Erster Auftritt

[241] Hamatelliwa. Abdallah.


HAMATELLIWA sitzt an eine der Säulen der Hinterwand zurückgelehnt. Ihre Augen sind geschlossen, sie bietet das Bild äußerster Erschöpfung.

ABDALLAH steht hinter ihr, düster auf sie niederblickend.

HAMATELLIWA ohne die Augen zu öffnen.

Abdallah –

ABDALLAH.

Was begehrt Hamatelliwa?

HAMATELLIWA ebenso.

Sieh mich nicht an mit deinen düstern Augen,

Sie scheuchen von den Wimpern mir die Ruh'.

ABDALLAH.

Dein Auge ist geschlossen, und du siehst?

HAMATELLIWA ebenso.

Durch die geschlossnen Augenlider fühl' ich

Wie kummervoll du blickst.

ABDALLAH.

So geh' ich!

HAMATELLIWA.

Nein!


Sie öffnet die Augen und ergreift seine Hand.


Wer bleibt der Tochter El Moheiras noch

Wenn auch Abdallah geht?[241]

ABDALLAH.

Dann bleibt ihr niemand –

Die weite Reise, die von Barcelona

Nach Worms uns führte, raubte deine Kraft –

HAMATELLIWA.

Worms nanntest du die Stadt?

ABDALLAH.

Das ist ihr Name.

Hier ist der Hof des Christenkaisers Ludwig.

HAMATELLIWA.

Wie weit von hier mag unsre Heimat sein?

ABDALLAH.

Wohl hundert Meilen sind's von Saragossa.

HAMATELLIWA.

Wie dieser holde grüne Garten mich

An meines Vaters Haus erinnert. Vater,

Den ich verließ, um diesem Mann zu folgen –

O Bernhard, der du wie ein Meteor

Am Himmel meines jungen Lebens aufgingst,

Warst du ein Stern des Unheils?

ABDALLAH.

Beim Allmächtigen –

HAMATELLIWA.

Nein. – du Prophet des Zorns. – Du sahest ihn,

Als er am Tage nach der Maurenschlacht,

Verfolgt von meines Vaters grimmen Schwertern

Verzweifelnd kam ins Schloß, darin ich wohnte –

ABDALLAH.

Daß ihm zehntausend Damaszenerklingen

Den Weg versperrten in das stille Tal,

In dem die Tochter El Moheiras wohnte!

HAMATELLIWA.

Blutdürstend griff nach ihm der Tod – Abdallah –

Du sahst ihn, wie er mir zu Füßen sank,[242]

Mein zitternd Knie anpressend an sein Herz –

Und seine Augen – weh' mir, diese Augen –

Wie sie sich rollend, eine Welt voll Leid,

Flehend zu mir erhoben! Schuld und Sünde,

Daß ich ihn rettete vor meinem Vater!

Zwiefache Schuld – Abdallah, könnt' es sein,

Daß er vergäße was ich tat für ihn?

ABDALLAH.

Solang wir reisten mied er deine Augen –

Seit wir in Worms sind kennt er dich nicht mehr.

HAMATELLIWA.

Du Echo meiner stummen Sorgen, nein!

ABDALLAH.

Hamatelliwa, Tochter meines Herrn,

Mit der ich floh aus unsrem Vaterlande,

Weißt du, warum ich solche schwere Schuld

Aufs graue Haupt mir lud? Weil ich dich liebe,

Wie man sein Kind liebt; nahe dir zu sein,

Wenn niemand nahe sein wird der Verlornen,

Wenn dich der Christenhund verlassen wird.

HAMATELLIWA.

Dann wär' das Blut in seinen Adern Gift!

Es kann nicht sein!

ABDALLAH.

Es kann's, doch darf es nicht.

Hüte dich, Bernhard, Graf von Barcelona,

Die Rose, die du brachst in Spaniens Flur,

Hat einen Dorn nur, doch er heißt Abdallah.

HAMATELLIWA.

O still –

ABDALLAH.

In sein Vertrauen bohrt' ich mich,

An jedem Tag ein hundertfacher Heuchler

Versteckt' ich unter Demut meinen Haß,

Und er, der keinem seines Volkes traut,

Er traut auf mich. Er weiß, daß ich sie kenne[243]

Die Pflanzen, deren Saft den Tod gebiert,

Er traut mir, wie der Schlangenbändiger

Der Klapperschlange, die er sich gezähmt.

Hüte dich, Christ –

HAMATELLIWA.

Still, grausenvoller Mann!

Nach Liebe dürst' ich, und du gibst mir Rache?


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 7, Berlin 1911–1918, S. 241-244.
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