Erstes Kapitel

[278] Herrmann gab jedesmal seinem Boten, wenn er ihn aussandte, einen Brief an Ulrike mit, worinne er ihr seine bisherigen Schicksale seit der Abreise aus seinem Vaterstädtchen pünktlich und umständlich erzählte, und war deswegen den ganzen Tag unaufhörlich mit Schreiben beschäftigt, ohne einen Schritt aus dem Hause zu tun. Die Frau Doktorin floß von Lobsprüchen über und weissagte ihm mit der äußersten Zuversichtlichkeit, daß er in kurzem ein großer Mann sein werde, weil er so fleißig an ihres Mannes Akten schriebe. Kaum daß er auf ihre Lobeserhebungen und Verheißungen hörte! Kaltblütig nahm er sie an, und der Doktor, der wohl wußte, daß er wenig oder nichts für ihn arbeitete, ließ seine Frau aus Gutmütigkeit und Liebe für seinen Schreiber in ihrem Wahne.

Nach dem letzten, eilfertig geschriebenen Briefe stockte die Korrespondenz: der Bote ging zwar den zweiten Tag nach dem Empfange desselben mit einem großen Schreiben von Heinrichen zur Baronesse, allein er brachte es wieder zurück mit der Nachricht, daß ihn die Köchin abgewiesen habe. – War das Geheimnis verraten? Hatte man die Baronesse von Dresden weggebracht? Wollte man sie verheiraten? Wollte man sie einsperren? – Alles gleich wahrscheinlich für den argwöhnischen Verliebten! Dahinter mußte er kommen, kostete es auch noch soviel. Sein Postbote wurde befehligt, gegen Erlegung eines baren Gulden die Gasse, wo die Baronesse wohnte, unablässig durchzupatroullieren, in der Nachbarschaft und im Hause, doch mit Vorsichtigkeit, nach ihr zu fragen und bei der ersten gewissen Nachricht sogleich getreuen Bericht zu erstatten. Herrmann setzte sich ebenfalls in Bewegung, auch durch sich selbst Gewißheit zu bekommen.

Neun Tage lang erfuhr er nichts, als daß Ulrike weder verreist noch eingesperrt, noch weggebracht sei, sondern sich[278] wirklich in Dresden befinde und alle Tage mit ihrer Tante ausfahre: er sah auch einigemal die Kutsche, allein seit der Begebenheit bei der Mühle fuhr die Oberstin nicht anders als mit zugemachten Fenstern, stieg bei einer Spazierfahrt nie aus, wenn es nicht in einem Garten oder andern verschloßnen Orte war, und erlaubte Ulriken nicht, einen Blick aus dem Wagen zu tun: sobald sie nur Miene machte, sich nach dem Fenster zu neigen, so wurde sie mit einem Donnerwetter oder Sapperment wieder in die Ecke gedrückt. Das waren neun Tage, in Höllenpein zugebracht!

Erst am zehnten langte ein Brief an, den sie, mit Blei beschwert, dem Kurier zum Fenster herabgeworfen hatte. Er wurde nicht gelesen, sondern verschlungen.


den 24. Junius.


Ich schreibe Dir diesen Brief, liebster Heinrich, mit höchst betrübtem Herze, so voll Beklemmung, daß sie mir den Atem nimmt. Was ich befürchtete, ist geschehn: die Oberstin hat der Tante Gräfin den ganzen Vorfall bei der Mühle haarklein geschrieben, und ich habe gestern einen Brief von ihr bekommen, der mir am Herze nagt. Sie bittet mich um Gottes willen, ich soll mir Gewalt antun und meine Liebe gegen Dich aufgeben. Sie hätte, schreibt sie, aus zu guter Meinung von meinem Verstande keine von allen Beschuldigungen und verdächtigen Anzeigen wider mich geglaubt und sehr oft durch meine Verteidigung des Onkels Unwillen auf sich geladen: ›Aber nunmehr‹, setzt sie hinzu, ›hat mich das Geständnis, das Du Deiner Tante mit der äußersten Frechheit in der Mühle tatest, aus meinem Irrtum gerissen: ich sehe, daß Du nicht bloß unvorsichtig, sondern verführt bist und Deine Verführung liebst, Dir vielleicht gar etwas darauf zugute tust. Besinne Dich, Ulrike: bedenke, wer Du bist, wer Dein Onkel und Deine übrigen Verwandten sind! Und dann überlege, ob Du es verantworten kannst, uns allen eine solche Schande zu machen! Weise den liederlichen Buben‹ – Heinrich! das Blut möchte mir aus den Adern sprützen, indem ich's hinschreibe: den liederlichen Buben! wenn's nicht meine Tante wäre, ich wollte ihr eine verzweifelte Antwort auf den liederlichen Buben[279] geben. – ›Weise den liederlichen Buben von Dir! Meide, fliehe den Erzbösewicht, der uns unsere Wohltaten durch Bubenstreiche vergelten will! Alles Gute, was ich ihm erzeigt habe, muß sein Verderben werden: mein eignes Verderben muß ich mir zur Strafe wünschen, daß ich mich von unseliger Schwachheit verleiten ließ, den Schänder unsers Hauses selbst zu erziehen. Noch weiß der Graf nichts von der öffentlichen Beschimpfung, die Dir der verhaßte Bube in Gegenwart Deiner Tante angetan, die Du mit Wohlgefallen ertragen hast und sogar zu verteidigen Dich erdreistest. Wenn Dich der falsche, versteckte Bösewicht wirklich eingenommen hat und es Dir Mühe kostet, ihn zu verachten, wie er's verdient, so will ich Dir die Überwindung erleichtern. Ich bemühe mich itzt um eine Stelle in einem Fräuleinstift für Dich, wo Du zeitlebens versorgt bist, wenn sich keine anständige Partie für Dich findet; ich tue es heimlich, ohne Vorwissen des Grafen, wenigstens verhehle ich ihm sehr sorgfältig meinen Bewegungsgrund: allein kömmt es zustande, welches ich bald hoffe, weil auf Michael ein Platz ledig wird, so bin ich doch seiner Einwilligung gewiß, zumal da uns viele Ursachen nötigen, unsern Aufwand einzuschränken. Erkenne meine Gnade, Ulrike! Setze Deinen Stand und unser Haus nicht aus den Augen, da Du Deiner Versorgung so nahe bist, und führe Dich in der Zwischenzeit, bis Du dazu gelangst, mit aller Achtung für Dich selbst auf! Ich bitte Dich um Gottes willen, Ulrike! tue Deinem Herze Gewalt an und wirf Dich nicht weg! Verbittre mir nicht den kleinen Rest von Ruhe, den mir der Graf und seine Ohrenbläser täglich mehr rauben! Erfahre ich nur das mindeste von einem fernen oder gar geheimen Verständnisse zwischen Dir und dem niederträchtigen Landläufer, so muß ich selbst an Deinem Unglücke bei dem Grafen arbeiten: ich muß ihm alles entdecken, und es wird ihm nicht viel Mühe machen, eine exemplarische Strafe für Heinrichs Verwegenheit auszuwirken. Wie es Dir ergehen würde, das kannst Du Dir leicht vorstellen: wie wehe wollte mir's tun, eine mir so liebe Blume, die ich selbst begossen und gepflegt habe, mit meinen eignen Händen zu zerknicken![280] Rührt Dich dieser Schmerz nicht, dann möchte ich Dich nie gekannt haben und Dich hassen können.‹ –

Was sagst Du zu dem Briefe, Heinrich! Muß sich das Herz nicht umwenden, wenn man so etwas liest? – Ich zitterte, als ich ihn las, die Betrübnis wollte mich ersticken, und aus Liebe für die Gräfin ward ich durch ihre Bitte so bewegt, daß ich im ersten Augenblicke willens war, ihr zu gehorchen. Aber, Heinrich, es ist mir unmöglich, ihr zu gehorchen: ich kann mich nicht von Dir losmachen: sooft ich's wünsche, ist mir immer, als wenn Du bei mir stündest, mir um den Hals fielst und riefst: »Um Gottes willen, Ulrike! gehorche nicht!« – Nein, Heinrich! ich kann nicht gehorchen – Gott ist mein Zeuge! ich kann nicht gehorchen! Du bist mir so allgegenwärtig, so mein einziger Gedanke, wohnst so ganz in mir, als wenn Du meine Seele wärst. Ich denke immer: ›Könntest du dich denn nicht zwingen? könnte denn Heinrich nicht lieber eine von seinem Stande –‹, kaum daß ich's soweit denke, so geht schon das ganze Zimmer mit mir herum; es wird mir bänglich, so ängstlich, als wenn mir's das Herz abstoßen wollte; ich laufe vor Wehmut und Bangigkeit aus einem Winkel in den andern: die vier Wände sind mir so enge, als wenn sie über meinem Kopfe sich zusammensenkten, daß ich zum Fenster hinunterspringen möchte. Nein, Heinrich! ich schwöre Dir's bei Himmel und Erde! ich kann nicht gehorchen! ich muß Dich lieben! Du mußt mein werden, und wenn die Verdammnis mein Lohn würde.

Ich habe hier, indem ich dies bei der Nachtlampe schreibe, die Hand auf die Brust gelegt, den Schwur laut getan und Gott zum Zeugen angerufen: ich will ihn halten. Es ist mir ein großer Fels vom Herze gewälzt, daß ich ihn getan habe: es war, als ich ihn tun wollte, bei dem blassen Schimmer der Lampe, völlig, als wenn die Tante Gräfin in ihrem weißen Atlaskleide zum Kabinett hereinrauschte und mir den Mund zuhalten wollte: es lief mir ein rechter Totenschauer über den Rücken; und wie ich schwur, fiel die zurückgeschlagene Bettgardine – vermutlich weil ich mit dem Ellenbogen daran stieß – über mich herab: ich denke, die Tante fällt über mich[281] her, so erschrak ich: aber ich ermannte mich: ich vollendete den Schwur mit Zittern, und kaum hatte ich das letzte Wort gesprochen, so ward mir's wie Tageslicht vor den Augen, und Mut und Entschlossenheit belebten mich so plötzlich, als wenn sie mir in alle Adern gegossen würden.

Ich bin entschlossen, fest entschlossen, der Versorgung in einem Stifte zu entgehen. Eine Versorgung zeitlebens! – Ja, daran liegt mir viel! Die Leute denken, wenn man Essen und Trinken hat, dann ist man versorgt: hat man denn nicht auch ein Herz? Meins ist versorgt: ich bedarf gar keine Versorgung weiter. Was bekümmert mich das bißchen elender Kleiderputz, kostbare Tafel, Equipagen und Bedienten? Nehm es, wer's mag! Ich war in dem gestreiften Raschrocke, als wir den Abend vor Deiner Abreise im Kabinette beisammensaßen, so glücklich und tausendmal glücklicher, als ich niemals in dem schönsten Steifrocke bei dem herrlichsten Feste gewesen bin. Wenn mich nun aller der langweilige Plunder nicht rührt? Wenn ich nun keine Versorgung zeitlebens haben will? – Ich begreife gar nicht, wo die Leute hindenken! Ich muß doch wohl am besten wissen, wie ich versorgt sein will: ich bin's ja, ich bin's ja! und wenn Du nur einen Platz mit hundert, mit funzig Talern Einnahme bekömmst, so bin ich versorgt! Zeitlebens nach Wunsch und Verlangen versorgt! Aber das kann niemand begreifen: man möchte sich zu Tode ärgern.

In ein Fräuleinstift! – Es fährt mir eiskalt durch alle Glieder, wenn mir das Fräuleinstift einfällt. So ein Stift stelle ich mir wie ein großes, winklichtes, finsteres, steinernes Haus vor, mit dicken, dicken Mauern, kleinen Fensterchen mit runden rotberäucherten Scheibchen wie ein Achtgroschenstück, große eiserne Stäbe davor, daß man das ganze Jahr Licht in den dämmrigen Zellen brennen muß, weil der Tag durch das viele breite Blei nicht dringen kann – ein dumpfes, hochgewölbtes, graushaft stilles Kloster mit langen schallenden Gängen, schmalen finstern Treppen und spitzrunden Türen, mitten unter öden zackichten Felsen, daß man nicht durch die Fensterstäbe hindurchschielen kann, ohne zu fürchten, es[282] möchte ein Stück losstürzen –, in einem meilenlangen fürchterlichen Tannenwalde; und so ein Gefängnis nennen die Leute eine Versorgung! Ja freilich! der Dieb hat auch eine Versorgung, der bei Wasser und Brot im finstern Turme sitzt. Lieber will ich mit Dir hinter den Zäunen schlafen, in den Dörfern betteln oder Ställe misten und Kühe hüten, als in so ein Stift gehn. Es bleibt bei unserer Verabredung unter dem Baume, da ich Dir meinen goldnen Ring an den Finger steckte.


den 25. Junius.


Hier löschte mir diese Nacht die Lampe aus: ich mußte abbrechen, und heute früh konnte ich vor großem Vergnügen nicht wieder ans Schreiben kommen. Die Tante Gräfin hat der Tante Sapperment einen Teil ihres Schmuckes geschickt, damit sie ihn hier verkauft, und Onkels Sekretär, der ihn mitgebracht hat, soll ihn verkaufen helfen. Die Tante will einen Berliner Bankier heimlich davon bezahlen, doch ohne daß es der Graf weiß: wenn's nicht geschieht, so will der Bankierden Onkel verklagen; und dann wachen alle andere auf, denen er schuldig ist, sagte der Sekretär, und um sie alle zu bezahlen, reicht seine Herrschaft sechsfach nicht zu. Die Oberstin hat also heute den ganzen Vormittag nichts als Juden bei sich gehabt: es war eine Hauptlust, wie sie unter den Mauscheln herumfluchte und schimpfte, weil sie ihr nicht genug geben wollten; denn die Gräfin verlangt dreißigtausend Taler. Mit dem einen Juden kriegte sie gar Zank, daß ihn ihr Hans Pump zum Hause hinauswerfen sollte. Sie kann mit niemanden reden, ohne ihn anzugreifen: den Damen dreht sie die Brustschleifen entzwei und den Herren die Knöpfe ab oder reißt ihnen mit den Nägeln Löcher in die Busenstreifen. Sie sprach also mit dem Juden am Fenster, das offenstand, und während des eifrigen Redens und Handelns drehte sie ihm einen Knopf nach dem andern ab und warf ihn zum Fenster hinaus. Der Jude gab nicht darauf acht, und fünfe lagen schon auf der Gasse; ich konnte das Lachen kaum verbergen, so belustigte mich's, als ich zusah. – Indem sie an dem sechsten Knopfe hantiert, wird sie böse, weil der Jude schlechterdings nicht[283] soviel geben will, als sie verlangt, und reißt ihm aus Grimm den Knopf mit so vieler Gewalt ab, daß der Mauschel nach ihr hintorkelt. »Mein«, ruft der Jude, »wo sind meine Knöpfe?« und sieht sich in der Stube um. – »Du Schelm hast keine mitgebracht!« antwortete die Tante. – »Mein, habe Knöpfe gehabt, so viel als Löcher! Da hat sie ja Ihre Gnaden in der Hand.« – »Da, du Fratzengesicht!« – und so warf sie ihm den sechsten Knopf in die Augen. – »Aber die andern! die andern! habe so viel Knöpfe gehabt als Löcher, so wahr ich leb! Sie werden doch nich von meinem Kleid weg nach Haus spaziert sein!« – »Du beschnittner Sappermenter! denkst du, ich habe deine Knöpfe gestohlen?« fuhr die Tante auf mit untergestemmten Armen. »Hans Pump! wirf mir den Eselskinnbacken aus dem Hause!« Hans Pump trieb ihn aus dem Zimmer; und er schrie beständig die ganze Treppe hinunter: »Meine Knöpfe! meine Knöpfe! habe Knöpfe mitgebracht, so viel als Löcher!« – Als ich hernach ans Fenster kam, stund er auf der Gasse und las sich seine Knöpfe zusammen. – Ich habe mir einen rauhen Hals gelacht über den possierlichen Auftritt.

Schicke übermorgen erst!

Ulrike.


Herrmann war nicht so geneigt, sich über die possierliche Geschichte einen rauhen Hals zu lachen: entweder fehlte ihm Ulrikens Leichtsinn und Biegsamkeit, jeden hintereinanderfolgenden, noch so entgegengesetzten Eindruck anzunehmen und gleich stark zu fühlen, oder die Liebe war zu sehr seine herrschende Empfindung, um einer andern den Eingang zu verstatten, die nicht in der engsten Vertraulichkeit mit ihr stund. Auch hatte ihn die lange ängstliche Ungewißheit vor dem Empfange dieses Briefs und der wehmütige Anfang desselben in eine Stimmung des Geistes versetzt, die nicht sehr wohl mit der Belustigung harmonierte: nicht weniger schwer drückten die kränkenden Benennungen der Gräfin auf seine ganze Empfindlichkeit: der Niederträchtigkeit, der Bosheit, der Undankbarkeit sich beschuldigt zu sehn und so aufbringende[284] Beschuldigungen weder widerlegen, noch rächen zu können, welcher Schmerz für seinen Stolz! Er setzte in der ersten Hitze einen Brief an die Gräfin auf, worinne er mit Härte und Bitterkeit sich über ihre beleidigenden Ausdrücke beschwerte und ihr bei seinem Gewissen beteuerte, daß er nie die Größe ihrer Wohltaten, aber auch nie die Größe ihrer Beleidigung vergessen werde. ›Nie kann ich‹, schrieb er, ›nunmehr Ihren Namen ohne Haß hören, wie ich nie an Ihre Güte ohne Dankbarkeit denken will. Ich möchte, daß ich Ihnen alle diese traurige Wohltaten wiedergeben könnte, wenn sie mir nur erwiesen wurden, um mir ungestraft das einzige zu nehmen, was weder Sie noch irgendein Mensch auf dieser Erde mir zu geben vermögen – meine Ehre, meine Rechtschaffenheit.‹ –

Sein angegriffner Stolz verblendete ihn so sehr, daß er nicht bedachte, welche Verräterei er an Ulriken und sich selbst durch ihn beging: erst am folgenden Morgen wurde sein Horizont wieder licht: er besann sich, daß die Gräfin nichts von der geheimen Mitteilung ihres Briefs wissen dürfte, zerriß den seinigen, ertrug mit stummem Schmerze die Kränkungen und betrachtete sich als einen Märtyrer, der um seiner Geliebten willen litt. Diese Vorstellung gab seinen Leiden einen so hohen Wert in seinen Augen, daß er sie verdoppelt wünschte: es schmeichelte seinem Stolze, sich durch solche Widerwärtigkeiten ein Verdienst um Ulriken zu erwerben: er wurde immer entschlossner, zur Vergrößrung seines Verdienstes Schmach, Mangel, Kummer, Schmerz, Schimpf und Unehre aufzufodern und mit ihnen um Ulriken zu kämpfen. Mut und Standhaftigkeit wuchsen in ihm bis zur Begeisterung empor: er schrieb folgendes Billett.


Ulrike, wie Du in jener Nacht geschworen hast, so schwöre ich Dir itzt Entschlossenheit und Mut zu, und so gewiß Du mich lieben wirst, so gewiß will ich Martern, Hungern, Blöße, Schmerz und Kränkung nicht achten, um einmal Dein zu werden. Ich bin entschlossen, so entschlossen wie Du es sein kannst, unsrer Verabredung unter dem Baume zu folgen:[285] veranstalte eine mündliche Unterredung, um uns über die Ausführung unsers Vorsatzes umständlicher zu besprechen. Vor allen Dingen müssen wir für Geld sorgen, es komme, woher es wolle; und dann in die Gefahren hinein! Eine ganze Welt voll Hindernisse sollen uns nicht aufhalten: wir reißen uns durch, treten sie danieder oder sie uns. Laß Dich weder durch Bitten noch Drohungen irre machen und fürchte Dich vor keinem Stifte! Müßt ich meinen Kopf darüber verlieren, Du sollst nicht hinein. Halte Dich zu allem gefaßt und lebe wohl.


Das Blatt wurde zwar am bestimmten Termine eingehändigt, aber erst viele Tage darauf erschien die Antwort der Baronesse.


den 26. Jun.


Es geht gewiß nicht gut, Heinrich! O welche Übereilung, daß ich schwur. Der Schwur frißt wie ein Wurm an der Seele. Sollten wir denn wirklich etwas Strafbares begehn, daß wir uns lieben? Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich mich ängstige und härme: es ist heute wieder so viel Lustiges bei uns vorgefallen, daß man sich zu Tode lachen möchte: ja, wer lachen könnte. Es fährt mir wohl ein Gelächter durch die Lippen, aber es ist so halbweinerlich, so sauer, daß mir die Brust davon weh tut. Wenn ich nur nicht geschworen hätte! Ich habe mich von Kindesbeinen an vor einem Schwure gefürchtet, und doch laß ich mich übereilen! Wenn ich nun zu schwach wäre, meinen Schwur zu halten? Wenn ich mich nun durch Bitten oder Drohungen bewegen ließ, ihn zu brechen? Wenn Gefahr oder Unglück, Elend oder Kummer zu groß, zu schwer für meine Schultern würden, und ich erläg unter ihnen? Wenn mir's nun ganz unmöglich wäre, ihn zu erfüllen? – Und doch hab ich auf meine Verdammnis geschworen! Bedenke, was das gesagt heißt – auf meine Verdammnis! Und daran wärest Du schuld, wenn ich sie verdiente: Du nur, wenn ich mich in ewige Qualen stürzte! Ich kann nirgends Ruhe finden: die Angst treibt mich herum, als wenn ich Mord und Diebstahl begangen hätte.
[286]

den 27. Jun.


Ich mußte gestern nachmittag hier abbrechen, weil mir vor Unruhe ganz schwindlicht wurde. Heute geht mir's noch schlimmer. Ach Heinrich! der Schwur bringt mich ins Grab! Sogar Schwinger hat an mich geschrieben und ermahnt mich, von Dir abzulassen. Wenn ein so vernünftiger, gutherziger Mann unsre Liebe für sträflich hält, dann muß sie es sein: aber ich habe geschworen! Ich muß sträflich handeln. Wenn ich nur Ruhe vor dem Gedanken fände!

›Reißen Sie‹, schreibt Schwinger, ›meinen armen, hülflosen Freund nicht ins Verderben hin; und Sie tun es zuverlässig, wenn Sie seine Liebe unterhalten oder gar noch anfachen. Die Reizbarkeit seines Alters folgt freilich Ihren Lockungen; denn aus allen Nachrichten und Anzeigen muß ich schließen, daß Sie zuerst mehr für ihn empfanden, als Sie sollten, und daß Sie zuerst bei Ihrem itzigen Wiedersehn seine schlafende Empfindlichkeit erregten. Wecken Sie keinen schlummernden Löwen und keine Liebe in dem Herze eines Menschen auf, der nicht für Ihre Hand geboren ist! beide zerfleischen ihn. Sie haben ihn schon vor der Gräfin verhaßt gemacht und aller künftigen Unterstützung beraubt, die ich durch meinen Vorspruch für ihn auswirken konnte: es ist aus, ganz aus: er hat nicht einen Pfennig mehr von ihr zu erwarten: ich darf gar keine Fürbitte mehr wagen. Noch nicht genug! Der Haß Ihres Hauses verfolgt ihn; und wenn Sie die brausenden Begierden seines Alters bis zur wirklichen Liebe aufwiegeln, dann kann ich schwacher Freund nicht das mindeste tun, um eine Rache zu hindern, die der Onkel bis zu seinem letzten Atemzuge für ihn aufheben wird. Und Sie, teuerste Baronesse, Sie wollten Ihrem Lehrer für seine Liebe den Schmerz zum Lohn geben, daß Sie ihm seinen Freund vor seinen Augen in eine Grube stießen, wo er elend verschmachten muß?‹

Nein, Heinrich! Ich kann, ich darf, ich will Dich nicht lieben! Ich reiße Dich ins Verderben, stoße Dich in eine Grube, wo Du verschmachten mußt! Dich, der mir lieber als die ganze Welt ist! den ich gern auf einen Thron, gern in den[287] Himmel auf meinen Händen tragen möchte! Lieber will ich meinen Schwur brechen und verdammt sein als Dich ins Verderben hinabreißen. Ich will ins Stift, will zeitlebens keinen Menschen sehn noch hören, noch sprechen, will mich einsperren, bis ich mich zu Tode gräme und in die Verdammnis übergehe, die mein schrecklicher Schwur verdient. –Diesmal geliebt und niemals wieder!

Itzt bettelt der Junge an der Tür: aber ich kann Dir unmöglich den Brief mitschicken: es ist der letzte, den ich Dir jemals schreibe, und ich habe noch viel zu sagen.


den 28. Jun.


Dein mutiges Billett habe ich nach dem Empfange zweimal gelesen, und wenn ich nur ein paar Augenblicke allein bin, zieh ich's aus der Tasche, trete in einen Winkel und lese. Es machte mir einen sehr zerstreuten, unmutigen Abend: die Tante hat etwas ehrliches auf mich geflucht, daß ich nicht redete und niemals antwortete, wenn sie mich fragte. Itzt ist die Angst überstanden: ich bin wieder mutig und entschlossen – Heinrich! ich halte meinen Schwur. Schwinger stellt sich alles zu gefährlich vor: er ist bei jeder Sache gar zu gewissenhaft, und wer weiß, wie ihm die Tante Gräfin zugesetzt hat? Du weißt ja, wie leicht sie beide eine Mücke zum Elefanten machen. Was kann Dir denn in fremden Ländern der Haß des Onkels schaden? Können wir denn die Sache nicht so heimlich anfangen, daß er niemals erfährt, wo wir sind? – Und zudem, wenn auch mein Ungehorsam und meine Liebe gegen Dich sträflich ist, muß ja doch wohl diese Sträflichkeit geringer sein, als wenn ich einen Schwur breche, auf welchem die Verdammnis steht. – Nein, ich lasse mich nicht irre machen: ich bleibe fest an Dir und Deinem Herze, und niemand soll mich davon losreißen, es sei König oder Kaiser. Ich bin itzt so mutig – o so mutig und herzhaft, daß ich die Minute mit Dir aus Dresden gehn wollte, wenn Du bei mir wärst. Es ist, als wenn mein Herz davonhüpfen wollte, so frisch schlägt mir's: es schwillt mir vor Begierde bis zu den Lippen. – Topp, Heinrich! wir sehn uns bald.

Du kleingläubiger Narr! was ist Dir denn um Geld leid? –[288] Sieh doch her! hier in meiner Kommode liegen 36 Dukaten – alles erspartes Taschengeld! Tante Sapperment läßt mich nichts ausgeben, weil ich sparsam oder, wie sie es nennt, haushältrisch werden soll. Sobald ich also mein Monatsgeld bekomme, wird Gold eingewechselt, zierlich in türkisches Papier eingewickelt und wie ein toter Hund in einem roten Schächtelchen in meiner Kommode begraben. Ich seh es allemal dem armen Golde an, wie weh es ihm tut, daß es so lebendig begraben wird. Zum Verschenken kriege ich einen lumpichten Gulden Silbergeld: drum kann ich auch unsern Boten so schlecht bezahlen: ich schäme mich jedesmal, daß ich ihm nur zwei oder vier Groschen geben kann. Wenn er diesen Brief holt, bekömmt er meinen ganzen Rest von Silbergeld; denn nun ist uns geholfen.

Von meinen 36 Dukaten will ich Dir die Hälfte einmal des Abends in der Dämmerung selbst bringen; denn dem Jungen mag ich sie nicht anvertrauen, da es unser einziges bißchen ist. Die andre Hälfte behalte ich bei mir, wenn wir etwa unterwegs voneinander getrennt würden. Laß unsern Boten nunmehr alle Abende in der Dämmerung bei unsrer Haustüre herumgehn: sobald einmal Gelegenheit da ist, wisch ich hinunter und lasse mich von ihm zu Dir führen. Daß Du auch beständig bei der Hand bist! Wir wollen uns nur auf ein paar Minuten sehn und den Tag bestimmen, wo die Reise fortgehn soll. – Topp, Heinrich! Du wirst mein.

Der Bote holt ja meinen Brief ewig nicht: er wird zu einem Buche werden, wenn er nicht bald abgeht. Ob er vielleicht nicht mehr zu mir darf? Vielleicht, daß man ihn für verdächtig hält!


den 5. Jul.


Ja, ja! hab ich's doch gedacht! die ganze Historie ist entdeckt. Den Jungen hat Hans Pump zur Treppe hinuntergeprügelt, wie er Dir schon geklagt haben wird; und heute früh zog Tante Sapperment Deine Briefe, die ich in einem Paketchen recht artig hinter der losgerissnen Tapete versteckt hatte, hervor. Hans Pump hat die Tapete gestern wieder annageln sollen und sie gefunden: um nicht den Groschen zu verlieren,[289] den ich ihm zuweilen zum Branntewein gebe, hat er meine Tante gebeten, so zu tun, als ob sie selbst dahinterkäme. Sie traf also heute früh mit dem Hämmerchen bei mir ein, als wenn sie selbst die Tapete befestigen wollte, und zog das Paketchen heraus: das Herz tat mir weh, daß ich die armen Briefe in den gelben, schmutzigen Tabaksfingern sehn mußte. Sie las und fluchte: das war die ganze Geschichte. Ich will Dir etwas von unserm Gespräche hersetzen.

Sie. Sie sappermentisches Zeterkind! Sie lassen sich gar von dem Halunken Briefe schreiben?

Ich. Mir schreibt kein Halunke: Sie dürfen nur seine Briefe lesen, um dies schändliche Wort zu bereuen.

Sie. Aber wie alle Wetter haben Sie denn die Briefe gekriegt? Nicht wahr, durch den verfluchten Donnerjungen, der immer vor Ihrer Türe gebettelt hat?

Ich. Sie wissen's.

