Das andere Abenteuer

Das Johanniskind will den winkenden

Schatz heben


[35] Den Kräutertobias zu besuchen, hatte sich mein Vater mit mir im Frühjahr nach geschehener Übersiedelung aufgemacht. Fuhren auf einem Bauernwagen dem Zackenfluß entgegen, jedoch nur bis Petersdorf, wo wir abstiegen, um zu Fuß das steile Waldgebirge zu erklimmen. Zur Linken in der Felsenschlucht brausete der Zacken. Rechts ging es einen schroffen Hang empor zu einem ragenden Stein.

Von hier erscholl eines Mannes Zuruf. Der Oheim war es, so droben auf uns geharret hatte und nun gelaufen kam. Nachdem er mit Freuden seinen Willkommen geboten, berichtete er, wie ihm schon von weitem unser Wagen sichtbar gewesen. Mein Vater antwortete: »Allerdings gewähret dieser Stein, Wachstein geheißen, eine weite Aussicht über das Zackental, wie man ihn schon in der Hussitenzeit als Warte verwendet hat, den Paß nach Schreiberhau zu überwachen.«

Der Weg, den wir nun gingen, stieg fast steil durch einen Bachgrund. Anfangs von schroffen Felsen und Fichten begleitet, führte er zu einer Aue, wo Bauden um ein Kirchlein lagen, und Kühe nebst weißen Gänsen weideten. »Hie beginnet Schreiberhau,« sagte mein Vater; »es erstreckt sich eine gute Stunde in die Länge, und wir haben bis zu Oheims Häusel noch ein Stück Weges.«

Nach fürderem Ansteigen ward der Weg eben, wir hatten seine höchste Erhebung erreicht und schauten in ein sanft abfallend Tal, breit und lieblich. Hinter vorderen Waldhöhen stieg jene Gebirgswand himmelan, die ich von fern oft betrachtet hatte. Jetzo, da sie in der Nähe ragete, ward mein Gemüt bewegt wie von tiefem Orgeldröhnen. Ein weithin ausgereckter Riesenrumpf, mit Tannen gleichwie mit bläulicher Wolle bewachsen. Wo der Wald zu Ende, schimmerten Matten, dann kam kahler Fels, mit dunkelgrünem Moose bedeckt. Droben in den Abgründen lag noch Schnee,[36] und der Oheim wies mir, wie die weißen Flächen manchmal seltsame Formen bildeten, einen Stier oder eine Hose, von der die Leute sagten, es sei Rübenzagels Hose. Der Gebirgskamm bildete eine Reihe von Kuppen, die in der Ferne von zartem Blau waren. Gewölk kroch von der anderen Seite des Gebirges über den Sattel herüber, wie graues Raubgezücht, wie Drachen.

Derweilen mein Vater in den Anblick seiner lieben Berge versunken war, wies der Oheim die einzelnen Gipfel: den Reifträger, die Sturmhaube, das Hohe Rad, den Mittagstein, die Schneekoppe. Erklärte mir auch, das graudüstere Gewächs zwischen den Felsen droben sei kein Moos, sondern Knieholz, ein struppicht Nadelgebüsch, so nicht in die Höhe wachse, sondern über das Geröll hinkrieche, die knorrigen Ruten wie zum Verhau verschränkt.

Bald langten wir bei Oheims Häusel an. Es lag in der grünen Aue, wo Murmelbächlein rannen. Neben der Wiese gab es Saatfelder, Gärtlein und etliche Bauden. Gleichwie ein freundlich Auge lugte ein Mühlteich aus des Tales Mitte. Unweit waren dunkle Felsen und lichte Birken mit zarten Frühlingsblättlein. Einen freundlichen Anblick gewährte Oheims Häusel. Baute sich aus rohen Steinen auf, doch war die große Stube aus Balken gezimmert, wobei Moos und Lehm die Fugen verkitteten. Über das bemooste Schindeldach wölbeten zwo alte Linden ihre Kronen. Am Hause war auch ein Viehstall, und ein paar Kühe nebst Ziegen weideten auf der Wiese.

Als wir durch das Blumengärtel gingen, wo gelbe Märzenbecher blüheten, während die Kirschbäume gleich Silberwölklein prangten, sprang ein Hund aus dem Hause auf uns zu und hüpfte mit jauchzendem Gebell am Oheim empor. War mein zukünftiger Freund, der gelbe Schäferspitz Wächter. Vor der Türe des Häusels stund ein weißhaarig Weibel und grüßte freundlich. Beate war es, des Oheims Base, die ihm Haus hielt.[37]

Wir gingen in die Balkenstube, und hier war es sehr warm, da mächtige Holzklötze im Ofen loheten. Weißgescheuert die Diele, alles Hausgeräte sauber und traulich. Bunt bemalt der große Schrank, sowie die Truhe daneben. Wir setzten uns um den Tisch, und nachdem der Vater das Gebet gesprochen, ließen wir uns Brot und Schinken munden.

Da wir nun erquickt waren, sagte mein Vater: »Lieber Bruder Tobias! Schreiberhau und das elterliche Häusel zu schauen, hat mich in der Fremde oft inniglich verlanget. Nun wird meine Sehnsucht durch Gottes Güte gestillet. Die Berge, Bäume und Bäche, alle lieben Orte und Dinge habe ich wiedergefunden. Nur weniges dünket mich verändert. Neu ist jedoch die große Backstube bei den Felsen mit dem tüchtigen Schornstein ...«

»Keine Backstube ist das,« antwortete der Oheim belustigt; »das ist ja mein Laboratorium.«

»Laboratorium? Ei wie denn? Bist etwan ein Chymiste worden?« meinte der Vater befremdet.

Und bedächtig versetzte der Oheim: »Hum! Du weißt ja ... hum! Glas kann ich nicht mehr machen. Vom Blasen und staubigen Schleifen ist mir der Odem benommen. Und wann die Berge verschneiet liegen, mag ich nicht immer bloß Pillulen drehen. Habe mich also der chymischen Kunst ergeben und mir ein Laboratorium angelegt.«

»Und bist wohl gar dem Goldmachen auf der Spur?«

Es war dem Oheim ganz ernst, als er erwiderte: »Aus menschlichem Vermögen kann ich sagen: ich hoffe. Wirst nun freilich denken: da haben wir abermalen einen neuen Grillenfänger, rußigen Kohlenbläser und gefährlichen Schwarzkünstler. So lauten ja wohl die Ehrentituli, mit denen die stolze Disputiergelahrtheit gemeiniglich den Jünger einer Kunst beleget, die in der ganzen untermondlichen Atmosphäre zwar die unsicherste, aber auch die allerkostbarste ist.«

»Nun, nun,« – begütigte mein Vater – »will dich nicht[38] schelten; alle Kunst ist ja von Gott, wohl auch die alchymistische, wofern ...«

»Amen, Amen,« unterbrach ihn der Oheim freundlich und rüttelte des Vaters Schulter: »Bruder Martin, hüpfen tut mein Herze, bisweilen du nicht bist wie jene törichten Prädikanten, so behaupten, daß allen Goldmachern und Schatzgräbern der Teufel im Nacken sitze. Solche Pfaffen mögen im Catechismo Lutheri beschlagen sein – von Magia verstehen sie so viel wie die Kuh vom Kanzelreden.«

»Nun ja doch, Tobias, wohl, wohl! Indessen du hast mich unterbrochen. Von Gott ist alle Kunst, wofern man sie rechten Sinnes übet. Sonsten aber schwarze Kunst und verwerflich.«

Der Oheim winkte mit der Hand ab und kämpfte einen Hustenanfall nieder: »Schwarz? Ah, nur die falsche Kunst ist schwarz, die Gaukelei der Afterchymisten! Was der Mensch aus seines Geistes hohen Kräften suchet und vermag, ist weiß wie himmlisch Licht. Könnte es etwan wider Gottes Willen sein, so einer die Natur zu urkunden und zu meistern trachtet? Soll ich mein Pfund vergraben und faul liegen lassen? Wie spricht denn der Heiland? Werdet vollkommen, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.«

»Die wahre Vollkommenheit« – gab mein Vater zurück – »bestehet im reinen Herzen. Diene der Magiae reinen Herzens, nicht, wie die Schatzgräber, aus Goldgier.«

Der Oheim stutzte: »Als ob nicht auch ein Schatzgräber reinen Herzens sein könnte!«

»Schon gut,« sagte mein Vater; »wenn er mit dem Golde nicht seinen Lüsten dienen will, sondern dem Reiche Gottes.«

»Selbiges will ich« – versetzte der Oheim fest. »Meine Lüste? Die sind abgestorben! Nur die Lust an der magischen Kunst ist übriggeblieben; und so der Himmel sie segnet, will ich gern nach seinem Willen das Gold verwenden.«

»Zum Exempel, wofür?«[39]

»Zum Exempel für deinen Sohn, unsern Johannem, damit er auf hohen Schulen ein großer Physikus und Adepte werde – ein rechter König Salomo.«

Seit dieser Zeit hörte ich in mir eine Stimme mahnen: »Halte zum Oheim, er soll dich leiten!« Je öfter ich nun nach Schreiberhau kam, desto besser behagte es mir daselbst. Die Wiesen mit ihrem Vieh, das Gärtlein und Roggenfeld, die großen Steine, das Laboratorium und der Stall, die Balkenstube, das Häusel mit allen Winkeln, auch die benachbarten Bauden, die Glashütte mit ihrer Schleifmühle, rings die Höhen mit Tannen und Rauschebächen – das alles ward mir bald so traut und lieb, daß es mich in jeder Schulvakanz zum Oheim, zur alten Beate und zu meinem Freunde Wächter zog. Selbst in den Tagen meines Hirschberger Aufenthaltes ist manch heimlich Stündlein gekommen, wo meine Gedanken gen Schreiberhau geflogen sind. Wenn ich zum Exempel vor dem Schlafengehen mit den Eltern das Abendlied sang:


»Ich danke dir von Herzen,

Daß du an diesem Tag ...«


und dann an die Worte kam:


»Noch meinem Vieh was schade,

Es sei klein oder groß«,


so dachte ich an des Oheims Kühe und Ziegen, die ich mit Wächter, eine Peitsche in der Hand, gern auf der Wiese hütete. Schloß sie voll einfältiger Liebe in mein Gebet mit ein, auch Gänse, Hühner und Karnikulein, auf daß nicht etwa Fuchs und Marder sie würge.

Während der langen Ferien begunnte des Oheims Laborantenwesen und chymistisch Treiben meinen Sinn magnetisch zu fesseln. Von Wächter begleitet und auf dem Rücken die Hucke, tat ich manche Suche nach Kräutern. Lernte Pestwurz, Eisenhut, Aronstab, Johanniskraut, Stolzen Heinrich, Taubenkropf, Goldraute und Alraunknoblauch nebst ihren heilenden oder magischen Kräften kennen. Dabei ward mir auch das Gebirge immer bekannter.[40]

Im Laboratorio hatte ich mir bald die kleineren Fertigkeiten zu eigen gemacht, als da sind Säfte pressen, Machandelmus kochen, Eibergeist destillieren, Gestein im Mörsel zerreiben, Tiegel, Kolben und Retorten reinigen, Phiolen verstöpseln, Holzkohle bereiten und die Glut mit dem Blasebalg anfachen.

Auch nahm der Oheim Gelegenheit, meine ziemliche Kenntnis des Lateinischen zu nutzen, indem er mir ein Buch ins Teutsche zu übertragen gab »De secretis operibus artis et naturae« – will heißen: von den geheimen Werken der Kunst und der Natur.

Da ich nun die Arbeit vollendet hatte, legte der Oheim freundlich die Hand auf meine Schulter und sprach feierlich: »Lieber Johannes! Aus dem übertragenen Buche wirst du vollends ersehen haben, wie falsch es ist, Schlimmes in den geheimen Künsten zu sehen. Über die ganze Erde hat Gott den Menschen gesetzet, also auch über ihre geheimen Schätze. Wie die Abendburg ist die Erde – heget Gold und Edelgestein, dem gemeinen Volke verschlossen, und nur dem Adepten zugänglich. Werde drum ein Adepte, Johannes. Hebe den Schatz, so nach himmlischer Bestimmung für dich bereit lieget. Willst du das, Johannes? Nun wohl, so werde ich Mittel und Wege dazu ausfindig machen. Bist du aber auch bewandert in der Kunst des Schweigens? Gänzlich unerläßlich ist sie dem Jünger geheimer Wissenschaft. Zu schweigen gilt es gegen jedermann – merke, auch gegen deine Eltern. Bist groß genung, jetzt ohne der Mutter Schürzenbändel deinen Weg zu gehen.«

Da ich nun beteuerte, ich habe zum Schweigen jeglichen guten Willen und auch bereits etliche Kraft, loderten des Oheims Augen, und er sprach priesterlich: »Wohlan, so nehme ich dich zu meinem trauten Gesellen und Famulo an und verheiße, dich einzuweihen in alle Fertigkeiten, so ich errungen habe oder noch erringen werde. Künftigen Sonntag soll die Lehre anheben.« Dann wandte er das Angesicht[41] zum Fenster, starrte nach den blauen Bergen und murmelte dunkle Worte.

Als wir am Sonntag aus der Kirche heimgekehrt waren und zu Mittag gegessen hatten, richtete ich meine Augen ernst und fragend auf den Oheim. Er nickte mir zu, erschloß den Riegel der bunten Truhe und langte geheftete Skripturen heraus. Im Triumphe hielt er sie hoch: »Siehe hier den Mittler, so dich zum Goldschatz geleiten wird. Komm her und lies!«

Voll Ehrfurcht empfing ich die Skripturen, setzte mich an den Tisch und wollte still für mich lesen. Doch der Oheim nahm bei mir Platz und sprach: »Lies nur laut! Nicht oft genung kann ich diese Wissenschaft vernehmen. Auch ist nötig, daß wir Rates darob pflegen.«

So erhub ich denn die Stimme und las die verblichene Schrift, zu manchen Malen stockend und vor Beklommenheit seufzend.

Der verschnörkelte Titul aber lautete: »Nachrichten von den Walen – wer sie gewesen, wo sie Golderz aufgesuchet und gefunden, wie solches geschmelzet und zu gut gemacht – auch wie sie aus Erzen und Kräutern Gold gebracht – nach alten Schriften denen Liebhabern des Bergwerkes und der chymischen Kunst eröffnet.«

»Walen« – so sagte die Schrift – »heißet ein fremdländisch Volk.« Von diesen Leuten sind viele seit alter Zeit im Bergwerke wohl erfahren und haben ihre Kenntnis der Erze oftmals in teutschen Landen probieret. Sind als Landfahrer und Scholaren ins Erzgebirge und Schneegebirge gezogen, daselbst verborgene Edelmetalle auszuspüren. Nachdem sie erkundschaftet, wo die besten Goldkörner oder Edelgesteine liegen, haben sie an Felsen und Bäumen Erkennungszeichen angebracht, auch in Bücher geschrieben, wie man zu den Orten gelanget.

Wie kostbar aber der Walen Wissenschaft, geht aus folgender wohlverbürgten Nachricht herfür. Vor mehr als einem[42] Saeculo kam alle Jahr ein fremder Mann mit einer Hucke vom Gebirgskamm niedergestiegen. Was aber der Hucke Inhalt gewesen, ist hinterher an Tag gelanget. Ein Junker, so auf der Jagd hin und wieder dem Manne begegnet ist, kommt nach Venedig und siehet denselbigen fremden Mann in fürnehmer Kleidung mit Dienerschaft in einer Gondel fahren. Den Junker erkennend, lässet dieser Venediger anhalten, grüßet unsern Teutschen und ladet ihn ein, seinen Palazzo zu besichtigen. Nach der Gasterei bezwingt der Junker nicht länger seine Begierde und forschet, wie es denn hergegangen, daß aus einem armen Huckenträger solch ein Nobile worden. »Eben vom Huckentragen,« antwortet lächelnd der Venediger; »denn in der Hucke ist eurer Berge Gold gewesen.« Und es hat nun der teutsche Junker vom Venediger vernommen: Hoch auf dem Reifträgergebirge, nahe bei dem zweispitzigen Steine habe er, der Huckenträger, auf einer Wiese Markasit gewaschen bis zur Größe einer Erbse. Damit er nun desto besser auf diesem goldreichen Gebirge ausdauere, habe er für eine Woche Proviant mitgenommen und bei klarem Wetter den Aupengrund hinter der Schneekoppe besucht. In einer Einöde seien Gerippe von Menschen gelegen, die sich vorzeiten an den goldreichen Ort begeben haben, doch, nicht genugsam verproviantieret, Hungers gestorben sind. Dorten nun habe er kostbare Edelsteine aufgelesen, auch viel gutes Gold, Körner wie Haselnüsse. Nachdem der Venediger solchen Bericht getan, hat er seinem teutschen Gaste im Marmor der Speisehalle folgende Inschrift gewiesen: »Montes corconos fecerunt nos dominos.« Zu teutsch: »Das Reifträgergebirge hat uns zu großen Herren gemacht ...«

Hier stutzete ich und riß die Augen auf. Der Oheim nickte mir zu: »Ja, ja – unser Reifträger, auf der böheimischen Seite Korkonosch geheißen. Doch nun schlage einmal das Kapitul auf, so mit einem Buchzeichen angezeiget ist.« Und ich las weiter:[43]

»Bei Hirschberg in Schlesien ist ein Dorf, Schreibers Hau. Gehe oben zum Dorfe hinaus über den Schwarzberg, so kommst du zum Weißen Bach. In einen Tränketrog fließen zwei Wässerlein. Am Wässerlein zur Rechten geh immer fort gen Abend. Findest auf Bergeshöh die Abendburg, einen haushohen Stein. Ist hohl, und tief innen liegt eines Königes Goldschatz begraben. Wie aber der Schatz zu heben, wird nur einem Adepten oder Johanniskinde offenbar ...«

Ich hielt inne und sahe den Oheim fragend an. Dabei stellte sich meinem innern Auge die Abendburg dar, wie sie mein Vater geschildert. Den düstern Felsen sah ich durch Zauber zum Schlosse werden, gleißend vom roten Golde wie Abendgewölk. Und ich seufzete: »Ach Oheim Tobias! Warum hast du mich noch niemals zur Abendburg geführet?«

»Ich führe dich hin, Johannes, und zwar ohne Verzug. Wohlan, mache dich fertig!«

Froh und kühn schlug mir das Herze, stracks rüsteten wir zum Aufbruche. Das kostbare Walenbüchel tat der Oheim in einen Ranzen. »Das nehmen wir mit,« sprach er und hing mir den Ranzen um. Drauf gab er noch ein Stück Brot in den Ranzen, bewehrte seine Rechte mit der alten Partisane, die er auf seinen Gängen ebenso als Stütze wie als Waffe zu verwenden pflegte, und rief die alte Beate herein.

»Gehab dich wohl, Beate! Vier gute Stunden bleiben wir aus.«

»Mit Gott, ihr beede! Und seid mir au für Dunkelheet wieder derheeme,« antwortete Beate und reichte uns die Hand.

Mit freudigem Kläffen kam Wächter gesprungen, da er uns zum Aufbruche gerüstet sah, und sein wedelnder Schweif fragte, ob wir ihn mitnehmen möchten. Da des Oheims Antlitz gnädig war, fuhr Wächter als übermütiger Störer in unsern Hühnerschwarm und hüpfte nach dieser Heldentat bellend über die Wiese.[44]

»Ins Weißbachtal!« sprach der Oheim. »Nehmen wir selbigen Weg, der im Walenbüchel beschrieben stehet.«

Und wir stiegen den nächsten Pfad hinan, so durch Gebüsch und Wiesen, vorbei an Bauden und Steinrücken über den Hüttberg führt, allwo sich der Blick ins Weißbachtal eröffnet. Zur Linken blieb die neue Glashütte von Preisler liegen, wir stiegen über ein Flüßlein, der Rote Floß geheißen, und bogen rechts ab, es aufwärts zu verfolgen. Murmelnd und schäumend kam das Wasser über die moosigen Blöcke gehüpft, als ein Geheimnis, geheget von den Fichten, so mit grauen Bartzotten behangen wie alte Riesen aussahen. An einer Stelle war ein feuchtquappig Waldmoos, davon wir naß Schuhwerk bekamen.

»Hier hab ich oft nach Golde gesucht,« sagte der Oheim; »auch etlichen Goldseifen ausgewaschen; doch lohnet sich nicht die Mühe.«

Bald nach dieser Stelle tat sich der Wald voneinander, und auf sonniger Wiese reckte ein dicker Buchenbaum den mächtigen Wipfel. In den Stamm waren Buchstaben, Kreuzlein, Herzen und andere Zeichen gegraben. Einen schier verwachsenen Riß wies mir der Oheim in der Rinde: »Siehe hier ein köstlich Symbolum von einem Walen eingeschnitten, das ist ein Bischofsstab, wiewohl kaum mehr zu erkennen. An dieser Stätte laß uns niedersitzen, und du sollst fürder aus dem Walenbüchel vorlesen.«

Ich kauerte mich zwischen ein paar glatte Felsen, indessen der Oheim aus dem Ranzen das Manuscriptum holte. Von süßem Bangen war mein Herz erfüllt, wie ich so den heiligen Baum mit den Rätselzeichen anstaunte und auf sein Wipfelsäuseln lauschte. Aus Waldestiefe lockte die gurrende Taube, und wie ein fern Glöcklein klang des Kuckucks Ruf.

Da reichte mir der Oheim das aufgeschlagene Walenbüchel, und ich fuhr fort, zu lesen:

»Ich, der Jacobus Puschmüller, ein Kaufmann zu Regenspurg, war durch des Allmächtigen Verhängnus also verarmet,[45] daß ich mit zehn Floren von Weib und Kind fortgemußt, ein neu Brot ausfindig zu machen. Da bescherete mir Gott einen guten alten Italiener, daß er sich mein erbarmet und mit nachfolgender Beschreibung reicher Schatzlager getröstet hat – wie ich denn an einem der beschriebenen Orte Goldes genung gefunden und mich wiederum zu Ehren gebracht habe.

In Schlesien ist die Stadt Hirschperg, an zween Flüssen gelegen. Gehe von dorten fünf Stunden weit ins Gebirg. Kommest in ein Dorf, geheißen des Schreibers Hau. Gehe auf den Schwarzen Berg und immer gen Abend durch Gehölz, auf eines Pfades Spur, so durch hohe Beerenstauden führet. Kommest zu großen Steinen, sind aber noch nicht die rechten. Gehe vorbei, immer den Pfad entlang, bis haushohe Felsen ragen, anzuschauen als eine Purg. Schwarz ist das Gestein, hat aber eine weiße Stelle, gleichwie eine Pforte aus Marmel. Davor gen Mittag dreizehn Ellen weit findest du zwischen Felsen ein Loch. Stoße einen starken Knittel hinein, wuchte und wiege, bis du den übergelegten Stein aufwiegest. Nun lege ihm was unter und nimm die Kostbarkeit, so dir Gott bescheret, Goldkörner arabischer Art, gleich Haselnüssen; lassen sich plätzen. Tu aber den Stein wieder an seine Stelle, sonsten möchte ein Gespenst dich erschrecken; denn dorten ist es ungeheuer.

So du aber keine Furcht kennest, begib dich zum weißen Stein der Abendpurg zu Walpurgis oder Johannis oder auch am ersten Advent eine Stunde vor Mitternacht. Einen Zauberkreis mache, nach den Regulis Magiae, zünde darinnen ein Feuer an und koche in einem neuen Kessel eine Zaubersuppen. Wie die zu bereiten, weiß ich nicht genau zu sagen. Es gehöret dazu eines Maulwurfes Pfote, und unter strengem Stillschweigen muß gekocht werden. Ist der Nacht Mitte da, so spritze etliches aus dem Kessel an die weiße Marmelpforte, rufend: Woide, Woide, Woide! Da wird der Felsen sich auftun mit Getos, und du darfst eingehen.[46] In einer Nischen des Stufenganges kauert eine vermummete Gestalt, reget sich nicht. Gehe dreist vorbei, kommest alsdann in eine schneeweiße Halle. An der Wand stehen Truhen mit Golde. Inmitten der Halle aber springet aus einem Marmelbecken ein brausend Sauerwasser an die fünf Ellen hoch, stäubet nieder mit Regenbogenglanz und bespület Edelgestein, so im Becken als Bachkiesel lieget: violenblaue Amethyste, rotgelbe Hyazinthen, schwarze Bergkristalle, gelbe Topasier, grüne Saphire, schön durchsichtige Chalcedonier und dunkle Jasponichel mit roten Tupfen gezieret. Nimm, was du willst. Doch eilen sollst du, daß du wieder hinausgelangest, sintemalen die Schatzkammer nur über Mitternacht offen; um ein Uhr tut sie sich zu, unter großem Krachen.

Sei auch dessen wohlbedacht, daß beim Kochen der Zaubersuppen kein einzig Wörtlein werde geredet. Sonsten ist sie unmächtig, und der Herr der Berge möchte ergrimmen. Einem Tölpel ist er bei der Abendpurg erschienen als langbärtiger Riese, so auf einer Harfen gespielet hat, daß die Erde bebete, hat alsdann die Harfe wie einen Donnerkeil nach dem Tölpel geworfen. Der ist umgesunken und wäre nicht wieder erwacht, hätte ihn nicht seine Sippe heim geholet, wobei ein grausamer Hagelsturm tobete. Dies habe ich obgemeldeter Handelsmann von Regenspurg von dem Italiener vernommen, habe auch das Mülderlein gefunden, so der Pilgramstab aufweiset, und daselbst Goldkörner die schwere Menge. Doch in die Abendpurg einzudringen, habe ich nicht das Herz gehabt. Zu Schreibers Hau aber wohnet ein Mann, mit Namen Krebs, seines Zeichens ein Laborant, dem ist manch Geheimnis bewußt. Da frage nach, so der Alte oder sein Sohn Christoph noch am Leben.«

»Genung!« unterbrach mich der Oheim; »laß uns nun zur Abendburg gehen.« Nahm aus meiner Hand das Walenbüchel und verwahrte es im Ranzen, worauf wir aufbrachen und quer durch den Wald immer bergan stiegen, um dann gen Mitternacht abzubiegen und den Kamm des Berges zu[47] verfolgen. Hier ging der Pfad durch hohes Preißelbeergestäud, und ich merkte, daß wir auf dem beschriebenen Wege zur Abendburg waren.

Oft mußten wir von Felsblock zu Felsblock hüpfen und Obacht geben, daß nicht der Fuß in einen Spalt gleite. Die Tannen griffen mit ihren unteren Ästen, kahl und hart wie Gerippe, zu mehreren Malen nach unserm Gewande, es zerfetzend. Unheimlich pfiff der Wind durch die Wipfel, und lauschend glaubte ich eines Waldgeistes Geheul zu vernehmen.

Vor uns erhuben sich schroffe Felsen, und der Oheim sprach: »Siehe, das ist die Abendburg!« Ich war etwas enttäuscht, da meine Phantasei mir die Abendburg gewaltiger und mehr einer Burg ähnlich ausgemalt hatte, und nun eine Steinmasse da lag, nicht größer, denn eine Scheuer. Wie ich aber das Düstere, Wüste, Einsame des Ortes empfand und dem wogenden Raunen des Windes lauschte, wandelte mich ein Staunen und Schaudern an. Ich spürete nun wohl, daß hier die Stätte von Abenteuern und Wundern sein könne. Wir kletterten um den Felsen herum und dann auf seinen Scheitel.

So schaurig es unten bei der Abendburg war, hier oben lachte die Welt im Sonnenlichte. Trunken schweifte mein Aug über die Täler von Schreiberhau hinüber zum Breiten Berge und weiter links zum Kynast. Am Fuße dieses festen Bergschlosses dehnten sich lichtgrüne Felder, freundliche Haine, friedliche Dörfer. Aus dem Dufte der Ferne grüßten die Kirchtürme meiner guten Stadt Hirschberg. Ganz hinten waren ein paar blaue Maulwurfshügel; so sahen die Falkenberge aus. Nach rechts mich wendend, sah ich das Reifträgergebirge und die ganze Kette der Riesenberge bis zur Schneekoppe und dem Landeshuter Kamme. Auch gen Sonnenuntergang schauten wir, und dort öffnete sich das waldige Tal des Queißflusses mit den Flinsberger Bauden.[48]

Nachdem wir unser Auge gesättigt, stiegen wir wieder vom Felsen. Der Oheim winkte mich zu sich und sprach: »Dies ist die Stätte, wo wir den Zauberkreis machen werden. Nun schau! Siehest du den weißen Stein? Das ist die Pforte!« Er deutete auf ein Stück Flins, das verwachsen mit der schwärzlichen Granitwand, allerdings einer Pforte aus weißem Marmel ähnlich war. Ich starrte hin und sah im Geiste allbereits diese Pforte aufspringen, sahe den wüsten Felsen sich verwandeln in das strahlende Schloß und innerlich funkeln von Gold und bunten Steinen. Der Oheim säuberte die Stätte von Gestrüpp. Auf sein Geheiß sammelte ich derweilen den Vorrat dürren Holzes für das künftige Feuer des Zauberkreises. Nicht ohne Grauen betrachtete ich das weiße Gestein und überlegte, wie es nur geschehen könne, daß dieser harte Felsen von einer bloßen Zaubersuppen eröffnet werde.

»Aber Oheim«, sagte ich, »ist dir denn auch bekannt, woraus man die Zaubersuppe bereitet?«

Unsicher schaute mich der Oheim an und hüstelte dumpf. Dann loderte sein Aug, als er entgegnete: »O, das werde ich schon herausbringen! Ohne Sorge Johannes! Ich weiß einen Mann hochgelahrt in geheimen Wissenschaften. Ist ein echter Italiener, Herr Doktor Giacomini mit Namen. Wohnet seit Wochen hier zu Schreiberhau in Preislers Glashütte. Hat den Vorwand, er wolle die Kunst der Glasmacherei studieren. Was er aber will, weiß ich besser. Nach Golde schnüffelt er im Gebirg umher. Hat beim roten Flosse etliche Körnlein Markasit ausgewaschen.«

»Und du meinest, der Italiener verstehe sich auf die Zaubersuppe? Wird er denn sein Geheimnis nicht für sich behalten wollen?«

»Närrchen!« sagte der Oheim. »Ich werde ihm halt proponieren, er solle mir sein Geheimnis enthüllen und dafür das meinige nehmen. Gemeinsam mit ihm werden wir dann den Schatz heben und teilen.«[49]

Schweigsam traten wir den Heimweg an. Oft war mir, als webe in den Tiefen des Waldes ein Spuk. Zwischen den mächtigen Tannen stund der Rübenzagel, ein riesenhafter Köhler, dann plötzlich verwandelt in einen knorrigen Baumstumpf mit langem Moosbarte. Wenn ich so in den Wald starrte, ward Wächter unruhig und hub an zu knurren, was dann wiederum mein Zagen steigerte. Zwischen den Steinen und Baumwurzeln wisperte es manchmal, und die Unterirdischen kicherten: »Hihi! König Salomo!«


Das schlimme Jahr sechzehnhundert achtzehn ging zu Ende, und es war im Novembermond, als ich abermals nach Schreiberhau zum Oheim gereiset war. Bei dem milden Wetter saß ich auf einem Kirschenbaum zwischen kahlen Zweigen, dran rostrot noch etliche Blättlein hingen, und pflückte mir verschrumpfete Kirschen.

Da kam auf Oheims Haus zugeschritten ein kleiner, hagerer Mann in schwarzem Mantel, tief in das gelbe verkniffene Gesicht einen breiten Filz gestülpet, unter dem die schwarzen Äuglein wie aus einem Hinterhalte herfürstachen. Unter meinem Baume blieb er stehen und blinzelte nach mir, die Oberlippe mit den dünnen schwarzen Härlein schief in die Höhe gezogen.

»Eh! Der Famulusse?« – sprach er hastig mit harter Stimme »Ist Er nit Famulusse von Signore Kräutertobiasse?«

Ich verstund die Frage nicht, sprang vom Baume und sagte: »Kommet nur ins Stübel, ich rufe den Oheim.« Führte also den Herrn in die Balkenstube und holte den Oheim aus dem Laboratorio.

»Das ist der Giacomini,« raunte der Oheim erwartungsvoll; »komm mit herein, Johannes!« Ich ging also mit in die Balkenstube.

Mit einer grinsenden Freundlichkeit grüßte Giacomini den[50] Oheim, erkundigte sich dann nach mir und hub unter verlegenem Räuspern an: »Was ik wollte fragen, caro mio – wo iste weiße Stein bei Schreiberhau? weiß unde glatte wie Marmo?«

»Ihr meinet wohl den Flins?« gab der Oheim zur Antwort. »Etliche Blöcke davon liegen am Böheimischen Furt.«

Der Italiener nahm aus seines Rockes Tasche ein Stück Flins und fragte: »Diese Stein? Ah bene! Aber diese Stein soll sein auf Gebirge eingefuget in swarze Granite als eine Porta von Marmo. Wo iste die Orte? Sag Er mir, caro mio!«

»Dergleichen Orte hat es viele im Gebirg«, antwortete der Oheim ausweichend.

»Viele Orte?« sagte Giacomini lauernd; »no no, Signore, ik will nit viele Orte, will diese eine Orte – gelegen auf Bergesrucken, wie swarze Burge mit weiße Porta.«

Da nickte der Oheim mit spöttischem Lächeln und blickte scharf den Italiener an: »Freilich kenne ich diesen Ort – weise ihn aber Euch mitnichten – denn allda ist verborgen ein Schatz – ja ein Schatz!«

Wie vor einer Natter prallte der Italiener zurück und starrte den Oheim an. Dann verzog er sein Gesicht zu einem Grinsen und suchte zu beschwichtigen: »Eine Schatze? Ah Possen! Keine Rede von Schatze! Possen! Weiße Stein iste gut für Glasse. Sage mir, Signore, wo iste weiße Stein? Sage mir Orte, ik bitte.«

»Der Herr Doktor täuschet mich nicht. So Er den weißen Stein nur zur Glasbereitung brauchet, ei warum lässet Er sich alsdann nicht genügen an den Flinsblöcken, so in Menge bei Schreiberhau liegen? Aber der Herr hat selber bekennet, daß Er nur nach der einen Stelle trachtet, wo der weiße Stein gleichwie eine Pforte eingefüget ist in schwarzen Granitfelsen. Die Stelle ist mir wohlbekannt, und dorten lieget ein Schatz – ja ein Schatz! Den soll aber nicht der[51] Herr heben, sondern ein anderer – ja ein anderer! So ist und bleibt mein Wille, und darum verrate ich den Ort mitnichten.«

Zornig funkelten des Italieners Augen, dann griff er mit zitternder Hand in seine Tasche und warf einen Beutel mit klirrender Münze auf den Tisch: »Prenda denaro! Hier nimm Gelde! Weiset mir die Orte!«

»Ich brauche Euer Geld nicht!« entgegnete der Oheim kalt, »dieweil ich den Goldschatz selber heben werde.«

»Ihr? Ihr?« kreischte der Italiener und focht mit den Händen vor Oheims Angesichte. »Schatze hebene? Nix hebene!«

»Mein Famulus hier wird ihn heben,« antwortete der Oheim; »diesem Knaben ist von einer Prophetin geweissaget, daß er solle einen großen Schatz heben und wie König Salomo werden. Zudem ist er ein Johanniskind.«

Mich funkelte nun Giacomini mit seinen schwarzen Augen an und meinte verächtlich: »Ah bah! Wie soll dumme Ragazzo bringen Schatze in seine Hand? Was weiß er von Magia? Eine Propheta weissagete? Soll er werdene Salomo? Ah bah, Possen, nix! Nimm Gelde unde weise den Orte! prenda denaro, prenda, caro mio!« Und er suchte dem Oheim seinen Geldbeutel in die Hand zu drücken.

Da aber der Oheim im Verschmähen standhaft blieb, lief der Italiener wie ein gefangener Fuchs in der Stube umher, irren Auges und keuchenden Odems. Manchmal blieb er stehen, die Hände ringend, und über sein Angesicht ging ein Zucken. Endlich sank er wie gebrochen in den Lehnstuhl, stöhnete und sprach mit matter Stimme: »So swöre Er, swöre auf sein Evangelio, daß Er wolle weisen mir den Orte, wo Schatze liegen und helfene mir mit Famulusse. Avanti! Bilden wir eine Societa, zu hebene Schatze, unde ik gebene Euch Beutel mit Golde.«

»Einen Beutel mit Golde? Nein! Halbpart will ich!« sagte der Oheim fest.[52]

Gehässigen Blickes antwortete der Italiener kleinlaut: »Also gute!«

Hierauf ließ er sich Papier, Feder und Tinte reichen und schrieb den Contractum auf. Alle drei unterzeichneten wir und beschwuren ihn über der aufgeschlagenen Bibel.

Den Abend wollte der Oheim mit Giacomini allein sein, und da sagte die alte Beate munter zu mir: »Kumm ock; wir wollen zu Maiwalds spilla gihn.« Maiwalds wohnten im Nachbarhause, hatten drei mannbare Töchter und sammelten gern Gäste zum Spinnabend. Als wir in die Balkenstube traten, wo der qualmende Kienspan leuchtete, entschuldigte uns Beate mit dem Scherzworte: »Wir mechten amol sahn, ob's Weibsvulk keene Schürzaschüttler brauchet.« »Ju, ju!« rief der Chorus der Jungfern und Burschen fröhlich. »Kumm har, Beate, kumm ock, Johannes!«

Nun setzeten wir uns auf eine Bank, und ich bekam ein Messer, Kienspäne zu schnitzeln. Munter schnurrten die Spulen, und noch eifriger gingen die Mäuler. Männiglich plauderte oder sang, kauete Schnitzäpfel und getrocknete Rüben, sprach auch dem Bierkruge zu. Die Junggesellen trieben mit den Madeln allerlei Kurzweil. Maiwalds Kathrine ward verurteilt, das Kreuz anzubeten. Dies Kreuz aber war Hollmanns Gottlieb, so kerzengrad inmitten der Stube stund, die Arme ausgebreitet. Vor ihm kniete Kathrine nieder und sprach:


»Heilig Kreuz, ich bet dich an,

Du brauchest eine Frau, ich einen Mann.

Bist du gesonnen als wie ich,

So kumm herab und küsse mich.«


Nun umfing der Gesell kosend das Madel, und die Leute lachten dazu.

Plötzlich ward die Stubentür aufgerissen und ein Topf hereingeschleudert, der zerschellend allerlei eingefüllt Gerümpel über den Boden verstreute. Dazu rief eine Madelstimme:
[53]

»Do breng ich euch an Aschentopp,

Seid gebeta, on wascht mern Kopp.«


Das gab ein Lärmen, und hurtig sprangen die jungen Gesellen auf, das flüchtende Madel mit Wasser zu begießen. Wie nach solcher Kurzweil die Räder wieder schnurreten, erzählte Maiwalds Pauline von einem seltsamen Knaben; der sei vorzeiten in die Schreiberhauer Spinnstube gekommen, schön von Angesicht, aber mit richtigen Pferdehufen statt der Füße. »Ju ju,« hieß es; »der stammet aus dem Breiten Berge, dorten hauset das Volk der Pferdehufer. Es hat aber auch ein seltsam Weibesvulk, das watschelt auf Gansfüßen ...« »Hu!« schrie ein Weibsbild auf, weil draußen vor dem Fenster ein Totenkopf mit glühenden Augenhöhlen erschien. Bald erkannte man aber, daß es nur ein hohler Kürbis, von einem innern Lichtlein erhellet. Nun kam das Gespräch auf den Berggeist. Ein Bursche berichtete, wie er sich am Hohen Rad als ein Laborant gezeigt habe und plötzlich als ein Truthahn hinweggeflogen sei. Die alte Beate, aus einer Baude beim Mittagstein gebürtig, wollte den Rübenzagel am Großen Teiche gesehen haben. Ein Mönch habe auf einem Felsen gekauert und sich alsdann aufgelöset in quirlenden Nebel. Ja, droben hausete der Herr des Gebirges! Hatte ja auch vorzeiten die drei hausgroßen Steine, neben den Teichen gelegen, hineinwerfen wollen, mit dem überlaufenden Wasser die Welt zu ersäufen. Während also gefabelt ward, erhub sich draußen ein Brausen und Heulen, und man murmelte: »Der Nachtjäger kummet! Ju ju, er jagt die Moosweibel, und die Bäume läuten aus!«

Ganz angefüllt mit wunderbaren Mären machte ich mich zu später Stunde mit der alten Beate auf den Heimweg. »Bleibet noch dahie!« hatten Maiwalds gesagt. »Gleich ist Mitternacht, wir schmelzen Blei.« Doch Beate hatte nicht gemocht. Mit flackernder Laterne suchten wir unsern Pfad, gegen den Wind ankämpfend. In Oheims Laboratorio war[54] noch Licht. Da es eben Mitternacht läutete, blieben wir stehen, und Beate sagte: »Lege dich auf die Erde, Johannes, lausche, was die Unterirdischen erzählen.« Ich legte mich und drückte das Ohr an den Grund, hörte aber nur den Wind brausen und die Glocke läuten. Indessen deuchte mich, als könne ich in dunkle Tiefen sehen. Dorten glomm es bläulich, und ich erkannte den unterirdischen Goldbaum, wie er seine Metalläste durch die Lande reckt. Einer der Äste schlich unter dem Laboratorio dahin, ein anderer wuchs machtvoll durch das Isergebirge zur Abendburg und trug eine Frucht, gestaltet als eine Krone.

Am Morgen tat der Oheim mit dem Italiener einen Gang auf das Gebirge. Heimgekehrt rief er mich in die Balkenstube und sprach in freudiger Erregung: »Jetzo haben wir das Mittel, den Schatz zu heben. Giacomini weiß, wie die Zaubersuppe bereitet wird. Pferdeblut muß man mit alraunischem Lauche kochen. Wo der wächst, ist mir wohlbekannt – auf der Iserwiese. In den Kessel gehören alsdann eines Maulwurfes Pfoten. Endlich muß ein unschuldig Mägdelein oder ein reiner Junggesell etliche Tropfen seines Blutes aus freien Stücken hineintun. Der Junggesell bist du, Johannes – nicht wahr, du gibst ein wenig Blut her? Ist ja nur eine Hautschramme vonnöten. Johannes, mein Johannes! Wie erhoben und riesenstark ist mein Herz! Möchte schier glauben, so müsse unserm Herrgott zu Mute gewesen sein, da er beschlossen hatte, die Welt zu erschaffen..« Und der Oheim reckte die Arme und lief umher.

Andern Tages begab er sich hinunter ins Hirschberger Tal, das für den Zauber benötigte Pferdeblut zu holen. Da der Abend dunkelte, und die alte Beate in der Balkenstube den Kienspan angezündet hatte, war der Oheim noch immer nicht da – was den Doktor Giacomini, der bei mir saß, unruhig machte, also daß er auf einmal emporsprang und ratlos die Hände erhub: »Wo bleibet Kräuter-Tobiasse? Weg iste swarze – scheinet nit Luna, nit Stella.«[55]

Ich schwieg, mir war nicht heimelig zu Sinne. Unrastig aber wandelte Giacomini durch die Stube, mit seinen geräuschlosen Bewegungen und dem schwarzen Habit ähnlich einer huschenden Fledermaus. Plötzlich blieb er stehen und sahe mich stechenden Blickes an: »Johanniskind, sage mir, was tun Er mit Golde, wenn wir hebene den Schatze? Möchte wissene, was Er tun – he?«

Ich stutzte und entgegnete nach etlichem Zaudern: »Alsdann werden meine Eltern nicht mehr arm sein. Und der Oheim sagt, alsdann solle ich Studente werden in Prag und ein gelahrter Mann und ...« »Unde – unde – pah! Possen!« spottete der Giacomini. »Was brauchen Er Golde für Studente werdene!«

Ich entgegnete: »Aber es ist doch besser, wenn ich kein armer Studente bin ...«

»Ah – si si! Studente à la mode! studieret nix, stolzieret in Sammete und Seidene, hat Losament in Palazzo, unde bei Pokulieren Moneta rollen wie Wasserfall, addio! No no, Famulusse! Er tun nit klug mit Golde, Er werden keine Salomo – denn wie spricht Salomo? Vanitas vanitatum vanitas! Eine Schatz darf nit sein, was fortlaufet – eine Schatz soll bleibene getreu bei Salomo – eine Schatz soll nit werdene geringer! War ein Haufen unde wird eine Berg – ah!«

Scheu starrete ich den Italiener an, der lodernden Auges mit Händen, die vor Gier bebeten, seinen Goldberg zu betasten schien. Wenn doch nur endlich der Oheim käme! Es war bereits Nacht, und ein Sturm hatte sich erhoben, der am Dach rüttelte.

Da ging die Haustür, ich vernahm des Oheims schleppenden Schritt, und nun trat er ein. Nach Odem ringend, bot er guten Abend, stellete den mitgebrachten Krug in die Ecke und warf sich ächzend in den Lehnstuhl: »Ah! In Petersdorf bekam ich das Pferdeblut nicht – bis Warmbrunn hab ich müssen laufen, ah! –«[56] Als er sich verschnaufet hatte, machten wir uns zum Aufbruch fertig. Der Oheim nahm auf den Rücken die Hucke, in der sich der Krug mit dem Pferdeblut und eine Axt befand. Seine Linke hielt eine brennende Laterne, die Rechte den Spieß. Giacomini war bewehret mit einem Reiterpistol und einem Degen. Ich trug ebenfalls Hucke und Spieß, außerdem eine brennende Laterne. Voran ging der Oheim, dann kam ich, zuletzt Giacomini.

Das am Himmel jagende Gewölk bildete zuweilen eine Lücke, und dann flog die Mondsichel hindurch, in gewissem Abstande verfolgt von einem Funkelstern; es sah aus, als eile durch Waldesgebüsch ein Jäger nebst seinem Hündlein. Wie rauher Jagdruf und Hundegebell klang es im Sturme, und die Fichten wankten wie läutende Glocken. Stumm schritten wir fürbaß, hätten einander auch schwerlich verstehen können in dem Gebrause.

Als wir bei einer Felsengruppe des Schwarzen Berges aus dem Walde traten, fiel uns der heulende Sturm mit so hartem Stoße an, daß ich mit meiner Hucke ins Beerengestäude taumelte, wobei mir die Laterne erlosch. Giacomini rief den Oheim, der half mir auf und zündete aufs neue meine Laterne an.

Es ging nun wiederum durch Wald. Höchst mühselig gestaltete sich der Weg in der Nähe der Abendburg. Tastend klommen wir über moosige Blöcke, zuweilen glitt der Fuß in eine Felsenspalte. Die Fichtenäste, hart wie Knochen, faßten unsere Kleider. Oft hörten wir Bäume im Sturme brechen, und ein starker Ast schlug neben uns wuchtig zu Boden. Doch freier von Wolken ward der Himmel und verbreitete mit Mondsichel und Gestirnen einen dämmerhaften Schimmer.

Nun sahen wir dicht vor uns düster die Abendburg ragen. Der Oheim zündete sogleich den hergerichteten Holzstoß an, und die prasselnde Flamme belichtete rot die Felsenwand, während des Oheims Schatten wie ein schwarzer Riese verzerrete[57] Gebärden machte. Mir ward des Feuers Obhut anvertrauet, und mit Eifer warf ich von Zeit zu Zeit neues Holz hinein.

Inzwischen zogen Giacomini und der Oheim um uns her den Zauberkreis, wobei sie einen Stab mit übergestreiftem Siegelringe anwendeten.

Nachdem dies Werk vollführet war, setzten wir uns ums Feuer. Der Oheim holte Brot aus der Tasche und gab uns zu essen, wir tranken auch etliche Schlucke Wein aus einer Flasche.

»Merke, Johannes,« – sprach der Oheim – »wenn wir die Zaubersuppe zu kochen beginnen, darf fürder kein Wörtlein gesprochen werden, und du mußt schweigend deine Blutstropfen hergeben. Wenn alsdann die Abendburg sich auftut, dringen alsobald wir beide hinein, der Doktor will draußenbleiben.«

»Muß Zaubersuppene rührene, sonstene gehet Porta zu,« entschuldigte sich der Italiener.

»Sind wir in der Abendburg,« – fuhr der Oheim fort – »so füllen wir geschwind unsere Hucken mit Gold und Edelgestein, eilen dann ohne Säumen hinaus.«

Unter solchen Verabredungen verrann die Zeit, der Doktor verkündete, es sei die eilfte Stunde und an der Zeit, die Zaubersuppe zu kochen. Wir winkten einander zu und legten den Finger auf den Mund, zum Zeichen, daß jetzo beginnen solle das strenge Schweigen.

Nun ward das Pferdeblut im Kessel auf das Feuer gesetzet, und der Oheim tat Alraunknoblauch nebst den Pfoten eines Maulwurfes hinein. Der Italiener gab den Liquor einer Phiole hinzu, dessen Bereitung sein Geheimnis war. Ich entblößete meinen Arm, nahm das Messer, so mir vom Oheim schweigend dargereichet ward, und tat die Spitze an meine Haut. Einen Augenblick zauderte ich mit Bangen. Dann zuckte Entschlossenheit in mir, und ich drückte die Messerspitze tiefer in den Arm, als vonnöten. Das herfürquellende[58] Blut ließ ich in den Kessel rinnen. Die Wunde verband mir der Oheim.

Allgemach begunnte nun die Suppe zu kochen, und mit einem Holzlöffel rührte der Oheim, während Giacomini manchmal scheu ringsum spähete und sich duckte, sobald die Fichten wanketen und knacketen. Das Feuer glühte, daß mir Angesicht und Hände heiß wurden, der Oheim rührete und rührete, eine Sturmwoge nach der andern wandelte heulend über die Wipfel hin, und ich starrete auf die weiße Pforte der Abendburg, die nun bald aufgehen sollte.

Ein schaurig süß Gefühl wandelte mich an, ein heimlich Hoffen und Bangen, ähnlich wie vor einer Weihnachtsbescherung. Heut war ja der erste Advent, und von Haus zu Haus ging das Christkindel. Aus dem Sausen der Wipfel klang mir das fromme Lied, so jetzo drunten in den Hütten erscholl:


»Vom Himmel hoch da komm ich her,

Ich bring euch gute neue Mär,

Der guten Mär bring ich so viel,

Davon ich singen und sagen will.«


Und zur Tür herein trat das Christkindel, licht und holdselig wie ein Engel, mit einem Tüchel voller Gaben, und sagte seinen Spruch:


»Ein schön guten Abend geb euch Gott!

Ich komm herein ohn allen Spott,

Befrag die kleinen Kindelein,

Ob sie auch fromm gewesen sein.

Und wenn sie fromm gewesen sein,

Hat's draußen einen Wagen stahn,

Der ist geschmückt mit schönen Gaben

Für Mädelein und junge Knaben.

Ei Ruprecht, komm herein!«


Da gab es ein Gepolter, und herein tappete Knecht Ruprecht, angetan mit Pelz, rauher Mütze und Fausthandschuhen. Sein Huckepack rasselte, und in der Rechten schwenkte er einen Besen. Er kicherte und gröhlte:
[59]

»Plietsch plaatsch Fladerwisch!

Draußa is mers gor zu frisch.

War mich ei die Stube packa,

War a Kindern vertreiba's Lacha.

Bin vom Himmel gefolla,

Hab mir an Huckepack zerknolla.

Ich wünsch euch a langes Leba,

Hundertfufzig Ella lang,

Hicher als die Wulka schweba,

Länger wie a Glockastrang.

Ich wünsch euch a Sack vull Dukota

Und a tichtiga Schweinebrota.

Un wenn noch was zu trinka wär,

Su wär schon alles nach Begehr.

Draußa is mers gor zu frisch ...

Plietsch plaatsch Fladerwisch ...«


Hier reckte Knecht Ruprecht auf einmal seine Gestalt, daß sie wie ein schwarzer Riese in den Nachthimmel ragete. Ich sahe, wie er zum Hiebe mit der mächtigen Rute ausholte, und ein Krachen und Prasseln geschah, als ob ein Donnerwetter einschlüge, davon die ganze Welt zusammenstürzte.

Ich wähnte zuerst, die Abendburg tue sich auf, und vor meinem Auge gleißete bereits der lichte Eingang. Dann aber kam mir der Gedanke, dies Prasseln komme von stürzenden Bäumen. Gleichzeitig sausete ein Fichtenwipfel auf uns hernieder, in das aufstiebende Feuer und in die Zaubersuppe hinein. Eine Funkengarbe sprühete, es zischte und qualmete.

Krachend fuhr ein Feuerstrahl aus Giacominis Pistol. Donnernd rollete der Widerhall drüben den Kamm entlang, und an diesem starken und langen Dröhnen war zu erkennen, wie gewaltig der Baumsturz gewesen.

Der Oheim griff nach mir und betastete meinen Kopf, den ich wimmernd in Händen hielt, weil ihn der Baumwipfel gestreifet hatte. Nun schaute ich mich um und sahe, wie eine Fichte, vom Sturme mitsamt der Wurzel ausgerissen, über uns hergestürzt war, und wie eine Menge Bäume in gleicher Weise vom Sturme gefället waren, also daß die Stelle der[60] dunkeln Waldeskrone auf einmal der Sternenhimmel einnahm.

»Es ist aus!« sagte der Oheim; »die Zaubersuppe ist verschüttet, und wir haben das Schweigen gebrochen. Fort! Hier ist es ungeheuer. Auf, Herr Doktor Giacomini!«

Der kauerte hinter dem Oheim und klapperte mit den Zähnen.

Wir raffeten uns auf, ließen die Werkzeuge liegen, mit Ausnahme der Waffen und der Laterne, und krochen mit vieler Mühe zwischen den Zweigen der quergelegenen Fichten hindurch, bis wir endlich freien Pfad hatten. Ich fühlete, wie mir Hände und Knie zitterten. Mir war, als lache heiser der Riese hinter uns her.

Giacomini hielt sich dicht zum Oheim und schwieg. Als wir aber den gefährlichen Wald hinter uns hatten und auf gutem Wege waren, platzte der Italiener los: »Diavolo! Ihr habete Schulde! Eure Famulusse tauget nix zu Magia! Wird keine Salomo!«

»Schweiget!« herrschte ihn der Oheim an. »Eure Zaubersuppe hat nichts getauget! Lasset den Knaben aus dem Spiel!«

»Doch! Eure Famulusse tauget nix – ist keine Junggeselle – keine Johanniskind.«

»Halt er das Maul!« brüllte der Oheim.

Auch mich packte Entrüstung über den Italiener. »Ihr leuget,« – rief ich – »ich habe keine Schuld – bin anoch ein Junggesell – ja, das bin ich!« Dann kamen mir die Tränen. Bestürzt überlegte ich, ob ich vielleicht doch eine Schuld habe. Bedachte, wie mich des Schreiners Magd einmal küssen gewollt. Ich aber stieß sie von mir, mochte die Weibsbilder nicht ... Ja, ich war anoch ein Junggesell, und geboren am Johannistag!

Während des Zwistes stund auf einmal Giacomini still und starrte ins Weite. Seinem Blicke folgend, sahe ich ein furchtbar Phänomenon. Am wolkenlosen Himmel schwebete[61] es, ungeheuer über dunkeln Bergen: eine blutige Rute, ein glühender Krummsäbel, an den Nachthimmel angenagelt.

»Ecco Cometa!« staunete Giacomini.

Mit Grauen starreten wir schweigend nach dem unheimlichen Gast des himmlischen Gezeltes.

Dann meinte der Oheim: »Oh, nun verstehe ich, warum der Zauber mißlang. Unter solchem Schweifsterne ist kein Glück, er ist ein schrecklich Omen. Siehet aus wie eine Geißel, mit der unser Herrgott die sündige Welt will züchtigen. Barmherziger Heiland, vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern! Lassen wir das Zanken, Herr Doktor Giacomini! Buße tun ist nötiger. Denn nunmehro soll anheben ein grausam Schlachten und Sengen, Hungersnot und Pestilenz. Und wer weiß, ob nicht gar der Spruch vom Jahre zehn und acht sich erfüllet und die ganze Welt untergehet .... Barmherziger Heiland!«

Wenige Tage nach diesem Abenteuer trieb mich und den Oheim die Neugier, bei Tage zur Abendburg zu gehen, um nachzuschauen, was denn eigentlich sich begeben habe. Wir machten uns bei klarem Wetter des Morgens auf und gingen auf dem nächsten Wege über den Hohen Stein zur Abendburg. Hu, welch grausig Bild! An der Nordseite des Bergkammes war die ganze Waldwand vom Sturme niedergeworfen. Hunderte von Fichten mit der Wurzel ausgerissen und quer über den Preißelbeerweg geworfen. Ein paar mächtige Bäume lehnten sich an den Abendburgfelsen, und einer davon hatte mit seinen Zweigen in unser Zaubertreiben hineingehauen.

Schweigend schüttelte der Oheim den Kopf. Dann meinte er: »Ist das nun ein Naturereignis, oder ist es eine Strafe dafür, daß wir unter dem Unglückssterne gezaubert und dazu dem magischen Gebot zuwider unser Schweigen gebrochen haben?«

»Aber Oheim,« entgegnete ich, »niemand hat das Schweigen gebrochen – nicht eher, als bis die Fichte auf uns[62] niedergestürzt ist. Drum wird es wohl nur ein Sturm gewesen sein, was unser Fürhaben vereitelt hat.«

In diesem Moment machte der Oheim ein erstaunt Gesicht und deutete auf eine Höhlung im Abendburgfelsen: »Das war doch früher nicht?«

Eine Tanne, so ihre Wurzeln hier in Felsenritzen eingelassen hatte, war vom Windstoß ebenfalls umgeworfen, hatte aber dabei mit den Wurzeln einen Stein ausgehoben, unter dem nun die Öffnung klaffte. Als wir hineinspähten, merkten wir, daß sich eine Höhlung erschlossen hatte.

Prüfend sahe mich der Oheim an: »Hast du Mut, hineinzuklettern?«

Ich bezwang meine Furcht und nickte, worauf ich, die Füße voran, in den Spalt rutschte. Gelangte in eine Felsengrotte, fand aber beim Umhertappen, daß sie nicht größer als eine Stube. Kroch nun wieder ins Freie und berichtete dem Oheim.

Der nickte gedankenvoll und meinte: »Dabei ist dennoch Zauber im Spiel. Du siehest ja, Johannes, die Abendburg hatte schon begonnen, sich aufzutun und wäre sicherlich gänzlich offen worden, wenn der vermaledeite Italiener nicht das Schweigen gebrochen hätte. Das Umwerfen der Bäume war halt eine Versuchung, wie sie mancher Zauberer zu bestehen hat. Ich werde doch selber in die Höhlung gehen und forschen, ob sie vielleicht zu den Schätzen leitet.«

Darauf bearbeitete der Oheim mit seiner Axt die erdigen Stellen des Felsenspaltes, so daß man bequemer hineinschlüpfen konnte und kroch in die Grotte, worauf ich folgte. Doch die Prüfung des Innern führte zu keinem günstigen Ergebnis. Die Höhlenwände waren von Granit und öffneten sich an keiner Stelle zu einem weiteren Gange. So mußten wir denn, nicht ohne Enttäuschung, den Heimweg antreten.

Als ich mich bereit machte, wieder zu meinen Eltern nach Hirschberg heimzukehren, sprach der Oheim gebieterisch: »Du weißest, daß du, mein Famulus, zum Schweigen verpflichtet[63] bist. Sprich zu niemand, auch zu deinen Eltern nicht von dem, was sich begeben hat, und bleibe des festen Glaubens, daß es dir dennoch gelingt, den Abendburgschatz zu heben.« Kleinlaut aber fügte er hinzu: »Der Italiener wird uns doch nicht zuvorkommen? Wenn ich nur herausbrächte, was in der Phiole gewesen! Alsdann getraute ich mir, ohne ihn die Zaubersuppe zu bereiten.«


Warum sollte es nicht eine geheime Kunst geben, vermöge deren man in der Knospe schon die Frucht, im Ei den werdenden Vogel erkennt? Daß aber unscheinbaren Dingen etwas von der Knospe und vom Ei eigen sein kann, wird an meiner Jugendgeschichte offenbar, wie denn aus den Mären vom eingemauerten Mägdlein und vom Schatz der Abendburg, aus meines Vaters Bericht über den unterirdischen Gang, aus der zigeunerischen Weissagung und aus den knabenhaften Streitigkeiten mit Zetteritz die wichtigsten Ereignisse und Wendungen meines Lebens herfürgewachsen sind.

Auch mein Comödiaspielen im Schlosse Kynast war gleichsam eines Vogels Ei, weil es dazu führte, daß mir Hans Ulrich seine Gunst zuwandte. Wie ich ihm einmal in der Rosenau begegnet bin, hat er mich ins Auge gefaßt, sein Pferd angehalten und lustig gesagt: »Ei das ist ja der liebe Gott, der sich mit dem Teufel gebalgt hat.« Und oft hat mich seitdem Hans Ulrich, wenn unsere Wege sich trafen, mit dem spaßigen Spitznamen angeredet. Hat den »lieben Gott« sogar in seinen Dienst genommen und als ein Schreiberlein seines Dominiums zu Warmbrunn installieret. Die kriegerischen Zeiten haben das so gefügt. Da ich nämlich das Gymnasium absolviert hatte, meine Eltern aber wegen des böheimischen Aufruhrs und der allgemeinen Unruhen nicht wagten, mich zur Universität nach Breslau oder Prag ziehen zu lassen, und da sie nicht wußten, was mit dem[64] müßigen Burschen anzufangen, habe ich von ihnen gern die Erlaubnis erhalten, brieflich den Herrn Schaffgotsch um einen angemessenen Posten anzugehen. Meine Kammer ist im Dominium dicht neben der Kanzlei gewesen, Essen habe ich aus des Herrn Verwalters Küche empfangen und dazu jeden Sonnabend noch sechs, später zehn Groschen Besoldung. Zustatten gekommen ist mir später, daß ich in meinem Amte mit Gewandtheit reiten, auch schießen und fechten gelernt.

Außerdem ist der Aufenthalt zu Warmbrunn meinem Herzen zugute gekommen, insofern es sich der ersten keuschen Minne zugeneigt und erschlossen hat, ähnlich wie einer Blütenknospe an der Frühlingssonne geschieht. Die Gelegenheit dazu hat jener heilkräftige warme Brunnen gegeben, von dem Warmbrunn, ein wohlgebaueter Ort, zwo Stunden von Hirschberg am Gebirge gelegen, seinen Namen hat. Die heiße Quelle ist gut für Gliederweh und gilt als ein rechtes Kleinod schlesischer Lande. Ward aufgefunden vom Herzog Boleslao Crispo, als dieser auf der Jagd einen Hirschen verfolgte, der seine Wunde im heilkräftigen Wasser baden gewollt. Über der Quelle, so fünf Ellen in der Tiefe aus dem Felsen sprudelt, ist ein steinern Haus errichtet. Den heiligen Wassertäufer Johannem hat man dafür als Patronum erkiesen und über der Pforte abkonterfeit. Das Volk aber ist des Glaubens, am Sankt Johannis Abende, wie auch am nächsten Morgen, habe das Wasser seine beste Heilkraft. Daher strömet zum Sonnwendtage eine bunte Menge aus der Umgegend nach Warmbrunn, sich in das Badebecken zu tauchen. Gichtbrüchige und Lahme hoffen, ihre Krankheit solle sich wenden. Gesunde aber möchten ihren gesunden Leib bewahren; oder, wofern sie das Bad verschmähen, nehmen sie an der lustigen Feier teil, so bei hereinbrechender Dunkelheit auf Wiesen und Hügeln begangen wird, unter Schwenken brennender Besen und Springen durch flammende Scheiterhaufen.[65]

Anno 1622 zu Johanni war's, ich zählte siebenzehn Lenze, als mir am Mittagstische der Herr Verwalter sagte, aus Schreiberhau sei Frau Preislerin nebst ihrer Tochter gekommen, um des Johannissegens im Bade teilhaftig zu werden, und ich solle sie besuchen. Auf den Abend begab ich mich, in meinem Sonntagsgewande, hin und traf die beiden Gäste aus Schreiberhau in ihrem Losament. Es waren Frau und Tochter des böhmischen Emigranten Preisler, so vor fünf Jahren die Glashütte im Weißbachtale angelegt hatte.

Die Preislerin, gütigen Herzens und von einer heitern Beweglichkeit, grüßte mich vom Oheim und berichtete, er komme in jüngster Zeit häufig zur Glashütte, da er einer neuen Bereitung von Rubinglas auf der Spur sei. Jungfer Elfriede, ein Jahr älter als ich, war von einer zarten, engelhaften Bildung des Hauptes und der Glieder. Ihr bleich Angesicht, von braunem Haar umkränzet, glich einer sanften Blume, und die dunkeln Rehaugen stauneten wehmütig in die Welt. Seit ein paar Jahren fiel ihr das Gehen schwer, und schon redete sie davon, zum Tanzen nie wieder fähig zu sein. Aus dem Erbarmen, das ich für die sieche Schönheit empfand, ward eine schwärmerische Zärtlichkeit. Es erglomm in mir ein Verlangen, ihr Gutes und Liebes anzutun, und bald schien es mir, ihr Blick ruhe mit einer frohen Bewunderung auf meinem Antlitz.

Da die Dämmerung hereinbrach, hätte Elfriede gern die Johannisfeuer betrachtet und fragte die Mutter, ob sie an ihrem Arm auf die Wiese gehen dürfe. Erst besorgete Frau Preislerin, es möchte die Abendkühle der Patientin Schaden tun. Weil sich aber die Jungfer mit Tüchern wohl verwahrte, durfte sie an der Mutter Arm hinaus. Nachdem ich eine Weile mit meiner Schüchternheit gekämpft, brachte ich stammelnd für, vielleicht könne die Jungfer auch mich zur Stütze annehmen. Sie dankte und hing sich sogleich an mich, wobei sie meinen Arm, wie es mir schien, vertraulich drückte.[66] Das brachte mein Gemüt in eine süße Verwirrung. Wiewohl ich nicht sonderlich auf das Gespräch achten gekonnt, da ich wie ein Trunkener wandelte, habe ich doch bewegten Herzens aufgemerkt, als wir auf die Abendburg zu sprechen kamen und den ragenden Fels herauszulesen suchten aus dem dunkelblauen Gewoge der Berge, die sich scharf vom verblichenen Abendhimmel abzeichneten. Träumend sprach da Elfriede: »An einem Johannisabend ist einmal ein Sonntagskind auf dem Kynast gestanden, und da hat sich die ferne Abendburg plötzlich zum Schloß verwandelt, und haben die Fensterscheiben das Abendrot gespiegelt.« Mich entzückete diese Mär, als stehe das Wunder leibhaftig vor meinen Augen.

Frau Preislerin aber scherzete: »Geh mir mit dem dummen Gemahre von den Sonntagskindern! Wenn jedem Sonntagskinde beschieden wäre, Wunder zu erleben, fürwahr so wären die Wunder in unsrer Zeit so häufig wie die Spatzen.«

Verwundert meinte Elfriede: »Aber nein, Sonntagskinder sind ganz rare Vögel!«

Da lachte die Mutter: »Jeder siebente Mensch ist ja ein Sonntagskind! Oder gläubest du einfältig Madel, am siebenten Tage halte der Storch Sabbatruhe?«

Ich und Elfriede waren überrascht und mußten mitlachen; doch es kam auch mir von Herzen, als die Jungfer schmollend zur Antwort gab: »Warum soll uns immer die Klugheit aus den Träumen und Mären wecken?«

»Ach mein liebes Kind,« – seufzete die Mutter – »wer vom klugen Tage nichts wissen mag, wird oft bitter genarret und enttäuscht.« Zu mir gewendet, fuhr sie fort: »Denk Er nur, wie meine Elfriede erst vor einer Stunde, kurz bevor Er gekommen ist, bis zu Tränen enttäuschet worden.«

»Aus was Ursach?«

»Sie hatte eine wundervolle Erwartung vom Johannisbade, das sie dem Teiche Bethesda verglich. Wie den Teich Bethesda ein Engel vom Himmel besuchte und mit Heilkraft erfüllte, die versammelten Kranken gesund zu machen,[67] so sollte nach Elfriedens Sinne der heilige Täufer Johannes aus dem Sonnenuntergange dahergeschwebt kommen und den warmen Brunnen mit segnender Hand bewegen. Wie wir aber vorhin, nachdem wir lange in einem Gedränge von Menschen harren gemußt, endlich in das Weiberbad eingelassen worden, ist meinem Kinde, dem schon von der lärmenden Menge die Andacht verscheucht worden, auch die letzte Neigung zum Baden vergangen. Badende Gänse benehmen sich adlig neben diesem Haufen von Leuten, so einander zu verdrängen suchen, um eine gute Stelle zum Auskleiden zu ergattern und unter den Ersten ins Wasser zu kommen. Wie wir das Stoßen und Schelten, das trübe Wasser, das haufenweise Hineinplatschen der Leiber, das Kreischen und Plätschern wahrgenommen, sind wir durch einen Blick einig worden, ungebadet hinauszugehen. Wie töricht ist doch wohl der gemeine Glaube, dem wir bis Dato selber gehuldigt, zur Sonnenwende Sankt Johannis bringe Warmbrunn in einer Viertelstunde mehr Heilung als sonst in einem Badeleben von mehreren Wochen. Nunmehr sind wir entschlossen, morgen heimzureisen und meinen Eheherrn um die Erlaubnis zu bitten, uns später einmal zur längeren Kur nach Warmbrunn zu beurlauben.«

Dunkel war's indessen worden, schwarz lag das Gebirge. Funken taumelten durch Laub und Halme – schwärmende Leuchtkäferlein.

»Schau, Mutter!« rief Elfriede in froher Aufregung, blieb stehen, indem sie meinen Arm losließ, und deutete nach dem Kynast; »das erste Johannisfeuer!« In der Tat leuchtete es auf dem Turme der Veste. »Zur Linken noch eins!« fügte Elfriede hinzu; »am Seidorfer Brünnel muß das sein; und dorten, ganz oben, wohl bei einer Baude!«

»Ich sehe eins über Petersdorf,« sagte ich; »das ist bei den Wachsteinen; desgleichen oben am Schwarzen Berge fackeln sie; das sind Schreiberhauer.« Und nun erglommen immer häufiger, immer lichter die Johannisfeuer in den düsteren[68] Bergen, ähnlich wie Sterne am Nachthimmel erblühn. So auch in mir jene köstlichen Freudenfeuer, mit denen das Herz seine erwachte Liebe feiert.

Es war mir leid, zu hören, daß Preislers bereits am nächsten Morgen nach Schreiberhau heimkehren wollten. Da ich zu dieser Zeit von meinem Amte in Anspruch genommen war, sagten wir einander gleich auf der Stelle Valet. Ich drückte der Jungfer Hand: »Auf gute Genesung – und Wiederschaun!« – Sie lächelte traurig: »Weiß Gott!« – Ich versuchte zu scherzen: »Auf Wiederschaun beim Tanze!« Sinnend nickte sie und tat einen Seufzer: »Auf Krücken vielleicht.«

Seit dieser Zeit ist mir ein süß Weh gleich dem duftigen Hauch einer wunderbaren Blume gekommen, sooft ich in stiller Stunde Elfriedens gedachte. Manch Gespräch voller Andeutungen unserer Herzensverfassung hat sich zwischen uns in meinen Träumereien begeben, und als höchstes Glück deuchte es mich, im Mondenschein der Juninacht Elfrieden an meiner Seite zu haben, ihr Köpfchen an meine Schulter gelehnt.

Mit Sorge und Gram aber hat es mich erfüllt, da ich aus einem Briefe meines Oheims vernommen, mit Preislers Elfriede sei es schlechter worden, sintemalen sie gar nicht mehr gehen könne. Hierauf hab ich in der Bücherei des Herrn Schaffgotsch Schriften nachgeschlagen, so von Körpergebresten und ihrer Heilung handeln. Da ist mir eine Historia von der Kraft des Antimonii begegnet. »Ich bekam«, so erzählt ein Medikus, »überaus großen Schmerz in meinem linken Arm, daß ich den lieben Gott wohl tausendmal gebeten, er möge mich doch endlich empfinden lassen, wie einem Menschen zumute, so ein einzig Viertelstündlein schmerzlos wäre. Rat hab ich bei Gelehrten und Ungelehrten gesucht; hat alles nichts helfen wollen. Recht henkermäßig ward ich gemartert mit Fontanellen auf beiden Armen und Quacksalbereien, bis endlich ein Offizier anriet, ich solle täglich[69] eine Prise Antimoniumpulver einnehmen und allmählich dies Quantum derart vergrößern, daß ich in Schweiß komme, ohne Übelkeit zu empfinden. Daß ich des Offiziers Ratschlag befolgte, hatte ich nicht zu bereuen, da ich durch fortgesetztes Einnehmen dieses Medikamenti meine Glieder von Schmerz und Lahmheit befreite.«

Mich brachte dieser Bericht in Aufregung und Ungeduld. Hätte am liebsten sogleich aus der Hirschberger Apotheke Antimon geholt und mich nach Schreiberhau begeben, meine Elfriede zu heilen. Doch war mir bekannt, daß Antimonium ein Gift, und so besorgte ich, die Patientin könne Schaden nehmen.

Nachdem ich etliche Wochen in Schwanken zugebracht, traf es sich, daß ich auf einem Botengange zu Herischdorf in eines Schreiners Stube ein artig Mägdlein fand, so nicht von ihrem Stuhle aufstehen konnte und Krücken neben sich hatte. Als ich mich nach der Patientin erkundigte, hub der Schreiner an zu seufzen, das Kind sei seit dem fünften Jahre lahm, und es werde auch noch mit ihren Händen schlimm. Traurig lächelnd sagte der Vater zum Mägdlein, es solle mir doch weisen, was es in der Hand halte, und da sahe ich, wie es vergebens sich mühte, die Hand aufzutun, deren Finger zusammengekrümmt übereinander lagen.

Ich dachte an mein Antimonium und fragte den Schreiner, ob er es mit einem Mittel versuchen wolle, von dem ein berühmter Medikus großen Erfolg verspreche. Er brauche dann nur aus der Apotheke pulvrisiertes Antimonium zu holen, so viel wie eine Nuß; ich werde mit aller Sorgfalt die Kur leiten und keinen andern Lohn erwarten als die Freude, einem armen Menschenkinde geholfen zu haben.

Der Mann betrachtete mich von oben bis unten und schüttelte den Kopf, ließ sich aber den Namen des Medikamenti auf einen Zettel schreiben und war am nächsten Sonntag bei mir mit dem Pulver, das er richtig in der Apotheke erhalten hatte. Das erste, was ich tat, war, das Pulver in[70] winzige Prisen zu teilen, die ich durch Wägen auf einer Feinwage gleichmachte. Alsdann nahm ich, um die Wirkung des giftigen Stoffes zu erproben, nüchternen Magens eine Prise ein. Da sie in keiner Weise Schaden brachte, nahm ich des andern Tages zwo Prisen und verspürte nach etlichen Stunden einen leichten Schweiß. Verfertigte nun aus den Prisen unter Beigabe von Brotkrumen Pillulen und ging nach Herischdorf zum lahmen Mägdlein. Den Eltern schärfte ich ein, es solle die Patientin am nächsten Morgen eine Pille, am übernächsten deren zwo erhalten. Als ich wiederkam, vernahm ich, es habe sich keinerlei Wirkung gezeigt. Da ordnete ich für jeden Morgen drei Pillen an – worauf Patientin stark schwitzete. Mein Spruch lautete, es solle mit dem Eingeben fortgefahren werden.

Wie groß war meine Freude, als sich von Woche zu Woche des Mägdleins Befinden besserte. Nach zween Monden stund es vor der Haustüre und, mein ansichtig, ließ es seine Krücken fallen und hinkete freudestrahlend auf mich los, um meine Hand zu küssen. Mir gingen darob die Augen über, besonders auch, weil ich nun ein Mittel zu haben glaubte, meine liebe Elfriede gesund zu machen.

Selbigen Tages noch schrieb ich an die Preislerin, teilte ihr die ganze Geschichte mit und erbot mich, ihre Tochter zu behandeln. Es kam jedoch anders als ich erhofft.

Denn wie ich den Sonntag darauf meine Eltern in Hirschberg besuchte und bei dieser Gelegenheit aus der Apotheke Antimoniumpulver gekauft hatte, fand ich auf dem Marktplatze einen Auflauf. Um einen Reiter drängte sich die Menge, seinem Bericht zu lauschen, und da ich fragte, was es gäbe, antwortete mir ein Bürger: »Von Liegnitz her ziehet feindlich Volk gen Hirschberg, grausame Kosaken, Gnade uns Gott!«

Wie ich nach Hause kam, stunden vor der Türe meine Eltern und redeten mit Nachbarn in ängstlicher, aufgeregter Weise. Bald eilten Bürger mit Büchsen und Säbeln gewaffnet[71] durch die Gassen, und es hieß, die Stadttore seien geschlossen, nachdem man etliche Haufen flüchtender Landleute nebst ihrem Vieh aufgenommen habe. Als ich mich in der Stadt umschaute, fand ich den Ring und andere Plätze zu Lagern hergerichtet, wo die Flüchtlinge nebst ihrem Vieh und anderer beweglichen Habe kampiereten. Die Stadttore waren verrammelt, die Zugbrücken emporgezogen und die Wassergräben gefüllt. Auf den Wällen tummelte sich bewehrte Bürgerschaft, lud Kanonen und Musketen und war so gut auf dem Posten, daß die heranflutenden Reiterschwärme nach Empfang etlicher Salven flugs zerstoben und in weitem Bogen die Stadt umkreiseten, endlich, da sie alles wohl verwahret fanden und auf eine Belagerung nicht eingerichtet waren, das Weite suchten.

Die Umgegend von Hirschberg allerdings litt von den Kosaken. Manche Baude ward niedergebrannt, Korn und Heu aus den Scheuern geraubt und viele Familien durch Grausamkeit in Jammer versetzt. Die Bewohner der Dörfer, nahe an den Waldbergen gelegen, hatten sich in die Wildnis zurückgezogen, wurden aber eine Zeitlang von den Kosaken verfolgt, so ihre zottigen Hunde auf die Spur der Flüchtlinge hetzten. Immerhin kam die Gegend noch ziemlich heil davon.

Indessen hat dies Ereignis meinen Besuch in Schreiberhau für eine Woche verhindert, und hieraus ergaben sich traurige Folgen. Zunächst, wie ich nach Warmbrunn zurückkehrte, eröffnete mir der Verwalter, ich habe andern Tages mit ihm eine Reise nach Greifenberg anzutreten, wo Fohlen aus dem dortigen Gestüt des Herrn Schaffgotsch zu übernehmen seien. Wie wir nun nach Greifenberg gekommen waren, hieß es, neues Feindesvolk sei im Anzuge, und deswegen ward dem Verwalter geboten, bis auf weiteres mit mir in Greifenberg zu verweilen. So ging abermals Zeit dahin, ohne daß ich mich der ersehnten Kur in Schreiberhau widmen konnte. Da schließlich die Gegend vor Feinden sicher[72] schien, mußten wir nach Görlitz reisen, und zwar ebenfalls in Angelegenheiten der Wirtschaft. So verlor ich im ganzen sieben Wochen, und diese böse Sieben brachte Trauer und Reue über mich, wie über die Familie Preisler.

Wie ich nämlich endlich wieder nach Warmbrunn kam, fand ich einen Brief meines Oheims mit der Nachricht: »Betrübe Dich nicht zu sehr, mein lieber Johannes! Deines guten Herzens Fürhaben, Preislers Elfriede gesund zu machen, ist durch Gottes Ratschluß vereitelt worden. Die Jungfer haben wir am gestrigen Tage auf den Friedhof getragen. Ein Fieber ist zu ihrem Leiden hinzugetreten, und ihr Leben wie ein Flämmchen ohne Öl erloschen.« Kaum hatte ich diese Worte gelesen, so war mir, als stocke mein Herz, und als tue sich zu meinen Füßen das Grab auf, mir die Ruhe zu geben, so ich nach Elfriedens Tode nimmer über der Erde glaubte finden zu können. Schluchzend lag ich am Boden, und es dauerte Monde, bis ich mich von meiner Schwermut halbwegs befreit hatte. Hinterher fand ich, daß mein Gram der Abendburg vergleichbar, insofern jedwedes Herzeleid ein heimlich Gold enthält. Meine Neigung für Elfrieden hatte eine Sehnsucht in mir erweckt, zu lieben und zu heilen. Und also war mein besser Selbst gewachsen.

Mein schlimmer Dämon aber war die Prophezeiung der Zigeunerin, des Oheims Goldmachertreiben und die magische Beschwörung des Felsens. Vom Stein der Weisen träumte ich, und auf den Schatz blieb all mein Trachten gerichtet – wiewohl er mir unter wechselnden Gestalten, je nach den unterschiedlichen Stufen meines Lebens erschienen ist, ähnlich dem Gotte Proteus, so in tausend Verwandlungen den forschenden Blicken der Sterblichen entschlüpfet, indem er Feuer und Wasser, Tier und Pflanze wird, und allein dem Starken, der ihn in allen Verwandlungen festzuhalten weiß, sein wahres Wesen offenbart. Hatte ich zuerst von unterirdischen Kostbarkeiten geträumt, so lenkte sich bald mein Begehren auf die alchymistische Goldmacherei. Nachdem[73] auch sie mich genarret, ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen; mein Proteus hat auf einmal Fleisch und Bein gehabt, ein holdselig Weib. Abermals jedoch gab es eine Umwandlung, der Schatz ward Herrentum und Ehre, als ein König gar hab ich walten wollen. Endlich hat mich jener Stein der Weisen begnadet, den man nur aus Zähren der Enttäuschung und Entsagung kristallisieren kann. Indessen will ich nicht weiter vorgreifen, sondern der Reihe nach von diesen Abenteuern Bericht geben.

Quelle:
Bruno Wille: Die Abendburg. Jena 1909, S. 34-74.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Abendburg
Die Abendburg: Chronika Eines Goldsuchers in Zwolf Abenteuern...
Die Abendburg: Chronika eines Goldsuchers in zwölf Abenteuern
Die Abendburg

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon