Geschieden

[58] »Zwei einsame Menschen

Sie irren durchs Leben,

Sie irren und suchen

Und suchen und streben ...

Zwei einsame Menschen

Sie treffen zusammen,

In einander fluten

Ihre Seelen und Flammen ...

Doch ...

Sie müssen sich trennen ...

Und weiter sie schreiten,

Die Ketten klirren –

Zwei einsame Menschen

Sie suchen und irren.«

(John Henry Mackay.)


Sie ist gegangen ... horch,

Die Flurthür fällt ins Schloß!


O mein geschlagenes Herz!

Es fühlt ein wildes Stechen,

Zuckt wie ein röchelnd Lamm

Und möchte brechen.


Nun haucht mich kalt die Öde an;

Wie eine Sterbekammer ist die Stube,

Wenn der zugedeckte Sarg

Schwankend schied –

Gramverstummt, frostig, leer.
[59]

Ihr meine Augen, starrt nicht mehr

In dieses eisige Grauen,

Schließt euch fest wie Totenaugen!

Nach Innen will ich schauen:


Hier im Tiefgeheimen

Seh ich zärtliche Augen von Einst,

Sanfte Hände fassen mein Haupt,

Auf meinen Lippen glühendes Saugen ...

O bleibe, liebewarmer Mund!

So wird mein schmachtend Herz gesund, –

Wie flammenroter Mohn,

Aus thauiger Flur geraubt,

Vom Welken heimlich sich erholt

Am Kusse des Wassers im Glase

Und von der heimischen Wiese träumt ...

Träumen will auch ich,

Von meiner Wiese träumen –

Von dir, mein Lieb – –


Ein Stübchen mit lichten Gardinen,

Über die graue Straße hoch

Emporgehoben zum sonnigen Blau,

Wo weiße Wolken weiden

Und blitzende Tauben kreisen ...

Auf dem Sofa sitzen du und ich;

Vor uns auf dem Tische ruht die Zither,

Und mit schüchternen Fingern tippst du

Auf die Saiten.

Ich schaue den Fingerchen zu,

Damit sie nicht fehlen, und zähle den Takt.
[60]

Doch mich verwirrt dein Händchen –

Ich möchte das Händchen drücken

Und wag' es nicht.

Nur um die irren zu leiten,

Ergreif ich die Finger

Und drücke leise,

Wie zaghaft bittend.


Da werden die Finger so schwach,

Das Händchen liegt bebend in meiner Hand,

Dir glühen die Wangen, die Augenlider

Sinken schamhaft schmachtend nieder,

Der Busen wogt ... O seliges Flammen,

Da wir uns schmiegten wild zusammen,

Als müßten küssend wir verschmelzen. –


So lebten wir fortan

Im Stübchen, Frau und Mann,

Von Gardinen versteckt

Den neugierblickenden Fenstern

Der Häuser gegenüber.


Wenn ich in feierlicher Nacht

Von Hochgesprächen mit den Freunden

Heimkehrte wie berauscht

Und klopfenden Herzens sacht

Betrat das dunkle Stübchen,

Dann grüßt vom Lager mein Liebchen,

Liebewach, im Dunkeln lächelnd;

Und zärtlich knie' ich nieder,[61]

Und weich und warm

Schlingt sich um meinen Hals dein Arm;

Wir kosen und küssen ... gute Nacht!


Dann such' ich friedevoll mein Bett

Und liege stumm im Dunkeln ...

Doch die Gedanken schwärmen

Ameisenhaft im Haupte;

Und drüben hör' ich Liebchen

Sehnlich atmen.

Da wallt mein Blut so heiß ...

O komm, mein Lieb, o komm

Und sei die wilde Flamme,

Die den Seligen verzehrt

Und erst erlischt,

Wenn draußen über Dächerwogen

Im Morgengrau die Vorstadtlerche zwitschert ...


Vorbei! Zerrissen, zerstoben

Wie zarter Morgentraum!

Kalt blickt die Welt

In meine thränenden Augen;

Und meine Thränen wandeln nicht die Welt. –


O warum

Kann Liebe nicht leben

Wie auf der Flur ein Vogelpaar?

Die treue Flur

Gibt Halme zum Nest und Körnchen.
[62]

Doch zwei Menschenherzen

In steinerner Stadt

Brauchen Stube und Kleider und Brod;

Und die Stadt ist so grausam hart ...

Weinendes Lieb,

Geh von deinem armen Schatz,

Der dich nicht kleiden und speisen kann;

Weinendes Lieb, fahr wohl! –


So bist du fortgegangen ...

Ich und die Stube wir sind allein,

Blicken uns an so leer,

Beide vor Gram ganz stumm ...


Welch garstiges Gesumm,

Bösartig dumpfes Rollen

Tönt drunten von der grauen Gasse!

Höhnst du, steinerne Stadt? –

Wie ich dich hasse,

Grausame Gasse,

Brandende Menschenmasse!

Quelle:
Bruno Wille: Einsiedler und Genosse. Berlin 1894, S. 58-63.
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