Sie. Seht mir einmal das Wetterkind! Ist erst drei Monate über siebzehn Jahr und doch schon blitzhagelschlau? Ich hab es in meinem zwanzigsten nicht so verhagelt fein machen können.

Ich. Manche Leute werden spät klug.

Sie. Nur nicht so spitzig, mein Fräulein Naseweis! Wir sind lange schon gewesen, wohin Sie wollen. – Schreiben Sie denn dem Hagelwetterjungen auch?

Ich. Meinem Heinrich? – Ja, ich schreib ihm alle Tage, alle Stunden und Minuten.

Sie. Über Sie sappermentisches Element! Ich habe immer drei Tage gebraucht, um einen Brief an meinen Kapitän zusammenzustoppeln, und war doch schon fünfundzwanzig Jahr alt; und Sie Kreuzhagelwetterbalg schreiben Ihrem Igel alle Stunden und Minuten! – Wo sind Ihre elementschen Briefe?

Ich. Bei meinem Heinrich. Ich will sie holen lassen, wenn Sie darinne lesen wollen.

Sie. Aber, potz alle Welt! sagen Sie mir nur, wollen Sie denn den Ripel heiraten?

Ich. Nicht anders!

Sie. Das machen Sie einer Gans weis und nicht mir! Ich bin[290] dabei gewesen. Potz alle Hagel! ich weiß, wieviel die Elle gilt. Aber wenn Sie nun einmal nach den verwünschten Affenköpfen, den Mannspersonen, hungert – Blitz und der Hagel! man weiß ja wohl, wie einem in Ihrem Alter zumute ist – wenn Ihnen denn nun ja das Herz aus der Schnürbrust nach den Äsern hüpft, so werfen Sie sich doch, in des Teufels Namen, nicht weg! Suchen Sie sich doch einen hübschen Offizier aus! Es sind ja so viele artige, galante Kerlchen da: daß dich das Kreuzelement holte! das Herz lacht einem ja im Leibe, wenn man die herzallerliebstscharmanten Puppchen nur gehn sieht. Fickerlot! man darf ja nur die Hand ausstrecken, so hat man einen Vogel drauf sitzen.

Ich. In so einem Falle würden Sie mir also erlauben, mich zu verlieben?

Sie. Ei, möchten Sie sich verlieben, soviel Sie wollten! Suchen Sie sich einen aus, sag ich Ihnen! Wenn's etwas Hübsches ist, soll der Teufelsbraten bei uns essen, trinken und ein und aus gehn, wenn, wie und wo er will. Sie mögen ja mit ihm anfangen, was Sie nur wollen – ich will die Augen zutun: Sapperment! ich will gar nichts davon hören noch sehen.

Ich. Ihre Hand, Tante, wollen Sie das? Ich habe mir einen ausgesucht.

Sie. Aber ist er auch hübsch? Nicht etwa wieder so ein Katzenkopf?

Ich. O der vortrefflichste Mensch auf der Erde! So voll Verstand, voll Rechtschaffenheit, voll Ehre, voll Annehmlichkeiten, so voll Empfindung, Feuer! – er lodert ganz von Tätigkeit! und kann lieben! ach lieben! lieben, wie keiner! Es ist der vollkommenste Geist –Sie. Ach, was geht mich der sappermentische Geist an? – Ist er hübsch gewachsen? hat er rote Backen? ein hübsches, freundliches Gesicht? Redet er viel? Ist er lustig? höflich? nicht schüchtern? nicht furchtsam? – Darnach frag ich: was Henker! kommen Sie mir denn da mit dem Blitzhagelgeiste her? Und wenn er zehn Geister im Leibe hätte, man kann sie ja doch nicht sehn.

Ich. O alles, alles das ist er! Voll des einnehmendsten Reizes![291]

so lieblich lächelnd! Aus jeder Miene, jedem Akzente seiner Stimme, jeder Bewegung spricht Liebe, Gefühl: in allen seinen Handlungen ist Seele und Nerven.

Sie. Über das Zeterkind! was das für eine Beschreibung ist! Man möchte zubeißen, so appetitlich! Hat sie nicht mit den verfluchten Hexenaugen gleich das Hübscheste in der ganzen Stadt ausgegattert? – Ja, man sieht's auch den schwarzen Wetteräsern an, was dahintersteckt: sie schießen herum wie ein Paar große Karfunkel. – Aber der Hagel! haben Sie denn schon mit ihm gesprochen?

Ich. Freilich! Mehr vielleicht als mit Ihnen.

Sie. Und haben mir ihn niemals gewiesen?

Ich. Ich darf ja nicht.

Sie. Blitzelement! wer wehrt Ihnen denn das, wenn's ein hübscher Kerl ist? – Sagen Sie mir nur, wie er heißt? Ich will den Sappermenter gleich wissen: sagen Sie mir nur den Namen.

Ich. Heinrich – und wenn Sie noch mehr von seinem Namen wissen wollen – Herrmann.

Sie. Kreuz-Wetter-Blitz-Donner-Hagel-Element! Das ist ja der Eselskinnbacken, der die Briefe hier geschrieben hat!

Ich. Der nämliche! Ein recht hübscher Kerl, wie Sie vorhin sagten! Sie wollen ja die Augen zutun, weder sehn noch hören, wenn's nur ein hübscher Mensch ist: ich soll mir ja nur einen recht hübschen aussuchen: ich hab es getan.

Sie. Den verhenkerten Feuerripel! den Maulaffen!

Ich. Sie fanden ja aber meine Beschreibung von ihm so appetitlich; und er ist tausendmal schöner, als ich ihn beschrieben habe. Das Bild, das in meiner Seele von ihm liegt, das sollten Sie sehn! Wenn Sie dann mich tadeln können, daß ich keinen andern wünsche und begehre –

Sie. Schweigen Sie von dem sappermentischen Nußknacker! Mich mit dem Stachelschweine so zum Narren zu haben! Warten Sie! das werd ich Ihrer Tante, der Gräfin, schreibenalles, haarklein!

Ich. Wenn es Ihnen beliebt; ich darf mich Ihnen nicht widersetzen. Schreiben Sie ihr alles, was ich itzo sagte: von mir soll sie erfahren, was sie geraten haben. Vergessen Sie aber ja[292] nicht, sie zu versichern, daß ich diesen Menschen, den ich für den einzigen in der ganzen Schöpfung halte, immer und ewig lieben werde, solange noch ein Hauch in mir ist; daß ich ihn, sobald es die Umstände verstatten, auch heiraten will, und daß mich daran nicht Tante, nicht Onkel, nicht Himmel, Erde und Hölle hindern sollen. Je mehr man mir widersteht, je liebenswürdiger wird er mir, je beharrlicher und entschloßner macht man mich. Ich habe meine Seele zum Unterpfande eines Schwurs gegeben, daß er mein werden soll: kann eine Tante mich von der Verdammnis lossprechen, wenn sie mich zum Meineid zwingt?

Sie. Mir vergeht der Atem. Über das Blitzhagelskind! Ei, so schwöre du und alle Kreuzelementteu fel! – Bedenken Sie doch, Rikchen! was soll denn aus Ihren Kindern werden? Schabichte Füchse, aus denen kein Mensch etwas macht!

Ich. Wenn Sie nur alles werden, was ihr Vater ist. Seine Eltern waren arme Leute, und doch ist er mehr als alle die Grafen, Barone und Herren, die ich bei meinem Onkel gesehn habe.

Sie. Die verfluchte Liebe blendet Sie. – Sie verlieren ja Ihren ehrlichen Namen.

Ich. Ich bekomme ja einen andern ebenso ehrlichen dafür.

Sie. Und dürfen hernach nicht mehr unter Ihresgleichen, in keine ordentliche Gesellschaft kommen.

Ich. Das kann ich verschmerzen.

Sie. Ach du Blitzhagelsbalg! Wenn du mein Kind wärst, ich wollte dich schon gescheit machen: ich drehte dir den sappermentischen Hals um wie einer Taube.

Ich. Sie wollen der Tante meine Entschließung melden: ich will Sie nicht stören, wenn Sie itzt, bei frischem Angedenken, schreiben wollen. –

So schieden wir auseinander. Man paßt mir seit der Zeit entsetzlich auf, ob ich schreibe: aber ich sehe mich wohl vor: ich tue es nur des Nachts. Ich war wohl ein wenig schnippisch gegen meine Tante – es ist ja nur eine Tante à la mode de Bretagne: und dann war ich gerade so herzhaft, so außer mir vor Mut, daß mir alles herausfuhr, ohne daß ich selbst daran[293] dachte. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie ich seit Deinem letzten Billett vor Ungeduld brenne, Dich zu sehen und meinen Sparpfennig mit Dir zu teilen: ich bin über und über eine Flamme, so begeistert mich die Hoffnung: ich laufe herum und suche in allen Ecken, und wenn ich hinkomme, weiß ich nicht, was ich suchen will: es ist mir immer, als ob ich etwas wollte, als ob mir etwas fehlte, und wenn ich mir den Kopf zerbreche und sinne und sinne, so ist es nichts. – Ach, lieber Heinrich! Itzt fühl ich, was leben heißt: einen Menschen lieben wie Dich, das heißt es und nicht einen Buchstaben mehr.


den 8. Julius.


Wenn dieser Brief zu Dir kömmt, so haben wir von großem Glück zu sagen: aus dem Fenster, anders kann ich ihn nicht bestellen. Schicke den Jungen in Zukunft unter mein Fenster und schreibe mir nicht weiter: ich bekomme es doch nicht. Wenn ich nun so zum Fenster hinunterspringen und mich in der Tasche zu Dir tragen lassen könnte wie dieser Brief! Aber nur Geduld! die Not wird schon einmal aufhören: und dann, liebster, allerliebster Heinrich! – ich kann vor Freuden nicht sagen, was dann geschehen wird.

Ich küsse, umarme, schätze, verehre, liebe, bete Dich an, und verharre und verbleibe und bin in, vor und nach dem Tode, solang es nur ein Ich und Du gibt,

Deine Ulrike.

Quelle:
Johann Karl Wezel: Hermann und Ulrike. Leipzig 1980, S. 278-294.
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