In Abrahams Schoß

[350] Tübingens Landschaft konnte zwar nicht die paradiesische Verklärtheit erreichen, mit der mich der Traum von Glastelfingen bezaubert hatte, bescherte mir aber köstliche Sonnentage auf Höhen, die ein grenzenloser Obstgarten waren. Ausblicke über goldene Täler und wogende Waldberge lockten die Seele ins blaue Rätselreich der Ferne. Doch eine Wehmut zitterte in solchem Schauen: die Landschaft kam mir vor wie ein Spiegel, darin ich bloß mich selber finden kann, während mich nach Menschen verlangte. Um so einsamer fühlte ich mich, als die Schauplätze meiner Kindheit zu erzählen wußten von Jugendkameraden, die nicht aufzuspüren waren. Uebrigens konnte die Begegnung mit Enzio nicht gerade zu weiteren Enthüllungen verborgener Schicksale ermutigen. Die Bilanz von Jahrzehnten wird mehr Trübes als Erbauliches enthalten – sprach ich zu mir – und also wird's am gescheitesten sein, wenn du dein Bündel schnürst und aus deinem Jugendlande wieder nordwärts ziehst zu den grüblerischen Kiefern der Mark; allenfalls geh' noch für wenige Tage in die Schwabenalb, besuche den Neuffen, den Zollern, auch den Lochenstein und das Heimatdörfchen Hainlins! Vielleicht, daß dort etwas über ihn zu erfahren ist.

Zum Bahnhof wollte ich; den Rucksack auf dem Rücken, schlenderte ich die Neckarhalde entlang und kam an das Haus, wo Hainlin gewohnt hatte. Es sah wie damals aus, und – ich[351] traute meinem Auge nicht – an der Haustür war noch das Schildchen mit der Aufschrift: Schneckle ... Hainlins Wirtin oder wahrscheinlich ihre Tochter Berta war also hier wohnhaft geblieben. An dieser Entdeckung durfte ich nicht vorübergehen. Also hinauf die Treppen! – Oben an der Flurtür war abermals »Schneckle« zu lesen, und freudig stutzen ließ mich die beigefügte Visitenkarte: Professor Wendelin Ritter. War das etwa Ulis Sohn? Ich erinnerte mich, daß Pia sterbend den Wunsch geäußert hatte, das Kind solle nach ihrem Bruder Wendelin heißen.

Als ich die Klingel gezogen hatte, öffnete ein etwa dreizehnjähriger Knabe. Das geistvolle Auge und die zierliche Gestalt gemahnten an Wendelin Flammer. »Ist Frau Schneckle zu sprechen?« Der Knabe sah mich groß an: »Großmütterle ischt tot. Oder meint Sie Tante Berta? – Die ischt ausgange.« – »Und Herr Professor Ritter?« – »Der 'scht dahoim. Bitte, treten Sie näher!« Höflich führte er mich in eine Wohnstube und bot mir einen Stuhl an. »I werd den Vatter rufe.« Wie ich mich umschaute in dem gemütlichen Raum, blickte mich plötzlich Kandidat Hainlin an – wie in meiner Kindheit: eine lebensgroße Kreidezeichnung nach einer Photographie. Darunter ein Kranz von gelben Immortellen.

