst die Ader zerschneiden und ihn herauströpfeln lassen, könnte ich durch diesen Tod eine Menge Menschen in die Illusion versetzen, sich für freyer als den Rest der Menschheit zu halten und dadurch glücklicher[135] zu werden. – Meinst du nicht, Freund? redte er den Medardus an. –

Ja, Brüderchen, war seine Antwort, ich dächte selber, daß in einem freyen Lande ein Krug Apfelwein tausendmal schöner schmecken müßte, weil er über eine freye Zunge geht: aber wenn nicht solche Weiberchen zu haben sind, wie meine verstorbne, – ey! Schade für die Freiheit! –

Fromal lächelte und fuhr in seiner Erzählung fort. – In London machte ich die Bekanntschaft einer ziemlich reichen Kaufmannswittwe, die wegen einer empfindlichen Beschimpfung, die sie erlitten hatte, den festen Entschluß faßte, ihr Vaterland zu verlassen: ich bot ihr meine Begleitung und meine Person an; wir heiratheten einander und zogen zusammen in die Türkey, wo sie einen Vetter beerbte: ich theilte den Genuß ihres Vermögens und dünkte mir glücklich. Das Schicksal kollerte mich aufwärts, izt wieder unterwärts; wer kann sich dem Schicksale widersetzen? das wäre der tollste Krieg. Es mag mich weiter fortschleudern: seine Hand hat die Elemente sich zu dem Dinge, das ihr Fromal nennt, zusammenballen und aufwachsen lassen, sie wird es schon durch die Welt transportiren, und weis sie es nicht mehr fortzubringen, so wirft sie es wider die Erde, daß es aus einander fällt; und aus den Fragmenten wird der Zufall wieder etwas anders brüten: es geht nichts verloren. – Frisch! munter! meine Freunde! Getrost wollen wir uns von dem[136] Stoße des Schicksales fortrollen lassen, wohin uns auch seine Richtung treibt: wir bleiben immer auf der Erde, finden allenthalben Menschen, allenthalben Krieg in verschiedener Gestalt, allenthalben Kampf, wenn wir uns unter ihr Spiel mischen, und werden vermuthlich ganz wohl davon kommen, wenn wir stillschweigend neben ihnen wegschleichen. –

O Fromal, hätte ich diese Regel früher befolgt! sprach Belphegor; vielleicht wäre ich izt weniger Krüpel. Die unbändige Hitze, die mich dahinreißt! –

Brüderchen, sprach Medardus, sey du guten Muthes! die Vorsicht lebt noch. Wer weis, wozu es gut ist, daß du ein Krüpel bist? der Apfelwein würde dir immer noch wohl schmecken, wenn du einen Krug voll hier hättest. Laß das Grämen und Härmen! wer weis wozu dirs gut ist? –

Wozu? unterbrach ihn Fromal lächelnd; zu nichts! In der langen Kette von Ursachen und Wirkungen in dieser Welt war es schon längst vorbereitet, daß er ein Krüpel seyn sollte: wer kann der Nothwendigkeit widerstreben, die die sterblichen Begebenheiten aus einander hervorwachsen läßt? Wer kann den Bliz aufhalten, daß er nicht mein Haus trift? Wäre die Lage und Wirkung der Theilchen der Atmosphäre von Anbeginn durch den Zufall anders geordnet worden, so träfe er vielleicht meinen Nachbar: aber nein! er soll, er muß mich treffen. Gut ist mirs wahrhaftig nicht, wenn er mich bettelarm macht, aber meine Armuth[137] kann mir in der Folge vielleicht durch den Zufall irgend wozu nüzlich werden: ich bilde mir es ein, ich suche den Nutzen; wohl mir, wenn ichs zu einer solchen glücklichen Illusion bringe! – Wohlan! wie leichte Späne, schwimmen wir auf dem Strome der Nothwendigkeit und des Zufalls fort: sinken wir unter – gute Nacht! wir haben geschwommen! –[138]

4

Eine ungeheure Menge gesammelter Dünste, die die im Texte beschriebenen Wirkungen, nach dem Berichte der Zeitungsschreiber, thun soll.

Quelle:
Johann Karl Wezel: Belphegor, Frankfurt a.M. 1979, S. 95-139.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gedichte. Ausgabe 1892

Gedichte. Ausgabe 1892

Während seine Prosa längst eigenständig ist, findet C.F. Meyers lyrisches Werk erst mit dieser späten Ausgabe zu seinem eigentümlichen Stil, der den deutschen Symbolismus einleitet.

200 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon