Fünfter Gesang

[226] 1.

Auch dich, o Rezia, floh, auf deinen weichen Schwanen,

Der süße Schlaf Du sahst in Klippen dich

Verfangen, woraus dir einen Pfad zu bahnen

Unmöglich schien. Verhaßt und fürchterlich

Ist dir das festliche Rot am morgendämmernden Himmel,

Verhaßt der Tag, der dich an Hymens Altar winkt.

Lang wälzt sie seufzend sich um, bis endlich, vom innern Getümmel

Der Seele betäubt, ihr Haupt herab zum Busen sinkt.


2.

Sie schlummert ein, und, ihren Mut zu stützen,

Webt Oberon ein neues Traumgesicht

Vor ihre Stirn. Sie glaubt, bei Mondeslicht,

In einer Laube der Gärten des Harems zu sitzen,

In Phantasien der Liebe versenkt.

Ein süßes Weh, ein lieblich banges Sehnen

Hebt ihre Brust, ihr Auge schwimmt in Tränen,

Indem sie hoffnungslos an ihren Jüngling denkt.


3.

Die Unruh treibt sie auf. Sie läuft, mit hastigen Schritten

Und suchendem Blick, durch Busch und Blumengefild,

Eilt atemlos zu allen grünen Hütten,

Zu allen Grotten hin; ihr Auge, zärtlich wild

Und tränenvoll, scheint das geliebte Bild

Von allen Wesen zu erbitten:

Oft steht sie ängstlich still, und lauscht

Wenn nur ein Schatten wankt, nur eine Pappel rauscht.


4.

Zuletzt, indem sie sich nach einer Stelle wendet

Wo durch der Büsche Nacht ein heller Mondschein bricht,

Glaubt sie – O Wonne! wenn kein falsches Schattenlicht

Ihr gern betrognes Auge blendet –

Zu sehen was sie sucht. Sie sieht und wird gesehn;

Sein Feuerblick begegnet ihren Blicken.

Sie eilt ihm zu, und bleibt, in schauerndem Entzücken,

Wie zwischen Scham und Liebe, zweifelnd stehn.
[227]

5.

Mit offnen Armen fliegt er ihr entgegen.

Sie will entfliehn, und kann die Kniee nicht bewegen;

Mit Müh verbirgt sie noch sich hinter einen Baum,

Und in der süßen Angst zerplatzt der schöne Traum.

Wie gerne hätte sie zurück ihn rufen mögen!

Sie zürnt sich selbst und dem verhaßten Baum;

Vergebens suchet sie sich wieder einzuwiegen,

Ihm nachzusinnen bleibt ihr einziges Vergnügen.


6.

Die Sonne hatte bald den dritten Teil vollbracht

Von ihrem Lauf, und immer war's noch Nacht

Bei Rezia; so groß war ihr Ergetzen,

Den angenehmen Traum noch wachend fortzusetzen.

Doch da sie gar zu lang kein Lebenszeichen gibt,

Naht endlich Fatme sich dem goldnen Bette, schiebt

Den Vorhang weg, und findet mit Erstaunen

Die Dame wach, und in der besten aller Launen.


7.

»Ich hab ihn wieder gesehn, o Fatme, wünsche mir Glück«,

Ruft Rezia, »ich hab ihn wieder gesehen!«

»Das wäre!« spricht die Amm, und sucht mit schlauem Blick

Herum, als dächte sie den Vogel auszuspähen.

Das Fräulein lacht: »Ei, ei, wie ist dein Witz so dick!

Man dächte doch, das sollte sich verstehen!

Ich sah ihn freilich nur im Traum; allein

Er muß gewiß hier in der Nähe sein.


8.

Mir ahnt's, er ist nicht fern, und sprich mir nichts dagegen,

Wenn du mich liebst!« – »So schweig ich!« – »Und warum?

Was wäre denn am Ende so verwegen

An meiner Hoffnung? Sprich! wie sollt ich sie nicht hegen?«

Die Amme seufzt und bleibt noch immer stumm.

»Was übersteigt der Liebe Allvermögen?

Der Löwenbändiger, der mich beschützt, ist sie;

Und retten wird sie mich, begreif ich gleich nicht wie.


9.

Du schweigst? du seufzest? Ach! zu wohl nur, gute Amme,

Versteh ich was dein Schweigen mir verhehlt![228]

Du hoffest nichts für meine Flamme!

Ich selbst, ich hoffe nur weil beßrer Trost mir fehlt.

Die Stunde naht; schon klirren meine Ketten,

Und mein Verderben ist gewiß;

Ein Wunder nur, o Fatme, kann mich retten,

Ein Wunder nur! wo nicht – so kann es dies!«


10.

Bei diesem Worte zieht mit feurgem Blicke

Sie aus dem Busen einen Dolch hervor.

»Siehst du? Dies macht mir Mut! dies hebt mich so empor

Mit diesem hoff ich alles vom Geschicke!«

Die Amme schwankt an ihren Stuhl zurücke,

Wird leichenblaß, und zittert wie ein Rohr.

»Ach! ist dies alles, so erbarme

Sich Gott!« – ruft sie, und weint und ringt die Arme.


11.

Das Fräulein drückt die Hand ihr auf den Mund:

»Still«, spricht sie, »fasse dich!« und steckt in ihren Busen

Den Dolch zurück. »Du weißt, im weiten Erdenrund

Ist nichts mir so verhaßt als dieser Fürst der Drusen.

Eh Der mich haben soll, eh soll ein giftiger Molch

In meine Brust die scharfen Zähne schlagen!

Kommt mein Geliebter nicht, den Raub ihm abzujagen,

Was bleibt mir übrig als mein Dolch?«


12.

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen,

So hört man am Tapetentürchen pochen,

Das aus dem Schlafgemach in Fatmens Kammer fahrt.

Sie geht, und kommt nach einer kleinen Weile

So schnell zurück, daß sie vor lauter Eile

Und Freudentrunkenheit den Atem fast verliert.

»Nun sind wir aller Not entbunden! Triumph!

Prinzessin, Triumph! der Ritter ist gefunden!«


13.

Im Nachtgewand, das wie ein Nebel kaum

Den schönen Leib umwallt, fährt jene aus den Lacken

Und fällt entzückt der Amme um den Nacken:

» Gefunden? Wo? wo ist er? O mein Traum,[229]

So logst du nicht?« – Die Amme, selbst vor Freuden

Ganz außer sich, hat kaum noch so viel Sinn,

Die wonnetaumelnde halb nackte Träumerin

In großer Eil ein wenig anzukleiden.


14.

Herein gerufen wird sodann

Die Alte, selbst ihr Märchen zu erzählen.

Die gute Mutter fängt beim Ei die Sache an,

Und läßt es nicht am kleinsten Umstand fehlen;

Kein Zug, kein Wort das ihrem Gast entrann,

Wird im Gemälde weggelassen.

»Er ist's, er ist's! wir haben unsern Mann«,

Ruft Fatme aus; »es kann nicht besser passen!«


15.

Die Alte wird von neuem ausgefragt,

Muß drei- und viermal wiederholen

Was er getan, gesagt und nicht gesagt;

Muß immer wieder ihn vom Haupt bis zu den Sohlen

Abschildern, Zug für Zug – wie gelb und lang sein Haar,

Wie groß und blau sein schönes Augenpaar;

Und immer ist noch etwas nachzuholen

Das in der Eil ihr ausgefallen war.


16.

Indes sich so um zwanzig Jahre jünger

Die Alte schwatzt, entspinnt der hohe Lockenbau

Der schönen Braut sich unter Fatmens Finger.

Mit Perlen, glänzender als Tau,

Wird schneckengleich ihr schwarzes Haar durchflochten,

Ohr, Hals und Gürtel schmückt so schimmerndes Gestein,

Daß ihren Glanz im Sonnenschein

Die Augen kaum ertragen mochten.


17.

Vollendet stellt nunmehr, von ihrer Nymphenschar

Zum Fest geschmückt und bräutlich angekleidet,

Gleich einer Sonne sich die Königstochter dar,

Und lieblich wie ein Reh, das unter Rosen weidet.

Kein Auge sah sie ungeblendet an,

Wiewohl sie jetzt nur Mädchenaugen sahn:[230]

Nur sie allein schien nichts davon zu wissen,

Wie neben ihr die Sterne schwinden müssen.


18.

Das Feuer, das aus ihren Augen strahlt,

Die Ungeduld, das lauschende Verlangen

Das ihre Lippen schwellt und ihre zarten Wangen

Mit ungewohntem Purpur malt,

Setzt ihre Jungfraun in Erstaunen.

»Ist dies die widerspenstge Braut,

(Beginnen sie einander zuzuraunen)

Der gestern noch so sehr vor diesem Tag gegraut?«


19.

Indessen sammeln sich die Emirn und Wesire,

Geschmückt zum Fest, im stolzen Hochzeitsaal.

Gerüstet steht das königliche Mahl,

Und, bei Trompetenklang, tritt aus der goldnen Türe

Des heiligen Palasts, von Sklaven aller Art

Umflossen, der Kalif mit seinem grauen Bart.

Der Drusenfürst, noch etwas blaß von Wangen,

Kommt stattlich hinter ihm als Bräutigam gegangen.


20.

Und gegenüber tut die Tür von Elfenbein

Sich aus dem Harem auf, und, schöner als die Frauen

In Mahoms Paradies, tritt auch die Braut herein.

Ein Schleier zwar, gleich einem silbergrauen

Gewölke, wehrt dem Engelsangesicht

Den vollen Glanz allblendend zu enthüllen;

Und dennoch scheint ein überirdisch Licht

Bei ihrem Eintritt stracks den ganzen Saal zu füllen.


21.

Dem Drusen schwillt und sinket wechselsweis

Sein Herz, indem sein Aug an ihren Reizen hanget:

Er sucht im ihrigen was er zu sehn verlanget;

Allein, ein Blick, so kalt wie Alpeneis,

Ist alles was er sieht. Doch, dem Betörten schmeichelt

Die Eitelkeit, die Selbstbetrügerin,

Daß Rezia den spröden Blick nur heuchelt:

»O (denkt er) all der Schnee schmilzt über Nacht dahin!«
[231]

22.

Ob er zu viel gehofft soll kein Geheimnis bleiben.

Doch, ohne jetzt unnötig zu beschreiben,

Wie drauf, nachdem der Imam das Gebet

Gesprochen, man beim Schall der Pauken und der Zinken

Zur Tafel sich gesetzt, erst Seine Majestät,

Dann rechter Hand die Braut, der Bräutigam zur linken,

Und hundert Dinge, die von selber sich verstehn,

Ist's Zeit, auch wieder uns nach Hüon umzusehn.


23.

Der hatte, wie ihr euch erinnert, seine Nacht,

Von Ungeduld erhitzt, von Ahnungen umgaukelt,

Auf seiner Streue nicht viel sanfter zugebracht,

Als einer, den der Sturm in einem Mastkorb schaukelt.

Kaum aber hat dem Tag in seine goldne Bahn

Aurorens Rosenhand die Pforten aufgetan,

So senkt sich nebelgleich ein Dunst von Mohn- und Flieder

Und Lilienduft auf seine Augen nieder.


24.

Er schlummert ein, und schläft in einem Zug

Noch immer fort, da schon des Sonnenwagens Flug

Den Himmel halb geteilt. Sein Alter ging indessen

Um von der Burg die Lage auszuspähn,

Und zum Entführungswerk das Nötge vorzusehn;

Derweil, am kleinen Herd, zu ihrem Mittagsessen

Die gute Wirtin Anstalt macht,

Halb mürrisch, daß ihr Gast so lange nicht erwacht.


25.

Sie schleicht zuletzt, um wieder durch die Spalten

Zu gucken, an die Tür, und trifft (zu gutem Glück

Für ihren Vorwitz) just den ersten Augenblick,

Da Hüons Augen sich dem goldnen Tag entfalten.

Frisch, wie der junge Mai sich an den Reihen stellt

Wenn mit den Grazien die Nymphen Tänze halten,

Hebt sich mit halbem Leib empor der schöne Held,

Und ratet, was zuerst ihm in die Augen fällt?


26.

Ein Kaftan, wie ihn nur die höchsten Emirn tragen,

Wenn sich der Hof zu einem Feste schmückt,[232]

Auf goldbeblümtem Grund mit Perlen reich gestickt,

Liegt schimmernd vor ihm da, um einen Stuhl geschlagen;

Ein Turban drauf, als wie aus Schnee gewebt,

Und, um ihn her, den Emir zu vollenden,

Ein diamantner Gurt, an dem ein Säbel schwebt,

So reich, daß Scheid und Griff ihm fast die Augen blenden.


27.

Zum ganzen Putz, von Fuß zu Haupt,

Den Stiefelchen aus übergüldtem Leder

Bis zu dem Demantknopf der hohen Straußenfeder

Am Turban, mangelt nichts. Der gute Ritter glaubt,

Ihm träume noch. Woher kann solcher Staat ihm kommen?

Die Alte steht erstaunt. »Das geht durch Zauberei«,

Ruft sie; »ich hätte doch sonst was davon vernommen!«

»Der Zwerg«, spricht Scherasmin, »ist ganz gewiß dabei!«


28.

Der Ritter glaubt es auch, und denkt: »Durch all die Heiden

Im Vorhof macht mir dies zum Hochzeitsaale Bahn.«

Und flugs ist Kaftan, Gurt, und alles umgetan;

Die Wirtin sputet sich, ihn recht heraus zu kleiden.

»Allein was fangen wir mit diesem Turban an?

Das schöne gelbe Haar seintwegen abzuschneiden?«

»Nicht um die Welt!« – »Doch still! es geht ja wohl hinein;

Er scheint ja recht mit Fleiß dazu gewölbt zu sein!«


29.

Herr Hüon stand nunmehr, bis auf die lilienglatte

Bartlose Wange, wie ein wahrer Sultan da,

Indem das Mütterchen ihn um und um besah

Und immer noch an ihm zu putzen hatte.

Drauf, als der treue Scherasmin

Ihm was ins Ohr geraunt, beginnt er fortzugehen,

Reicht einen Beutel Gold der Wirtin freundlich hin,

Und nun, »lebt wohl, auf Wiedersehen!«


30.

Nichts halb zu tun ist edler Geister Art.

Ein reich gezäumtes Roß steht vor der Tür der Alten,

Und neben ihm zwei Knaben, schön und zart,

In Silberstock, die ihm die goldnen Zügel halten.[233]

Herr Hüon schwingt sich auf; die Knaben frisch voran,

Und führen ihn auf einem Seitenwege,

Am Strome hin, durch blühende Gehege,

Bis sie der hohen Burg sich gegenüber sahn.


31.

Schon ist er durch den ersten Hof gezogen,

Im zweiten steigt er ab, und geht zum dritten ein.

Er scheint ein Hochzeitgast vom ersten Rang zu sein,

Und überall, von diesem Schein betrogen,

Macht ihm die Wache Platz. Er schreitet frei und stolz

Daher, und nähert sich dem Tor von Ebenholz.

Zwölf Mohren, Riesen gleich, stehn mit gezücktem Eisen

Die Unberechtigten vom Eingang abzuweisen.


32.

Allein des Ritters Staat und königlicher Blick

Drückt, wie er sich der hohen Pforte zeiget,

Die Säbelspitzen schnell zurück,

Die fernher sich entgegen ihm geneiget.

Die Flügel rauschen auf. Hoch schlägt sein Heldenherz,

Indem sie hinter ihm sich wieder wehend schließen.

Drauf führt ein Säulengang, an welchen Gärten stießen,

Ihn noch zu einer Tür von übergüldtem Erz.


33.

Ein großer Vorsaal war's, mit Sklaven aller Farben

Kombabischen Geschlechts erfüllt,

Die ewig hier am Quell der Freude darben,

Und, da ein Mann, von Emirsglanz umhüllt,

In ihre hohlen Augen schwillt,

Mit Blicken, die in Knechtsgefühl erstarben,

Die Arme auf die Brust ins Kreuz gefaltet, stehn,

Und kaum so mutig sind ihm hintennach zu sehn.


34.

Schon tönen Cymbeln, Trommeln, Pfeifen,

Gesang und Saitenspiel vom Hochzeitsaale her;

Schon nickt des Sultans Haupt von Weindunst doppelt schwer,

Und freier schon beginnt die Freude auszuschweifen;

Der Braut allein teilt sich die Lust nicht mit

Die in des Bräutgams Augen glühet:[234]

Als, eben da sie starr auf ihren Teller siehet,

Herr Hüon in den Saal mit edler Freiheit tritt.


35.

Er naht der Tafel sich, und alle Augenbrauen

Ziehn sich erstaunt empor, den Fremden anzuschauen.

Die schöne Rezia, die ihre Träume denkt,

Hält auf den Teller noch den ernsten Blick gesenkt;

Auch der Kalif, den Becher just zu leeren

Beschäftigt, läßt sich nichts in seinem Opfer stören:

Nur Babekan, den seines nahen Falls

Kein guter Geist verwarnt, dreht seinen langen Hals.


36.

Sogleich erkennt der Held den losen Mann von gestern,

Der sich vermaß der Christen Gott zu lästern:

Er ist's, der links am goldnen Stuhle sitzt

Und seinen Nacken selbst der Straf entgegen bieget.

Rasch, wie des Himmels Flamme, blitzt

Der reiche Säbel auf, der Kopf des Heiden flieget,

Und hoch aufbrausend überspritzt

Sein Blut den Tisch, und den, der ihm zur Seite lieget.


37.

Wie der Gorgone furchtbars Haupt

In Perseus Faust den wild empörten Scharen

Das Leben stracks durch seinen Anblick raubt;

Noch dampft die Königsburg, noch schwillt der Aufruhr, schnaubt

Die Mordlust ungezähmt im Busen der Barbaren;

Doch Perseus schüttelt kaum den Kopf mit Schlangenhaaren,

So starrt der Dolch in jeder blutgen Hand,

Und jeder Mörder steht zum Felsen hingebannt:


38.

So stockt auch hier, beim Anblick solcher kecken

Verräterischen Tat, des frohen Blutes Lauf

In jedem Gast. Sie fahren allzuhauf,1

Als sähn sie ein Gespenst, von ihren Sitzen auf,

Und greifen nach dem Schwert. Allein, gelähmt vom Schrecken,

Erschlafft im Ziehn der Arm, und jedes Schwert blieb stecken;

Ohnmächtgen Grimm im starren Blick,

Sank sprachlos der Kalif in seinen Stuhl zurück.
[235]

39.

Der Aufruhr, der den ganzen Saal empöret,

Schreckt Rezien aus ihrer Träumerei:

Sie schaut bestürzt sich um, was dessen Ursach sei;

Und, wie sie sich nach Hüons Seite kehret,

Wie wird ihm, da er sie erblickt!

»Sie ist's, sie ist's«, ruft er, und läßt entzückt

Den blutgen Stahl und seinen Turban fallen,

Und wird von ihr erkannt, wie seine Locken wallen.


40.

»Er ist's«, beginnt auch sie zu rufen, doch die Scham

Erstickt den Ton in ihrem Rosenmunde.

Wie schlug das Herz ihr erst, da er geflogen kam,

Im Angesicht der ganzen Tafelrunde

Sie liebeskühn in seine Arme nahm,

Und, da sie, glühend bald, bald blaß wie eine Büste,

Sich zwischen Lieb und jungferlichem Gram

In seinen Armen wand, sie auf die Lippen küßte!


41.

Schon hatt' er sie zum zweiten Mal geküßt;

Wo aber nun den Trauring her bekommen?

Zum Glücke, daß der Ring an seinem Finger ist,

Den er im Eisenturm dem Riesen abgenommen.

Zwar, wenig noch mit dessen Wert vertraut,

Schien ihm, dem Ansehn nach, der schlechtste kaum geringer;

Doch steckt er ihn aus Not itzt an des Fräuleins Finger,

Und spricht: »So eign' ich dich zu meiner lieben Braut!«


42.

Er küßt mit diesem Wort die sanft bezwungne Schöne

Zum dritten Mal auf ihren holden Mund.

»Ha!« schreit der Sultan auf, und knirscht und stampft den Grund

Vor Ungeduld, »ihr leidet daß der Hund

Von einem Franken so mich höhne?

Ergreift ihn! Zaudern ist Verrat!

Und, tropfenweis erpreßt, versöhne

Sein schwarzes Blut die ungeheure Tat!«


43.

Auf einmal blitzen hundert Klingen

In Hüons Aug, und kaum erhascht er noch,[236]

Eh sie im Sturm auf ihn von allen Seiten dringen,

Sein hingeworfnes Schwert. Er schwingt es dräuend. Doch

Die schöne Rezia, von Lieb und Angst entgeistert,

Schlingt einen Arm um ihn, macht ihre Brust zum Schild

Der seinigen – der andre Arm bemeistert

Sich seines Schwerts. »Zurück, Verwegne«, schreit sie wild.


44.

»Zurück! es ist kein Weg zu diesem Busen

Als mitten durch den meinen!« ruft sie laut;

Und ihr, noch kaum so sanft wie Amors holde Braut,

Gibt die Verzweiflung itzt die Augen von Medusen.

»Vermeßne, haltet ein«, ruft sie den Emirn zu,

»Zurück! – O schone sein, mein Vater! und, o du,

Den zum Gemahl das Schicksal mir gegeben,

O spart mein Blut in euer beider Leben!«


45.

Umsonst! des Sultans Wut und Dräun

Nimmt überhand, die Heiden dringen ein.

Der Ritter läßt sein Schwert vergebens blitzen,

Noch hält ihm Rezia den Arm.

Ihr ängstlich Schrein Durchbohrt sein Herz.

Was bleibt ihm sie zu schützen

Noch übrig, als sein Horn von Elfenbein?

Er setzt es an den Mund, und zwingt mit sanftem Hauche

Den schönsten Ton aus seinem krummen Bauche.


46.

Auf einmal fällt der hoch gezückte Stahl

Aus jeder Faust; in raschem Taumel schlingen

Der Emirn Hände sich zu tänzerischen Ringen;

Ein lautes Hussa schallt Bacchantisch durch den Saal,

Und Jung und Alt, was Füße hat, muß springen;

Des Hornes Kraft läßt ihnen keine Wahl:

Nur Rezia, bestürzt dies Wunderwerk zu sehen,

Bestürzt und froh zugleich, bleibt neben Hüon stehen.


47.

Der ganze Divan dreht im Kreis

Sich schwindelnd um; die alten Bassen schnalzen

Den Takt dazu; und, wie auf glattem Eis,

Sieht man den Imam selbst mit einem Hämling2 walzen.[237]

Noch Stand noch Alter wird gespart;

Sogar der Sultan kann der Lust sich nicht erwehren,

Faßt seinen Großwesir beim Bart,

Und will den alten Mann noch einen Bockssprung lehren.


48.

Die nie erhörte Schwärmerei

Lockt bald aus jedem Vorgemache

Der Kämmerlinge Schar herbei,

Sodann das Frauenvolk, und endlich gar die Wache.

Sie all' ergreift die lustge Raserei:

Der Zaubertaumel setzt den ganzen Harem frei;

Die Gärtner selbst in ihren bunten Schürzen

Sieht man sich in den Reihn mit jungen Nymphen stürzen.


49.

Als eine, die kaum ihren Augen glaubt,

Steht Rezia, des Atems fast beraubt.

»Welch Wunder!« ruft sie aus; »und just in dem Momente,

Wo nichts als dies uns beide retten könnte!«

»Ein guter Genius ist mit uns, Königin«,

Versetzt der Held. Indem kommt durch die Haufen

Der Tanzenden sein treuer Scherasmin

Mit Fatmen gegen sie gelaufen.


50.

»Kommt«, keicht er, »lieber Herr! Wir haben keine Zeit

Dem Tanzen zuzusehn; die Pferde stehn bereit,

Die ganze Burg ist toll, die Türen alle offen

Und unbewacht; was säumen wir?

Auch hab ich unterwegs Frau Fatmen angetroffen,

Zur Flucht bepackt als wie ein lastbar Tier.«

» Sei ruhig«, spricht der Held, »noch ist's nicht Zeit zu gehen,

Erst muß das Schwerste noch geschehen.«


51.

Die schöne Rezia erblaßt bei diesem Wort;

Ihr ängstlich Auge scheint zu fragen und zu bitten:

»Warum verziehn? warum am steilen Bord

Des Untergangs verziehn? O laß mit Flügelschritten

Uns eilen, eh der Taumelgeist zerrinnt,

Der unsrer Feinde Sinne bindt!«[238]

Doch Hüon, unbewegt, begnüget sich, mit Blicken

Voll Liebe ihre Hand fest an sein Herz zu drücken.


52.

Allmählich ließ nunmehr die Kraft des Hornes nach;

Die Köpfe schwindelten, die Beine wurden schwach,

Kein Faden war an allen Tänzern trocken,

Und, in der atemlosen Brust

Geschwellt, begann das dicke Blut zu stocken.

Zur Marter ward die unfreiwillge Lust.

Durchnäßt, als stieg' er gleich aus einer Badewanne,

Schwankt der Kalif auf seine Ottomane.


53.

Mit jedem Augenblick fällt, starr und ohne Sinn,

Da, wo rings um die Wand sich Polster schwellend heben,

Ein Tänzer nach dem andern hin.

Emirn und Sklaven stürzen zappelnd neben

Göttinnen des Serails, so wie's dem Zufall däucht,

Als ob ein Wirbelwind sie hingeschüttelt hätte,

So daß zugleich auf Einem Ruhebette

Der Stallknecht und die Favoritin keicht.


54.

Herr Hüon macht die Stille sich zu Nutze,

Die auf dem ganzen Saale ruht;

Läßt seine Königin, nah bei der Tür, im Schutze

Des treuen Scherasmin, dem er auf seiner Hut

Zu sein gebeut; gibt ihm auf alle Fälle

Das Horn von Elfenbein, und naht sodann der Stelle,

Wo der Kalif, vom Ball noch schwach und matt,

Auf einen Polsterthron sich hingeworfen hat.


55.

In dumpfer Stille liegt mit ausgespannten Flügeln

Leis atmend die Erwartung rings umher.

Die Tänzer all', von Schlaf und Taumel schwer,

Bestreben sich die Augen aufzuriegeln,

Den Fremden anzusehn, der sich, nach solcher Tat,

Mit unbewehrter Hand und bittenden Gebärden

Dem stutzenden Kalifen langsam naht.

Was, denkt man, wird aus diesem allen werden?
[239]

56.

Er läßt sich auf ein Knie vor dem Monarchen hin,

Und mit dem sanften Ton und kalten Blick des Helden

Beginnt er: »Kaiser Karl, von dem ich Dienstmann3 bin,

Läßt seinen Gruß dem Herrn der Morgenländer melden,

Und bittet dich – verzeih! mir fällt's zu sagen hart!

Doch, meinem Herrn den Mund, so wie den Arm, zu lehnen,

Ist meine Pflicht – um vier von deinen Backenzähnen

Und eine Hand voll Haar aus deinem Silberbart.«


57.

Er spricht's und schweigt, und steht gelassen

Des Sultans Antwort abzupassen.

Allein, wo nehm ich Atem her, den Grimm

Des alten Herrn mit Worten euch zu schildern?

Wie seine Züge sich verwildern,

Wie seine Nase schnaubt? mit welchem Ungestüm

Er auf vom Throne springt? wie seine Augen klotzen,

Und wie vor Ungeduld ihm alle Adern strotzen?


58.

Er starrt umher, will fluchen, und die Wut

Bricht schäumend jedes Wort an seinen blauen Lippen.

»Auf, Sklaven! reißt das Herz ihm aus den Rippen!

Zerhackt ihn Glied für Glied! zapft sein verruchtes Blut

Mit Pfriemen ab! weg mit ihm in die Flammen!

Die Asche streut in alle Winde aus,

Und seinen Kaiser Karl, den möge Gott verdammen!

Was? Solchen Antrag? Mir? In meinem eignen Haus?


59.

Wer ist der Karl der gegen Mich sich brüstet?

Und warum kommt er nicht, wenn's ihn

So sehr nach meinem Bart und meinen Zähnen lüstet,

Und wagt's, sie selber auszuziehn?«

»Der Mensch muß unter seiner Mütze

Nicht richtig sein«, versetzt ein alter Khan,

»So etwas allenfalls begehrt man an der Spitze

Von dreimal hundert tausend Mann.«


60.

»Kalif von Bagdad«, spricht der Ritter

Mit edlem Stolz, »laß alles schweigen hier,[240]

Und höre mich! Es liegt schon lange schwer auf mir,

Karls Auftrag und mein Wort. Des Schicksals Zwang ist bitter:

Doch seiner Oberherrlichkeit

Sich zu entziehn, wo ist die Macht auf Erden?

Was es zu tun, zu leiden uns gebeut,

Das muß getan, das muß gelitten werden.


61.

Hier steh ich, Herr, ein Sterblicher wie du,

Und steh allein, mein Wort, trotz allen deinen Wachen,

Mit meinem Leben gut zu machen:

Doch läßt die Ehre mir noch einen Antrag zu.

Entschließe dich von Mahomed zu weichen,

Erhöh' das heilge Kreuz, das edle Christenzeichen,

In Babylon, und nimm den wahren Glauben an,

So hast du mehr, als Karl von dir begehrt, getan.


62.

Dann nehm ich's auf mich selbst, dich völlig los zu sprechen

Von jeder andern Forderung,

Und der soll mir zuvor den Nacken brechen,

Der mehr verlangt! So einzeln und so jung

Du hier mich siehst, was du bereits erfahren,

Verkündigt laut genug, daß einer mit mir ist

Der mehr vermag als alle deine Scharen.

Wähl itzt das beste Teil, wofern du weise bist!«


63.

Indes, an Kraft und Schönheit einem Boten

Des Himmels gleich, der jugendliche Held,

Uneingedenk der Lanzen, die ihm drohten,

So mannhaft spricht, so mutig dar sich stellt:

Beugt Rezia von fern, mit glühend roten

Entzückten Wangen, liebevoll

Den schönen Hals nach ihm, doch schaudernd, wie der Knoten

Von all' den Wundern sich zuletzt entwickeln soll.


64.

Herr Hüon hatte kaum das letzte Wort gesprochen,

So fängt der alte Schach wie ein Beseßner an

Zu schrein, zu stampfen und zu pochen,

Und sein Verstand tritt gänzlich aus der Bahn.[241]

Die Heiden all' in tollem Eifer springen

Von ihren Sitzen auf mit Schnauben und mit Dräun,

Und Lanzen, Säbel, Dolche dringen

Auf Mahoms Feind von allen Seiten ein.


65.

Doch Hüon, eh sie ihn erreichen, reißt in Eile

Der Männer einem rasch die Stange4 aus der Hand,

Schlägt um sich her damit als wie mit einer Keule,

Und zieht, stets fechtend, sich allmählich an die Wand.

Ein großer goldner Napf, vom Schenktisch weggenommen,

Dient ihm zugleich als Schild und als Gewehr;

Schon zappeln viel am Boden um ihn her,

Die seinem Grimm zu nah gekommen.


66.

Der gute Scherasmin, der an der Türe fern

Zum Schutz der Schönen steht, glaubt seinen ersten Herrn

Im Schlachtgedräng zu sehn, und überläßt voll Freude

Sich einen Augenblick der süßen Augenweide:

Doch bald zerstreut den angenehmen Wahn

Des Fräuleins Angstgeschrei; er sieht der Heiden Rasen,

Sieht seines Herrn Gefahr, setzt flugs das Hifthorn an

Und bläst, als läg ihm ob die Toten aufzublasen.


67.

Die ganze Burg erschallt davon und kracht;

Und stracks verschlingt den Tag die fürchterlichste Nacht,

Gespenster lassen sich wie schnelle Blitze sehen,

Und unter stetem Donner schwankt

Des Schlosses Felsengrund. Der Heiden Herz erkrankt;

Sie taumeln Trunknen gleich, Gehör, Gesicht vergehen,

Der schlaffen Hand entglitschen Schwert und Speer,

Und gruppenweis liegt alles starr umher.


68.

Der Sultan, übertäubt von so viel Wunderdingen,

Scheint mit dem Tod den letzten Kampf zu ringen;

Sein Arm ist nervenlos, sein Atem schwer,

Sein Puls schlägt matt, und endlich gar nicht mehr.

Auf einmal schweigt der Sturm; ein lieblich säuselnd Wehen

Erfüllt den Saal mit frischem Lilienduft,[242]

Und, wie ein Engelsbild ob einer Totengruft,

Läßt Oberon sich atzt auf einem Wölkchen sehen.


69.

Ein lauter Schrei des Schreckens und der Lust

Entfährt der Perserin; ein unfreiwillig Grauen

Bekämpft in ihr das schüchterne Vertrauen.

Die Arme über ihre Brust Gefaltet, steht sie glühend neben

Dem Jüngling da, dem sie ihr Herz gegeben,

Und wagt, der süßen Schuld jungfräulich sich bewußt,

Zu ihrem Retter kaum die Augen zu erheben.


70.

»Gut, Hüon«, spricht der Geist, »du hast dein Ehrenwort

Gelöst, ich bin mit dir zufrieden.

Zum Ritterdank ist dir dies schöne Weib beschieden!

Doch, eh ihr euch entfernt von diesem Ort,

Bedenke Rezia, wozu sie sich entschließet,

Eh sie vielleicht mit unfruchtbarer Reu

Die rasche Wahl verführter Augen büßet!

Zu bleiben oder gehn läßt ihr das Schicksal frei.


71.

So vieler Herrlichkeit entsagen,

Verlassen Hof und Thron, dem sie geboren ward,

Um sich, auf ungewisse Fahrt,

Ins weite Meer der Welt mit einem Mann zu wagen;

Zu leben ihm allein, mit ihm den Unbestand

Des Erdenglücks, mit ihm des Schicksals Schläge tragen,

(Und ach! oft kommt der Schlag von einer lieben Hand!)

Da lohnt sich's wohl, vorher sein Herz genau zu fragen.


72.

Noch, Rezia, wenn dich die Wage5 schreckt

Noch steht's bei dir den Wunsch der Liebe zu betrügen:

Sie schlummern nur, die hier als wie im Grabe liegen

Sie leben wieder auf, so bald mein Stab sie weckt.

Der Sultan wird dir gerne, was geschehen,

Verzeihn, trotz dem was er dabei verlor,

Und Rezia wird wieder wie zuvor

Von aller Welt sich angebetet sehen.«
[243]

73.

Hier schwieg der schöne Zwerg. Und, bleicher als der Tod,

Steht Hüon da, das Urteil zu empfangen,

Womit ihn Oberon, der Grausame! bedroht.

In Asche sinkt das Feuer seiner Wangen.

Zu edel oder stolz, vielleicht ein zweifelnd Herz

Mit Liebesworten zu bestechen,

Starrt er zur Erde hin mit tief verhaltnem Schmerz,

Und läßt nicht einen Blick zu seinem Vorteil sprechen.


74.

Doch Rezia, durchglüht von seinem ersten Kuß,

Braucht keines Zunders mehr die Flamme zu erhitzen.

Wie wenig däucht ihr noch was sie verlassen muß,

Um alles was sie liebt in Hüon zu besitzen!

Von Scham und Liebe rot bis an die Fingerspitzen,

Verbirgt sie ihr Gesicht und einen Tränenguß

In seinem Arm, indem, hoch schlagend von Entzücken,

Ihr Herz empor sich drängt, an seines sich zu drücken.


75.

Und Oberon bewegt den Lilienstab

Sanft gegen sie, als wollt er seinen Segen

Auf ihrer Herzen Bündnis legen,

Und eine Träne fällt aus seinem Aug herab

Auf beider Stirn. »So eil auf Liebesschwingen,«

Spricht er, »du holdes Paar! Mein Wagen steht bereit,

Bevor das nächste Licht der Schatten Heer zerstreut,

Euch sicher an den Strand von Askalon zu bringen.«


76.

Er sprach's, und eh des letzten Wortes

Laut Verklungen war, entschwand er ihren Augen.

Wie einem Traum entwacht, steht Hüons schöne Braut,

Den süßen Duft begierig aufzusaugen,

Der noch die Luft erfüllt. Drauf sinkt ein scheuer Blick

Auf ihren Vater hin, der wie in Todesschlummer

Zu starren scheint. Sie seufzt, und wehmutsvoller Kummer

Mischt Bitterkeit in ihres Herzens Glück.


77.

Sie hüllt sich ein. Herr Hüon, dem die Liebe

Die Sinne schärft, sieht nicht so bald[244]

Ihr Herz beklemmt, ihr schönes Auge trübe,

So drückt er sie mit zärtlicher Gewalt,

Den rechten Arm um ihren Leib gewunden,

Zum Saal hinaus. – »Komm«, spricht er, »eh die Nacht

Uns überrascht, und jeder Arm erwacht,

Den, uns zu Lieb, der Geist mit Zauberschlaf gebunden.


78.

Komm, laß uns fliehn, eh uns den Weg zur Flucht

Ein neuer Feind vielleicht zu sperren sucht,

Und sei gewiß, sind wir nur erst geborgen,

Wird unser Schützer auch für diese Schläfer sorgen.«

Dies sprechend trägt er sie mit jugendlicher Kraft

Die Marmortrepp hinunter bis zum Wagen,

Den Oberon zu ihrer Flucht verschafft,

Und eine süßre Last hat nie ein Mann getragen.


79.

Die ganze Burg ist furchtbar still und leer

Wie eine Gruft, und Leichen ähnlich liegen

In tiefem Schlaf die Hüter hin und her;

Nichts hemmt der Liebe Flucht; der Wagen wird bestiegen

Doch traut das Fräulein sich dem Ritter nicht allein;

Mit Scherasmin steigt auch die Amme hastig ein.

Sie, die zum ersten Mal so viele Wunder siehet,

Die arme Frau weiß nicht wie ihr geschiehet.


80.

Wie wird ihr da sie rückwärts schaut

Und sieht, an Pferde Statt, vier Schwanen vor dem Wagen,

Regiert von einem Kind! – Wie schaudert ihr die Haut,

Da sie empor gelupft und durch die Luft getragen

Sich fühlt, und kaum zu atmen sich getraut,

Und nicht begreifen kann, wie, ohne umzuschlagen,

So schwer bepackt, der Wagen sich erhebt,

Und, steter als ein Kahn, auf leichten Wolken schwebt!


81.

Als endlich gar die Nacht sie überfiel,

Was Wunder, daß die Furcht zuletzt die Scham besiegte,

Und Fatme so gedrang an Scherasmin sich schmiegte,

Als wie zum Schlaf an ihren lieben Pfühl![245]

Vermutlich daß der Mann dazu sich willig fügte;

In solchen Fällen mischt das Herz sich gern ins Spiel:

Jedoch gereicht zum Ruhm des wackern Alten,

Daß er wie reines Gold dies Feuer ausgehalten.


82.

Ganz anders war das junge Paar gestimmt,

Das Amor atzt mit seiner Mutter Schwanen

Davon zu fahren schien. Ob auf gewohnten Bahnen

Den Lauf ihr Zauberfuhrwerk nimmt,

Ob durch die Luft, ob's rollet oder schwimmt,

Ob langsam oder schnell, mit Pferden oder Schwanen,

Sanft oder hart, mit oder ohne Fahr,

Sie werden nichts von allem dem gewahr.


83.

Ein neuer Wonnetraum, ein seliges Entzücken

Ins Paradies, dünkt sie ihr gegenwärtger Stand;

Sie können nichts, als stumm, mit nimmer satten Blicken,

Sich anschaun, eins des andern warme Hand

Ans volle Herz in süßer Inbrunst drücken,

Und, während Himmel und Erd aus ihren Augen schwand,

Und sie allein noch übrig waren, fragen:

»Ist's, oder träumt uns noch, Sind wir in Einem Wagen,«


84.

»So war's kein Traum als ich im Traum dich sah?«

(Rief jedes aus) »So war es Rezia?«

»War's Hüon? und ein Gott hat dich mich finden lassen?«

»Du mein?« – »ich dein?« – »Wer durft es hoffen, wer?

So wundervoll vereint, uns nimmer nimmermehr

Zu trennen? Kann das Herz so viele Wonne fassen?«

Und dann von neuem stets einander angeblickt,

Von neuem Hand um Hand an Mund und Herz gedrückt!


85.

Vergebens hüllt die Nacht mit dunstbeladnen Flügeln

Den Luftkreis ein; dies hemmt der Liebe Sehkraft nicht:

Aus ihren Augen strahlt ein überirdisch Licht,

Worin die Seelen selbst sich in einander spiegeln.

Nacht ist nicht Nacht für sie; Elysium

Und Himmelreich ist alles um und um;[246]

Ihr Sonnenschein ergießet sich von innen,

Und jeder Augenblick entfaltet neue Sinnen.


86.

Allmählich wiegt die Wonnetrunkenheit

Das volle Herz in zauberischen Schlummer;

Die Augen sinken zu, die Sinne werden stummer,

Die Seele dünkt vom Leibe sich befreit,

In Ein Gefühl beschränkt, so fest von ihm umschlungen!

So inniglich von ihm durchatmet und durchdrungen!

Beschränkt in Eins, in diesem Einen bloß

Sich fühlend – Aber, o dies Eins, wie grenzenlos!

1

Allzuhauf, V. 38. Nach der Analogie von allzugleich, allzumal, u.a. aus All und zu Hauf (welches letztere in den Redensarten zu Haufe bringen, treiben, kommen, noch nicht völlig aus der Übung gekommen ist) in Form eines Nebenwortes zusammen gesetzt. Da der Dichter sich keiner Stelle im Heldenbuch, Theuerdank, und dergleichen erinnert, auf die er sich zu Rechtfertigung dieses ungewöhnlichen Wortes berufen könnte, so muß er es darauf ankommen lassen, ob es als ein neu gewagtes geduldet oder verworfen werden wird.

2

Hämling, V. 47. Ungefähr eben diese Art von Sklaven Kombabischen Geschlechts, V. 33 welche in der 48ten Stanze höflicher Kämmerlinge heißen. Das Wort Hämling ist nach Wachtern sehr alt, und scheint nicht von Hammel, sondern von dem alten Wort hämeln, stümmeln, verschneiden, abgeleitet zu sein. In dem Sinne, worin es hier gebraucht wird, kommt es in einer von Adelung unter dem Worte Hammel angeführten alten Übersetzung des Terenzischen Eunuchus vor, die im Jahre 1486 zu Augsburg gedruckt wurde. In einer hundert Jahre spätern Übersetzung eben dieser Komödie, durch M. Josua Loner, Pfarrherrn und Superintendenten zu Arnstadt, wird Eunuchus durch Frauenhut gegeben. »Wenn man (sagt der Obersetzer) das deutsch wollt geben gut, Möcht man's nennen den Frauenhut.« (Hut wird hier, wie man sieht, in einer veralteten Bedeutung für Hüter genommen.) Der Erfinder dieses komischen Wortes ist aber nicht besagter Loner, sondern D. Luther, wie aus folgender von Wachtern angezognen Stelle aus seiner berüchtigten Schrift Wider Hans-Worst, Wittenberg 1541, zu ersehen ist: »Er were besser ein Frauenhut, der nichts thun sollte, denn wie ein Eunuchus, d.i. ein Frauenhut, stehen in einer Narrenkappe mit einem Fliegenwedel, und der Frauen hüten, und des davon sie Frauen heißen, (wie es die groben Deutschen nennen.)«

3

Dienstmann, V. 56 in der weitesten Bedeutung, ein Lehensmann oder Vasall.

4

Stange, für Speer oder Lanze, V. 65 kommt in dieser Bedeutung noch in Luthers Bibelübersetzung vor, Matth. 26, 47.

5

Wage, V. 72. VII. 22 für das, was man bei einer Entschließung wagt. Wage ist in dieser Bedeutung ein zwar veraltetes, aber wenn es am rechten Orte steht, jedem verständliches, und kaum entbehrliches Altdeutsches Wort. Auch Wagestück, welches in einigen Provinzen noch gehört wird, für eine gefahrvolle Unternehmung, verlangt mit gleichem Recht wieder in Umlauf zu kommen.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 5, München 1964 ff., S. 226-247.
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