Die Tür ging auf; schweren Schrittes trat eine hohe, wuchtige Gestalt ein, blauäugig. So hätte Uli aussehen können, wenn er, wie dieser Mann, im Anfang der Vierziger gewesen wäre. Ich konnte mich nicht enthalten, ihm zutraulich die Hand zu reichen: »Sie sind der Sohn meines Jugendfreundes Uli – ich seh's sofort.« Und ich nannte meinen Namen. – »Grüß Goot!« erwiderte er herzlich – »ich kenne Sie bereits – Tante Berta hat von Ihnen erzählt – ha! die wird sich freuen! Sie sind ja Hainlins Schüler gwä – und hänt Versle für die Glaasberg-Zeitung gemacht, gelt? Tante Berta hat sie noch.« –[352] »Fräulein Schneckle ist, wie ich höre, nicht zu Hause.« – »Aber bald erreichbar – falls Sie den Rucksack da ablegen und etliche Zeit für uns haben, gelt?« – »Herzlich gern, Herr Professor! Der Zufall hat mich hereingeschneit. Ich war im Begriff, nach Hechingen zu fahren – aber wie ich an Ihrem Hause vorbeikomme, entdecke ich den Namen Schneckle. Wenn Sie nun meinen, daß ich Fräulein Schneckle nicht ungelegen komme ...« – »Aber nein! Tante Schneckle wird entzückt sein – ihr Herz ist ja treu wie Gold. Wenn's Ihnen paßt, gehn wir sogleich zu ihr – ich wollte sowieso hin. Sie ist auf dem Schloßberg bei Krüppelkindern, die droben spielen.« – »Dankbar nehm' ich Ihre Einladung an, Herr Professor, und – bleibe noch etwas in Tübingen. Jetzt hab' ich wohl den Torschlüssel gefunden zu meinem Jugendlande. Sie und Fräulein Schneckle werden mir manches zu erzählen haben. Was macht mein lieber Wendelin? Ihren Onkel Flammer mein' ich?« – »Ist tot! länger als dreißig Jahr.« – »Oh! Und wie kam's, daß er so jung?« – »Er starb im Irrenhaus.« – Ich stand traurig stumm, und er fuhr fort: »Ja, an Geisteskrankheit, zermürbt von seiner Zerrissenheit – den Ausgleich hat er nicht finden können zwischen sich und der Welt. Uebrigens wissen wir nicht viel von den letzten Jahren seines Lebens – eigentlich nur, was sich in Hainlins Nachlaß darüber findet.«

»Hainlin – ach ja! Und woran ist dieser Prachtmensch gestorben?« – »An Herzkrankheit infolge von Gelenkrheumatismus. Auf seine Gesundheit hat Hainlin nicht geachtet, in der Apathie, die bei ihm nach dem Zusammenbruch seiner Ehe auftrat.« – »Zusammenbruch seiner Ehe? Mit wem war er verheiratet?« – »Mit einer Berlinerin, einer geschiedenen Frau.«

Schicksal, unheimlich rätselhafte Macht! dachte ich, als ich mit dem Professor das Haus verlassen hatte und zum Hirschauer[353] Tor ging. Hainlin und Rosel! An Seele wie Leib schienen sie für einander geschaffen – und doch! nach langem Harren und Entbehren sind sie unvereint gestorben. Uli und Pia – ich sehe das blühende Paar noch tanzen im Wurmlinger Wirtshaus, gleich verliebten Schmetterlingen, und – der Sprößling ihrer Liebe, die ihnen beiden den Tod gebracht hat, wandelt hier an meiner Seite: ein bärtiger Mann, lahmend auf dem einen Bein ... sonderbares Schicksal.

Mit einer mechanischen Hilfe scheint das Bein versehen. Bei jedem Schritt gibt es ein quiekendes Knirschen von sich – ein paarmal bleibt der Professor stehen, als strenge er sich an und empfinde Körperschmerz. »Sind Sie Invalide?« frage ich. – »An der Somme hab ich's Bein verloren. Wer hätte vor drei Jahren ahnen können, ich werde bald Krüppel sein? Ich, der Turner, Schwimmer, Schlittschuhläufer, ein unermüdlicher Wanderer und Bergsteiger – Führer der Wandervögel, der mit den Buben um die Wette getollt hat – ich muß mich so hinschleppen!« In den Worten bebte das Leid eines Verzichtenden, der noch keine Ergebung gefunden hat.

»Sie sind Gymnasialprofessor?« fragte ich. – »Gewesen bin ich's! Mit ganzer Hingabe! Jetzt freili han i Abschied nehmen müssen.« – »Mußte das wirklich sein?« – »Es mußte sein! Und das würde Sie nicht wundern, wüßten Sie, welche Rolle ich als Pädagoge gespielt hab. In allen Körperfertigkeiten hatte ich meinen Schülern als Vorbild gegolten. Unerträglich wär' mir, in ihren Augen Krüppel zu sein, geringschätzig oder auch nur mitleidig angesehen zu sein.« Er sagte das düster, mit einem flammenden Stolz, der an Ritter Uli erinnerte. – »Jetzt privatisieren Sie also?« – »Ja – und möchte mich als Privatdozent habilitieren – in Tübingen – da hab ich ja auch meine liebe Pflegemutter.«[354]

»Meinen Sie Fräulein Schneckle?« – »Freili! Tante Berta! Seit meinem ersten Jahr hat sie mich bemuttert.« – »Die kleine Berta – Sie? Und wie kam das? Ich meine: welche Umstände haben das gefügt?« – »Ha no! Pia und Uli, meine Mutter und mein Vater, waren tot, den Verwandten Pias aber war ich halt bloß eine Mahnung an Fatales. Ulis Vater adoptierte mich zwar, doch als Witwer wußte er nichts mit mir anzufangen. Gab mich daher in Pflege – zu Frau Schneckle und ihrer Berta. Die haben mir Liebe entgegengebracht, wie sie eine leibliche Mutter nicht inniger haben kann. Tante Berta ist ein Engel in Magdgestalt.« – »Ja, sie hat ein gutes Herz, ein kindlich reines, liebliches. Es ist bald ein halb Jahrhundert her, daß wir auseinanderkamen. Damals schien sie Hainlin zu lieben.« – »Ja, sie hat ihn geliebt, ihn und alle Liebenswerten von damals: meinen Vater, Uli und Wendelin – auch für Sie hat sie geschwärmt!«

»Für mich?« fragte ich verwirrt. – »Ja, natürlich! Sie sind ja auf dem Eise ihr Ritter gewesen, davon redet sie zuweilen. Nicht als ob sie sich eingebildet hätte, ihre Schwärmerei würde Erwiderung finden. Sie hat alleweil nach dem Worte gelebt, das sich bei Goethe findet: ›Wenn ich dich liebe, was geht's dich an!‹ Sie liebt, um zu lieben – nicht um etwas zu erlangen. Und das ist das Geheimnis ihrer Erfolge, die sie als älteres Fraule hat. In ihrer Jugend wurde das blasse Geschöpfle mit der schiefen Schulter übersehen – seit sie aber nimmer zu den jungen Mädle gehört, achtet die Welt auf ihr Herz, auf ihre guten Worte und Werke. Es gibt kaum einen Menschen in Tübingen, der so allgemein beliebt ist wie sie. Sie hat ja auch Hunderten beigestanden – früher als Hebamme, Pflegerin, Kräuterkundige.« – »Dann ist Fräulein Schneckle sehr beschäftigt?« – »In der Fürsorge für allerlei Hilfsbedürftige[355] geht sie auf – so bin ich versucht zu sagen – wär sie nicht zugleich für mich und Uli e einzigs Hausmütterle. Jedenfalls lebt sie nur für andre – und deshalb hat sie ein reiches, glückliches Leben ... Sie werden ja schaun.«

Während dieses Gespräches waren wir an die Stufensteige gelangt, die vom Hirschauer Neckarbrückle zur Burg emporführt. »Solche Stufen zwing' ich schon,« sagte der Professor – »aber die schrägen Bergwege fallen mir schwär.« Schweigsam ging's aufwärts – dann waren wir zwischen dem Schänzle und dem Bärengraben – und nahmen Platz auf einer Bank, von der man ins Ammertal schaut.

