Ode an Herrn Bodmer

[13] Der die Seelen einst schuf, weich zu Empfindungen

Und unendlicher Triebe voll,[13]

Gab schon damals ins Herz jeder Erhabneren

Ihrer Freundinnen dunkles Bild.


Damals schuf er den Trieb, welchen ein edles Herz

Staunend vor den Geliebten fühlt,

Den ein trennendes Land oder Jahrhunderte

Seinem zärtlichen Arm entziehn.


In den Schlummern der Nacht, wenn sich die Zukunft oft

Im weissagenden Geist enthüllt,

Stieg vom goldnen Olymp oft das geliebte Bild

Meiner Freundin vor meinen Blick.


Lang noch eh ich sie sah, und mich ihr göttlich Herz

Fremd und himmlisch empfinden ließ;

Als die Muse mich noch, Elbe, an deinem Schilf,

Oder irrend in Hainen fand.


Wenn der kommende Lenz in mein sanft wallend Herz

Neue dichtrische Freuden goß;

Fühlt ich klopfend in mir einen geheimen Wunsch,

Unbefriedigt und still beweint.


Oft am silbernen Fluß oder vom Weidenwald

Sanft vom Zephyr herbeigeführt,

Hört ich dann einen Laut, der mich zu rufen schien,

Oder Seufzer der Zärtlichkeit.


Die ihr, Freunde, mit mir groß und harmonisch denkt,

Du, o göttlicher Sokrates!

Du, geliebter Horaz, und du mein Plinius,

O wie oft schlug mein Herz für euch?


Bodmer, der Du vom Pind lächelnd herunter siehst,

Mit homerischem Laub bekränzt,

Wenn, vom Satyr verfolgt, sich an des Berges Fuß

Der barbarische Schwarm ermüdt.
[14]

Ja, ich wag's, was ich stets heimlich vor Dich empfand,

Auf Dein freies erhabnes Herz

Wag ich's, nenne Dich Freund, zähl Dich den Weisen bei,

Deren Namen mir heilig sind.


In der zärtlichen Brust, die mir der Himmel gab,

Sind die edelsten Triebe Dein;

Dein, und Langen, und Dir, lehrender Breitinger,

Und dem, der den Messias singt.


O! wie selig, wenn einst mein noch umwölkt Geschick

Eurem Blick mich entgegen bringt!

Kaum empfandest du mehr, Klopstock, da du zuerst

Bodmers Armen entgegen kamst.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 4, München 1964 ff., S. 13-15.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
C. M. Wielands sämtliche Werke: Band IX. Gedichte
Wielands Oberon: Ein Gedicht in Vierzehn Ges Ngen
Oberon: Ein Gedicht in Zwolf Gesangen

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Klein Zaches

Klein Zaches

Nachdem im Reich die Aufklärung eingeführt wurde ist die Poesie verboten und die Feen sind des Landes verwiesen. Darum versteckt sich die Fee Rosabelverde in einem Damenstift. Als sie dem häßlichen, mißgestalteten Bauernkind Zaches über das Haar streicht verleiht sie ihm damit die Eigenschaft, stets für einen hübschen und klugen Menschen gehalten zu werden, dem die Taten, die seine Zeitgenossen in seiner Gegenwart vollbringen, als seine eigenen angerechnet werden.

88 Seiten, 4.20 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon