[300] Abdallah kommt aus dem Garten zu dem vorigen.
BERNHARD.
Nun – bist du da?
ABDALLAH.
Zu deinem Dienst, Gebieter.
BERNHARD.
Du standst dort im Gebüsch?
ABDALLAH.
Dort in den Büschen,
Wie du's befahlst.
BERNHARD.
Du sahst, mit wem ich sprach?
ABDALLAH.
Ja, Herr –
BERNHARD.
Du sahst's?
ABDALLAH.
Du sprachst mit König Karl.
BERNHARD.
Doch vorher?
ABDALLAH.
Vorher? War noch jemand da?
So kam ich vorher nicht – denn als ich kam,
Sprachst du mit Karl.
BERNHARD.
So lange ich dich kenne,
Mir fällt es ein, sah ich dir nie ins Auge,
Denn immer stehst du tiefgesenkten Haupts –
ABDALLAH.
Wie es dem Diener ziemt vor seinem Herrn.
BERNHARD.
Doch heut, gebiet' ich, sieh mir ins Gesicht.
Abdallah sieht auf.
[301]
Ich seh', du kannst, was man von dir verlangt. –
Ist das Gerücht begründet, welches sagt,
Daß du, vertraut mit grauser Lehre, jedes
Giftkraut der Erde kennst?
ABDALLAH.
Es ist begründet.
BERNHARD.
Und ist es wahr, daß tief in Afrika
Ein Kraut gedeiht, das, wenn man's richtig braucht,
Den Tod wie einen Diener uns bestellt,
Pünktlich auf Tage, Stunden und Minuten?
ABDALLAH.
Solch Kraut ist da.
BERNHARD.
Besitz'st du's?
ABDALLAH.
Ich besitz' es.
BERNHARD.
So schaff' mir das – und bald.
ABDALLAH.
Du sollst es haben;
Doch muß es sorgsam zubereitet werden.
BERNHARD.
So tu dein Werk und bring's mir, wenn's getan.
Will gehen, wendet sich.
Abdallah!
ABDALLAH.
Herr?
BERNHARD.
Du lachst?
ABDALLAH.
Ich lache nicht.
BERNHARD.
Mir schien, du lachtest, weil ich dir vertraute.[302]
ABDALLAH.
Schatten sind stumm und taub – ich bin dein Schatten.
BERNHARD nach dem Garten ab.
ABDALLAH blickt ihm nach.
Schatten sind stumm und taub – doch sie sind dunkel –
Weh' dem, auf dessen Weg ein Schatten fällt!
Er wendet sich zum Abgehen nach rechts.
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