»Die zwei Aussichten, die der Schloßberg bietet, haben verschiedenen Charakter,« sagte ich. »Drüben der Blick auf die Alb ist freudig – die Aussicht ins Ammertal von wehmütiger Lieblichkeit. Noch ausgeprägter als jetzt war diese Wehmut in meiner Knabenzeit. Damals gab's nicht die hübschen Landhäuser und großen Kliniken, damals bestand das Stadtviertel nur aus Kleinbürgerhäusern; schwärzlich, alt und winklig wimmelten die Dächer drunten. Und darüber ragten die lieblichen Hänge des Steinenbergs und der Waldhäuser-Höhe – lauter Terrassen, Weingärten, Obst- und Hopfenpflanzungen – sie lächelten, als wären's Stufen der Himmelsleiter. Meine kindliche Träumerei vermutete ein Paradies droben, hinter Obstwäldern versteckt – ein heimliches Höhendorf.« – »Ich weiß! Glastelfingen!« nickte der Professor. – »Wie?« stutzte ich – »Sie wissen davon? Woher denn?« – »Aus Hainlins literarischem Nachlaß. Da ist ein Gedicht von Glastelfingen.« – »Gedicht? Haben Sie's« – »Ja, es schildert die Suche nach dem Glasberg. Auf dem Glasberggipfel harrt die verwunschene Prinzessin dessen, der sie erringen soll. Jedem kommt sie wie sein Liebchen vor und lockt wie eine Sirene. Die Betörten[356] möchten zum Gipfel, gewaltsam oder auch mit List – und alle gleiten vom Glasberg ab. Wahres Glück läßt sich nicht außen erobern – im Innern ist es der heimliche Schatz.« – »Was Sie meinen, Herr Professor, ist das Eden, nach dem meine Kindheit verlangte – und noch immer sehne ich mich danach – nur freilich haben Sie recht: man soll es nicht draußen in der gewöhnlichen Welt suchen, sondern im Gemüte – da kann man diesen paradiesischen Schlupfwinkel finden.« – »Wissen Sie, wer ihn gefunden hat?« fragte der Professor – »Tante Berta! Aber nun lassen Sie uns zu ihr gehen – die Wiese, wo sie mit den Kindern spielt, ist hier in der Nähe.«

Wir gingen auf dem Grat des Schloßberges entlang, vorbei an stattlichen Häusern wohlhabender Studentenverbindungen.

Ein Pfad, der links abbog, führte uns an die sonnige Halde, von wo man ins Neckartal schaut. Auf einer Wiese, die ziemlich eben war und gemäht, spielten etwa ein Dutzend Mädchen, neun- bis zehnjährig – unter der Aufsicht eines älteren Fräuleins. »Ist das –?«

»Eine Kindergärtnerin wird es sein – Tante Berta ist nicht dabei. Sie wird aber bald kommen, hat wohl noch anderswo zu tun. Lassen Sie uns geduldig warten, als stille Beobachter.«

Der Anblick hatte etwas Wehmütig-Rührendes. Diese Kinder schienen geistig verkümmert. Kein Blick schweifte neugierig zu uns – wir schienen für sie nicht vorhanden. Waren die Kinder so stumpf? Dagegen sprach ihre lebhafte Teilnahme für das Bewegungsspiel, das sie betrieben. Zwei größere Mädchen hielten, die Arme hoch, einander an den Händen, und durch dies Tor zogen im Gänsemarsch die Kinder – jedes hielt sich am Röckchen des Vorderen.

Und sie sangen:
[357]

»Mr ziehe durch, mr ziehe durch,

Durch die goldne Brücke –

Sie ischt entzwei, sie ischt entzwei –

Mr wolln sie wieder flicke –

Womit?

Mit einerlei, mit zweierlei –

Der erschte kommt, der zweite kommt –

Den dritte muß mr fange


Beim letzten Worte senkten sich plötzlich die Arme der beiden Mädchen, die das Tor bildeten, und zwischen ihnen war ein Kind gefangen. Es wurde nun gefragt, wohin es wolle – ob zu den Engele oder zu den Teufele. Je nachdem es gewählt hatte, mußte es sich hinter den einen oder den anderen Brückenkopf stellen. Zuletzt gebärdeten sich die Parteien als Engel und als Teufel und wurden in scherzhafter Weise handgemein. Dabei benahmen sie sich auffällig ungeschickt – manche griffen ins Leere, als haschten sie Schatten.

Ein paar Mädchen standen abseits und lächelten vor sich hin – es fiel mir auf, daß sie keinen Sinn verrieten für den wundervollen Blick auf die Neckarauen, ins Steinlachtal, über die Waldhöhen zur violetten Alb. »Als Pädagoge haben Sie, Herr Professor, wohl schon bemerkt, daß Kinder mehr Auge für Nahes haben als für Fernes. Eher für ein Gänseblümchen oder Kleeblatt zu ihren Füßen als für die Aussicht da.« – »Diese Kinder«, erwiderte der Professor, »können weder für das eine, noch fürs andere Sinn haben!« – »Wie? Es sind Idioten?« – »Idioten nicht, aber blind!« – »Blind?« Mich erschütterte das Wort – zumal die Aussicht hier ein so paradiesisches Lächeln der Erdenheimat war.

Doch als wollten die blinden Kinder mein Bedauern widerlegen, waren sie jetzt mit Entzücken bei einem neuen Spiel: Die[358] beiden großen Mädchen hielten sich wieder an beiden Händen, diesmal die Arme gesenkt – auf dem so gebildeten Sessel nahm ein drittes Kind Platz, rechts und links einen Nacken umschlingend. Und wurde nun geschaukelt, wozu die Kinder sangen:


»Wir wiegen dich in Abrahams Schoß –

Da bischt du alle Schmerzen los,

Dein Herz ischt nimmer schwär.

Schwindele, Kindele, Kaffeemühl,

Schwäbele, Bäbele, bautz!«


Beim Kaffeemühl-Versle wurde das geschaukelte Kind auf einmal herumgewirbelt wie ein wagerechtes Rad – dabei gab's groß Gelächter. Ich sehe noch das verzückte Lächeln eines blassen Mägdeleins, wie's in Abrahams Schoß gewiegt wurde: Nichts sah es vom Leuchten der Sonne, nichts vom Blauen der Ferne – und war doch ein Engel, der zum Paradies schwebt.

Da kam ein gebücktes Weiblein geschlichen – sie winkte uns Sehenden, wir möchten nicht verraten, daß sie da sei. An der buckligen Schulter und am gütigen Gesicht war Berta Schneckle zu erkennen. Ein Engel in Magdgestalt! dies Wort des Professors schien mir treffend.

Plötzlich stutzten die Kinder aufhorchend und wußten nun, wer gekommen war. Jubelnd umringten sie Tante Berta, jedes wollte mit greifender Hand etwas von ihr haben, sich an ihren Arm hängen, einen Finger von ihr halten, einen Zipfel ihres Kleides.

Sie lächelte, war aber bald den Kindern entschlüpft und kam zu uns. Ihr Pflegesohn küßte sie auf die Stirn: »Schau, wen i dir da bring. Waas meinscht, wer ischt dees, he?« – Mit sinnendem Lächeln sah sie mich an: »Bekannt kommt er mir vor.« – »Hainlins Schüler ist's, der Norddeutsche!« –[359] Errötend streckte sie mir die Hand entgegen: »Grüß Goot, Herr – Bruno! Ischt dees aber e Freid! Oh Wendelin, geahnt han i, daß mr heut ebbes Guts beschert werden soll – graad wien i da über den Klee komme bin, han i gstutzt – ond beinah hätt i e vierblättriks Kleeblättle erwischt – drei Blättle sind scho dran gwä.« Wir lachten über ihre Schelmerei.

»Net wahr?« sagte der Professor, »dein alter Freind derf net so bald fort – heut hat er schon abreise wolle – hat aber zufällik am Haus bei ons dei Namensschildle glesen.« – »Abreise? Aber nein!« bat Fräulein Schneckle und errötete von neuem, »bleibe müsset Sie. Mr hänt uns arg viel zu verzähle, möchten noch e mal jung sein. Also gelt? Sie kommen mit uns! Einschtweile möcht i mi noch e bißle meinen Kinderle da widme. Dees ischt mei Altweibermühl!« –

Bei denen war sie nun, abermals mit Jubel umringt. Man faßte sie, trug sie auf Händen – und selber ein strahlendes Kind, saß Tante Berta auf der lebendigen Schaukel – man sang:


»Wir wiegen dich in Abrahams Schoß,

Da bischt du alle Schmerzen los,

Dein Herz ischt nimmer schwär!«


Quelle:
Bruno Wille: Glasberg. Berlin [o. J.], S. 350-360.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Horribilicribrifax

Horribilicribrifax

Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon