IV

[52] Noch wieder Burgtheatererinnerungen? Ich dachte, davon hätte ich ausgeredet; ich hatte ein Ende gemacht. Aber »sich erinnern« ist ein gutgefundenes Wort; immer lebendiger wird's im Innern, je länger man zurückblickt. Nachdem ich ein Ende gemacht hatte, ging das Gedenken und Wiederwachwerden fort; ich habe noch nie so warm und voll in den alten Zeiten gelebt. Freundliche und dringende Aufforderungen, die dann an mich kamen: »sag uns noch mehr davon!« fanden das »Innere« schon halb bereit, sich nochmals zu »äußern«. In alten Papieren blätternd, entdeckte ich noch dies und das, Ernsthaftes und Heiteres, Ungedrucktes, aus dem mich die Stimmung und Farbe jener Tage anblickt. Ich hoffe, sie blickt auch den Leser draus an, den freundlichen, dem es Freude macht, von guten Zeiten des alten Burgtheaters zu hören.

Als ich es (1871) kennen lernte, standen zwei der großen Alten noch in spätherbstlicher, aber schöner Blüte: Karl Laroche und Amalie Haizinger. Ja, sie lebten auch beide noch, als ich mehr als zehn Jahre später Burgtheaterdirektor wurde; aber sie hatten ausgespielt, sich zur Ruhe gesetzt, sie standen gleichsam wie lebendige Bildsäulen, in der Vorhalle des Tempels als Vorbilder aufgestellt. Die Haizinger war 81, Laroche 87 Jahre alt. Siebenundachtzig Jahre! – Damals, 1871, war er noch ein jugendfrischer Siebenundsiebziger; seit sechzig[52] Jahren hatte er gespielt (in Weimar unter Goethes Augen), seit 1833 in der »Burg«. Unerschöpflich schien seine Lebenskraft. Man sah ihn nur älter geworden, nicht alt; man freute sich an seiner vollkommenen, gesunden, gleichsam rotbäckig anlachenden Reife, aber daß er einmal vom Baum fallen würde, daran dachte man nicht. Ich weiß noch, welches Staunen mir durch die Glieder ging, als ich den Achtziger in dem Schauspiel »Die Furcht vor der Freude«, von Frau Girardin, als alten Diener Freudensprünge machen sah, Luftsprünge, fast wie wenn ein Gummiball springt. Es war eben einer der nicht gewaltigen, aber glücklichen Organismen, in denen keine verzehrende Flamme brennt, aber viel aufgespeicherter Sonnenschein behaglich, lebenerhaltend glüht; oder wie ich 1884 als Direktor an seinem Grabe sagte: »In ihm war die glückliche, urgeborene Harmonie, die der rastlose Ehrgeiz mit allen Künsten nicht einfängt; von ihm durfte man sagen, was ein Allergrößter, was Goethe von sich gesagt hat: daß seine Natur wie getrennte Quecksilberkügelchen sich so leicht und schnell wieder vereinigte. Darum erwuchs ihm auch so leicht und so unfehlbar die Einheit seiner Gestalten; so vornehm bescheiden wahr traf er die Natur, daß das Zusammengesetzteste aller irdischen Dinge, der Mensch, als das Einfachste, das Selbstverständlichste erschien. Nicht die erschütternden und reinigenden Gewitter der Tragödie, nicht die schaurige, tragische Herrlichkeit des Todes war das Element seiner Kunst; aber die ganze Liebenswürdigkeit des Lebens, das innig Erheiternde, kernhaft Erfrischende, mild Ergreifende, herzlich Rührende; alles, was im Lichte lebt, alles, was [53] sonnig ist. Denn so war er selbst; ein Sohn des Tages und ein Lebenskünstler, der Geselligste unter dem geselligen Geschlecht der Menschen, jedem Genusse hold, so wie ihm der Genuß.«

Ein Wesen von ähnlicher Art war auch Amalie Haizinger, die in demselben Jahr wie Laroche (in ihrem fünfundachtzigsten Lebensjahr) starb: nichts Vulkanisches oder Großes in ihr, aber alles, was unter den Menschen »angenehm, wohlgefällig macht«. In ihrer Jugend verführerisch reizend, schön, zur Schauspielerin geschaffen, in allen sympathischen Rollen glänzend, war sie geliebt und gefeiert worden wie wenige; ich kenne ein im Druck erschienenes Buch, in dem eine Welt von Huldigungen in Vers und Prosa, in jeder Gestalt, die göttliche Amalie auf Hunderten von Seiten verherrlicht. Als ich sie kennen lernte, war sie längst »Mama Haizinger« geworden; jeder nannte sie so. Auch eine schöne alte Frau konnte man sie nen nen; immer gepflegt, »appetitlich«, wie eben aus dem Schächtelchen genommen; Gesundheit und Freude am Leben lachte aus dem leichtbeweglichen Gesicht. Auf der Bühne wirkte sie unwiderstehlich durch ihre durch und durch lebendige, anmutige, seine, fröhliche Kunst, die nie zu viel, nie zu wenig tat; im Leben gefiel sie durch ihr beständiges Verlangen, jedermann angenehm zu sein; was sie oft in drolliger Weise bis zum Äußersten trieb. Sie wollte eben gefallen, wollte Freude machen; und wie viele hat sie gemacht!


Hell wie der Vollmond strahlte sie und mild,

Die wir »Mama« und »ewige Jugend« nannten,[54]

Und die nun starb. Sie war des Mondes Bild

Wohl auch im kühlen Strahl: nicht heiß entbrannten

In ihr die Flammen, die kein Wasser stillt

Als das der Träne; nicht die gottgesandten

Allmächt'gen Triebe schwellten ihr die Brust –

Doch milde Weisheit, reinste Lebenslust.

Das ist dahin, wird so nicht wiederkommen;

So siegreich treffend wie Apolls Geschoß!


Das schrieb ich nach ihrem Tode, im August 1884; wie wahr ist es noch. Ich habe nichts Gleiches gesehn.

Sie war auch eine glänzende Erzählerin, mit oder ohne Dialekt; dieses Talent, das unter den Komödianten so verbreitet ist, war bei ihr noch durch einen eigenen poetischen Reiz geschmückt. Wenn die Burgtheaterleute sich bei irgend einem besonderen Anlaß zu einem festlichen Abendmahl versammelt hatten, so hieß es gern, sobald die Tischreden und die Bacchustrankopfer vorüber waren: »Mama Haizinger, erzählen Sie Geschichten!« Und die junge Alte erzählte, bis in die tiefe Nacht. Sie spielte etwa eine Szene aus dem »Don Carlos«, aus ihren Karlsruher Zeiten, zwischen vier Schauspielern beiderlei Geschlechts, die alle vier eine sich überschlagende Stimme oder einen anderen Sprachfehler hatten; man lachte sich tot. Oder sie trug pfälzische Gedichte von Kobell und Nadler vor, mit der höchsten komischen Kraft und der feinsten Anmut; oder sie erzählte Berliner Anekdoten im echtesten Berliner Dialekt, Zwiegespräche von Marktweibern, z.B. über den Apollo hoch oben auf dem königlichen Schauspielhaus, nach dem die eine, Unwissende, fragt.[55] »Det is der olle Iffland,« belehrt sie die andre; »der hier früher Theaterdirektor jewesen is von det Schauspielhaus.« Und da die erste sich wundert, daß er da oben »so in't bloße Hemde« steht, belehrt die andre sie weiter: »Ach, Kulleken, da müßten Se de Komödianten kennen: det schämt sich nich und det jrämt sich nich!« – Es war alles die vollkommene Kunst des Erzählers und erschien alles als die reine Natur.

Mama Haizinger lebte aber eigentlich nur im Theater, wenigstens zu meiner Zeit; sie war auf die drolligste Art weltfremd und naturfremd; ja selbst auf der Bühne, auf der sie so ganz zu Hause war, konnte ihre träumerische Art sie raumfremd machen. Ich erinnere mich, wie sie auf einer Probe, auf der nur vorläufig einige Zimmerdekorationsstücke, nicht die richtigen, aufgestellt waren, nach ihrem Gutdünken seitwärts abging; August Förster, der die Regie hatte, rief ihr nach: »Mama Haizinger, da können Sie nicht hinaus, da ist eine Wand!« Diese Belehrung erschien ihr offenbar so unwichtig wie überflüssig; sie änderte zwar ihren Kurs, aber mit gedämpfter Stimme, unfreiwillig höchst komisch, stieß sie in ihrer ausdrucksvollen Weise hervor: »Pedant!« Und doch war sie sonst die gewissenhafteste Schauspielerin, die man sehen konnte. – Als 1873 der gestürzte und vertriebene Kaiser Napoleon III. in England, in Chiselhurst, gestorben war, teilte man es der Haizinger während einer Vorstellung hinter der Kulisse mit; die Nachricht war eben gekommen. Sie sagte einige bedauernde Worte; dann zog aber träumerische Verwunderung über ihr Gesicht: »Wie kommt er denn nach Chiselhurst? Warum bleibt er nit in sein' Land?«[56]

Vor allem war sie naturfremd; die gemalte Welt im Theater war ihr ganz genug. Wenn ich als Direktor im Juni, auf Proben oder Abends, Berg- und Seedekorationen sah, so ging mir's oft wie ein plötzlicher Schlag durch die Brust: das »Hinausweh« nach der langen Winter- und Theaterzeit. Der Haizinger ging's umgekehrt: aus der Sommerfrische im Gebirg sehnte sie sich bald nach ihrem Burgtheater zurück; zwischen den bemalten Leinwänden, in der dicken, durchstäubten Luft, in den engen, heißen Räumen dieses alten Kastens fühlte sie sich wie der Fisch im Wasser. Was lag ihr an den wirklichen Bergen, die weder Bühnen noch Zuschauer waren, mit denen man also nicht leben konnte. Einmal hatte sie Laroche in Gmunden besucht, wo der alte Kollege in seinem schlichten Häuschen nahe am See seine vergnügten, gastfreien, durch gute Küche verklärten, möglichst langen Sommer verbrachte. Sie stattete darauf auch Hebbels, die gleichfalls in Gmunden übersommerten, eine Visite ab; man führte sie aus Fenster, um ihr den in all seiner Pracht hereinschauenden König des Gmundener Sees, den Traunstein, zu zeigen. Da wendet sie sich aber kurzweg und mit einer Art von Empörung ab: »Den hab' ich ja schon beim Laroche g'sehe!«

Ob es solche Theatermuscheln noch gibt? Ich kenne keine zweite.

Mir war auch dieses schwerfaßbar Fremde ein neuer, sie humoristisch schmückender Reiz; und mehr als einmal hab' ich sie angesungen, so zu ihrem siebenundsiebzigsten Geburtstag, in einem »Höhere Mathematik« benannten Gedicht:
[57]

Siebenundsiebzig! Üble Zahl!

Einmal sieben und noch einmal;

Siebenundsiebzig heißt geschrieben:

Eine doppelt böse Sieben!


Siebenundsiebzig! Laß den Leuten

Diese Zahl mich schöner deuten.

Siebenundsiebzig: sieb'n mal else;

Böse Sieben, gute Else.


Böse Sieb'n bist nie gewesen;

Gute Elfe auserlesen!

Siebenundsiebzig Zaubergaben

Lockten dir die Menschenknaben.


Ob auch Siebenundsiebzig kamen,

Elfenkünste auszukramen,

Siebenundsiebzig her und hin:

Du der Elfen Königin!


Mögst du siebenfach gedeihn,

Bis die Elfe sich erneun:

Siebenundsiebzig – achtundachtzig;

Dann so fort; die Sache macht sich!


Doch von böser Sieb'n zu sprechen,

War's zu neckisch? War's Verbrechen?

Siebenmal elf ist sieb'nundsiebzig –

Was sich neckt, du weißt, das liebt sich!


Achtundachtzig alt zu werden – wie Laroche, der fast die Neunzig erreichte – sie hat's nicht erlebt. Auch das ward ihr nicht gegönnt, wovon sie noch unter[58] meiner Direktion und bis in ihre letzten Zeiten träumte: noch einmal aufzutreten! ein einzigmal! und wenn auch gar nur in Schillers »Glocke«, in einem lebenden Bild. So hing sie an ihrer Austernbank, ihrer Welt. »Nur die Nerven, die dummen Nerven, die wollen's halt nit!« Sie wurden sogleich ruhelos, wenn nur der Gedanke kam: auf die Bühne treten! – Zuletzt machte die »große Ruhe« das Ende.

Wenig von dieser Art hatte Franz von Dingelstedt, der Direktor des Burgtheaters, als ich als Dichter nach Wien kam; ein Mann, der zwar dreißig Jahre lang Bühnen leitete und ihnen als Dichter, als Bearbeiter, als Inszenesetzer, als Verwalter eine Fülle von Talenten widmete; aber immer wollte er doch auch die Welt haben, und sie hatte ihn. Indessen in der Geschichte des deutschen Theaters muß und wird er als der Begründer der neuen, malerischen Inszenierungskunst gelten, die man nach den Meiningern zu benennen pflegt; denn ehe der Herzog Georg von Meiningen, der »geborene Regisseur«, seine Bühne zu leiten begann, hatte Dingelstedt schon in Weimar, wohl auch schon in München, die Gestaltung des Bühnenbildes und die Massenwirkung auf eine Höhe gebracht, die vielleicht nur noch in der Echtheit der Kostüme und der Dekorationen durch Meiningen überboten wurde. Ich höre noch die Töne der Bewunderung, mit denen mir ein Freund, der eine Weile in Weimar lebte, von einer Aufführung der »Räuber« erzählte, die er dort unter Dingelstedts Leitung gesehn: wie durch künstliche und künstlerische Verbauung der Bühne, durch wohlberechnete Verteilung und rastlose Abrichtung der Statisten[59] eine Gewalt, ein Leben und ein malerischer Reiz in die Massenszenen gekommen war, wie man sie bis dahin nicht kannte. Als viele Jahre später die rundreifenden Meininger in Wien, wie überall, ihre Triumphe feierten, saß ich einmal bei Dingelstedt in seiner Kanzlei, er war nun Burgtheaterdirektor; mit einer tragischironischen Bewegung des Kopfes, langsam, wehmütig bitter, sagte er zu mir: »Sehn Sie, so geht's! Das hab' ich gemacht; vielleicht hab' ich's schon zu viel gemacht. Und nun heißt es: die Meininger!«

Der dekorative Sinn hatte in Dingelstedt die Übermacht bis zum letzten Tag; ihm lag nie das Wort so sehr wie das Bild am Herzen. Ja seine Vorliebe war so stark, daß er sich nie davor scheute, die Sprecher auf der Probe zu unterbrechen, wenn irgend eine dekorative Einzelheit seinem Auge mißfiel, und daß die Schauspieler allemal warten mußten, bis er diese Einzelheit mit seiner majestätischen Ruhe und Breite umgeschaffen hatte; das hinterdrein und ohne die Schauspieler zu tun, fiel ihm nicht ein. Auf einer Probe, der ich im Parkett beiwohnte – welches Stück es war, entsinne ich mich nicht – lag rückwärts, erhöht, ein ganzes Häuflein Gefallener; Dingelstedt unterbrach den, der eben auf der Bühne sprach, weil ihm etwas im »Bild« mißfiel, und vertiefte sich in eine längere Besprechung, ich glaube mit Maler, Regisseur und Theatermeister. Der Sprecher und die Gefallenen warteten; Minute auf Minute verging. Endlich warf Dingelstedt ein Wort nach hinten hin: die Herrschaften langweilten sich wohl bereits. Baumeister, einer der Toten, schlagfertig wie gewöhnlich, rief zurück: »Wir stinken schon!«[60]

Dieses eine Übel haftete an Dingelstedts Theaterleitung: wie viel er auch von der Schauspielkunst verstand, als seiner Kopf, als Poet – ein wirklicher Lehrer oder Führer war er nie darin. Auf den ungezählten Proben, denen ich als Dichter, als Befreundeter, als Gatte einer Burgschauspielerin beigewohnt, hab' ich ihn nur ein einzigmal einen Schauspieler, der zu reden hatte, verbessern und ihm die Sache selber vormachen sehn. Als ich Burgtheaterdirektor geworden war und mit einem der ersten, noch jüngeren Schauspieler vertraulich darüber sprach, welche große Aufgabe er noch vor sich habe, um seine künstlerische Entwicklung zu runden, erwiderte er mir unter anderm (und ich hatte allen Grund, an die Wahrheit zu glauben): »Man hat mich ja nie darauf hingewiesen; in den zehn Jahren hat mir Dingelstedt nie ein lehrendes Wort über mein Spiel gesagt!« – Dennoch, selbstverständlich, wirkte der Geschmack eines so hochbegabten Direktors bildend ein, auch ohne viele Worte. Übertriebenes, allzu Derbes, Plumpes konnte unter seinen Augen nicht gedeihen. Dann seine Bearbeitungen der Shakespeareschen Königsdramen, des »Antonius und Kleopatra« (wenn er auch, nach meinem Gefühl, oft an Shakespeare gesündigt hat) gaben den Schauspielern große neue Aufgaben und einen weiteren Blick ins Land der Poesie. Sein »Sturm«, sein »Wintermärchen«, sein »Götz« warfen alle einen jungen Glanz in das alte Haus.

Dazu rechne man den eigentümlichen Zauber seines höchst zusammengesetzten, mit Esprit getränkten, mit Frivolität, ja man möchte sagen mit Diabolischem gewürzten, aber auch mit Honig vom Hymettos und mit[61] Quellwasser vom Parnaß genährten Ich. Die Burgschauspieler konnten nie vergessen, daß ein Mann von Geist sie regierte. Er regierte auch mit fester Hand. Er war vielleicht der beste Finanzmann unter allen Direktoren des Burgtheaters; wie es ihm denn wohl auch Freude machte, dies als seine »eigentliche Stärke« zu rühmen. Sein gern ironisches Verhältnis zu Welt und Menschen ward durch seinen Witz gewissermaßen gerechtfertigt: man fühlte ein organisches Verhängnis darin.

Ich erinnere mich, wie ich ihm einmal bei Tisch, als sein Gast, erzählte, was man mir früher in München erzählt hatte, wo Dingelstedt 1851 bis 1857 Intendant des Hoftheaters gewesen war. Ein angehender, blutjunger, noch völlig unbekannter Schriftsteller kommt dort zu ihm in die Kanzlei: er habe es übernommen, für eine der kleinen bayrischen Provinzstädte draußen Berichte über das Hoftheater zu schreiben. »Und da wünschen Sie nun?« fragt ihn Dingelstedt. Der Jüngling: Einen täglichen Parkettsitz wünsche er im Hoftheater. Dingelstedt, tief in seinen Lehnstuhl zurückgelehnt: »Wünschen Sie auch täglich ein Gefrorenes dazu?«

Er hatte die Geschichte vergessen. Aber sie gefiel ihm. Mit seinem geistreich vergnügten Schmunzeln sagte er: »Ja, das sieht mir ähnlich!«

Indessen auch das »Volk« ist witzig; insbesondere das Komödiantenvolk. Dingelstedt war ein sehr ungleicher Theaterkönig; oft kam er in der allerbesten Laune auf die Proben, in seiner »Champagnerlaune«, leutselig, Sonnenstrahlen werfend; ein andermal kam er verstimmt und wie jemand, dem nichts recht zu[62] machen ist, wetterte und kränkte. An so einem Morgen stand einer der Witzbolde des Burgtheaters mit andern zwischen den Kulissen; nachdem er dem Unwetter eine Weile zugehört, murmelte er: »Ruhig, ruhig, Bruder! Aus deinen Knochen bauen wir uns noch mal 'nen Souffleurkasten.«

Die alte, ewige Geschichte von den Gewalthabern, die doch sterblich sind, und den Beherrschten, die sie überleben. Wie der Chor in der »Braut von Messina« spricht:


Die fremden Eroberer kommen und gehn;

Wir gehorchen, aber wir bleiben stehn!

Quelle:
Wilbrandt, Adolf: Erinnerungen. Stuttgart, Berlin 21905, S. 52-63.
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