»Vergiß das Beste nicht!«

[341] Was Enzio erzählte, hatte anfangs nichts Ueberraschendes. Längst war zu erwarten, sein Abgleiten vom Glasberge werde aus seiner Eitelkeit hervorgehen. Schon als Knabe war er ein Prahlhans und Gernegroß. Den Renommierstudenten hatte er zum Muster – und dies Ideal war von seinem Vater zunächst geduldet worden, um den Gymnasiasten anzuspornen. In einem Zornanfall aber hatte der alte Kuttler angedroht, sein Sohn solle nichts Besseres werden als der Vater – und könne noch froh sein, wenn er mal das Geschäft erhalte oder Rathausschreiberle werde. Eine Folter war für Enzio der Gedanke, es könne dahin kommen, daß er in Lustnau hinterm Ladentisch stehe und den Bauern Schnupftabak, den Kindern Zuckerles verkaufe.

Die bittere Enttäuschung, die nun über ihn kam, weil der Vater ihn mitten aus der Schule riß und dem Handelsberuf überlieferte, suchte Enzio zu versüßen, indem er heimlich den Studenten spielte. In Stuttgart, wo auch der »rote Realischt« von Lustnau in die Lehre ging, trieb sich dies gleichgesinnte Paar Sonntags in Kneipen herum, angetan mit bunten Kappen, um für Tübinger Koriehs gehalten zu werden. Und wie sie ausgelernt und als Kommis angestellt waren, trieben sie ihre Afferei noch alberner. Geschniegelt und gebügelt, Arm in Arm, stolzierten sie über belebte Promenaden wie vornehme Lebemänner. In geziertem Ton sagte der eine zum andern: »Gelt, Herr Baron?« und dieser antwortete: »Ha freili – äh, Herr Graf!«[342]

Hatte Enzio unter den Augen eines Chefs noch auf etliche Ordnung halten müssen, so verbummelte er, sobald er, im Besitze des Tübinger Tuchgeschäfts, sein eigener Herr war. »Armsälik« war ihm, was er »Geschäftsknickerei« schalt – befangen vom Sumpfen und aufgeblasenen Kraftmeiertum jener Burschen, die immer über den Philister zetern und selber ganz leere Schläuche sind. Von Studenten, denen er pumpte, ließ er sich hätscheln und bildete eine skatende Saufblase mit drei alten Semestern, die man »die drei Ewigen« nannte. Der eine lebte von einer reichen Tante, der andere von Pump, der dritte von einer Familienstiftung, die nach dem Wortlaut der Urkunde dem Stipendiaten zukommen sollte, solang er studiere – weswegen er nie daran dachte, sein »Studium« abzuschließen. Anstatt Geschäftsbriefe zu schreiben, saß Enzio im Hinterstüble seines Ladens mit den drei Ewigen beim Frühschoppen und klopfte Skat. Vollends zerrüttet wurden seine Geldmittel durch eine junge Wirtschafterin, die »e liederiks Mensch« war. Nachdem Enzios Vater ein paarmal ausgeholfen hatte, zog er seine Hand von ihm ab, und nun war der Bankerott unvermeidlich.

Nicht recht mit der Sprache heraus mochte Enzio, als er auf seine amerikanische Zeit zu sprechen kam – offenbar hatte er nichts Gutes zu melden. Es sei ihm schlecht ergangen – Kellner sei er gewesen, Hausierer und alles mögliche. Dem Alkohol hab' er derart zugesprochen, daß man den Trunkenbold überall verschmäht habe. Als Tramp sei er umhergeschweift, von Chicago bis Frisco. Ein Spielergewinn hab' ihn in den Stand gesetzt, heimzukehren nach Germany – hier aber, und zwar im Ländle, sei er völlig auf den Hund gekommen: ohne Kraft zu regelrechter Arbeit hab' er sich auf der Landstraße und im Arbeitshaus herumgetrieben. Ein paarmal sei ihm der Vater mit Geld beigestanden – doch das hab' er jedesmal verlumpt.

Leidenschaftlich wurde Enzio, als die schlimme Katastrophe seines Schicksals darzustellen war. Ueber seinen Vater äußerte[343] er sich schonend – der sei bloß herrisch, jähzornig und hart. Wenn er aber von Linda sprach, funkelten seine Augen, er keuchte vor Grimm: »Die ischt Vatters böser Geischt gsi. Mi hat sie aus em Vatterhaus nausbisse, weil sie's für sich hat habe wölle. Alleweil ischt sie eifersüchtik ond boshaft gsi. Jetzt, wo mein Vatter mir ohnehihn ischt gram gsi, hat sie's leicht ghätt, mi gänzlich zu verderbe. Also kurz – enterbt hat mi dr Vatter – ond verstoße. Na hat mi Verzweiflung packt, ond in den Neckr bin i gsprunge – mei verfehlts Leben zu beschließe. E fremder Kerle hat mi aus'm Wasser zoge ond hoimbracht. Aber die Linda, die Kanalli, hat glei ihr Gschrei erhoben: ›Ischt 'r schon wieder da? Naus mit dem Fallot!‹ Da hat mi dr Vatter am Krage packt ond nausgschmisse auf die Gaß. Ond die Linda? Höhnisch glacht hat sie, wien i daglege bin im Dreck, klapprik wie e Vogelscheuch. Gschnatteret hänt mir die Zähn vor Entsetzen ond vor Wut – ond dr einzik Gidanke, won i han fasse könne, ischt Rache gsi, Rache! Goddam! Azünde han i wölle die cottage von mei Vatter. Auf die Lauer han i mi glegt im Wald – drobe beim Exerzierplatz. Jetzt wer kommt da? Die Linda kommt über de Anger – ond Pilz tut sie lese in ihren Schurz – den Korb aber, der schon halber voll ischt, hat sie zu mir, an den Wald gstellt – ohne meiner gwahr zu werde. Waas Pilz? denk i – ond weil sotte da wachsen, pflück i mir. Schau! Dr Knollenblätterschwamm ischt's, e tödlicher Giftpilz, om so gefährlicher, als die Vergiftung erscht nach vielen Stunden wirkt, aber dann sicher. Mit em Champignon kann mer den Knollenblätterschwamm verwechsle – Champignons aber hat's viel aufm Anger. O Hölle! denk i – jetzt lieferst du meinen Todfeind in meine Hand! Rache, Rache! Will ihr solche Giftpilz ins Chörbli tun, gelt? Ond Knolleblätterschwämm raff i auf – onbemerkt schleich i zum Chörbli. Aber schau? Da liegt[344] bereits Knolleblätterschwamm zwische dene Champignons – den Giftpilz kennt die Linda also net. Himmel! frohlock i – so soll mir erspart bleibe, daß i Mörder werd, ond dooch han i mei Rache! Sie selber tut sich vergifte! Dees ischt dr Finger Gootes! – Zurück in den Wald stehl i mi, zu beobachten, waas gschieht. Nicks weiter, als daß die Linda daherkommt – aus ihrem Schurz die neuen Pilz' in den Chorb tut, den auf de Kopf nemmt ond hoimtragt. Jetzt bin i wieder am Wald glege – in mir hat's brodelt wie in eme Hexekessel, Gidanke dumpf ond schwarz. Wie's Abendrot kommen isch, han i denkt: Jetz tun die Pilz im Fett schmore – jetzt tragt sie d' Schüssel auf – ond sitzt am Tisch – mit 'm Gassemaier! Da hat's mir en Stich ins Herze tan. Soll denn der Gassemaier au sterbe? Warum der? Mir hat er nicks tan. Bloß daß 'r ihr Ma' ischt! Aber dees hat dr Tropf ohnehihn zu büße. Oh, oh! e böse Gschicht! Wenn i dees könnt verhüte, daß dr Gassemaier stirbt! Ond die Angscht hat mi packt – ond gschüttelt – ond hochgrisse. Den Dentzeberg bin i nuntergsprunge, wie e Pferd, das mr peitscht. Ond ohn Zaudern ins Häusli gange.

In der Stub ischt koiner gsi – aber auf'm gedeckten Tisch hat's Pilzgericht gstande. Dabei e lärer, noch unberührter Teller – ein andrer aber, von dem waren Pilz gesse worde. Dieser Teller hat den Tod bedeutet, der andre die Rettung. Noch wär's Zeit, den Vergifteten zu rettenausbrechen müßt er's Gegessene. »Gassemaier!« schrei i durchs Haus – zum Garte lauf i ond schrei: »Linda!« Niemand kommt. Aber im Kuhstall ischt ebber mit dr Latern – die Kuh brüllt – da fallt mir ein, daß sie ja trächtik ischt ond ihr Chälbli kriage soll. I schleich zum Stall – da steht's Chälbli scho, ond die Kuh leckt's, die Linda hantiert – dr Gassemaier ischt net dabei. – Jetzt han i aufgeatmet – ond e grimme[345] Freid ghätt. Die Linda also hat gesse – ond ischt abberufen vom Chalben der Kuh. Dr Gassemaier aber fehlt im Haus – o freili, der hat ja gsagt, auf Geschäftsreis müss er heut! O Finger Gootes, abermals fügst du alles in Gnaden – die Kanalli schickst nunter zur Höll – aber dr Gassemaier, weil er mir nicks tan hat, der soll heil bleibe, gelt, mei Goot?

Gleichwohl han i mir denkt – 's könnt dooch sein, daß dr Gassemaier noch net auf der Reis ischt. Drum will i die übrigen Pilz wegschütte, damit sie ihm nicks tun, falls er noch in Luschtnau weilt. Wien i in die Stub komm, ischt da ällis wie zuvor. Ond i nemm die Pilzschüssel, will grad damit naus – da steht die Linda vor mir – ond dr Knecht vom Nachbar. »Was tuscht denn du da?« herrscht sie mich ahn. »Hallo, Fritz! laß mir den Kerl net naus, er will mir mei Esse stehla!« Ond dr Knecht nimmt die Schüssel weg. Mir aber geht e Schauder übern Leib: Wie hat sie gsagt? Ihr Essen wä'r's? So hat sie noch nicks gesse? Oder meint sie bloß, sie will noch mähr esse? »Linda,« sag i verschrocke, »sind dees net deines Mannes Pilz? Hascht denn du net scho gesse? Von dem Teller da? Mr sieht's dooch!« – »Narr du! Waas kümmert's di, wer hier gesse hat? Mei Ma hat gesse – i selber han noch nicks! Ond jetzt willscht mir mei Teil wegnemme? Naus mit dir Lump auf dr Stell!« Aber i – net daß ihr Keife mi hätt eischüchtern könne – i han mi müsse setze, so hänt mir die Knie zittert. »Linda!« tu i stammle, »so hat der Gassemaier Giftpilz gesse! Jetz schwind, wo ischt r? Glei soll er von sich gebe, waas er gesse hat!« Da stutzt sie: »Giftpilz? Woher willscht du dees wisse?« – »Woher? Bin i net am Wald gstande, bei deim Chörbl, wie du die Pilz gsammelt hascht? Schau, dees da ischt der Knolleblätterschwamm, den hascht du drunter tan.« – Ond aus mein Jäckli hol i den Pilz[346] ond zeig ihn her, an dr Knecht bsieht ihn. Ond wien i jetz wisse will, wo dr Gassemaier ischt, ond von Brechmittel red, da lacht die Linda höhnisch: Grad fahrt's Calwer Zügle ab – wohi, weiß i net – Hopfegschäft will er mache. Spring em nach, so bin i di los, räudiger Hund! Haha! verloge ischt bei Giftgschicht! Dees ällis hoscht dir ausdenkt, um zu verkappe, daß du hier hascht stehla wölle, Spitzbue verlogner! Naus mit dir, naus!«

Nach Tübinge bin i gsprunge, daß mir's Herz fascht zerbroche ischt. Wien i zum Bahnhof komm, ischt kei Gassemaier da – ond's Calwer Zügle, sagt dr Schaffner, sei vor ere halbe Stond fort. Jetz, Herrgott, han i denkt, kascht bloß du noch helfe. Wenn du's net magscht, so lauft die Sach halt weiter, wie sie lauft.

Zwei Tag drauf hat mi dr Landjäger verhaftet, ond im Verhör han i erfahre, dr Gassemaier sei an Giftpilz gstorbe. Ueberbleibsel vom Knolleblätterschwamm hat mr in meim Jäckle gfunde, ond für klar hat's golte, daß i dr Mörder sei. Zuerscht hat i gleugnet – aber sie hänt mir net glaubt. Na han i denkt: Für die Gidankesünd will di dr Herrgoot züchtige.

Mit Ergebung bin i ins Zuchthaus gange ond han mei Straf ertrage. Daß i net mehr han saufe könne ond e regelmäßiks Leben führe müsse, hat mi gsund, ordentlich ond arbeitsam gmacht. Zu meim Goot aber han i gsproche: Mei Schuld vor dir erkenn i ond bereu i – die Menschen hänt aber unrecht, mi als Mörder zu verdamme – drum, Herr, willscht du mit mir tun wie mit deinem Knechte Hiob. Den hascht du, ohne daß er's verdient hat, nunter gstoßn in die Grub, daß er da glegen ischt wie e Toter bei Toten. Aber wie er gnueg Buße tan hat in Staub und Asche, hat der Herr sei Gefängnis gewandt, daß er ausgange ischt von der Grub in Glückes Haus. Ond ward gesegnet, daß er bekam vierzehntausend Schafe ond sechstausend Kamele ond tausend Esel – ond kriagte sieben Söhn' ond drei[347] Töchter – ond lebte nach seinem Leid noch hundertvierzik Jahr bis er gesättiget war von seinen Tagen. Also, Herr Zebaoth, sei auch deinem Knechte, dem Enzio gnädik! Hallelujah!«

Aufseufzend lehnte er sich im Sofa zurück – die Beichte hatte ihn aufgeregt und erschöpft. Wie er dasaß, die Augen geschlossen, so daß seine interessanten schwarzen Sterne verdeckt waren, kam auf einmal ein andrer Ausdruck in seinem Gesicht zur Geltung: Einfältigkeit. Als ob ein Schauspieler, dessen Bühnenmaske von Temperament gesprüht hat, nach Schluß des Theaters abgeschminkt in gewöhnlicher Kleidung bei uns sitzt und jetzt nichts weiter ist als ein simpler Bürger. Eine Geistesleuchte war Enzio nie gewesen – jetzt sah ich in ihm etwas, das man Gemütsbeschränktheit nennen könnte. Nicht mit seinem Unglück hatte ich jetzt Erbarmen – das war ja gut ausgegangen – nur mit seiner Gefühlsdummheit.

»Und es scheint, Enzio, dein Gott hat nun alles nach deinem Wunsch gefügt.« – Die schwarzen Augen blitzten wieder, und er lächelte: »Gut geht es mir, mit Segen tut mi mei Herrgoot überschütte.« – »Dein Herrgott? Warum nennst du ihn deinen? Ist dein Gott keiner, den auch andere haben?« – Er stutzte: »Ha no! Wenn er sich dooch um mi kümmert zu jeder Stond! Ob ihn andere haben, dees ischt ihre Sach – i halt mi an meinen Goot. Aber freili, Hiobs Goot ischt er au gsi.«

»Hiobs Gott? Das Buch Hiob hast du wohl eifrig gelesen?« – »Aufgrichtet hat mi's im Zuchthaus – neugboren hat mi's.« – »Und hast du nicht bemerkt, daß der Schluß mit den Rindern und Schafen, die dem geplagten Hiob als verdiente Entschädigung zugemessen werden, eigentlich ein Rückfall ins Weltliche ist?« – Fast Entrüstung war's, das aus Enzios Augen blitzte: »Ond du meinscht, solche Entschädigung hab er net verdient[348]

»Enzio! In deiner Jugend hat dich, wie du sagst, die Aussicht gefoltert, am Lustnauer Ladentisch den Bauern Schnupftabak verkaufen zu sollen, den Kindern Zuckerles. Nun mach' dir klar, ob es nicht auch Gottes unwürdig sei, den Menschenkindern Zuckerles zu verabreichen – irdisch Gut zum Lohn ihrer Bravheit – wodurch er sie erst recht ablenkt von dem, worauf alles ankommt. Der Schluß des Hiobgedichts ist ein Rückfall ins Weltliche. Kleinlich im Vergleich mit einer andern Geschichte, die ich hier heranziehen möchte – ich meine das deutsche Volksmärchen von den drei Wünschen – kennst du's?«

Enzio schüttelte den Kopf, und ich fuhr fort: »Als mal der Herrgott auf Erden ging, wollte er einen Wanderer belohnen für eine Guttat und sprach: ›Drei Wünsche darfst du tun, die sollen dir erfüllt werden.‹ Da wünschte sich der Wanderer ein Paar Schuhe, die nie zerreißen. Der Herrgott antwortete: ›Dieser erste Wunsch ist dir gewährt – aber vergiß das Beste nicht!‹ Das wird ein Hecke-Pfennig sein, dachte der Wanderer – in meiner Tasche soll er Geld hecken. So sprach er den Wunsch aus, und Gott sagte: ›Abgemacht! Aber jetzt aufgepaßt! Nur noch einen Wunsch hast du! Vergiß das Beste nicht!‹ – ›Das Beste? Ei, das ist 'ne Schnapsflasche, die nie leer wird!‹ Und diese wünschte sich der Wanderer. ›Tropf!‹ schalt der Herrgott – ›deine drei Wünsche hast du vertan. Das Beste, das du hättest wünschen sollen, ist das Ewige Leben.‹«

Enzio fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als ob er eine schmerzliche Unrast hinwegstreichen wolle. Dann nahm er eine Zigarre und biß nervös ab: »Pardon, wenn i ... Du also bischt – Nichtraucher?« Und nach heftigem Paffen schien er seine Gedanken etwas gesammelt zu haben: »Jetzt – waas i frage möcht: das Ewige Leben, von dem du meinscht, es sei's Bescht – wo denn hat mr dees?«[349]

»Was nach dem Tod ist, weiß kein Sterblicher – aber Ewiges Leben spürt mancher hienieden auf Erden. Wenn die kleine Waldschnecke aus ihrem Gehäuse kommt, wenn sie zum Tasten die Hörnlein mit den Augenknöpfchen ausstreckt und den Leib vorschiebt, wenn sie von einem Grashalm zum andern kriecht, als könne sie den Waldesdom durchmessen – ein rührendes Bild! Es zeigt uns, wie sogar dies Geschöpfchen Sehnsucht hat, aus der Enge hinauszugehn ins Weite. Oder wenn die Lerche von der Ackerfurche emporschwirrt ins grenzenlose Blau, trunken vor Begeisterung. Und wenn der Mensch schwärmt, Unendliches spürend, wie's eben uns begnaden will – wenn er, nicht befriedigt von seinem Ich-Schneckenhaus, in den Wald der Umwelt vordringt, Verständnis, Mitgefühl für andere Wesen hat, gütige Tat, Freundschaft, Liebe – dann ist er am Erwachen, dann taucht er ins Ewige Leben ... Und dies, Enzio, glaubst du nicht, daß dies mehr ist als Hiobs tausend Kamele und Esel? Du selber hast es fertig gebracht, aus deinem Ich hinauszugehen – sogar unter recht schwierigen Umständen – nämlich wie dein Ich rasend war vor Angst und Rachsucht, im Dentzenberger Wald; da hast du's fertig gebracht, einen Giftpilz deines Herzens zu zertreten: Des Gassenmaier hast du dich erbarmt – und hast sogar dein Leben gewagt, ihn zu retten. So hat dich Ewigkeit berührt mit ihrem Gnadenstrahl. Vergiß das Beste nicht!«

Es zuckte in Enzios Gesicht – dann weinte er still vor sich hin. Ich stand auf, um zu gehn – das Gespräch schien mir einen innerlichen Abschluß gefunden zu haben. Er trocknete sich die Augen: »Du willscht scho fort? Ond hascht mir noch nicks von dir verzählt?« – »Ein andermal, Enzio!« – »Aber«, entgegnete er, »morge muß i nach Konstanz.« – »So müssen wir verzichten. Für heute hab' ich dich genug aufgeregt. Leb wohl, Enzio!«

Quelle:
Bruno Wille: Glasberg. Berlin [o. J.], S. 341-350.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon