Prolog zur dritten Handlung

Melancholien hängen in der Luft,

Wenn sich im Frühling feuchte Schleier weben

Um Berg und Tal, der graue Nebelduft

Wie Greisenliebe kriecht um junges Leben,

Wenn Regen sprüht aus zorn'ger Wolkenkluft

Auf Blüten nieder, die im Frost erbeben

Und weinend fragen, welch ein Fluch so rauh

Verwandelt hat den milden Maientau?


Sechs finstre Tage lang blieb zugezogen

Der Vorhang, der das Sonnenlicht verschloß,

Sechs finstre Tage lang die Welt betrogen

Um Glanz und Wärme. Da auf einmal schoß

Am siebenten herab vom goldnen Bogen

Der erste Sonnenpfeil. Langsam zerfloß

Der schweren Wolkendünste trübe Schar.

Mit blassem Blau ward rings der Aether klar.
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Doch Millionen, die sich jüngst des blauen

Gezeltes freuten, – vor der schlimmen Zeit! –

Nicht sollen sie's zum zweiten male schauen.

Von frosterstarrten Leibern weit und breit

Sind übersät die Felder und die Auen,

Als hätt' es Leichen aus der Luft geschneit.

Sie liegen in den Pfützen, auf den Wegen,

Und unterm Schlamm noch zuckt ein leises Regen.


Maikäferkönigs Volk, des einst so stolzen,

Hat seine Beresina durchgemacht.

Wie Winterschnee ist die Armee geschmolzen,

Am Tag umschwirrt in schreckensvoller Schlacht

Von tausend wohlgezielten Armbrustbolzen

Des Mißgeschicks; vom Frost vertilgt zu Nacht.

Der Rest – erlangte volle Lebenskunde,

Doch teures Lehrgeld kostete die Stunde.


Laßt uns die Letzten denn zum Ziel geleiten.

Es wird ein langer, närr'scher Trauerzug,

In dem wir hinter kleinen Leichen schreiten,

Die freilich auch ein kleiner Tod erschlug,

– Nicht jener eurer trag'schen Herrlichkeiten! –

Doch war er ihnen grade groß genug.

Und konnten sie auf Erden nicht erwerben

Sich Lieb' und Duldung, – konnten sie doch sterben.
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Quelle:
Josef Victor Widmann: Maikäfer-Komödie. Frauenfeld [o.J.], S. 140-145.
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