Ode an Serena

[34] Alles schlief um mich her, traurige Stille lag,

Also schien es dem Schmerz, auf der entschlafnen Welt,

Gleich der schauernden Stille

An dem Morgen des Weltgerichts.


Jeder nächtliche Hauch schien mir ein Widerhall

Meiner Seufzer zu sein; wie mit erbleichtem Glanz

Eine sterbende Sonne

Ihren zitternden Welten scheint,


Also schien mir der Mond, aber er hörte nicht

Meine Klagen. Doch der, der in Serenens Brust

Jeder heiligen Neigung

Sanftgebietende Stimme hört,


Hörte mich! Du auch vielleicht, Unter den Seraphim

Vor den andern beglückt, den er Serenen gab,

Daß der Tugenden keine

Ohne himmlischen Zeugen sei,


Auch du sahest vielleicht wie ich geängstigt lag,

Ganz mit Kummer umzäunt! Denn sie entflohen mir,

Sie, durch die ich noch lebte,

Tausend selige Hoffnungen.


Als ich weinend so lag, ringsum von furchtbaren

Künftigkeiten geschreckt; Siehe da trat das Bild

Meiner sterbenden Freundin

Vor mein bebendes Angesicht.


Allzuschön für die Welt, die Sie verkennet hat,

Und zum Himmel schon reif, hatte der Ewige

Sie zu seiner Belohnung

Von der Erden hinweg gerückt.
[35]

Denn sie hatte nunmehr, nach des Geschickes Schluß

Alle Tränen geweint. Gottmensch, du zähltest sie

Und bestimmtest zum Lohne

Jeder Trän eine Ewigkeit!


Die mit denen Sie oft, unter die Seraphim

Schon zum Thron hin entzückt, betend am Himmel hing,

Ihre zärtlichen Augen,

Fielen ernst und gebrochen zu.


Fromme Unschuld, ein Herz welches nicht heucheln kann

Das gewohnt ist dem Blick, des der Allwissend ist

Seine Gedanken zu zeigen,

Und die zärtlichste Menschenhuld


Spricht ihr Angesicht noch! Aber was sagt mir hier

Dieser traurige Zug, der aus dem himmlischen

Sanften Lächeln hervorbricht?

Und auch Englische Seher rührt.


Also lag sie vor mir, die ich mit Zärtlichkeit

Mit Verehrung geliebt, deren erhabner Blick,

Gleich als wär sie mein Schutzgeist,

Mich zu jeglicher Tugend rief.


Ach! der blühende Leib, den die Natur so schön,

Wie zur Ewigkeit, schuf; soll er zu Staub verblühn?

Und dies Antlitz der Liebe,

Seiner Seele getreues Bild!


Weinet, die ihr sie kennt, Edlere Sterbliche!

Nicht ihr, denen der Geist ihres beredten Blicks

Und die Schönheit und Würde

Ihrer Seele nicht sichtbar war,


Weinet Freunde, die ihr je sie gesehen habt,

Und in ihrem Gesicht mehr als nur Grazien

Mehr als sterbliche Schönheit

Mit Verehrung gesehn habt!
[36]

Weint! itzt ist es bald Staub, was ihr mit Wunder saht!

Ach! wie klopft mir mein Herz! Ach! Sie belohnt nicht mehr

Meinen segnenden Blick, ach! sie vernimmt es nicht

Was die weinende Liebe klagt!


Doch verstumme, mein Schmerz! Lästernde Klage, flieh!

Dam es kommt einst der Tag, da sie wird auferstehn,

Da in himmlischer Schöne

Dieser Leib aus dem Grabe geht.


Der, der einst für sie starb und für sie auferstand,

Wird mit eben dem Wort, welches den Welten rief

Den entschlafnen Gebeinen

Sagen: wachet zum Himmel auf!


Für die Ewigkeit schön, dem der sein Bild ihr gab

Ähnlich, tritt sie alsdann unter die Engel hin

Und umarmet voll Liebe

Ihren wiedergefundnen Freund.


Sei mir heilig, mein Herz! die du geliebet hast

Trug des Ewigen Bild, die dich geliebet hat

Lobt itzt über den Sonnen

Mit den Scharen den Ewigen!


Als die sinkende Brust, die schon erstarrete,

Sich vom letzten Gebet sanft, wie gen Himmel, hub,

War der sterbenden Christin

Letztes heißes Gebet für Dich!


Welche Würde gibt dir, daß sie so für dich bat

Noch zu irdisches Herz! Sei nun nicht irdisch mehr!

Sei es würdig, noch itzo

Von Serenen geliebt zu sein!


Hör, Unendlicher an, was an der Freundin Grab

Meine Seele gelobt! Hör auch verklärter Geist,

Aus den seligen Sphären

Meinen frommen Gelübden zu!
[37]

Klagen will ich dich nicht. Denn du bist seliger

Als ein sterblicher faßt. Sollt ich des Christen Tod

Mit unglaubigen Tränen

Und mit sträflichem Schmerz entweihn?


Aber, was ich noch hier lebe, das sei allein

Dir, mein Schöpfer, gelebt! Wo nun mein Erbe ist,

Sei mein Wandel! im Himmel

Wo Serena die Gottheit schaut.


Was vergänglich ist, flieh! Freuden der sterblichen

Euch verschmäh ich! Mir sind schon in der Ewigkeit

Hefte Blicke gegönnet!

Sie verdunkeln die Erde ganz.


Wie die Vorsicht es will, fern in der Einsamkeit

Oder unter der Welt, will ich mein übriges

Dir geheiligtes Leben,

Frommer tätiger Weisheit voll


Still verleben! dem Ruhm unbekannt; wenigen,

Deinen Freunden, bekannt! willig der Toren Hohn

Unbeweglich zu dulden,

Stets ein weiser, ein Menschenfreund!


So hat die ich geliebt, da Sie im Leibe war,

Stets verkannt von der Welt, aber von Gott gekannt,

Bei den Menschen gewandelt

Gleich unsichtbaren Seraphim.


Also flieget dahin, fliegt in die Ewigkeit

Meine Tage! euch bindt nichts an die Erde mehr

Als die Stimme der Vorsicht.

Fliegt mit meinen Gebeten auf!


Niemals klage mein Mund! nicht ein entfliehender

Seufzer klag euch hinfort, goldene Hoffnungen,

Engel-gleiche Gestalten

Einer irdischen Seligkeit
[38]

In Serenens Besitz. Gott hat euch weggewinkt!

Dies nur sei mir erlaubt, daß ich in einsamen,

Ernsten, wachenden Nächten

Ins Vergangne zurücke seh!


In den goldnen August, da ich Serenen sah,

Da mein Leben mir nun neu und verhimmelt schien;

Da in weisen Gesprächen

Unsre schüchterne Liebe wuchs;


In die Stunden zurück, die wir der Zärtlichkeit

Und der Freundschaft geweiht; da nur Unsichtbare

Unsern redenden Seelen

Aus der Abendluft zugehört;


Da Ihr geistiger Blick, was keine Sprache sagt,

Was kein Dichter ersinnt, neue Empfindungen

Neue stolze Gedanken,

In mein seliges Herz gestrahlt;


Da ich Tränen der Lust, Tränen der Dankbarkeit

In Entzückung zu Gott von ihr hinaufgeweint,

Ihrer sittsamen Wange

Stumm vor Freuden entküssete.


Also sei mir erlaubt, in mein vergangnes Glück

Mit wehmütiger Lust dankbar zurückzuschaun!

Mit verlangenden Augen

Will ich dann, o Serena, dich


Aus den Sternen herab, ringsum von Seraphim

Und von Klarheit umstrahlt, ehrfurchtvoll sinken sehn,

Wie du mit segnendem Lächeln

Mir zu deiner Umarmung winkst.
[39]

Also trieb mich mein Herz, trauriger Ahnung voll,

Um die Mitternachtszeit wachend in Träumen um,

Da dein Schicksal, o Freundin,

Mich in furchtsamen Kummer riß.


Lange sah ich, als wie aus mir herausgezückt,

Mit verbreiteter Seel und mit beträntem Aug,

Auf den ernsten Gedanken

Deiner frühen Vollendung hin!


Und mit Seufzern der Angst, wie sie des Todes Furcht

Einer Seelen erpreßt, die sich für sterblich hält,

Mit gerungenen Händen,

Bat ich zitternd den Ewigen


Um dein Leben. Die Nacht ging mit verhülltem Haupt

Unter meinem Gebet langsam bei mir vorbei.

Aber, mit den erwachten

Ersten Strahlen des Morgens, kam


Eine Stimme zu mir; sanft wie die Frühlingsluft

Weht die Stimme mich an, und mein getröstet Herz

Schlug im Busen gelinder

Und die Tränen versiegten schnell:


Die um welche du batst, ist dir von Gott geschenkt!

Aber dir nicht allein. Auch der verkehrten Welt,

Soll ihr lehrendes Leben

Lang die sichtbare Tugend sein!


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 4, München 1964 ff., S. 34-40.
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